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Blitzkrieg Pop

Partialfaschismen und ästhetisierte Mythen des Faschismus in der Popkultur

AutorThomas Ehrenfest
VerlagHirnkost
Erscheinungsjahr2014
Seitenanzahl124 Seiten
ISBN9783943774665
FormatPDF/ePUB
KopierschutzWasserzeichen/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,99 EUR
Mit dem Konzept der Partialfaschismen fordert die Arbeit zu einer kritischen Betrachtung popkultureller Produkte und Künstler_innen auf, die nicht eindeutig als faschistoid zu definieren sind, jedoch mit Versatzstücken von Ästhetik, Mythen und romantisierenden Elementen arbeiten, die bereits im Faschismus präsent waren. Diese als Partialfaschismen bezeichneten Ideologiefragmente können in ihren Ursprüngen bis in vorfaschistische Zeiten zurückverfolgt werden. Die Arbeit zeigt, wie einzelne Haltungen, die später zu einem Faschismus zusammengeführt werden konnten, nach 1945 auch außerhalb ewiggestriger Milieus überlebten und heute in der Popkultur in einem scheinbar unbedenklichen Umfeld in abstrahierter Form wieder zum Vorschein kommen. Es geht jedoch nicht darum, (vermeintlich) unpolitische oder ironische Phänomene als rechte Propaganda zu diffamieren, sondern den Blick zu schärfen, um letztendlich zu erkennen, wie selbstverständlich und oft unreflektiert partialfaschistische Elemente in der Popkultur zutage treten und alltäglich in Form von Musik, Filmen oder Videoclips konsumiert werden.

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Leseprobe

1 Partialfaschismen


1.1 Proto- oder Partialfaschismen? Zur Begriffsfindung


In den ersten Notizen zu der hier vorliegenden Arbeit wurde von mir der schon bekannte Begriff der Protofaschismen verwendet, um ideologische und weltanschauliche Versatzstücke des Faschismus/Nationalsozialismus herausheben und einzeln benennen zu können. Zur Verdeutlichung seien hier nur beispielhaft Phänomene wie Männlichkeitskult oder die Romantisierung und Heroisierung des Soldatendaseins genannt. Im Zuge der weiteren Ausarbeitung des Themas begann sich der Begriff immer weiter von dem ihm üblicherweise zugrunde gelegten Verständnis zu entfernen und wäre hier nicht mehr allgemein verständlich, dafür aber im schlimmsten Fall schlicht falsch gebraucht worden. Es bedarf daher eines anderen Begriffs. Der Grund ist folgender:

Schon der Wortteil „Proto“ („erster“ von gr. „prótos“) deutet an, dass es sich – ähnlich wie bei den Begriffen des Prototyps oder der Protowissenschaft – bei einem Protofaschismus bereits um ein komplexeres, sich aus mehreren Fragmenten zusammensetzendes Ideologiekonstrukt handeln muss, das schließlich in einen Faschismus übergeht, oder zumindest die erkennbare Möglichkeit dazu in sich birgt.12 So wird teilweise der frühe spanische Faschismus als Protofaschismus betrachtet13, oder ebenso die Philosophie des 1900 verstorbenen Friedrich Nietzsche.14 Zumeist wird mit dem Protofaschismus im Diskurs jedenfalls bereits ein Gedankengebäude oder zumindest ein in sich schlüssiger Gedankengang bezeichnet, der sich aus heutiger Sicht in die faschistischen Ideologien italienischer oder deutscher Prägung der Jahre von 1922 bzw. 1933 bis 1945 integrieren ließe oder gar ausdrücklich integriert wurde. Für die Anwendung auf das Gebiet der Populärkultur und der von ihr geprägten und sie in einer reflexiven Schleife wieder prägenden Ästhetik ist der Begriff zumindest im Kontext der vorliegenden Forschungsfragen nicht sinnvoll anwendbar. Zu schnell stieße man mit diesem Instrument wieder auf eine einschlägige politische (Bild-)Sprache, anstatt subtiler verpackte Inhalte aufspüren zu können.

Die für sich genommen also schon ein Amalgam aus verschiedensten Überzeugungen darstellenden und in ihrer Definition und politischen Zuordenbarkeit häufig umstrittenen Protofaschismen sollen daher in ihrer Zusammensetzung auf die wesentlichsten Punkte gebracht, ihr unter diversen -Ismen subsumiertes Ideengeflecht also in einzelne Fäden zerlegt werden. Anschließend ist zu überprüfen, ob die jeweiligen Fragmente Eingang in explizit faschistische Ideologien und ästhetische Ausdrucksformen gefunden haben. Ist dies nachweislich der Fall, sollen diese tradierten Elemente im weiteren Verlauf der Arbeit sinnvoller als „Partialfaschismen [P]“, also als tragende Elementarteile oder notwendige Puzzlesteinchen eines „reifen“ Faschismus herausgestrichen werden. Gemeint ist dies somit durchaus im Sinne einer mathematischen Teilmenge deren Obermenge der Faschismus darstellt. In weiterer Folge können eben jene zuvor festgemachten P in der auf breiter Ebene rezipierten Gegenwartskultur und den ihr zugrunde liegenden und als Reservoir kreativer Erneuerung dienenden Subkulturen aufgesucht und auf ihre Bedeutung geprüft werden. An einem offensichtlichen Beispiel aus Nietzsches Zarathustra grob dargestellt, soll folgendermaßen verfahren werden:15

a) Es tritt im Buch deutlich die Ablehnung des Autors gegenüber Staatskonzepten per se – auch dem des Volksstaates – zu Tage: „Staat heisst das kälteste aller kalten Ungeheuer. […] diese Lüge kriecht aus seinem Munde: ‚Ich, der Staat bin das Volk’.“16 Demgegenüber wurde der Volksstaat zu einem Fetisch der Nationalsozialisten, der Nationalismus zur regelrechten Religion der Faschisten.17 Die Haltung „Anti-Nationalismus“ kann also (natürlich) nicht als partialfaschistisch gelten und fällt daher als Vergleichsgröße im Rahmen dieser Arbeit aus.

b) Demgegenüber findet sich nur ein Kapitel zuvor ein Hohelied auf den soldatischen Kampf und die erst eigentliche Werdung des einzelnen (Mannes) im Angesicht seines Feindes sowie eine romantische Ästhetisierung des Krieges, z. B.: „Euren Feind sollt ihr suchen, euren Krieg sollt ihr führen und für eure Gedanken! Und wenn euer Gedanke unterliegt, so soll eure Redlichkeit darüber noch Triumph rufen.“18 Bei Vertretern des Nationalsozialismus findet sich Verwandtes; etwa in Goebbels Forderung nach einer „stählernen Romantik“ im Deutschtum, in der Rüdiger Safranski den Ruf nach einer gerüsteten, in Kriegsbereitschaft befindlichen Gesellschaft sieht.19 Die Haltung „Überaffirmation/Romantisierung des Kampfes“ kann daher als P gelten. In weiterer Folge soll nun damit nach Stilelementen in der Popkultur gesucht werden, die diese Einstellung transportieren.

Als Vergleichsgrößen werden der deutsche und italienische Faschismus herangezogen. Aufgrund der Tragweite, der Radikalität, der wegen der Singularität in vielen Bereichen bis heute divergierenden Einschätzungen und der noch existierenden gedanklichen Kontinuität in den Köpfen zu vieler, soll ein Schwerpunkt auf der nazistischen Ausprägung deutsch-österreichischer Provenienz liegen. Auch wird zur Verdeutlichung und Schärfung des Faschismusbegriffs kurz auf die Frage eingegangen werden, ob man in Bezug auf den Nationalsozialismus [NS] gerechtfertiger Weise von einem Faschismus sprechen kann, oder ob jene schon erwähnte Singularität und Exzessivität nach einem originären Begriff wie etwa dem des „Hitlerismus“20 bzw. nach einer deutlichen Abgrenzung von NS und Faschismus nicht-deutscher Art verlangt. Hier sei nur nochmals vorausgeschickt, dass der NS in dem vorliegenden Text als unbedingt faschistisch verstanden wird. Eine Trennung wäre – wie mit der Suche nach Partialfaschismen ebenfalls gezeigt werden kann – rein semantischer Natur und meines Erachtens wegen der suggerierten Distanz zu einem etwaigen „Hitlerismus“ unnötig relativistisch und verharmlosend was andere faschistische Bewegungen, deren Ziele, Ideale und Zerstörungspotentiale anbelangt.

1.2 Vorteile des Suchwerkzeugs „Partialfaschismus“


Der größte Vorteil ergibt sich hier nicht aus dem Begriff selbst, sondern aus der Kombination mit seinem Anwendungsgebiet, der Popkultur, und den zumeist fließend in sie übergehenden, nicht explizit rechtsradikalen oder neonazistischen Subkulturen. Sinnlos wäre es, mittels eines feinen Instrumentariums bei einer Band namens Volkszorn nach entkontextualisierten Ideologiefragmenten zu suchen, wenn es auf deren Album Der ewige Jude heißt:

Brenn alles nieder (…) Im Zeichen der Zeit sind wir zu jedem Blutbad bereit (…) Ein Nigger brennt an einem Kreuz, er hat’s nicht besser verdient. (…) Die Juden werden brennen, werden um ihr Leben rennen. Die Moslems werden brennen und dann zur Hölle fahr’n [Anm.: runde Klammern im Original].21

Hier hat man es mit klar neonazistischen Bekenntnissen zu tun, deren vor das Dritte Reich zurückgehende Ideengeschichte weit weniger relevant ist, als ihre Rezeption in der Gegenwart. Welche Aussage auch immer von einer klar deklarierten Band aus einem ähnlichen Umfeld getätigt wird, sie wird zuerst unter dem Gesichtspunkt ihrer unmittelbaren Herkunft betrachtet und bewertet werden – von Geistesverwandten ebenso wie von GegnerInnen. Auch greifen hier (noch?) gesetzliche wie massenmediale Blockademechanismen und Reflexe – wenn auch nicht immer und überall.22

Eine andere Problematik stellen jedoch unter gewissen Umständen jene KünstlerInnen dar, die für sich und ihre Produkte in Anspruch nehmen, unpolitisch zu sein oder in der breiteren Wahrnehmung so scheinen. Diese Interpretation ist, wie zu zeigen sein wird, oft nur dann haltbar, wenn man von einem – eventuell bewusst – verengten Politikverständnis ausgeht. Der Poptheoretiker Martin Büsser greift dieses Phänomen auf:

Männliches Gehabe, das sich noch nicht das „Nazi“ auf den Arm geschrieben hat, findet um so mehr breite Akzeptanz, je „unpolitischer“ und zugleich jugendlich flippiger es sich zu verkaufen weiß. Das Unpolitische ist zum Virus geworden. Daß hoffnungslos veraltete Geschlechterbilder, Stereotypen von Macht und Männlichkeit […] wieder den Ton angeben, erschreckt gerade vor dem Hintergrund vermeintlicher Politiklosigkeit, die fast alle Vertreter stereotyp bekunden.23

An diesem Punkt beginnen die P als Analysewerkzeuge zur Sichtbarmachung, Benennung und Bewertung sublimierter Inhalte zu greifen. Darüber hinaus kann so nicht nur der Nimbus des Unpolitischen als häufig bloß scheinbar dargestellt werden, es können auch problematische Haltungen erkennbar werden, wo ansonsten ein ausdrücklich als links gedachter oder zumindest so verstandener Habitus vorherrscht. Hier sei nur kurz auf die als homophob und misogyn berüchtigten N.Y.C.-Hardcore-Bands Bad Brains oder die...

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