2. Theoretischer Hintergrund: Die Bedeutung interkultureller Kompetenz für international agierende Unternehmen
Für den Begriff der Kultur existieren zahlreiche und je nach Fachbereich unterschiedlich ausfallende Definitionen und Ansätze. Uehlinger (2017: 19) definiert Kultur als „die erlernten und geteilten Werte, Glaubenssätze und Normen einer Gruppe von interagierenden Menschen, die sich in charakteristischen Verhaltensmustern äußern.“ Broszinsky-Schwabe (2017: 80) bezieht sich auf die gemeinsame Begriffsdefinition der Mitgliedsstaaten der Weltkonferenz Mondicult aus dem Jahre 1982:
„… die Konferenz ist dahingehend übereingekommen, dass die Kultur in ihrer umfassendsten Bedeutung heute als Gesamtheit der geistigen und materiellen, der verstandes- und gefühlsmäßig unterschiedlichen Merkmale, die eine Gesellschaft oder eine Gruppe kennzeichnen, angesehen werden kann. Sie umfasst neben den Künsten und der Literatur die Lebensweisen, die Grundrechte des Menschen, die Wertsysteme, die Traditionen und Überzeugungen.“
Kultur bezieht sich demnach nicht auf den einzelnen Menschen, dessen Verhalten nicht nur kulturell bedingt, sondern auch Ausdruck seiner Persönlichkeit ist, sondern auf eine Gruppe von Menschen, in diesem Falle ein Volk bzw. eine Nation. Gerade am Beispiel der arabischen Staaten ist auch die Religion, hier der Islam, ein kulturprägendes Merkmal, wie bereits im Abschnitt 1.1 angedeutet wurde (vgl. Uehlinger 2017: 18).
Der niederländische Soziologe Geert Hofstede (Schugk 2014: 42) schuf eine Definition des Kulturbegriffs, der in der interkulturellen Forschung große Akzeptanz gefunden hat. Seiner Meinung nach ist Kultur im Sinne des Kulturbegriffs der kognitiven Anthropologie, „die kollektive mentale Programmierung des Geistes, die die Mitglieder einer Gruppe oder Kategorie von Menschen von einer anderen unterscheidet.“
Die Kultur eines Volkes, einer Nation oder einer religiösen Gemeinschaft ist ein sinnstiftendes Identifikationsmerkmal. Sie ist ein durch geschriebene und ungeschriebene Gesetze gestütztes, allgemeingültiges Paket von Werten, Normen und Glaubenssätzen. Nach Uehling sind Werte jene Vorstellungen, die von einer Gruppe von Menschen als wünschenswert anerkannt sind und Orientierung verleihen. Die Normen sind die Erwartungen, welche die beschriebene Gemeinschaft an das Verhalten ihrer einzelnen Zugehörigen richtet. Dazu gehören z. B. Umgangsformen wie das tägliche Grüßen. Glaubenssätze sind die von der Gruppe geteilten sowie als wahr erachteten Grundannahmen und Überzeugungen (vgl. Uehlinger 2017: 19).
Die Länder und Regionen der Welt unterscheiden sich jedoch in mehr als nur in ihrer Kultur. Die Unterschiede unterteilen sich in Identität, Werte und Institutionen. Alle drei Kriterien sind historisch bedingt. Identität mit Merkmalen wie Sprache oder Religion bezeichnet dabei die sichtbare (bzw. hörbare) Gruppenzugehörigkeit und wird sowohl von den Inhabern dieser Identität als auch von Außenstehenden wahrgenommen (Hofstede/Hofstede 2005: 442 f.). Die zweite Kategorie bilden die Werte, von Hofstede (2005: 443) auch „Software in den Köpfen“ genannt, die im Gegensatz zur Identität unsichtbar sind. Völker mit verschiedenen Identitäten können im Wesentlichen gemeinsame Grundwerte haben, was z. B. für die westeuropäischen und nordamerikanischen Industriestaaten zutrifft. Die dritte Kategorie stellen die Institutionen dar, die ebenfalls Länder voneinander unterscheiden können. Dazu gehören Regeln und Gesetze ebenso wie Organisationen zu den Themen Familienleben, Schulen, Gesundheitsfürsorge, Geschäftsleben, Regierung bzw. politisches System, Sport, Medien, Kunst und Wissenschaften. Hierbei können sich auch Länder mit gleichem Wertesystem unterscheiden, z. B. die westeuropäischen von den nordamerikanischen Staaten (vgl. ebd.: 443).
Die arabischen Staaten in der Golfregion sind hingegen Beispiele für zwar unterschiedliche Staaten, die sich aber in Identität, Werten und Institutionen sehr ähneln, dagegen jedoch einen konträren Unterschied z. B. zu den Staaten Westeuropas bilden. Neben der gemeinsamen arabischen Sprache ist diesen Staaten vor allem der sunnitische Islam als Staatsreligion gemein, was einerseits identitätsstiftend ist, andererseits aber auch über gemeinsame Institutionen führt, z. B. die Verknüpfung der Rechtsprechung mit der Scharia (vgl. Hofstede 1991: 30 f.).
Begegnen sich Angehörige verschiedener Kulturen, wird bei deren sozialer Kommunikation von interkultureller Kommunikation gesprochen. Je größer die kulturellen Unterschiede dabei sind, umso größer ist die Gefahr von Kommunikationsstörungen durch Missverständnisse (vgl. Broszinsky-Schwabe 2017: 1). Diese werden höchstwahrscheinlich in der Kommunikation zwischen beispielsweise einem Engländer und einem Japaner häufiger auftreten als bei der Kommunikation zwischen ebendiesem Engländer und z. B. einem Dänen. Begegnungen zwischen Menschen unterschiedlicher Kulturen gibt es zwar schon sehr lange, doch findet diese spätestens seit dem Beginn des Globalisierungsprozesses in den 1950er-Jahren in immer stärkerem Ausmaß und zwischen den Angehörigen immer breiterer gesellschaftlicher Schichten statt, was die wissenschaftliche Relevanz dieser Thematik entscheidend erhöht (vgl. ebd: 3).
Um die Auswirkungen der Kulturunterschiede zwischen verschiedenen Nationen nicht nur darstellen, sondern auch einen Nutzen daraus für die Gestaltung internationaler Geschäftsbeziehungen ziehen zu können, haben verschiedene Wissenschaftler Modelle zur Beschreibung dieser Unterschiede entwickelt. Eine der bedeutendsten dieser Studien ist die kulturvergleichende Studie von Geert Hofstede. Hofstede ermittelte seit den 1960er-Jahren die interkulturellen Unterschiede von Grundwerten und Verhaltensweisen im Berufsleben durch die Befragung von Angestellten der Firma IBM in zuletzt insgesamt 72 Ländern. Da sich die Befragung auf nur ein Unternehmen konzentrierte, konnte davon ausgegangen werden, dass die dabei ermittelten Unterschiede ausschließlich auf die jeweilige Nationszugehörigkeit zurückzuführen waren (vgl. Schugk 2014: 168).
Im Zuge dieser Studie entwickelte Hofstede (2011: XIX) zunächst vier Kulturdimensionen, die schließlich noch um eine fünfte ergänzt wurden, nämlich:
- Machtdistanz: Das ist der Grad, bis zu welchem die weniger mächtigen Mitglieder von Institutionen und Organisationen in einem Land die ungleiche Verteilung der Macht erwarten und akzeptieren (vgl. Hofstede 2011: 98). Diese Dimension drückt aus, wie in einer Kultur mit Machtunterschieden umgegangen wird, ob z. B. Mitglieder von Organisationen, Institutionen, Familien etc. eine ungleiche Verteilung von Macht hinnehmen oder sogar erwarten (vgl. Schugk 2014: 169).
- Individualismus vs. Kollektivismus: Individualismus bedeutet, dass die sozialen Bindungen zwischen Individuen locker sind und erwartet wird, dass sich jeder um sich selbst und seine eigene, unmittelbare Familie kümmert. In kollektiven Gesellschaften wird dagegen mehr Wert auf das allgemeine Wohlbefinden von Gruppen bzw. der gesamten Gesellschaft gelegt (vgl. ebd.: 177 f.).
- Maskulinität vs. Feminität: Maskulinität steht demnach für eine Gesellschaft, in welcher die gesellschaftlichen Geschlechterrollen klar festgelegt sind: Männer sollen hart und durchsetzungsfähig sein sowie sich auf materiellen Erfolg konzentrieren. Frauen sollen dagegen bescheidener und sensibel sein sowie sich auf Lebensqualität konzentrieren. Feminität zeichnet Gesellschaften aus, in denen sich die genannten gesellschaftlichen Geschlechterrollen überschneiden und beide Geschlechter die vorher als „weiblich“ titulierten Eigenschaften Bescheidenheit, Sensibilität und Schaffung von Lebensqualität aufweisen (vgl. Hofstee 2011: 297).
- Unsicherheitsvermeidung: Das ist der Grad, bis zu dem sich die Angehörigen einer Kultur durch ungewisse oder unbekannte Situationen bedroht fühlen (vgl. Hofstede 2011: 161). Diese Dimension ist Ausdruck für die Toleranz bzw. Akzeptanz von allgemein bestehender Unsicherheit. Ein hohes Unsicherheitsgefühl birgt demnach eine erhöhte Anfälligkeit für Vorurteile, ein niedriges Unsicherheitsgefühl steht für einen hohen Akzeptanzgrad von Unsicherheit und mehr Gelassenheit im Umgang damit (vgl. Schugk 2014: 193 f.).
- Langfristorientierung vs. Kurzfristorientierung: Langfristige Orientierung steht für die Förderung von Werten wie Ausdauer und Sparsamkeit, die in der Zukunft das Erreichen einer Belohnung erwarten lassen. Die kurzfristige Ausrichtung steht dagegen für die Förderung von Werten, die mit der Vergangenheit und Gegenwart verbunden sind, insbesondere den Respekt für Tradition, die Gesichtswahrung und Erfüllung sozialer Verpflichtungen (vgl. Hofstede 2011: 359). Die langfristige Orientierung wird hierbei vor allem mit Ländern aus dem fernöstlichen Kulturkreis in Verbindung gebracht, kann aber auch bei westlichen Ländern, etwa bei den Merkmalen Fleiß, Durchhaltevermögen, Ausdauer oder Sparsamkeit, angewendet werden (vgl. Schugk 2014: 199).
Die weltweit immer weiter fortschreitende Globalisierung der Wirtschaft führt dazu, dass der Erfolg oder Misserfolg interkultureller Kommunikation zunehmend nicht mehr nur für die persönliche Beziehung zwischen mehreren Menschen aus unterschiedlichen Kulturkreisen von hoher Bedeutung ist, sondern auch für international agierende Wirtschaftsunternehmen eine entscheidende Existenzgrundlage darstellt. Broszinsky-Schwabe beschreibt dies am Beispiel eines deutsch-indischen Joint Ventures eines deutschen Automobilwerks aus dem Jahre 1994. Dort gab es zwischen den deutschen und den indischen Managern mehrere Meinungsverschiedenheiten und Verständigungsprobleme mit kulturellem Hintergrund. So vertraten beide Seiten z. B....