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Trügerischer Glanz: Der Wiener Kongress

Eine andere Geschichte

AutorHannes Leidinger
VerlagHaymon
Erscheinungsjahr2015
Seitenanzahl328 Seiten
ISBN9783709972250
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis16,99 EUR
RAUSCHENDE FESTE, NEUE ORDNUNG Der Wiener Kongress war ein einziges rauschendes Fest. So sahen es zumindest viele Zeitzeugen, die über das Großereignis zur Jahreswende 1814/15 Aufzeichnungen hinterlassen haben. Bälle, Paraden und viele andere Lustbarkeiten sollten Sieges- und Friedensstimmung verbreiten. Aber die Herrscher Europas kamen nicht nur zum Tanzen in die k.k. Residenzstadt: Vielmehr sollte Europa nach der Niederlage Napoleons neu geordnet werden. Im engsten Kreis der Entscheidungsträger herrschte allerdings Uneinigkeit. Bis der ganze Kontinent erneut von Napoleon bedroht wurde. Mit seiner Niederlage konnten die Beschlüsse des Wiener Kongresses umgesetzt werden. Aber wie lange blieb die neue Ordnung aufrecht? Und welchen Stellenwert nimmt der Wiener Kongress in unterschiedlichen Erinnerungskulturen ein? Umfassend beleuchtet Hannes Leidinger den Wiener Kongress aus verschiedenen Blickwinkeln und erklärt die Hintergründe, die Entwicklung und die Folgen des Großereignisses für Österreich und ganz Europa. DER WIENER KONGRESS ABSEITS VON GLANZ UND GLORIA Darüber hinaus beschreibt Hannes Leidinger erstmals, wie das Leben abseits der 'großen Historie' aussah, und berichtet vom Alltag der Menschen, der so gar nicht dem Klischee des 'tanzenden Kongresses' entsprach. Er wirft einen spannenden Blick hinter die Kulissen des Großereignisses und erzählt von den Vergnügungen der Reichen und Schönen, den geheimen Machenschaften und Absprachen zwischen gekrönten Häuptern, Staatsmännern und Diplomaten. Vom Wiener Kongress geht ein trügerischer Glanz aus, der die Erinnerung an die Probleme der Frühindustrialisierung überstrahlt: etwa die stetig wachsende Armut der Bevölkerung, die Schattenwelten von geheimen Zirkeln und die Untergrundnetzwerke einer umtriebigen Opposition. Wissenschaftlich fundiert und äußerst kurzweilig präsentiert Hannes Leidinger somit eine andere Geschichte des Wiener Kongresses - abseits von Glanz und Gloria und der diplomatischen Neuordnung Europas.

Hannes Leidinger, geboren 1969 in Gmunden, Universitätsdozent, Lehrtätigkeit an den Instituten für Geschichte und Zeitgeschichte der Universität Wien; 2009 und 2012 Gastprofessor an der Universität Wien. Mitarbeiter sowie Leiter verschiedener Forschungsprojekte vor allem zur österreichischen und russischen Geschichte. Ausgezeichnet mit zahlreichen Preisen, u.a. dem Böhlau-Preis der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. Hannes Leidinger ist einer der erfolgreichsten Autoren historischer Sachbücher in Österreich, u.a. 'Streitbare Brüder: Österreich : Deutschland' (2010), 'Schwarzbuch der Habsburger' (2012, HAYMONtb) und 'Habsburgs schmutziger Krieg' (2014).

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Leseprobe

Tanz durch die Zeiten


Leuchtreklame für den Film »Der Kongress tanzt« (1931). © ÖNB/Wien, 105.373-D

»Laufbilder«


Christel Weinzinger ist eine Handschuhmacherin. Die lebenslustige junge Dame lässt kein Mittel unversucht, um ihr Geschäft zu bewerben. Wie viele andere nutzt sie das große Spektakel in ihrer Heimatstadt Wien, das Fürstentreffen der Jahre 1814 und 1815, um den hochgestellten Persönlichkeiten ihre Ware anzupreisen. Ein Blumenbukett mit ihrer Visitenkarte, das sie dem gerade eintreffenden Zaren Alexander zuwirft, wird allerdings für eine Bombe gehalten. Christel findet sich als potenzielle Attentäterin im Gefängnis wieder. Ihr werden als Bestrafung Stockhiebe angedroht, vor denen sie der Zar in letzter Minute bewahrt. Um ihren Retter aber entspinnt sich ein Verwirrspiel: Schließlich setzt Alexander seinen Doppelgänger Uralsky ein, der ihm lästige Verpflichtungen vom Hals schaffen soll – was sowohl bei der freigelassenen Christel als auch beim Fürsten Metternich Verwirrung auslöst. Letzterer ist darüber hinaus bestrebt, den Kongress in der Donaumetropole nach seinen Vorstellungen zu gestalten und daher speziell die russischen Gegenspieler von den Verhandlungen abzulenken und fernzuhalten. Eine sich anbahnende amouröse Affäre zwischen Christel und dem Zaren entspricht daher durchaus den Intentionen des österreichischen Außenministers. Die Zuneigung zwischen dem einfachen Wiener Mädel und dem »Kaiser aller Reussen« ist nach einigen Verwechslungen jedoch ehrlich und innig, wenn auch von kurzer Dauer. Mit der Flucht Napoleons von der Insel Elba und der Vorbereitung neuer Kriegshandlungen muss Alexander abreisen. Der Traum vom Glück, der an das Märchen vom Aschenputtel erinnert, findet einen abrupten Abschluss. Selbst als die verlassene Christel bei dem schon bereit stehenden Pepi, dem Sekretär Metternichs, Trost findet, will sich kein ungetrübtes »Happy End« einstellen. Die Grundstimmung des Films »Der Kongress tanzt« mit den sinnigen Schlagern »Das gibt’s nur einmal, das kommt nicht wieder« und »Das muss ein Stück vom Himmel sein, Wien und der Wein« vermittelt nichtsdestoweniger durchgängig Lebenslust und Sinnesfreuden.1

Der aufwändigste aller Revue- und Operettenproduktionen des deutschen Ufa-Imperiums, der im Herbst 1931 Premiere hatte, fand begeisterte Aufnahme bei Publikum und Kritik. Regisseur Erik Charell galt als neuer Fixstern des Kinos. In der Wiener Presse wurde Charells Werk mit den großen »amerikanischen Erzeugnissen verglichen« und die Ensemble-Leistung der Darsteller ausgiebig gewürdigt. Willy Fritsch als Alexander, Lilian Harvey als Christel, oder auch Paul Hörbiger als Heurigensänger, das – hieß es in der »Stunde« – »kann sich kein Theater«, sondern nur »ein Tonfilm wie dieser leisten«. Gemeinsam, ergänzte die »Wiener Allgemeine Zeitung«, schaffen sie es, dass eine ganze Stadt »gleichsam auf Flügeln des Wein- und Tanzgesanges zu singen, zu lachen, zu plaudern beginnt«.2

Dass diese Ausgelassenheit teilweise dem expressivem Stil der Stummfilmzeit geschuldet war, trat in mehreren Szenen deutlich hervor. Gestik und Mimik von Lilian Harvey erwiesen sich diesbezüglich im wahrsten Sinne des Wortes als Verkörperung einer Übergangszeit, in der die »Laufbilder sprechen lernten« und die Dialoge einigermaßen vorsichtig eingeführt werden. Doch ist »Der Kongress tanzt« für seine Zeit vergleichsweise schwungvoll. Zudem erinnern die Tanzvorführungen in Gegenwart der fürstlichen Gäste speziell in einer Szene eher an den moderneren Stil der »Ballets Russes«, während sich die »originalrussische Atmosphäre« in Alexanders Salon wiederum an Kosaken- und Russland-Revuen zahlreicher Emigranten aus dem untergegangenen Zarenreich orientiert. Die dadurch transportierten, immer mehr zu Klischees erstarrenden Charakteristika des »östlichen Riesenreiches« vergegenwärtigt schließlich insbesondere das Alexander-Double Uralsky, der – gleichfalls von Willy Fritsch gespielt – fragwürdige Stereotypen des »eigentlichen« volkstümlichen Russland darstellt, einfach und auch etwa tölpelhaft, aber singend und unbeschwert. Lediglich die im Umfeld des »falschen« und des »richtigen« Zaren fallenden Bemerkungen über die Verbannung Missliebiger nach Sibirien verweisen auf die dunklen Seiten Russlands, lassen aber offen, ob es sich in dieser Hinsicht schon eher um eine vorsichtige Kritik an den Verhältnissen im »Lande der Bolschewiki« handelt.3

Unumwunden positiv besetzt blieb hingegen das »Traumreservoir« Wien. Und das nicht bloß in Österreich, sondern sowohl in der Weimarer Republik als auch in den Vereinigten Staaten, wo Emigranten wie Josef Sternberg und Erich von Stroheim gemeinsam mit ihren deutschen Kollegen Ernst Lubitsch oder Max Ophüls das von mehr oder minder glücklichen Liebeleien, von Leichtsinn, Dekadenz und Begierde, von adeligem Luxus und kleinbürgerlichen Sehnsüchten geprägte Bild der ehemaligen k. k. Haupt- und Residenzstadt zeichneten.4 In Österreich nahm man diese US-Produktionen jedoch nicht immer positiv auf. »Atmosphärisch echt«, erklärte man nicht ohne Eifersüchteleien, seien eben nur »heimische Arbeiten«. Dabei war es letztlich die Ufa, die in den Neubabelsberger Ateliers von Erik Charell das »Wiener Flair so richtig« einfing und vor dem Hintergrund der Weltwirtschaftskrise, steigender Arbeitslosenzahlen und politischer Radikalisierung die »Sehnsucht der Zuschauer nach Glanz, nach Überfluss, nach Üppigkeit, nach einem unwirklichen, phantastisch erhöhten Dasein« befriedigte.5

Die Zeitumstände machten sich bald noch deutlicher bemerkbar. »Der Kongress tanzt«, der auch in französischer und englischer Version unter den Titeln »Le congrès s’amuse« und »Congress Dances« in die ausländischen Kinos kam, wurde in Deutschland 1937 aufgrund »zu vieler jüdischer und politisch unzuverlässiger Mitwirkender« verboten. Es war damit zeitweilig vor allem das internationale Kino, das die Wiener »Wein- und Walzerseligkeit« weiter feierte, wie unter anderem die Arbeit des französischen Regisseurs Julien Duvivier beweist. Sein erster Streifen im Auftrag Hollywoods hieß »The Great Waltz«, hatte am 4. November 1938 in den USA Premiere und gehörte 1938/39 – trotz der Verhöhnung durch Kritiker als »The Great Schmaltz« – zu den erfolgreichsten und gewinnträchtigsten Produktionen. Ungeachtet der Abwehrhaltung gegenüber dem Einfluss aus den kapitalistischen Ländern wurde der Film schließlich 1940 auch in Stalins Machtbereich freigegeben. Als »Bol’šoj Val’s« fand er hier großen Zuspruch und prägte nachhaltig das Österreich-Bild und die Österreich-Klischees in der UdSSR. Mit dem Vordringen der Sowjetarmee auf das Territorium der »Ostmark« beziehungsweise in die »Alpen- und Donaugaue« des »Dritten Reiches« wurde in der »russischen Propaganda« denn auch 1945 noch einmal vor allem in der »Schlacht um Wien« auf die Kultur und Musikalität der einstmaligen Kaiserstadt aufmerksam gemacht. Pa­rallel dazu stellte die Kremlführung der eigenen Bevölkerung nicht zuletzt anhand von »Bol’šoj Val’s« bereits seit einigen Jahren ein »fröhlicheres Leben« in Aussicht.6

Wie vor dem Hintergrund der Krisen zu Beginn der 1930er Jahre diente der »Wiener Film« auch in den totalitären Diktaturen als Zerstreuung und Ablenkung von den vielfach traumatischen Erfahrungen der 1930er und 1940er Jahre. Welche Rolle dabei der »große Kongress« von 1814/15 spielte, belegen nicht zuletzt die Bemühungen der Goebbelschen Unterhaltungsindustrie während des Zweiten Weltkrieges. In dem von Willy Forst inszenierten Streifen »Wiener Blut« aus dem Jahr 1942 reisen der frisch verheiratete Graf Georg Wolkersheim, verkörpert von dem schon bei Charell im Mittelpunkt stehenden Willy Fritsch, und seine Gattin Melanie – alias Maria Holst – in die k. k. Residenzstadt, um hier der Versammlung von Europas Elite auf recht unterschiedliche Weise beiwohnen zu wollen. Wolkersheim, Vertreter des Kleinstaates »Reuss-Schleiz-Greiz«, konzentriert sich ganz auf seine diplomatischen Pflichten, während die aus Wien stammende Melanie den Tanz, das Vergnügen sucht. Die Meinungsverschiedenheit zwischen den Eheleuten findet ihre Entsprechung im Zank der Kammerdiener »Jean« und »Knöpfel«, gespielt von Theo Lingen und Hans Moser. Der »steif-würdevolle Jean« hat schon bei der Anreise seine Schwierigkeiten mit den Einheimischen. Die Böllerschüsse der Wiener als freudiger Gruß für die eintreffenden Souveräne und die Bemerkung eines Passanten – »Fünf Mo­n­archen san scho do« – interpretiert »Jean« als Ausbruch neuer Kriegshandlungen, um Wolkersheim zu melden: »Fünf Monarchen sind schon tot«. »Wien ist nichts für uns«, sind sich dann auch die beiden Herren wenig später einig, wenngleich sich ihre Haltung bald ändert. Als Metternich den Grafen als Tänzer gewinnen will und sich hierfür eine junge Schauspielerin namens Liesl Stadler...

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