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Der italienische Faschismus: Von seinen Anfängen bis zur Mitte der dreißiger Jahre

AutorMichael Preis
VerlagGRIN Verlag
Erscheinungsjahr2006
Seitenanzahl160 Seiten
ISBN9783638487900
FormatPDF/ePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis35,99 EUR
Magisterarbeit aus dem Jahr 2003 im Fachbereich Politik - Politische Systeme - Historisches, Note: 1,8, Justus-Liebig-Universität Gießen (Institut für Politikwissenschaft), 46 Quellen im Literaturverzeichnis, Sprache: Deutsch, Abstract: In der Mitte und zum Ende des Jahres 1920 wurde die italienische Sprache um neue Vokabeln bereichert: fascismo, um die politische Bewegung der Fasci di combattimento zu bezeichnen, die am 23. März 1919 von Benito Mussolini und anderen an der Piazza San Sepolcro in Mailand gegründet worden waren, fascisti, um deren Anhänger zu identifizieren. Der Begriff fascismo, Faschismus, drückt - im Gegensatz zu anderen politischen Begriffen - nichts aus, und leitet sich ab von den fasci, Bünden. Um diese Bünde, ihre Bündler und deren ganz besondere Form der Bündlerei, um den Faschismus, geht es in der vorliegenden Studie - von seinen Anfängen bis zur Mitte der dreißiger Jahre. Ihr Ziel ist es, den italienischen Faschismus als Phänomen der italienischen Geschichte zu erklären, denn der Faschismus ist 'italienisch', in seinen Spezifika an Italien, seine Geschichte und politische Kultur gebunden, und der Begriff muss folglich für die politische Bewegung in Italien reserviert bleiben - ein Oberbegriff, der auch andere politische Bewegungen als 'faschistisch' subsumiert, ist nicht zulässig. 'Unserer Ansicht nach bedeutet den Faschismus definieren, zuallererst die Geschichte des Faschismus schreiben.',1 hält Angelo Tasca fest und dazu wird zunächst auf den Rahmen verwiesen, in dem das politische Phänomen entstand: den Risorgimento - Staat, seine Entstehung aus der besonderen Form von italienischem Nationalismus und Sozialismus. In der Auseinandersetzung über den Eintritt Italiens in den Weltkrieg wird seine früheste Form sichtbar, auch im Werdegang seines künftigen Protagonisten, des ehemaligen Marxisten Mussolini. In der Nachkriegszeit zunächst ohnmächtig, verschafft ihm die Krise, die auf den Krieg folgt, die Möglichkeit zum Marsch auf Rom und zur Übernahme der Regierung. Diese Regierung entwickelt sich zu einer Diktatur, die weder Militär- oder Königsdiktatur noch Diktatur des Proletariats ist, sondern ein neuartiges Regime errichtet, dass charakterisiert und dessen politische Praxis dargestellt wird. Entscheidender Wendepunkt in der Geschichte des Faschismus ist der Abessinien - Krieg Mitte der dreißiger Jahre, der ihn scheinbar triumphieren läßt, seinen Weg in den Untergang aber bereits anzeigt. Wie und warum das so ist, wird erläutert. Abschließend wird der Faschismus bewertet.

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Leseprobe

2. Der Risorgimento - Staat

 

2.1 Der Risorgimento – Staat: Genesis und Strukturen

 

Wer vom Faschismus reden will, sollte nicht von dem politischen System schweigen, in dem sich die Genesis seiner Ideologie vollzog und das seinem Regime vorausging: dem liberalen Nationalstaat des Risorgimento. Dieser Staat war in der Kooperation des Königreiches Piemont unter Ministerpräsident Camille de Cavour und der nationalen Bewegung der Rothemden Giuseppe Garibaldis - unter Protektorat und militärischem Beistand Napoleon III  - kreïert worden.[2] Die österreichische Hegemonie über Nord– und Mittelitalien war von Frankreich und Piemont kriegerisch aufgebrochen worden und im fast unmittelbaren Anschluss daran vertrieb Garibaldis „Zug der Tausend“ die Bourbonen aus Sizilien und Neapel, wo er sich mit aus dem Norden vorgedrungenen piemontesischen Truppen vereinigte; das päpstliche Regime war auf Rom zurückgeworfen worden. Ihren Abschluss fand die Eroberung der Halbinsel in der plebiszitär legitimierten Annexion der besetzten und liquidierten italienischen Staaten durch Piemont, das in dem neuen Königreich Italien aufging, dem es seine Krone und seine parlamentarische Verfassung übertrug.[3] Diese Verfassung, das Albertinische Statut, garantierte die rechtliche Gleichstellung aller Bürger, beschränkte aber die politischen Rechte durch ein äußerst restriktives Wahlrecht fast ausschließlich auf Aristokratie und Bourgeoisie. Der italienische Nationalstaat war, bei zentralistischer Verwaltung, potentiell instabil und schwach und wurde von folgenden Faktoren seiner Gründungszeit belastet:   

 

Nationalbewegung und Nationalstaat wurden lediglich von der liberalen und antiklerikalen Bourgeoisie und Teilen der Aristokratie getragen, waren damit eindeutig Sache und Anliegen einer Minderheit, während die Masse des italienischen Volkes allenfalls ansatzweise – im kleinen und mittleren Bürgertum - nationales Bewusstsein entwickelte und ansonsten auch dem neuen Staat traditionell gleichgültig bis feindselig begegnete. „Das Risorgimento vollendete sich in der Form einer >königlichen Eroberung< der Halbinsel durch das kleine Piemont, ohne aktive Teilnahme des Volkes, ja teilweise sogar gegen das Volk.“[4]  

 

Papsttum und Kirche standen dem italienischen Nationalstaat, diesem Räuber des Patrimoniums Petri, in erbitterter Feindschaft gegenüber. Guy Palmade: „Ebenso wie sich der belgische, holländische oder französische Liberalismus antiklerikal gab, vollzog sich Italiens Einigung gegen den Papst, der seinen Staat verlor, sich über 50 Jahre im Vatikan einschloß und sich als Gefangenen des neuen Königreichs betrachtete.“[5] Der Heilige Stuhl verbot den Gläubigen die Teilnahme an Wahlen, was die Zahl der Wähler, bei etwa 15% (1861) wahlberechtigter Männer, nochmals reduzierte.[6] Die intransigente Kirche und der liberal - antiklerikale Staat ignorierten einander.

 

Die verkrusteten sozialen Strukturen wurden von der nationalstaatlichen Gründung nicht berührt. So blieb im Mezzogiorno die feudale Agrarverfassung aus Latifundien – Besitz neben elenden und sklavenähnlichen Landarbeitermassen auch nach dem Sturz der Bourbonen intakt. Für die Masse der häufig noch analphabetischen ländlichen Bevölkerung in ganz Italien blieb der Begriff „Italien“ abstrakt bis nichts sagend.[7] Der liberale Nationalstaat machte ihnen und dem Kleinbürgertum kein Identifikationsangebot auf der Grundlage agrarischer und wahlrechtlicher Reformgesetzgebung.

 

Das eng begrenzte Wahlrecht bildete lediglich Parlamentsparteien aus, Wahlmännervereine und Honoratiorenverbände, die sich um bestimmte Persönlichkeiten gruppierten. Diese Protagonisten der Kammer in Rom verteilten untereinander das Feld politischer Macht mittels des Systems des so genannten trasformismo,[8] des Dauerkompromisses bei der politischen Entscheidung im Rahmen des allein selig machenden Liberalismus unter Einbeziehung intriganter und korrupter Praktiken. Wahlen waren durch die nämlichen Phänomene geprägt, begünstigt durch die Mehrheitswahl in kleinen Wahlbezirken, im Süden noch zusätzlich durch Gewalttätigkeiten. Lokale Magnaten setzten gemietete Schlägerbanden ein, die der Wahl ihrer Kandidaten, der so genannten Askaris, Nachdruck verliehen und konservierten so ihren politischen Einfluss.

 

Das politische System des Königreiches ist somit als klientelistisch und personalistisch geprägte, parlamentarische Oligarchie der liberalen Bourgeoisie zu definieren.[9] Im Folgenden ist aufzuzeigen, wie sich dieses System in den Grundzügen bis zum Ausbruch des Weltkrieges entwickelte. Zu fragen ist: welche Herausforderung begegnete dem liberalen Regime (während die Katholiken missmutig abseits standen)? Wie reagierte das liberale Regime auf diese Herausforderung? Wie veränderte sich das liberale Regime durch diese Herausforderung?

 

2.2 Der Risorgimento – Staat: Entwicklung bis zum Weltkrieg

 

Der gesamteuropäische Industrialisierungsprozess konzentrierte sich in Italien in den Metropolen des Nordens, damit die Kluft zwischen Norden und Süden noch vertiefend, wo sich der italienische Sozialismus formierte, der neben der Industrie– auch die Landarbeiterschaft in Nord– und Mittelitalien erschloss, also auch erhebliche regionalistische Züge aufwies. Der italienische Sozialismus, der seit dem Ende des 19. Jahrhunderts die Herrschaft der Bourgeoisie sozialrevolutionär bedrohte, war - dies muss ausdrücklich betont werden – nicht beinahe ausschließlich marxistisch geprägt (wie die deutsche SPD). Seiner gefährlichen Herausforderung des liberalen Systems begegnete Ministerpräsident Francesco Crispi (1887 – 1896, mit Unterbrechungen), Veteran des „Zugs der Tausend“, mit repressiver Innen- und sozialimperialistischer Außenpolitik, die nicht nur den aufkommenden Nationalismus im breiten Bürgertum bediente, sondern auch die sozialen Spannungen nach Übersee ableiten und so das liberale Regime stabilisieren sollte. Dieses Vorhaben, dem die Kräfte des schwachen italienischen Staates nicht genügten, scheiterte völlig – die Eroberung Abessiniens wurde 1896 durch die  Niederlage italienischer Truppen bei Adua vereitelt – während die sozialen Konflikte blutig eskalierten. Nach schlechten Ernten ausgebrochene Hungerkrawalle führten zu einer Massenerhebung in Mailand (1898), die von der Armee unter Einsatz schwerer Artillerie niedergeschlagen wurde. In der anschließenden panischen Revolutionsangst berief König Umberto I. (1900 von einem Anarchisten ermordet) das Ministerium des Generals Luigi Pelloux, der die innere Befriedung und die Bannung der sozialrevolutionären Gefahr mit militärrechtlichen Ausnahmegesetzen zu erzwingen suchte, die immer mehr die Formen einer Militärdiktatur nach lateinamerikanischem Modell annahmen. Gegen diese Lösung opponierte nun allerdings auch die staatstragende liberale Bourgeoisie – besonders ihr linker Flügel aus Republikanern und Radikalen - die sie durch systematische parlamentarische Obstruktion zu Fall brachte.

 

Dies war die Stunde Giovanni Giolittis, Innenminister seit 1901, Ministerpräsident von 1903 bis 1914 (mit Unterbrechungen), der von repressiven Maßnahmen nicht absah, parallel dazu aber eine Reformpolitik betrieb, um dem Sozialismus seine revolutionären Giftzähne zu ziehen und ihn so weit zu liberalisieren, dass er in die herrschende Ordnung integrierbar war. Die Politik dieses Virtuosen des Parlamentarismus italienischer Art und brillanten Technikers des trasformismo stand unter der Prämisse, die Herrschaft und die Herrschaftstechniken der liberalen Eliten zu erhalten: so suchte er, in transformistisch – personalistischer Tradition,  nicht das Arrangement mit dem marxistischen PSI (Partito Socialista Italiano) sondern kollaborationswilligen Persönlichkeiten in ihm.[10] Was der Reformpolitik Giolittis, die ihre Krönung in der Gewährung eines fast allgemeinen Wahlrechts 1913 fand,[11] an Unterstützung im revisionistischen Flügel des PSI zuwuchs, brach ihm bei nationalistischen und konservativen Liberalen um Antonio Salandra zusehends weg, denen sie viel zu weit gehend und bedrohlich erschien. So unternahm Giolitti mit dem diplomatisch sorgfältig eingefädelten Krieg gegen die Türkei, der zur Besetzung Libyens und einiger ägäischer Inseln (Rhodos, Kos und umliegende Inseln) durch Italien führte, auch eine innenpolitische Notoperation, um die erodierende Unterstützung nationalkonservativer Liberaler zurückzugewinnen, trieb den PSI damit allerdings in die Stellung fundamentaler Opposition zum liberalen Regime zurück. Auf dem Parteitag des PSI in Reggio 1912 polemisierte der Parteisekretär von Forli, Benito Mussolini, gegen jedwede Kollaboration mit der Bourgeoisie und erwirkte den Parteiausschluss der Protagonisten des reformistischen Parteiflügels, Leonida Bissolatis und Ivanoe Bonomis.[12] So ließ sich Giolitti zu einem Wahlbündnis, dem Patto Gentiloni,[13] mit den Katholiken herbei, die zusagten, liberale Kandidaten zu wählen, die sich bereit erklärten, kirchliche Forderungen wohlwollend zu prüfen und bewahrte so bei den ersten allgemeinen Wahlen von 1913 noch einmal, schon notdürftig und improvisiert, die liberale Hegemonie. Für jeden, der nicht mit Giolittischem Optimismus gesegnet war, musste sich aber spätestens seit 1912/14 eine interessante Frage stellen. Wie...

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