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Das Prinzip des Vorrangs der Wettbewerbsermöglichung

AutorUdo Bahntje
Verlagneobooks Self-Publishing
Erscheinungsjahr2018
Seitenanzahl209 Seiten
ISBN9783742748270
FormatePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis8,99 EUR
Einige Besonderheiten des Wettbewerbsrechts, zu denen etwa die Rule of Reason, die Immanenztheorie, das Fehlen eines allgemeinen Diskriminierungsverbots und (nach Ansicht des Verf.) auch die von Galbraith entwickelte Theorie der 'Countervailing Power' gehören, verdeutl ichen in unterschiedlicher Weise das Phänomen, dass sich gewisse Wettbewerbsbeschränkungen für einen optimalen Wettbewerb zuweilen auch als nützlich oder gar notwendig erweisen und daher im Ergebnis zu akzeptieren sind. Dieses bislang (z.B. durch die Immanenztheorie) eher beobachtete als erklärte Phänomen wird durch das hier vorgestellte 'Prinzip des Vorrangs der Wettbewerbsermöglichung' konstitutiv begründet. Das Prinzip wird auf induktivem Weg aus verschiedenen Konstellationen des Kartellrechts entwickelt, in deduktiver Ableitung sowie aus verfassungsrechtlicher Sicht bestätigt und durch Tatbestandsmerkmale konkretisiert.

Dr. Udo Bahntje

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Leseprobe

C.) Rechtliche Anknüpfungspunkte als Induktionsgrundlage


Nach der allgemeinen systematischen Standortbestimmung und Darlegung einiger Voraussetzungen (weitere Voraussetzungen werden im Folgenden direkt am Beispiel entwickelt) soll das Prinzip des Vorrangs der Wettbewerbsermöglichung jetzt an Hand einiger positivrechtlicher Regelungen und Fallkonstellationen nachgewiesen und verdeutlicht werden.

I. Die Abwägungsklausel gem. § 24 Abs. 1 Halbsatz 2 GWB


Eine gesetzliche Regelung im GWB, der das Prinzip des Vorrangs der Wettbewerbsermöglichung schon auf den ersten Blick deutlich zugrunde liegen könnte, findet sich in der Abwägungsklausel des § 24 Abs. 1 Halbsatz 2 GWB. Nach dieser Klausel sind die Untersagungsvoraussetzungen eines Zusammenschlusses (§ 24 Abs. 1 und 2 GWB) dann nicht erfüllt, wenn die betroffenen Unternehmen nachweisen, dass trotz Entstehung oder Verstärkung einer marktbeherrschenden Stellung „durch den Zusammenschluss auch Verbesserungen der Wettbewerbsbedingungen59 eintreten und dass diese Verbesserungen die Nachteile der Marktbeherrschung überwiegen.“

Diese Regelung, die verhindert, dass Zusammenschlüsse, die sich überwiegend wettbewerbsfreundlich auswirken, trotz dieses positiven Wettbewerbssaldos untersagt werden (müssen), kann zum einen aus verfassungsrechtlicher Sicht mit den Grundsätzen der Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit begründet werden, die einen hier besonders schwerwiegenden Eingriff in die gem. Art. 2 Abs. 1 GG geschützte Vertragsfreiheit und in das in Art. 14 GG geschützte Eigentum unter der Voraussetzung einer überwiegend positiven Beeinflussung der Wettbewerbsverhältnisse nicht mehr zulassen60. Zum anderen folgt dies aber auch aus dem Sinn und Zweck des GWB, das sich nicht „blind“ gegen alle vorstellbaren Wettbewerbsbeschränkungen wendet, sondern als „Grundgesetz der deutschen Wirtschaft“ den Bestand des Wettbewerbs und eine freiheitliche Ordnung der sozialen Beziehungen aller Marktbeteiligten gewährleisten soll61. Allein diese ambivalente Zielsetzung könnte es bei unvoreingenommener Betrachtung bereits begründen, Wettbewerbsbeschränkungen, die gewissermaßen nur ein notwendiges Durchgangsstadium zu einer durch sie zu erreichenden Verbesserung der Wettbewerbsbedingungen darstellen, ohne allzu großen Theorienaufwand (nach Überprüfung und Klarstellung) positiv zu beurteilen62.

Diesen beiden gewichtigen Gründen tritt nun das Prinzip des Vorrangs der Wettbewerbsermöglichung im „Außenverhältnis“63 unterstützend zur Seite: Stehen sich im Kollisionsfall eine Wettbewerbsbeschränkung und ein gerade durch sie bedingtes Mehr an Wettbewerb zur Abwägung gegenüber, so entscheidet nach der Aussage des Prinzips grundsätzlich nicht der kurzsichtige „scheuklappenbegrenzte“ Blick auf die Wettbewerbsbeschränkung per se, sondern der weiterreichende Blick auf die von ihr verursachten positiven Wettbewerbsfolgen (sofern vorhanden), oder genauer: auf den ausreichend (dazu sogleich) positiv beeinflussten Wettbewerbssaldo.

Im „Innenverhältnis“ zeigt sich an Hand der vorstehend angeführten verfassungsrechtlichen Argumentation zugleich eine verfassungsrechtliche Begründung für das hier vertretene Prinzip: Ein Fehlen der Klausel würde gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, gegen Artt. 2 Abs. 1, 14 GG (und möglicherweise weitere Grundrechte) verstoßen64, so dass § 24 Abs. 1 GWB ohne diese Klausel entsprechend verfassungsgemäß auszulegen wäre. Eine kürzere und prägnantere Begründung liefert das Prinzip, das zu demselben Ergebnis kommt. Daraus folgt weiter, dass das Prinzip infolge dieser verfassungsrechtlichen Unterstützung und gemeinsamen Zielsetzung (in noch zu definierenden Zweifelsfällen) unmittelbar rechtserzeugend wirkt65.

Dieses Ergebnis steht im Einklang mit dem von Alexy herausgearbeiteten Prinzipiencharakter der Grundrechte66 und es harmonisiert auch mit der Unterscheidung von Larenz in „offene“ Prinzipien, d.h. Prinzipien, die keinen Normcharakter haben, und „rechtssatzförmige“ Prinzipien67. Letztere sollen dann gegeben sein, wenn sich ein Prinzip rechtssatzförmig „zu einer unmittelbar anwendbaren Regel verdichtet“68. Genau das ist, oder genauer: kann zumindest, der Fall (sein), wie etwa ein Blick auf Art. 3 GG ohne weiteres bestätigt69, und genau so ist es (im engeren Rahmen) auch bei dem Prinzip des Vorrangs der Wettbewerbsermöglichung. Sowohl die von Dworkin und Alexy (und ähnlich, wie zitiert, auch von Larenz) hervorgehobene Regelungskomponente als auch die Prinzipienkomponente (mit ihrer Wertungsimmanenz) treten deutlich — und verfassungsrechtlich begründet — hervor. Es bestätigt sich also der bereits einleitend hervorgehobene Charakter des hier vertretenen Prinzips als der eines Rechtsprinzips oder präziser: als der eines „rechtssatzförmigen Prinzips“ i.S. der Larenz'schen Terminologie.

Die Notwendigkeit der Klausel gem. § 24 Abs. 1 Halbs. 2 GWB ist also in mehrfacher Hinsicht abgesichert; diskutieren lässt sich allein die Frage, ob durch die Verbesserung der Wettbewerbsbedingungen die Wettbewerbsvorteile überwiegen müssen (so der eindeutige Wortlaut und die h.M.70) oder ob es, verfassungskonform ausgelegt, ausreichen kann, dass die Nachteile durch die Vorteile nur aufgewogen werden müssen71.

Diese Frage soll nach dem klaren Wortlaut der Norm im Sinne der ersten Möglichkeit beantwortet werden72, doch würde in beiden Fällen eine Begründung durch das Prinzip einer entsprechenden Regelung zur Seite stehen. Wie Harms gezeigt hat, lässt sich sogar gegen den Wortlaut der Norm eine entsprechende Inhaltskorrektur („aufwiegen“) mit beachtlichen Gründen aus verfassungsrechtlicher Sicht vertreten73. Das zeigt, dass Wettbewerbsvorteile, die durch Wettbewerbsbeschränkungen entstehen, jedenfalls ab einer gewissen Größenordnung (dazu sogleich) Beachtung finden müssen, wenn und soweit durch das entsprechende Betätigungsverbot qualifiziert in Grundrechte eingegriffen wird. Es ist also eine Wechselwirkung festzuhalten: Einerseits unterstützt das Prinzip argumentativ den Grundrechtsschutz, andererseits wird es in den Schutzbereich der betroffenen Grundrechte mit einbezogen und mit rechtserzeugendem Leben erfüllt.

Hinsichtlich der quantitativen Abstufung bzw. Größenordnung des neu ermöglichten Wettbewerbs gilt folgendes: Eine Ermöglichung von mehr Wettbewerb oder Wettbewerbsvorteilen durch Wettbewerbsbeschränkungen kann naturgemäß schon weit vor einer möglichen Kompensation von Vor- und Nachteilen oder einem Überwiegen von Wettbewerbsvorteilen beginnen. Es handelt sich dann um Nebenwirkungen oder Bagatellfälle, deren Relevanz zum direkten Nachweis des Prinzips bereits einleitend ausgeklammert worden war74. Das Prinzip kann, auch wenn es sich in jenen Bagatellfällen bereits im statu nascendi abzeichnen sollte, als tragendes Argument erst dann zum Zuge kommen, wenn eine Art Pattsituation zwischen Vor- und Nachteilen entsteht, die im Beweisrecht einem non liquet entsprechen würde. In einer solchen Situation, in der sich (beim non liquet) die Position des Angegriffenen durchsetzen würde, kann das Prinzip dergestalt den Ausschlag geben (auch hier setzt sich die Position des Angegriffenen durch!), dass der gleichgroßen oder gleichintensiven — und erst recht der „überschießenden“, umfangreicheren — Wettbewerbsermöglichung im Zweifel, d.h. wenn keine konkrete, anderslautende gesetzgeberische Intention i.S. eines Ausnahmetatbestandes erkennbar ist, der Vorrang einzuräumen ist. Der staatliche Sanktionsanspruch (z.B. Untersagungsverfügung oder Unwirksamkeitserklärung) muss also hier im Hinblick auf die per saldo ermöglichten Wettbewerbsvorteile — und im Hinblick auf den Grundrechtsschutz der Betroffenen — zurücktreten.

Entscheidend ist letztlich also die „rein wettbewerbliche Bilanz“75: Nur in ihrem Rahmen (d.h. nicht im Rahmen anderer mittelbarer oder wettbewerbsfremder Vorteile) kann das Prinzip vom Vorrang der Wettbewerbsermöglichung überhaupt zum Zuge kommen. Beim Überwiegen der — speziell durch die Wettbewerbsbeschränkung ermöglichten — Wettbewerbsvorteile begründet das Prinzip das Zurücktreten der relativ schwächeren Wettbewerbsbeschränkung, wofür sich § 24 Abs. 1 Halbs. 2 GWB als induktive Belegstelle erwiesen hat. Bei der Kompensation der „rein“76 wettbewerblichen Vor- und Nachteile kommt das Prinzip, verfassungsrechtlich unterstützt, ebenfalls dergestalt zum Zuge, dass es, sofern nicht (wie hier, bei § 24 Abs. 1 Halbs. 2 GWB) eine eindeutig abweichend lautende Entscheidung des Gesetzgebers entgegensteht, im Rahmen der hier ausgeglichenen Bilanz den Vorrang der Wettbewerbsermöglichung vor (dem Verbot) der Wettbewerbsbeschränkung begründet.

Es ist demnach als Zwischenergebnis festzuhalten, dass § 24 Abs. 1 Halbs. 2 GWB als gesetzlich geregelter Anwendungsfall des Prinzips zum induktiven Nachweis desselben herangezogen werden kann.

II. Die Ministererlaubnis gem. § 24 Abs. 3 GWB


Bei der Möglichkeit einer Ministererlaubnis nach § 24 Abs. 3 GWB handelt es sich um eine (der Kompetenz der Kartellbehörde entzogene77) Abwägung der mit dem Zusammenschluss verbundenen Wettbewerbsbeschränkung gegenüber gesamtwirtschaftlichen Vorteilen, die aus dem Zusammenschluss voraussichtlich entstehen werden (§ 24 Abs. 3 S. 1 1. Alt. GWB) oder einem, an dem Zusammenschluss bestehenden überragenden Interesse78 der Allgemeinheit (§ 24 Abs. 3 S. 1 2. Alt. GWB). Es handelt sich nach diesen Kriterien um den Ausnahmefall einer entscheidungserheblichen, primär...

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