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E-Book

Außer Dienst

Eine Bilanz

AutorHelmut Schmidt
VerlagSiedler
Erscheinungsjahr2009
Seitenanzahl352 Seiten
ISBN9783641011826
FormatePUB
KopierschutzDRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis11,99 EUR
»Wenn es um Prinzipien der Politik und der Moral geht oder um das eigene Gewissen, dann ist man niemals außer Dienst.« - Die Bilanz eines großen Staatsmannes.
In seinem Buch über die Zeit nach dem Ausscheiden aus dem Kanzleramt beschreibt Helmut Schmidt die umwälzenden historischen Entwicklungen seit dem Ende des Kalten Kriegs, er macht sich Gedanken über die gegenwärtige Politik und die Zukunft Deutschlands, und er spricht über sehr Persönliches: über prägende Kriegserfahrungen, über eigene Fehler und Versäumnisse, seinen Glauben und das Lebensende.

Helmut Schmidt, geboren 1918 in Hamburg, war von 1974 bis 1982 Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland und seit 1983 Mitherausgeber der ZEIT. Er gehörte zu den bekanntesten und beliebtesten Politikern und Publizisten in Deutschland, seine Bücher wurden allesamt zu Bestsellern, u.a. »Menschen und Mächte« (1987), »Kindheit und Jugend unter Hitler« (1992), »Die Mächte der Zukunft« (2004), »Außer Dienst« (2008), »Vertiefungen. Neue Beiträge zum Verständnis unserer Welt« (2010) sowie »Ein letzter Besuch. Begegnungen mit der Weltmacht China« (2013). Er starb im November 2015 im Alter von 96 Jahren.

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Leseprobe
Gegen Ende des Lebens wollte ich einmal aufschreiben, was ich glaube, im Laufe der Jahrzehnte politisch gelernt zu haben. Denn vielleicht könnte doch einer von den Jüngeren daraus einen Nutzen ziehen. Die meisten meiner Weggefährten haben schon endgültig ihre Adresse gewechselt; ihnen habe ich vor zwölf Jahren in dem Band »Weggefährten« meinen Dank abgetragen. In dem hier vorgelegten Buch geht es in erster Linie um persönliche Erfahrungen. Sie werden nicht chronologisch vorgetragen, eine Autobiographie war nicht beabsichtigt. Ebensowenig wollte ich eine systematische, nach Themen geordnete Darstellung versuchen. Viele Einsichten, die ich im Laufe meines Lebens gewonnen habe - auch und gerade in den letzten 25 Jahren »außer Dienst« -, verdanke ich Menschen, die einen bleibenden Eindruck auf mich machten; meine Erinnerungen an sie sind untrennbar verbunden mit den Themen, die uns beschäftigten. Auch bitte ich den Leser zu berücksichtigen, daß mir in der Rückschau nicht alles gleich wichtig war. Weil mir an bestimmten Erkenntnissen mehr liegt als an anderen, unterscheiden sich die einzelnen Kapitel durch unterschiedliche Gewichtung; gelegentliche Überschneidungen waren hier und da unvermeidlich.
Nach dem Ende des Hitlerschen Weltkriegs begann ich, mich politisch zu engagieren. Berufspolitiker wurde ich zwar mehr durch Zufall, aber nachdem ich es einmal geworden war, bin ich es aus eigenem Willen geblieben. Als ich 1987 nach drei Jahrzehnten als Bundestagsabgeordneter aus dem Parlament wieder ausschied, hatte ich allerdings nicht das Gefühl, aus dem Dienst am öffentlichen Wohl entlassen zu sein. Der Titel dieses Buches enthält deshalb ein Quentchen Selbstironie. Ich habe mich auch nach dem Ausscheiden aus allen öffentlichen Ämtern nicht wirklich »außer Dienst« gefühlt, denn das Bewußtsein eigener Mitverantwortung ist mir geblieben. Der Wechsel vom Politiker zum publizistischen Autor hat daran nichts geändert.
Schon vor langer Zeit habe ich mir den alten römischen Satz zur Richtschnur gemacht: Salus publica suprema lex. Inzwischen habe ich begriffen, daß die Maxime vom öffentlichen Wohl als dem obersten Gebot für manche Politiker - und ebenso für manche Manager - nicht zu gelten scheint; sie räumen ihrer persönlichen Geltung, ihrer persönlichen Macht oder auch ihrem persönlichen Reichtum offenbar vorrangige Bedeutung ein. Zwar kann man aus Gründen der Vernunft und der Moral zu durchaus verschiedenen Meinungen darüber gelangen, was in einer konkreten Situation im Sinne des Gemeinwohls geboten ist. Aber -und auch das habe ich im Laufe des Lebens gelernt - sowohl die Demokratie im Inneren als auch der Friede im Äußeren verlangen die Bereitschaft zu Kompromiß und Toleranz.
Die Verantwortung eines Politikers ist nicht abstrakt. Vielmehr ergibt sie sich immer wieder aufs neue sehr konkret und oft bedrückend. In jeder Lage, vor jedwedem Problem, in jedem Streit, immer wieder muß er eine Antwort auf die Frage finden: Was ist hier und jetzt meine Aufgabe und meine Pflicht? Was ist meine Pflicht, wenn zwei oder mehr Interessen miteinander kollidieren? Hat etwa ein persönliches Interesse oder das Interesse meiner Partei Vorrang? Und wenn das Interesse der Nation Vorrang hat, was liegt dann konkret im Interesse der Nation?
Fragestellungen dieser Art haben im Westen unseres Landes erbitterte Streitigkeiten ausgelöst - vom Schuman-Plan 1950 und dem Beginn der europäischen Integration über die Hallstein-Doktrin, den NATO-Beitritt, die Notstandsgesetzgebung, die Ostpolitik, die Helsinki-Schlußakte und den NATO-Doppelbeschluß bis hin zur Vereinigung der beiden deutschen Nachkriegsstaaten. In Ostdeutschland war es sehr viel schwieriger, sich ein eigenes Urteil zu bilden. In Westdeutschland war man sich seit den späten fünfziger Jahren einig über die Zugehörigkeit zur Europäischen Gemeinschaft. Gleichwohl konnten sich viele 1989 nicht vorstellen, daß die Regierungen Frankreichs, Englands, Italiens oder Hollands und Dänemarks die Vereinigung der beiden deutschen Staaten mit tiefer Skepsis betrachteten und sie ablehnten. Es waren die Vereinigten Staaten von Amerika, die aus strategischem Interesse gegenüber der damals noch existierenden Supermacht Sowjetunion und gegenüber dem Kommunismus schließlich die Zustimmung unserer Nachbarn zur deutschen Einheit herbeigeführt haben.
Damals wußten wir in Deutschland sehr wenig von der Geschichte und von den Interessen unserer Nachbarn, insbesondere unserer Nachbarn im Osten, und ihren Erfahrungen mit uns Deutschen. Wir wissen heute immer noch zu wenig von den Polen und Tschechen, aber auch von Franzosen und Engländern, den Holländern, Belgiern und Dänen. Auf der anderen Seite sieht es zumeist nicht besser aus. Es ist ein vielen europäischen Völkern gemeinsames Phänomen, daß ihnen die bösen Erfahrungen, die sie im Laufe der Jahrhunderte mit ihren Nachbarn gemacht haben, meist am besten im Bewußtsein haften.
Haben wir Deutsche aus unserer Geschichte genug gelernt? Gelingt es uns wenigstens, das große Glück der Wiedervereinigung in einen ökonomischen und zugleich sozialen Erfolg umzumünzen? Warum sind wir fähig, im Export Weltmeister zu sein, aber zugleich unfähig, im eigenen Land eine gefährliche Massenarbeitslosigkeit zu bewältigen? Ist die politische Klasse in Deutschland nicht in der Lage zu erkennen, was das öffentliche Wohl gebietet? Oder mangelt es ihr an der Courage, den Wählern unpopuläre Wahrheiten zuzumuten? Oder weigert sich der Wähler, solchen Wahrheiten ins Gesicht zu sehen? Oder alles zugleich?
Wissen wir eigentlich, wer wir sind? Wissen wir, wer wir sein wollen? Die heutigen Deutschen unterscheiden sich in vielerlei Hinsicht von ihren Vorfahren; ein Vergleich mit dem 19. und 20. Jahrhundert, mit Wilhelminismus, Nazi-Zeit und vierzig Jahren kommunistischer Herrschaft im Osten offenbart gewaltige Wandlungen unserer rechtlichen und politischen Kultur. Auch unsere soziale und ökonomische Kultur hat enorme Veränderungen durchgemacht; diese Veränderungen haben das Denken vieler Menschen und ihr Verhalten beeinflußt. Wir sind gereift.
Wir sind nicht mehr dieselben, aber dürfen wir deshalb sagen: Wir sind wesentlich anders geworden? Wir haben schwere Beschädigungen unserer Seele davongetragen und daraus gelernt, aber wie weit haben wir auch unser geschichtliches Bild von uns selbst revidiert? Welches Bild von uns haben wir heute? Die Wunden jedenfalls, die Deutschland seinen Nachbarn zugefügt hat, sind nur zum Teil ausgeheilt; sie könnten wieder aufbrechen. Wir Deutschen bleiben eine gefährdete Nation - gefährdet sowohl von innen als auch von außen.
Zweimal innerhalb des 20. Jahrhunderts haben die Deutschen eine weltpolitische Führungsrolle angestrebt, beide Male sind sie damit jämmerlich gescheitert.

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