2. Das Denken eines Opfers verstehen
Es gibt viele schweigende Opfer. Wer Opfer eines körperlichen oder seelischen Missbrauchs war, dem fehlen nicht immer aber oft die Worte, um sein Leid und die Ungerechtigkeiten zu lokalisieren und zu beschreiben. Opfer fühlen sich oft schuldig und schämen sich zu tiefst. Für ein Opfer gibt es kaum etwas Schlimmeres, als das ganze Szenario noch einmal zu erleben, indem es eine andere Person an ihren Erzählungen teilhaben lässt. Wenn die andere Peson dann noch fehlende Empathie, Unverständnis entgegenbringt und dem Opfer Schuldzuweisungen macht, dann ist das wie Salz auf einer offenen Wunde.
Entmachtung durch Gewalt:
Ein Gewaltakt entmachtet einen Menschen. Er entblößt, was dieser nicht zu geben bereit war und überschreitet Grenzen. Der Mensch wird durch die Gewalt befleckt. Menschen, die einen Kontrollverlust dieser Art erleben, können Angst vor allen Menschen entwickeln, denn schließlich war es ja ein Mensch, der ihnen den Kontrollverlust und die Schmerzen zugefügt hat. Es sind weniger die körperlichen als vielmehr die seelischen Wunden, die hinterlassen werden und manchmal nie richtig vernarben. Der Täter scheint dem Opfer etwas wegzunehmen und an seiner Seele, an seiner Balance zu rütteln oder diese gar in tausend Fetzen zu zerreißen. Täter verbinden sich unwissentlich mit ihren Opfern durch ein unsichtbares, dickes Band. Die Spuren der Tat bleiben auf der Seele des Täters und auf der des Opfers. Sie brennen sich im Charisma der Personen ein. Geschulte, sehr feinfühlige Menschen können sogar traumatische Ereignisse oder Täterpotential in den Augen ihres Gegenübers sehen!
Seelenmix - Flashbacks:
Man könnte glauben, Teile der Seele würden sich zwischen Opfer und Täter miteinander vermischen während der Tat. Ein Opfer wird sich immer an die Gewalt des Täters erinnern, sofern die Erfahrung nicht zu seinem eigenen Selbstschutz in sein Unterbewusstsein abgespalten wurde. Traumatische Ereignisse, in denen ein Ereignis als zu furchterregend empfunden wurde, werden im Unterbewusstsein abgespeichert und dann unbewusst erinnert. Flashbacks können Folge von Traumata sein.
Das Stockholm-Syndrom:
Es gibt Opfer, die eine tiefe, manchmal sogar sexuelle Zuneigung und emotionale Abhängigkeit zu ihren Tätern entwickeln. Auch das ist ein Überlebensmechanismus. Wenn das Opfer nicht fliehen kann, versucht es, anderweitig die Kontrolle zu behalten, indem es sich mit dem Feind verbündet. Menschen, die zu lange in einer negativen Situation verharren, gewöhnen sich an diese Situation. Dann arrangieren sie sich und können eine Art infantile Abhängigkeit zu den Tätern und/ oder zu den Qualen aufbauen. Manche Menschen, die Opfer von Qualen wurden, fangen an sich nach diesen und/ oder nach ihrem Täter zu sehnen. Sie gehen dann z. B. eine abhängige Pseudoliebe mit Tätertypen allgemein ein und filtern unbewusst auch nur die Menschen heraus, die ihnen irgendwann schaden. Es gibt Opfer, die heftigen Liebeskummer in Bezug auf ihre Schänder entwickeln und eine Unfähigkeit für sich selbst zu sorgen. Wie ein Sog zieht es sie immer wieder zu ihnen hin. Natürlich passiert das Ganze unbewusst.
Unerfüllte Hoffnungen:
Insgeheim hassen sie ihre Täter abgrundtief und erhoffen sich, dass diesen irgendwann etwas Schlimmes zustößt, und dass sie mehr oder weniger lange und heftig leiden werden. Ihre Hoffnung ist, dass der Täter ihnen zurückgibt, was er ihnen gestohlen hat. Solange sich ein Opfer vom Täter unbewusst oder bewusst eine Widergutmachung erhofft und inaktiv bleibt anstatt die Scherben zusammenzukehren und für sich zu sorgen, wird es in einer Abhängigkeit zu seinem Täter bleiben.
Täter und Opfer leben in unterschiedlichen Welten:
Während das Opfer Tag und Nacht an die furchtbaren Taten und an den Täter selbst denken kann und ihm Hassgedanken schickt, sich dabei in erster Linie nur selbst quält (nicht den Täter!), weint, frustriert untätig bleibt, hat der Täter ganz andere Gedanken im Kopf. Er denkt in der Regel nicht eine Sekunde an das Opfer - außer (!) sein schlechtes Gewissen, wenn er denn eines hat, quält ihn! Dann bekommt er z. B. Alpträume und kann nachts nicht schlafen, oder er fröhnt Süchten, um diese hämmernden, bestrafenden Gewissensbisse zu betäuben. Die wenigsten Täter stellen sich ihren Taten. Manche entschuldigen sich nur, um ihr Gewissen zu erleichtern, nicht aber, weil es ihnen wirklich Leid tut.
Mimosen:
Mimosen sind Menschen, die bereits Opfer sind, noch ehe ein Täter aufgetaucht ist. Sie haben ein Opferdenken, das meist auf vergangenen Wunden beruht, welche noch nicht verheilt sind. (Nicht wenige entwickeln eine Mimosenhaftigkeit als posttraumatische Störung bzw. als Begleiterscheinung einer psychischen Krankheit! Dann lässt sich die Empfindlichkeit nicht unbedingt durch neue Denkweisen alleine beheben! Ein Psychotherapeut oder Psychiater kann helfen dies abzuklären.) Sie haben sich als unfähig erlebt und haben eine große Angst vor erneuten Verletzungen entwickelt. Für sie sind potentiell alle Menschen Feinde, selbst ihre eigene Familie, ihr Partner. Sie springen wie Schießhunde auf potentielle Doppeldeutigkeiten an, die sie verletzen könnten. Dabei überhören und übersehen sie mehr oder weniger absichtlich den Willen ihres Gegenübers, eine Freundschaft oder Liebe aufzubauen bzw. zu halten. Mimosen hacken extrem auf Fehlern anderer herum, loben dafür umso weniger. Die Relation stimmt hier nicht. Sie reagieren oft völlig überzogen und bauschen eine zufällige Bemerkung auf. Sie reagieren auf den geringsten Anlass mit großen Schmerzen und Streit, weil sie selbst klein sind in ihren Augen. Daher bekommt alles eine große Bedeutung für sie, selbst Kleinigkeiten. Alles, was wichtig für einen Menschen ist, kann ihn auch aus seinem Gleichgewicht bringen, kann Macht über ihn haben. Für Mimosen ist alles wichtiger als Frieden. Ihre Angst ist ihr Götze, den sie mehr oder weniger bewusst anbeten, indem sie ihm zuviel Raum im Leben zur Verfügung stellen und alle Beziehungen von ihm aus aufbauen. Sie sind streitsüchtig, nicht unbedingt aus Bosheit, sondern weil ihr ganzes Denken um sie selbst und um Selbstschutz kreist. Ihr Selbstwertgefühl ist so gering, dass sie sich permanent angegriffen fühlen. So machen sie jeden Menschen in ihrem Umkreis irgendwann zum Täter, der ihnen Böses will. Das ist sehr schade! Sie müssen dringend die Perspektive wechseln und das große Ganze sehen, aus den Augen einer heilen, selbstbewussten Person, die keine Angst vor Angriffen zu fürchten braucht.
Mimosen könnten versuchen, mehr dissoziiert zu leben, d. h. mehr mit dem sachlichen Ohr zu hören wie ein Betrachter oder ein Unbeteiligter.
Hypersensible Menschen: HSP:
Es gibt sogenannte hochsensible Personen (= HSP), die Umweltreize viel, viel intensiver wahrnehmen. Sie empfinden sich leicht als Opfer ihrer Umwelt, weil sie einfach zu stark und langanhaltend Reize registrieren und viel länger dazu brauchen diese zu verarbeiten. Wenn HS Personen noch zu hören kriegen, sie seien ein Ärgernis für die Umwelt und sollten sich mal nicht so anstellen und nicht "so überempfindlich sein", oder wenn ihnen Kritik entgegengeschmissen wird, dann schmerzt das noch intensiver, und diese Menschen könnten an sich selbst verzweifeln. Menschen, die von HSP erwarten genausoviel ertragen zu können wie Menschen ohne Hypersensität, haben die "Aufgabe" nicht begriffen. Eine Nicht-HSP muss auf die HSP eingehen, wenn sie mit einer HSP kooperieren will. Eine Wasserlilie braucht andere Bedingnungen wie eine Aloe Vera zum Leben. Natürlich sollte sich die HSP Mühe geben soweit sie kann (es ist kein Freifahrtschein nach dem Motto: "Welt, NUR du musst dich an mich anpassen, denn ich bin eine HSP!), aber definitiv braucht es mehr Verständnis von Nichthypersensitiven. (Es gibt HSP, die sich deswegen selbst nieder machen, für schlecht und krank halten, sich isolieren oder umbringen, weil sie sich unverstanden und ungeliebt fühlen, ständig in Streit und Ablehnungen geraten und die Welt und die Schmerzen nicht mehr aushalten. Das ist sehr schade, denn ihnen fehlt nur das Wissen über ihre Besonderheit und eine Unterstützung).
Es fehlt HSP nur die Erkenntnis, dass sie eine besondere Eigenschaft haben! Das müssen sie dann auch nach außen kommunizieren, damit die Umwelt auf sie eingehen kann. Der Mensch geht immer von sich selbst aus. Wenn einer anders ist als man selbst, könnte man leicht denken, der andere spinnt. Das ist die Auswirkung eines begrenzten Denkens. Es ist verständlich, denn niemand kann in den "Schuhen des anderen" laufen und in sein Gehirn hinein sehen. Es gibt nicht "DIE Wahrheit" bzw. "DAS soziale Verhalten". Wer mit einer anderen Person auskommen möchte, der muss sich auch Mühe geben - und die andere Person, dito! Nur so funktioniert "Beziehung"!
Offenheit und Verständnis:
Wir brauchen Offenheit und Verständnis für die Andersartigkeit einer...