„Gesund beginnt im Mund“, liest man oft auf Zahnarztprospekten und -inseraten. Dennoch ist der regelmäßige Besuch beim Zahnarzt für die meisten Menschen eine unangenehme Last. Solange es nur Routineuntersuchungen sind, kann man erleichtert aufatmen. Wenn jedoch festgestellt wird, dass eine größere Behandlung ansteht, weil ein Zahn oder gleich mehrere Zähne geschädigt sind, vergeht einem das Lachen gänzlich. Sogleich stellt sich die Frage, welche Methode man wählt, wann man die Behandlung durchführen lässt und vor allem auch wie die Behandlung finanziert werden soll.
Gerade Zahnersatz darunter fallen Brücken, Kronen und Implantate, sind kostspielige Behandlungen, bei denen die Krankenkasse nur einen geringen Teil der Kosten übernimmt. PatientInnen stehen somit immer vor der Frage, ob sie Kosten sparen wollen, indem sie sich für herausnehmbare Prothesen entscheiden, oder ob sie mehr investieren und damit einen festsitzenden Zahnersatz erhalten, der auf lange Sicht deutlich mehr Komfort verspricht.
Preise zu vergleichen haben KonsumentInnen nicht erst durch das Aufkommen des Internets gelernt. Schon immer wurde um Waren gefeilscht und dadurch versucht, das günstigste Angebot zu erreichen. Doch der Preisvergleich beschränkt sich nicht nur auch Waren, sondern auch auf Dienstleistungen. Ein freier Markt, in dem die Nachfrage den Preis bestimmt, hat sich somit auch für Zahnbehandlungen gebildet. Lange Zeit galt Ungarn als das Zahnparadies schlecht hin. Ganze „Zahndörfer“ sind in den letzten 20 Jahren in den Grenzregionen zu Österreich entstanden. Aufgrund des geringeren Lohnniveaus und der geringeren Materialkosten, konnten bei einer Zahnbehandlung in Ungarn schon damals bis zu zwei Drittel der Behandlungskosten eingespart werden. Spätestens seit dem EU-Beitritt 2004 zieht auch Tschechien nach und hat rund um die Grenzregionen Zahnkliniken errichtet, die sich hauptsächlich auf die Bedürfnisse Österreichischer PatientInnen spezialisieren: mit deutschsprachigem Personal, unkomplizierter Organisation und teilweise auch noch mit weiter reichenden Angeboten: Hotel und Ausflüge inklusive.
Wie sich durch die nähere Auseinandersetzung mit der Thematik gezeigt hat, ist Patientenmobilität ein von Wachstum geprägtes Feld. Einschnitte in Sozialsystemen vieler Mitgliedstaaten in den letzten Jahren haben dazu geführt, dass die Selbstbehalte bei Gesundheitsleistungen gestiegen sind. Zusätzlich hat die allgemeine Reisebereitschaft der Menschen unaufhaltsam zugenommen. Daher nehmen immer mehr EuropäerInnen auch längere Wege in Kauf, um Kosten im Gesundheitsbereich zu sparen. Für den Medizintourismus sind beide Entwicklungen förderlich. Nähere Informationen und statistische Daten dazu finden sich im dritten Teil der Arbeit.
Ein hoch interessanter Aspekt in der Betrachtung des Phänomens Patientenmobilität ist der rechtliche Hintergrund. Welche Rechte habe ich als PatientIn im Ausland und was bezahlt mir die Krankenkasse im Ausland? Dies sind Fragen, die bei der Organisation eines medizinisch bedingten Aufenthaltes im Ausland eine wichtige Rolle spielen. Schließlich möchte man ja keineswegs Risiken eingehen oder gar „drauf zahlen“. Die rechtliche Basis für die Entstehung des Medizintourismus bildeten bereits frühe Schritte der Europäischen Integration: Die Einheitliche Europäische Akte im Jahr 1987 setzte den Grundstein für einen gemeinsamen Binnenmarkt ohne Barrieren. Die darauf folgenden Rechtsakte erleichterten den EU-BürgerInnen die grenzüberschreitende Mobilität schrittweise. Heute sind alle UnionsbürgerInnen prinzipiell im Besitz der Rechte, sich frei in der Union zu bewegen, Dienstleistungen in Anspruch zu nehmen, zu arbeiten, einen Wohnsitz einzurichten, etc.
Gesundheitspolitik als solche liegt laut den Verträgen jedoch nach wie vor in den Händen der Mitgliedstaaten. Seit dem Gipfel von Lissabon 2000 wurde die offene Methode der Koordinierung (OMK) in den Bereichen Sozial-, Beschäftigungs- und Einwanderungspolitik eingeführt. Die OMK sollte ermöglichen, dass die Mitgliedstaaten ihre Gesetze in den genannten Bereichen soweit aufeinander abstimmen, dass es die Komplementarität ihrer Gesundheitsdienste in den Grenzgebieten möglichst gering gehalten wird. Die EU wird dabei nur unterstützend tätig.
Die rechtliche Grundlage für die Koordinierung der Sozialordnungen der Mitgliedstaaten bildeten bis vor kurzem die EWG-VO 1408/71, die EG-VO 883/2004 und die EG-VO 987/2009. Weitgehende Harmonisierung konnte jedoch trotz der Verordnungen lange Zeit nur durch die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes geschaffen werden. Zuletzt hat die Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates vom 9. März 2011, auch „Patientenmobilitätsrichtlinie“ genannt, über die Ausübung der Patientenrechte in der grenzüberschreitenden Gesundheitsversorgung den rechtlichen Rahmen dafür gelegt, dass die Mobilität von PatientInnen innerhalb der EU künftig einfacher möglich sein wird. Die Wege für eine neue Art des Tourismus scheinen sich immer mehr zu ebnen. Medizintourismus verspricht eine zukunftsträchtige Branche zu werden.
Die vorliegende Masterarbeit beschäftigt sich näher mit dem Phänomen Medizintourismus in der EU. Aufgrund der besonderen Ausprägung des Medizintourismus im dentalen Bereich spezialisiere ich mich auf den Zahntourismus. Weiters wurde eine Spezifizierung bezüglich der Länderauswahl vorgenommen: Der besonderer Fokus liegt auf Tschechien. Tschechien ist für mich persönlich von hohem Interesse, da ich im Rahmen meines Studiums ein Auslandssemester in Olomouc (CZ) verbracht habe und ich mir daher auch vor Ort ein Bild von der Situation machen konnte.
Nicht erst seit der Diskussion rund um die Patientenmobilitätsrichtlinie wird das Thema grenzüberschreitende Gesundheitsversorgung in der EU immer wieder aufgegriffen. Die zunehmende Bereitschaft der PatientInnen, sich zwischen den Mitgliedsländern zu bewegen und in Kombination dazu das Spannungsfeld zwischen Europäischer und nationale Gesundheitspolitik, gaben bereits Anlass für verschiedene Studien. Erwähnt sei hierbei unter anderem das Projekt Europe for Patients (E4P), das der Frage nachging, ob und wie die EU-Patientenmobilität den Zugang zu Gesundheitsleistungen für die europäischen Bürger verbessert.[1]
Ein weiteres Projekt in diesem Forschungsfeld war Health Access, eine Kooperation von zwölf Europäischen Forschungseinrichtungen, die die Zugangsbarrieren für die Inanspruchnahme von Gesundheitsleistungen innerhalb zehn beteiligter Länder untersuchte. Hier kam man vor allem zum Ergebnis, dass nicht versicherte PatientInnen in Europa kaum von den Leistungen im Europäischen Ausland profitieren. In einem zweiten Schritt wurde im genannten Projekt auch die grenzüberschreitende Kooperation erfasst, wobei verdeutlicht wurde, dass es bereits eine starke Zusammenarbeit zwischen bestimmten Mitgliedsländern gibt. Diese beschränkt sich aber hauptsächlich auf Staaten, die schon länger bei der EU sind. Zwischen den „alten“ und „neuen“ Mitgliedstaaten war die Kooperation zum damaligen Zeitpunkt (2007) noch dürftig. [2]
Mittlerweile haben sich auch schon mehrere Dissertationen dem Thema Patientenmobilität in Europa gewidmet. Erwähnt sei hierbei die Dissertation von Alena Ottichová aus dem Jahr 2012, die für die vorliegende Arbeit sehr hilfreich war.[3] Die Arbeit betrachtet erstmals Tschechien als Zielland. Ottichová identifiziert in ihrer Forschungsarbeit die Einschränkungen und deren Hintergründe im Bezug auf die Inanspruchnahme von Gesundheitsleitungen im Länder-Dreieck Deutschland, Österreich und Tschechien. Sie kommt zu dem Schluss, dass die Einschränkungen, die es derzeit noch gibt, „ein Produkt der komplizierten europäischen und nationalen Regelungen sowie der unterschiedlichen Strukturen und Organisationsformen nationaler Gesundheitssysteme in der EU, in deren Rahmen sich die Hauptakteure – Versicherte, Gesundheitsdienstleistungerbringer und Krankenkassen – bewegen und handeln“[4] sind. Die Arbeit kommt zu der Auffassung, dass es derzeit keine „indirekte Harmonisierung“ der Gesundheitssysteme der einzelnen Mitgliedstaaten gibt. Weiters werden der Patientenmobilität bewusst Schranken gesetzt, da es für die einzelnen Akteure wirtschaftlich günstiger sei.[5] Ottichová kritisiert im Zuge ihrer Ausarbeitung, dass es immer noch wenig genaues Wissen über das Ausmaß und die tatsächlichen Erfahrungen der PatientInnen mit den verschiedenen Formen der EU-Patientenmobilität gibt. Ebenso sind bisher kaum Daten über den Medizintourismus vorhanden. [6]
Der Grund für die mangelhafte Datenlage liegt darin, dass Krankenkassen häufig keine Informationen darüber erhalten, dass ihre Versicherten im Ausland behandelt wurden (z.B. wenn keine Kostenerstattung beantragt wurde). Weiters gibt es Unterschiede in den Mitgliedstaaten, welche und auf welchem Wege Daten beobachtet werden bzw. wer dafür zuständig ist. Das erschwert den Datenvergleich zusätzlich. Im Medizintourismus könnte die reduzierte Datenlage damit verbunden werden, dass hier nur der Gesundheitsleistungserbringer mit den PatientInnen involviert ist. Die genaue Zahl der Inanspruchnahme kommt den Krankenkassen demnach nicht zu.
Mit genau diesen Problemen...