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Das Kriterium der Verfügungsmacht im Betriebsstättentatbestand

Weiterentwicklung des Kriteriums auf Ebene der OECD und Position deutscher und internationaler Rechtsprechung

AutorAnna Lena Füllsack
VerlagGRIN Verlag
Erscheinungsjahr2017
Seitenanzahl63 Seiten
ISBN9783668578760
FormatPDF/ePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis29,99 EUR
Masterarbeit aus dem Jahr 2017 im Fachbereich Jura - Steuerrecht, EBS Universität für Wirtschaft und Recht, Sprache: Deutsch, Abstract: Die Globalisierungsbewegung hat in den vergangenen Jahren zu einer stärkeren Internationalisierung der Geschäftstätigkeiten sowie einer engeren Vernetzung der Weltwirtschaft geführt. Grenzüberschreitende Handels- und Wirtschaftsaktivitäten nehmen stetig zu. Das ermöglicht zwar viele neue Geschäftsmodelle, bringt aber zugleich große Herausforderungen für Unternehmen und nationale Steuersysteme mit sich. So stellt sich insbesondere das Problem einer sachgerechten Verteilung des Besteuerungssubstrats auf die beteiligten Staaten. Die meisten Besteuerungsregime knüpfen für die Ermittlung der innerstaatlichen Steuerpflicht an die Ansässigkeit bzw. an das Vorliegen inländischer Einkünfte an. Grenzüberschreitende Dienstleistungen unterliegen damit nur dann einer Besteuerung im Quellenstaat, wenn dort eine Betriebsstätte existiert. Der seit Jahrzehnten grundsätzlich anerkannte Betriebsstättenbegriff ist zuletzt verstärkt in das Zentrum der Diskussion geraten. Insbesondere auf internationaler Ebene hat sich die Auslegung des Betriebsstättentatbestandes in jüngerer Zeit tiefgreifend verändert. So wurden die Anforderungen an die Begründung einer Betriebsstätte kontinuierlich abgesenkt. Die vielleicht wichtigste Stellschraube dieser Aufweichungstendenz ist dabei das ungeschriebene Tatbestandsmerkmal der Verfügungsmacht. Die dargestellte Entwicklung gibt Anlass, sich intensiv mit dem Kriterium der Verfügungsmacht im Betriebsstättentatbestand auseinanderzusetzen. Diese Arbeit beleuchtet sowohl den status quo als auch die bisherige Entwicklung des Kriteriums auf nationaler sowie auf internationaler Ebene. Der erste Teil der Arbeit befasst sich mit den Grundzügen des Betriebsstättenprinzips sowie dessen zentraler Bedeutung für das internationale Steuerrecht. Der zweite Teil der Arbeit erörtert sowohl das nationale als auch das von der OECD geprägte Betriebsstättenverständnis. Zunächst wird jeweils der derzeitige Stand der Auslegung dargelegt. Im Anschluss werden dann die unterschiedlichen Entwicklungsverläufe der beiden Betriebsstättenbegriffe aufgezeigt. Im dritten Teil der Arbeit wird sowohl das deutsche als auch das von der OECD zugrunde gelegte Betriebsstättenverständnis kritisch hinterfragt. Hierzu werden Stärken und Schwächen der jeweiligen Interpretationsansätze systematisch herausgearbeitet. Ziel der Arbeit ist es schlussendlich, eine mögliche zukünftige Entwicklung des Kriteriums der Verfügungsmacht aufzuzeigen.

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Leseprobe

IV. Gesamtdiskussion


 

Denkt man die dargestellte Entwicklung konsequent weiter, so besteht die Gefahr, dass sich die Auslegungsergebnisse zukünftig noch stärker voneinander entfernen werden. Dann droht ein Mehr an Qualifikationskonflikten und Doppelbesteuerungen. Demgegenüber steht ein Weniger an Rechtssicherheit und Praktikabilität. Es ist daher an der Zeit die derzeitige Betriebsstättenauslegung kritisch zu hinterfragen: Ist einer der beiden Betriebsstättenbegriffe „richtiger“ als der andere? Vermag überhaupt eine der dargestellten Interpretationen zu überzeugen? Oder ist die Betriebsstätte im 21. Jahrhundert womöglich gar kein geeigneter Anknüpfungspunkt mehr für die Abgrenzung der Besteuerungsrechte? Diese Fragen sollen im Rahmen einer Gesamtdiskussion beantwortet werden. Hierzu werden sowohl das Auslegungsverständnis der OECD (dazu 1.) sowie das nationale Begriffsverständnis (dazu 2.) hinsichtlich ihrer Stärken und Schwächen untersucht. Abschließend werden mögliche Lösungswege aufgezeigt. Im Fokus steht dabei insbesondere die Frage nach der Zukunft des Verfügungsmachtkriteriums.

 

1. Kritik am Auslegungsverständnis der OECD


 

Unternehmen streben nach größtmöglicher Rechtssicherheit. Dieses Bedürfnis hat sich vor dem Hintergrund stetig evolvierender wirtschaftlicher Rahmenbedingungen noch weiter verstärkt. Bei grenzüberschreitenden Aktivitäten muss für Unternehmen klar erkennbar sein, wo und unter welchen Voraussetzungen ihre Gewinne besteuert werden. Zentrale Aufgabe des Betriebsstättentatbestandes ist es, den Unternehmen die hierfür erforderliche Klarheit und Bestimmtheit zu gewährleisten.[187]

 

1.1 Die „unechte“ Dienstleistungsbetriebsstätte


 

Die Entwicklung hin zu einer interpretativ geschaffenen „unechten“ Dienstleistungsbetriebsstätte wird diesen Anforderungen nicht gerecht.

 

1.1.1 Wortlaut

 

Es ist augenfällig, dass bislang sämtliche Anpassungen des Betriebsstättenbegriffs im OECD-MK vorgenommen wurden, während das OECD-MA selbst unberührt blieb.[188] Der OECD-MK wird von den Vertragsstaaten zwar als Auslegungshilfe zum OECD-MA herangezogen. Er entfaltet jedoch keine rechtliche Bindungswirkung.[189] Dennoch haben die unverbindlichen Ausführungen des OECD-MK die traditionelle Auslegung der Betriebsstätte quasi „durch die Hintertür“ verändert. Mit der Aufnahme des Anstreicherbeispiels in den Kommentar wurde insbesondere das Verständnis der Verfügungsmacht schlagartig aufgeweicht. Das Merkmal sollte nunmehr bereits dann erfüllt sein, wenn die Tätigkeit an einem Ort ausgeübt wurde, der dem Unternehmen zu diesem Zweck zur Verfügung gestellt wurde. Dies trifft faktisch auf alle Dienstleistungen, die über einen nicht unerheblichen Zeitraum hinweg erbracht werden zu. Eine solche Auslegung steht jedoch im Widerspruch zum Wortlaut des Art. 5 Abs. 1 OECD-MA.[190] Danach muss die Unternehmenstätigkeit im Quellenstaat „durch“ eine Geschäftseinrichtung ausgeübt werden. Die Geschäftseinrichtung muss dem Unternehmen dabei gerade als Mittel zum Zweck der Ausübung der Unternehmenstätigkeit dienen. Das angestrichene Gebäude aus Rz. 4.5 OECD-MK ist somit richtigerweise als bloßes Tätigkeitsobjekt und keineswegs als Geschäftseinrichtung anzusehen. Über diese terminologische Differenzierung setzt sich der OECD-MK hinweg. Er lässt für die Betriebsstättenbegründung bereits genügen, dass die Tätigkeit „an“ einer Geschäftseinrichtung oder in den Räumen des Auftraggebers ausgeübt wird. Eine solche Auslegung überdehnt jedoch die Wortlautgrenze des Art. 5 OECD-MA. Die Missachtung der natürlichen Auslegungsgrenzen wirkt sich zum einen negativ auf die Rechtssicherheit aus. Zum anderen stellt sie die Akzeptanz des OECD-MK als Auslegungsquelle in Frage.[191]

 

1.1.2 Bestimmtheit

 

Darüber hinaus konterkariert das Modell der „unechten“ Dienstleistungsbetriebsstätte anderweitige Ausführungen des OECD-MK. Gemäß den Rz. 2 und 4 OECD-MK setzt die Existenz einer Betriebsstätte eine feste Geschäftseinrichtung sowie eine faktische Verfügungsmacht hierüber voraus.[192] Diese Randziffern existieren seit 1977 in unveränderter Form. In der 2003 neu aufgenommenen Rz. 4.5 OECD-MK genügt hingegen schon die Anwesenheit am Tätigkeitsort über einen längeren Zeitraum hinweg.[193] Im Ergebnis beinhaltet der OECD-MK damit zwei divergierende Auffassungen zur Betriebsstättenbegründung. Diese können im Einzelfall zu diametral entgegengesetzten Auslegungsergebnissen führen.[194] Das wiederum verstößt sowohl gegen das Bestimmtheitsgebot als auch das Bedürfnis nach Rechtssicherheit.[195]

 

1.2 Die echte Dienstleistungsbetriebsstätte


 

Die Einführung der Rz. 42.23 OECD-MK im Jahr 2008 hat die wachsende Bedeutungslosigkeit des Kriteriums der Verfügungsmacht auf internationaler Ebene nochmals verstärkt. Der Formulierungsvorschlag lässt für die Begründung einer Betriebsstätte im Wesentlichen schon eine gewisse Beständigkeit der Tätigkeit im Quellenstaat genügen. Auch die echte Dienstleistungsbetriebsstätte bietet jedoch Raum für Kritik. Etliche Einzelfragen sind noch immer ungeklärt.[196]

 

1.2.1 Wortlaut

 

Die echte Dienstleistungsbetriebsstätte verzichtet gänzlich auf das Vorliegen einer festen Geschäftseinrichtung. Die Ausführungen des OECD-MK dürfen das OECD-MA grundsätzlich nur innerhalb der Grenzen des traditionellen Auslegungskanons konkretisieren. Die Auslegungsgrenze ist erreicht, wenn der natürliche Wortsinn ad absurdum geführt wird.[197] Eine Betriebsstätte ohne feste Geschäftseinrichtung ist mit dem insoweit eindeutigen Wortlaut des Art. 5 Abs. 1 OECD-MA nicht vereinbar.[198] Die Kommentarausführungen stehen damit im Widerspruch zum Abkommenstext. Die Grenzen der zulässigen Auslegung sind überschritten. Dies wäre vermeidbar gewesen. Statt im OECD-MK hätte die Dienstleistungsbetriebsstätte auch direkt im Abkommenstext selbst manifestiert werden können.[199] Das Vorgehen der OECD hinsichtlich der Dienstleistungsbetriebsstätte ist damit widersprüchlich. Zum einen soll der Dienstleistungsbetriebsstätte lediglich der Status eines subsidiären Alternativtatbestandes zukommen. Zugleich statuiert der Formulierungsvorschlag eine Betriebsstättenfiktion. Bei Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen wird das Unternehmen damit genauso behandelt wie eine klassische Betriebsstätte. Im Ergebnis sind Art. 5 OECD-MA und Rz. 42.23 OECD-MK damit gleichstufige Alternativen. Diese Aufwertung „durch die Hintertür“ stellt wiederum die Rolle des OECD-MA in Frage. Indem die OECD den Vertragsstaaten zusätzliche Handlungsoptionen abseits des eigentlichen Abkommenstexts einräumt, verliert sie ihr selbstgesetztes Ziel zunehmend aus den Augen. Eine einheitliche bzw. sich angleichende Anwendung des OECD-MA lässt sich so nur schwerlich erreichen.[200]

 

1.2.2 Bestimmtheit

 

Im Gegensatz zur rein interpretativ geschaffenen unechten Dienstleistungsbetriebsstätte ist die echte Dienstleistungsbetriebsstätte zumindest ausdrücklich im OECD-MK manifestiert.[201] Relativierend ist jedoch anzumerken, dass der OECD-MK den Begriff der „Dienstleistung“ nicht definiert. Dies ist befremdlich, da die Erbringung einer Dienstleistung faktisch der wichtigste Anknüpfungspunkt der Dienstleistungsbetriebsstätte ist.[202] Rz. 42.29 OECD-MK statuiert lediglich ein Negativbeispiel. Danach soll der Fischfang sowie der anschließende Verkauf der Fische keine Dienstleistung darstellen.[203] Hieraus lassen sich jedoch keine allgemeingültigen Rückschlüsse auf die Definition der Dienstleistung ziehen.[204] Eine eindeutige Abgrenzung des Anwendungsbereichs wäre daher wünschenswert gewesen.[205]

 

1.2.3 Sinn und Zweck

 

Ferner vermag die echte Dienstleistungsbetriebsstätte auch dem Bedürfnis nach Rechtssicherheit und -klarheit nicht hinreichend nachzukommen. Kern der Betriebsstättenbesteuerung ist der Gedanke, dass nur eine intensive geschäftliche Verwurzelung im Quellenstaat ein Besteuerungsrecht desselben begründen soll.[206] Die Anforderungen an diese Bindung sind grundsätzlich hoch. Auf diese Weise sollte ursprünglich ein gewisses Maß an Rechtsklarheit geschaffen sowie der grenzüberschreitende Wirtschaftsverkehr gefördert werden.[207] Das „klassische“ Betriebsstättenverständnis erfasst Dienstleistungstätigkeiten in der Regel nicht. In vielen Fällen fehlt es an der festen Geschäftseinrichtung im Quellenstaat. Darüber hinaus werden Dienstleistungen oft mittels Ressourcen aus dem jeweiligen Ansässigkeitsstaat erbracht.[208] Daher mangelt es zumeist an der gem. Art. 5 Abs. 1 OECD-MA erforderlichen...

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