Nachdem der Kulturbegriff aus unterschiedlichsten Blickwinkeln beleuchtet und das Thema rund um den Oberbegriff interkultureller Kommunikation relativ ausführlich behandelt wurde, nimmt dieses Kapitel nun Bezug auf die für die Arbeit relevanten Vergleichsstudien unterschiedlicher Kulturen. Mit Hilfe von Kategorien versuchen kulturtheoretische Ansätze die Kultur einer Gruppe zu erklären. Unterschiedliche Kulturen sollen durch diese Kategorisierung miteinander verglichen werden (vgl. Schugk 2004: 109).
Im vorliegenden Kapitel werden die Dimensionen nach Hofstede und Trompenaars näher erläutert. Im Rahmen der theoretischen Aufbereitung dieser Masterarbeit wird abschließend noch auf die Bedeutung von Ethnozentrismus und Stereotypen eingegangen. Eine eingehende Analyse zum Thema Geschäftskultur in Russland, kulturelle Differenzen in der Berufswelt sowie über die Voraussetzungen für eine erfolgreiche Geschäftstätigkeit am russischen Markt wird im Anschluss an den kultur- und wirtschaftswissenschaftlichen Teil der Arbeit im Rahmen einer empirischen Studie im Kapitel 5 vorgenommen.
Eine Gegenüberstellung unterschiedlicher Kulturen erfolgt auf der Ebene „eigene Kultur“ und „fremde Kultur“ (unsere Kultur und die der Anderen). Aufgrund der vielen unterschiedlichen Standards innerhalb einzelner Kulturen haben Kulturforscher wie Hall, Hofstede und Trompenaars, aber auch Kluckhohn und Strodtbeck Versuche unternommen, diese auf makroanalytischer Ebene in unterschiedliche Dimensionen einzuteilen. Als Kulturdimensionen bezeichnet man typische Verhaltensweisen einer kulturellen Gruppe (vgl. Rentzsch 1999: 35).
„Ziel der Kulturdimension ist es, Kulturunterschiede bzw. Kulturgemeinsamkeiten zu erklären, um daraus Handlungsweisen für die kulturelle Zusammenarbeit ableiten zu können“ (Schneider/Hirt 2007: 85).
Dort, wo es im Rahmen der kulturtheoretischen Ansätze möglich erscheint, wird der Versuch unternommen, Kulturvergleiche zwischen Russland und Österreich herzustellen. Sofern das Land Österreich nicht Teil der Untersuchungen war, werden stattdessen Untersuchungsergebnisse über das Nachbarland Deutschland herangezogen.
Die Grundlage dieser wissenschaftlichen Arbeit bilden die Theorien der Kulturdimensionen, die von Geert Hofstede begründet und von Fons Trompenaars weiterentwickelt wurden. Nachdem sich der Autor dieser Arbeit jedoch auch mit dem kulturtheoretischen Ansatz von Edward T. Hall beschäftigt hat, erscheint es ihm zunächst wichtig, kurz zu dessen Konzept Stellung zu nehmen. Gemeinsam mit seiner Frau Mildred Hall entwickelte Edward T. Hall[6] einen wesentlichen kulturtheoretischen Ansatz, welcher häufig zur Erklärung und zum Vergleich von Kulturen (vgl. z.B. Hasenstab 1999, Schneider/Hirt 2007, Schugk 2004) herangezogen wird. Dabei orten Hall & Hall einen sehr starken Zusammenhang zwischen Kultur und Kommunikation. Deren Beziehung zueinander betrachten sie als derart intensiv, dass sie Kultur als Kommunikation bezeichnen (vgl. Hall 1990: 94ff.). Aufgrund dieser Ansicht beleuchten Hall & Hall die Kulturdimensionen insbesondere aus dem Blickwinkel der Kommunikation. Hall versucht in seinem Modell zu beweisen, dass die Ursachen kultureller Probleme zwischen Angehörigen verschiedener Kulturen häufig durch unterschiedliche Wahrnehmungen zustande kommen. Die Form der Wahrnehmung wird von der jeweiligen Tätigkeit, der Situation, dem Status, von früheren Erfahrungen und vor allem durch die Kultur in der man lebt selbst, beeinflusst. Da die meisten Menschen sich dieser Tatsache jedoch nicht bewusst sind, neigen sie dazu, ihre eigenen Verhaltensweisen und Empfindungen auf andere zu übertragen, was oft unweigerlich zu Missverständnissen führen kann. Um diese zu minimieren bzw. gänzlich zu vermeiden ist es entscheidend, sich der kulturellen Unterschiede bewusst zu werden und diese zu verstehen. Hierzu hat Hall vier Dimensionen entwickelt, die als generelle Orientierungen zu deuten sind und im Management vor allem in Kommunikationssituationen hilfreich sein können. Als Ergebnis langjähriger Forschungs- und Beratungstätigkeiten sind folgende vier Kulturdimensionen entstanden, die sich in vielen Fällen aufeinander beziehen (vgl. Kutschker/Schmied 2002: 695ff.):
Kontextorientierung (high vs. low context),
Raumorientierung,
Zeitorientierung (monochron vs. polychron),
Informationsgeschwindigkeit (fast vs. slow messages);
Demnach beschäftigt sich Halls Ansatz mit den „grundlegenden Dimensionen menschlichen Zusammenlebens […], mit denen sich Menschen in allen Kulturen auseinandersetzen müssen […] Jede Kultur ist somit gezwungen, hinsichtlich dieser Grunddimensionen bestimmte Handlungsstandards zu entwickeln“ (Thomas, Kinast & Schroll-Machl 2005: 63).
Was den Menschen ausmacht und ihm seine Identität verleiht, ist seine Kultur und deren gesamter kommunikativer Rahmen. Dazu gehören Wörter, Handlungen, Mimik und Gestik, das Zeit- und Raumerlebnis, die Art und Weise, wie der Mensch arbeitet, spielt, liebt und kämpft. Die Zusammenhänge und deren Aspekte, welche in diesem Kommunikationssystem entstehen, sind nur dann richtig zu interpretieren, wenn man dazu in der Lage ist, dieses Verhalten in seinem historischen, sozialen und kulturellen Kontext zu deuten (vgl. Hall 1976a).
Nachstehend wird in dieser Arbeit jedoch nicht näher auf Halls Kulturdimensionen und Ländervergleiche eingegangen, da ein Großteil der Zahlen, welche für seine Untersuchungen verwertet wurden, bereits einige Jahrzehnte zurückliegen. Diese Tatsache verdeutlicht das Problem der Vernachlässigung von Kulturwandel (vgl. Richter 2009: 29). Darüber hinaus waren die damals sozialistische Sowjetunion bzw. das heutige Russland ebenso wie Österreich nicht Teil seiner Erhebungen.
Als einer der bekanntesten und oft zitierten Kulturforscher der Welt beschäftigt sich Geert Hofstede[7] bereits seit Jahrzehnten ausführlich mit Zusammenhängen und Vergleichen nationaler Kulturen und Unternehmenskulturen. Im Zuge seiner IBM-Studie verwendete Hofstede bei der Erforschung fremder Kulturen einen Katalog von Werten und Normen, den er am Beginn seiner Studie 116.000 IBM-Mitarbeitern in verschiedenen Gebieten der Welt zur Bewertung vorgelegt hat. Aus der anhand der Bewertungen erfolgten Faktoranalyse ergaben sich die fünf Kulturdimensionen nach Hofstede. Die ersten vier Dimensionen identifizierte er am Beginn seiner Forschungsarbeit: Individualismus vs. Kollektivismus, Machtdistanz, Maskulinität vs. Femininität und Unsicherheitsvermeidung. Erst später wurde die Zeitorientierung als fünfte Dimension hinzugefügt (vgl. Schneider/Hirt 2007: 95). Im Laufe der letzten Jahre kam mit der Nachgiebigkeit und Beherrschung eine sechste Dimension hinzu, die zunächst von Minkov formuliert und von Hofstede übernommen wurde. (vgl. Minkov 2007: 114ff.).
Die für die einzelnen Kulturen aus der Bewertung errechneten Durchschnittswerte ermöglichen eine Beschreibung sowie einen Vergleich von Kulturen durch die Dimensionen (vgl. ebenda). Nachstehend werden die sechs Dimensionen nach Hofstede beschrieben.
3.1.1.1 Machtdistanz
Als erste Dimension nennt Hofstede die Machtdistanz. Darunter versteht er die Akzeptanz und das Erwarten von Menschen aus niedrigeren Schichten der Gesellschaft hinsichtlich der Ungleichverteilung der Macht (vgl. Hofstede 1993: 42). Nach Hofstede existieren in jeder Gesellschaft Ungleichheiten. Schon in primitiven Gesellschaften wie etwa der Jäger-Sammler-Kultur kam es stets zu Ungleichheiten. Als Folge dessen, dass manche Menschen größer und stärker sind bzw. mehr leisten als andere, besitzen einige Menschen mehr oder weniger Macht, sind reicher oder ärmer als andere. Laut Hofstede bezieht sich die menschliche Ungleichheit einer Gesellschaft vor allem auf physische und intellektuelle Fähigkeiten, Macht, Wohlstand, Status und Respekt. Darüber hinaus wird die Ungleichheit in verschiedenen Kulturen unterschiedlich wahrgenommen (vgl. Hofstede 2006: 55ff).
Ein geringer Wert an Machtdistanz steht für eine Kultur, in der Ungleichheiten vermieden werden. Diese Kultur hat sich folglich zum Ziel gesetzt, dass jeder die gleichen Rechte besitzt. Die Macht einer Person ergibt sich nicht aus deren Familienherkunft, sondern aus deren Fähigkeiten. Hingegen gibt ein erhöhter Wert darüber Auskunft, dass eine Ungleichheit zwischen den Menschen erwartet und akzeptiert wird. Folglich verfügen in dieser Kultur mächtige Personen über mehr Rechte. Dabei erlangen sie ihre Macht durch ihre Herkunft oder durch Freunde (vgl. Hofstede 1993: 52ff).
Abb.3: Geringe vs. hohe Machtdistanz
Quelle: Hofstede 2006: 76.
Wie in Abb. 4 ersichtlich, wurde die niedrigste Machtdistanz mit 11 Punkten in Österreich erhoben, gefolgt von Israel mit 13 und Dänemark mit 18 Punkten. Im Vergleich dazu verzeichnet Russland einen...