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Betrachtungen zu Patrick Süskind: 'Das Parfum'

Vom Animal zum Künstler: Das Psychogramm eines Duftgenies

AutorChristina Bühler
VerlagGRIN Verlag
Erscheinungsjahr2007
Seitenanzahl107 Seiten
ISBN9783638729734
FormatPDF/ePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis34,99 EUR
Magisterarbeit aus dem Jahr 2007 im Fachbereich Germanistik - Neuere Deutsche Literatur, Note: 1,7, Rheinisch-Westfälische Technische Hochschule Aachen (Institut für Germanistische und Allgemeine Literaturwissenschaft), 91 Quellen im Literaturverzeichnis, Sprache: Deutsch, Abstract: Der Aufbau der Arbeit gliedert sich in vier Hauptteile. Die beiden einleitenden ersten Teile sollen einen kurzen Überblick über das Thema Nase und Geruch geben. Zum einen wird der heutige Wissensstand über die Thematik der Olfaktion skizziert; es wird erklärt, wie die Nase aufgebaut ist und wie der Riechvorgang als solcher überhaupt funktioniert. Neben der technisch-medizinischen Seite soll es aber auch und vor allem um den soziologischen Aspekt des Geruchssinnes gehen, Fragen, inwieweit Gerüche unser alltägliches Leben beeinflussen, werden gestellt und beantwortet. Der dritte Teil dieser Ausarbeitung ist dem Roman als solchem gewidmet, an dieser Stelle soll es um die stilistischen Fähigkeiten des Autors gehen, insbesondere um die Vielseitigkeit dieses Romans. Der vierte Teil beschäftigt sich ganz mit der Hauptfigur: dem Verstoßenen, dem Saboteur, dem Narzisst, dem Größenwahnsinnigen, dem Amoralist, dem neuen Messias, dem Antichrist, dem schizophren-autistischen Monster, dem Mörder und Genie - mit Jean-Baptist Grenouille. Es soll der Versuch gemacht werden, die Figur unter psychologischen Aspekten zu beurteilen und zu prüfen, ob die Begriffe 'Schizophrenie' und 'Autismus' tatsächlich Anwendung finden können. Des Weiteren soll Grenouilles Verhältnis zu den Menschen, das Vorhandensein bzw. Nichtvorhandensein seiner sozialen Kompetenz, geprüft und seine animalische Struktur herausgearbeitet werden. Insbesondere soll es um die 'Entwicklung' Grenouilles vom Animal zum Künstler gehen: Lässt sich Süskinds Geschichte, spielt sie doch im vorrevolutionären Frankreich des 18. Jahrhunderts, auf die heutige Zeit anwenden und ist Grenouille als mahnender Fingerzeig unserer Geschichte zu verstehen?

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Leseprobe

3 Geschichte der Parfümerie


 

3.1 Geschichte des Geruchs


 

Die geruchliche Wahrnehmung der Menschen hat sich im Laufe der Zeit stark verändert und unterlag dem sozialen Wandel der Zeit. Nachfolgend soll eine kurze Übersicht über die Geschichte des Geruchssinns als Sinnesmodalität gegeben und insbesondere der Versuch gemacht werden, eine Vorstellung der geruchlichen Pariser Zustände im 18. Jahrhundert zu schaffen, an deren Schluss die Desodorisierung, die „neue Geruchssensibilität“ des Menschen steht.

 

3.1.1 Die Nase, das primitive Sinnensorgan


 

Seit jeher galt der Geruchssinn als der wertloseste aller menschlichen Sinne. Er wurde als animalischer Trieb stilisiert, galt als verwerflich und frivol. „Als Sinn der Lust, der Begierde und der Triebhaftigkeit, mit seiner engen Verbindung zur Sexualität und zur Gefräßigkeit, trägt der Geruchssinn das Signum der Animalität.“[22] Ein riechender, schnüffelnder Mensch erinnert an ein Tier; die Unfähigkeit, Geruchswahrnehmungen sprachlich zu fassen, unterstützt ebenfalls den animalischen Charakter. Da Geruchsreize immer flüchtig sind und in ihrer Komplexität nie tatsächlich gefasst werden können, sind sie kein stetiger Denkanstoß – somit steht die Schärfe des Geruchssinns „im umgekehrten Verhältnis zur Entwicklung der Intelligenz“[23]. „Dieser Verweis auf die animalische Herkunft des Menschen, auf die leibliche Nähe und Verbundenheit der Geruchswahrnehmung und seine hochgradig affektive Prägung, machten den Riechsinn nicht nur verdächtig, sondern führten dazu, daß er mit Tabuisierungen und Vorurteilen überlagert wurde.“[24]

 

Mit der Romantik kam eine allgemeine Überhöhung der Sinne in Mode – einschließlich des olfaktorischen Sinns. „Erneut wurde das Geruchsorgan zunehmend mit der Sexualität verknüpft und in vielen westlichen Kulturen aufgrund der tradierten Traditionen mit dem Animalischen wieder in die Nähe des Verwerflichen gerückt.“[25]

 

3.1.2 Olfaktorische Wahrnehmung in der Philosophie


 

Die Einschätzung und Bewertung des Geruchssinns von den Philosophen ist lange Zeit durch Diskriminierung und Ablehnung gekennzeichnet. Die Nase war das Sinnesorgan, welches überwiegend mit negativen Assoziationen belegt war, es galt als das Organ des animalischen Triebes, das die Erkenntnis und die anzustrebende reine Vernunft gefährdete. Begründet wurde dies damit, dass der Mensch im Vergleich zum Tier nur über ein sehr begrenzt ausgeprägtes Geruchsvermögen verfügt. Hinzu kommt, dass der Mensch den Großteil der wahrgenommenen Gerüche nicht verbalisieren kann. Das Sprachvermögen als Ausdruck von Humanität und Zivilisation versagt, die Schlussfolgerung liegt nahe, dem Geruch mehr animalische als menschliche Züge zuzuordnen. Noch heute werden Menschen, die bei ihrer Arbeit starken Gerüchen ausgesetzt sind, auf sozial minderwertiger Stufe angesiedelt: Müllmänner oder Toilettendamen sind gedanklich immer mit Gestank und Unreinheit verknüpft.

 

In der Antike hegten die Vorsokratiker ebenso wie später die Sophisten einen starken Zweifel an allen Sinneswahrnehmungen. Sie bildeten in ihrem zeitgenössischen Denken das Gegenstück zum Verstand, der den Menschen vom Tier unterscheidet und über dieses stellt. So sprach es Platon der sinnlichen Wahrnehmung ab, wahre Erkenntnis zu vermitteln. Sinneswahrnehmungen könnten lediglich ein Abbild der Welt vermitteln und nicht zu der Erkenntnis führen, wie die Dinge tatsächlich sind. Platon rief dazu auf, sich um sein Seelenheil zu kümmern und sich der Musik und der Mathematik zu widmen. „Der Körper mit all seinen Gerüchen galt nur als vorübergehender Aufenthaltsort dieser Seele, und zudem wurde die Nase durch ihre Nähe zum Gehirn in einen direkten Zusammenhang mit Gefühlen und Gelüsten gebracht, die besser verbannt gehörten.“[26]

 

Ein weiterer Philosoph, der sich über den Geruchssinn äußerte, war Kant. Er fällte ein vernichtendes Urteil über diese Sinnesmodalität und reiht sich somit in die Tradition der Denunzierung von Nase und Riechvorgang von Philosophen und Denkern ein.

 

„Welcher Organsinn ist der undankbarste und scheint auch der entbehrlichste zu sein? Der des Geruchs. Es belohnt nicht, ihn zu cultivieren oder wohl gar ihn zu verfeinern, um zu genießen; denn es giebt mehr Gegenstände des Ekels (vornehmlich in volkreichen Örtern), als der Annehmlichkeit, die er verschaffen kann, und der Genuß durch diesen Sinn kann immer auch nur flüchtig und vorübergehend sein, wenn er vergnügen soll. – Aber als negative Bedingung des Wohlseins, um nicht schädliche Luft (den Ofendunst, den Gestank der Moräste und Äser) einzuathmen, oder auch faulende Sachen zur Nahrung zu brauchen, ist dieser Sinn nicht unwichtig.“[27]

 

Auch Hegel schloss sich Kants Meinung über den Geruchssinn an, er verbannte den Geruch als Sinn des materiellen Genusses aus der Ästhetik. Erst durch Nietzsche erfuhr die olfaktorische Wahrnehmung in der philosophischen Betrachtung wieder eine Aufwertung, denn für Nietzsche lieferte vor allem Sinnestätigkeit Erkenntnis und insbesondere der animalischste Sinn, eben der Geruchssinn, liefere dabei die höchsten Erkenntniswerte:

 

„Und was für feine Werkzeuge der Beobachtung haben wir an unseren Sinnen! Die Nase zum Beispiel, von der noch kein Philosoph mit Verehrung und Dankbarkeit gesprochen hat, ist sogar einstweilen das delikateste Instrument, das uns zu Gebote steht: es vermag noch Minimaldifferenzen der Bewegung zu konstatieren, die selbst das Spektroskop nicht konstatiert.“[28]

 

Denn Erkenntnis erlange man nicht durch bewusste Vorgänge, vielmehr ist der Instinkt für Nietzsche das entscheidende Moment. Instinkt und Erkenntnis sind bei ihm miteinander verknüpft, der animalische Geruchssinn ist am instinktivsten und somit der Sinn der Wahrheit, da er durch seinen tierischen, instinktiven Ursprung vom Intellekt und der Vernunft am weitesten entfernt ist.

 

3.1.3 Klassifikationen von Gerüchen


 

Schon im Altertum hat es die ersten Versuche gegeben, Gerüche zu kategorisieren und zu ordnen. Anlehnend an die vier Geschmacksqualitäten süß, sauer, bitter und salzig wurden bis heute zahlreiche Versuche unternommen, um die Vielfalt der Gerüche in Duftklassen zu unterteilen. Parallel zur Theorie des Farbensehens unterteilte man in Primär- und Sekundärgerüche. Die Vermischung der beiden Geruchsarten sollte demnach alle möglichen Gerüche ergeben.

 

Die Hauptschwierigkeit der Geruchsklassifizierung besteht im Nichtvorhandensein einer objektiven Messgröße – weder auf physikalischer noch auf chemischer Ebene. Geruch ist, wie alle Sinneswahrnehmungen, subjektiv; eine physikalische Messung gestaltet sich als äußerst schwierig. Zudem erweist sich der menschliche Sprachgebrauch als unzureichend. Geruchseindrücke entziehen sich der individuellen und subjektiven Versprachlichung, das nötige Vokabular existiert nicht. Daraus folgend ist die Basis zum Vergleich entzogen, der Gegenstand „Geruch“ kann nicht diskutiert werden. Gerüche werden meist durch Assoziationen („Es riecht wie“) oder durch Kriterien aus anderen Sinnesmodalitäten, z. B. dem Geschmack (süß, sauer, scharf), charakterisiert.

 

Ein weiteres Phänomen, welches die Untersuchungen zum Geruch erschwert, ist die Ermüdung des Geruchssystems: die Geruchsadaption. Wird die Nase einige Zeit konstant dem gleichen Geruch im gleichen Maße ausgesetzt, wird der Geruch selektiv adaptiert, d. h. die Nase wird dem betreffenden Geruch gegenüber sehr schnell unempfindlich, bis hin zur vollständigen Eliminierung der Geruchswahrnehmung. Tatsache ist, dass es bis heute kein allgemein anerkanntes Geruchsklassifikationssystem gibt. „Weder können bis heute die Geruchsempfindungen nach einer spezifischen Empfindungskategorie noch nach wissenschaftlichen Kriterien definiert, skaliert oder objektiv gemessen werden; so gibt es etwa auch nicht die Möglichkeit, Gerüche nach chemischen Formeln zu ordnen.“[29]

 

3.1.4 Frankreich im 18. Jahrhundert


 

In den Städten muss zur damaligen Zeit ein für uns heute nicht einmal mehr in Ansätzen vorstellbarer Gestank vorherrschend gewesen sein, der für die Menschen zum Alltag geworden war. Sie nahmen den Geruch als solchen fast gar nicht mehr wahr, sie hatten gelernt damit zu leben und ihn zu antizipieren. Der französische Zeitgenosse La Morandière gab 1764 ein lebhaftes Bild von Versailles:

 

„Die schlechten Gerüche im Park, in den Gärten und sogar im Schloß selbst erregen Übelkeit. Die Zuwege, die Innenhöfe, die Nebengebäude und die Korridore sind voller Urin und Fäkalien; am Fuß des Ministerflügels schlachtet und brät ein Fleischverkäufer jeden Morgen seine Schweine; die Avenue de Saint Cloud ist bedeckt mit moderndem Schlamm und toten Katzen...

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