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E-Book

Claudio Monteverdi

Biografie

AutorSilke Leopold
VerlagReclam Verlag
Erscheinungsjahr2017
Seitenanzahl256 Seiten
ISBN9783159611990
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis23,99 EUR
Noch vor fünfzig Jahren war er weitgehend unbekannt und bestenfalls in Spezialistenkreisen geschätzt: Claudio Monteverdi (1567-1643). Heute stehen 'L'Orfeo' oder 'L'incorazione di Poppea' auf den Spielplänen aller großen Opernhäuser, liegen seine Werke in zahlreichen Einspielungen vor. Monteverdi, der bereits mit fünfzehn Jahren als Komponist an die Öffentlichkeit trat und gut sechzig Jahre später seine letzte Oper komponierte, war einer der Protagonisten, die die musikalische Epoche um 1600 nachhaltig prägten. Eine Epoche, die zu den zentralen Umbruchszeiten der Musikgeschichte überhaupt zählt, gekennzeichnet etwa durch den Abschied von der vokalen Mehrstimmigkeit oder die Erfindung von Oper und Oratorium. Silke Leopold erzählt den Werdegang Monteverdis von den Anfängen in Cremona über seine Zeit am Hof in Mantua bis zu seiner Domkapellmeisterschaft am Dom von San Marco in Venedig. Und obschon viele Kompositionen verloren und biographische Zeugnisse nur spärlich vorhanden sind, entsteht ein faszinierendes biographisches Panorama, das immer wieder verknüpft wird mit der Musik- und Kulturgeschichte und den politischen Ereignissen seiner Zeit.

Silke Leopold geb. 1948, war nach Stationen u.a. in Berlin, Harvard und Regensburg von 1996 bis 2014 Ordinaria und Direktorin des Musikwissenschaftlichen Seminars in Heidelberg. Zahlreiche Veröffentlichungen zur Geschichte der Oper, zur italienischen Musik des 16.-18. Jahrhunderts, zu Monteverdi, Händel und Mozart sowie zur historischen Aufführungspraxis.

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Leseprobe

Einleitung


Vor fünfzig Jahren, als die musikalische Welt seinen 400. Geburtstag beging, war Claudio Monteverdi ein weitgehend unbekannter und bestenfalls in Spezialistenkreisen geschätzter Name. 1567 geboren und 1643 gestorben, als Fünfzehnjähriger mit seinen ersten gedruckten Kompositionen an die Öffentlichkeit getreten und gut sechzig Jahre später mit seiner letzten Oper, hatte Monteverdi eine musikalische Epoche mitgestaltet, die bis heute als eine der zentralen Umbruchzeiten der Musikgeschichte angesehen wird – der Abschied von der vokalen Mehrstimmigkeit und die Morgendämmerung des Generalbasszeitalters, die Erfindung von Oper und Oratorium, von Kantate und Sonate, von spezifisch instrumentalen Idiomen, von neuen musikalischen Formkonzepten, der Übergang von der Modalität zu einer neuen Dur-Moll-Tonalität, von horizontal-melodischem zu vertikal-harmonischem Denken. Monteverdi hat viele dieser Entwicklungen vorangetrieben, und er hat mit seiner Wortschöpfung von der »Seconda pratica« das ebenso markante wie freilich auch zu Missverständnissen führende Schlagwort für den epochalen Wandel um 1600 geprägt. Dabei war Monteverdi alles andere als ein musikalischer Rebell. Das verbale Trommeln, die Musik neu erfunden zu haben, die Vokalpolyphonie mit ihrem Durcheinander der Stimmen auf den Scheiterhaufen der Geschichte geworfen und aus ihrer Asche den Phönix des akkordbegleiteten Sologesangs geboren zu haben, überließ er den florentinischen Musikern, allen voran Giulio Caccini. Nach Monteverdis Überzeugung sollte das Neue das Alte nicht ersetzen, sondern ergänzen; eine seiner ersten Amtshandlungen als Markuskapellmeister hatte darin bestanden, polyphone Messen aus dem vergangenen Jahrhundert anzukaufen, damit auch diese und nicht nur die neue konzertierende Musik im Markusdom erklingen konnte.

Und dennoch haben gerade Monteverdis musikalische Ideen, die kompositorischen wie auch die theoretischen, dazu beigetragen, dass die Musik zu Beginn des 17. Jahrhunderts eine fundamental andere wurde als zuvor. Das betrifft zunächst konkrete kompositorische Errungenschaften, von denen manche bis heute in der Musik präsent sind, ohne dass sie als solche erkannt würden, darunter das als musikalische Signatur von Klage und Trauer allgegenwärtige absteigende Quartostinato, auch Lamentobass genannt, das auf Monteverdis Lamento della Ninfa (1638) zurückgeht, sowie jener »gehende Bass«, den Monteverdi in seiner Oper L’Orfeo als Klangchiffre für den Gang des Orpheus von der Unter- in die Oberwelt entwickelte und der als »walking bass« im Jazz und in der Popmusik neu erfunden wurde. Das betrifft aber vor allem die Frage, was Musik bewirken solle – erfreuen oder erschüttern? Wie ein roter Faden zieht sich die Bemerkung durch die Berichte über Aufführungen seiner Musik, dass das Publikum (oder zumindest dessen weiblicher Teil) vor Mitleid geweint hätte – oder beinahe. Das ist auch deshalb bemerkenswert, weil die Verhaltenslehre der Zeit den Verlust der Selbstkontrolle in Gesellschaft nicht duldete. Der Hinweis, die Damen im Publikum hätten die Contenance verloren, hätte auch als Affront verstanden werden können; er sollte aber vor allem belegen, welche emotionale Wirkungsmacht die Musik zu entfalten imstande war. Empathie mit den Mitteln der Musik zu erzeugen, verstand Monteverdi als seine wichtigste Aufgabe, und er war sich darüber im Klaren, dass dies eine andere Musik erforderte als jene madrigalische Wortausdeutung, mit der er aufgewachsen war. Vielleicht ist das, jenseits aller Tonsatzfragen, sein wichtigster Beitrag zur Geschichte der Musik: Ihm ging es, beim Übergang von der Madrigalkunst zum musikalischen Drama, immer weniger um die Analogien zwischen Sprache und Musik, dafür aber immer mehr um die Darstellung der Affekte, der seelischen Befindlichkeiten dessen, der diesen Text sprach. Den Weg von der Textdarstellung zur musikalischen Menschendarstellung, der den Epochenwandel um 1600 in hohem Maße kennzeichnet, hat Monteverdi maßgeblich mitgestaltet. Die Idee, dem Menschen hinter seinen Worten musikalisch eine Statur und ein Gesicht zu geben, stammte, auch das ist charakteristisch für sein Wirken, nicht von ihm, sondern war schon vorher in den Kreisen derer, die sich über eine Wiederbelebung der antiken Tragödie Gedanken machten, diskutiert worden. Keiner von denen, die sich an diesem akademischen Experiment beteiligten, wäre freilich in der Lage gewesen, praktische Lösungen aufzuzeigen, wie eine solche Musik beschaffen sein müsste, eine moderne Musik zu wagen, die nicht primär dem Blick nach hinten, sondern dem in eine musikalische Zukunft diente. Es sind weniger die theoretischen Überlegungen als vielmehr die kompositorischen Resultate dieser Gedankenspiele, die Monteverdi zum Motor der musikalischen Epochenwende um 1600 machten.

Der geographische Umkreis, in dem sich Monteverdi bewegte, war eher klein. Cremona, Mantua, Venedig: Die drei Stationen seines Lebens liegen nicht weit voneinander entfernt: Von Cremona nach Mantua sind es gerade einmal 65, von Mantua nach Venedig rund 160 Kilometer. Etwas anderes als die Poebene hat Monteverdi in seinem langen Leben nur selten zu Gesicht bekommen. Außer ein paar Reisen nach Mailand und Verona, Bologna und Parma, einer nach Rom und nur zwei, im Gefolge seines Herzogs, über die Grenzen Italiens hinaus nach Ungarn (1595) und nach Spa (1599) blieb Monteverdi der Region verbunden, in die er hineingeboren war. Freilich dürfen wir dabei nicht außer Acht lassen, dass die drei Standorte, an denen Monteverdi jeweils mehrere Jahrzehnte verbrachte, politisch und gesellschaftlich Welten voneinander trennten: Cremona, die Bischofsstadt an der Peripherie; Mantua, die Residenz eines Herzogtums und eines Fürsten, der mit dem Hochadel aus halb Europa verwandt war; Venedig, Handelsmetropole und Zentrum einer patrizischen Republik. Und wir müssen auch bedenken, dass die Position des Markuskapellmeisters in Venedig zu den interessantesten und lukrativsten in ganz Italien gehörte. Was also hätte Monteverdi von dort fortlocken können? Dem Angebot des polnischen Königs, ihn in Warschau zu beschäftigen, zog Monteverdi Venedig vor. Bedenkt man, dass ein Komponist wie Orlando di Lasso, aus Mons in den spanischen Niederlanden gebürtig, in Palermo, Neapel und Rom, in London und Antwerpen sein Glück als Musiker suchte, bevor er in der Münchner Hofkapelle Karriere machte, bedenkt man weiterhin, dass Monteverdis jüngerer Zeitgenosse Heinrich Schütz, geboren im thüringischen Köstritz, in Kassel, Venedig, Dresden und Kopenhagen tätig war, so wird deutlich, wie eng Monteverdis Radius im Vergleich zu sehr vielen Musikern seiner Zeit war, für die ein Dasein als Migrant zum Alltag gehörte.

Dass Monteverdi im Lande blieb, hinderte seine Musik freilich nicht daran, ihrerseits auf Wanderschaft zu gehen. Nachdrucke von Monteverdis Madrigalveröffentlichungen finden sich schon früh auch außerhalb Italiens, in Nürnberg oder Antwerpen, Kopenhagen oder Straßburg. Nun gehörten Madrigale insgesamt zu den wichtigsten musikalischen Exportartikeln Italiens in den Norden; der mit weitem Abstand erfolgreichste Madrigalkomponist außerhalb Italiens war Luca Marenzio. Bemerkenswert ist aber vor allem, wie sich Monteverdis Musik im protestantischen Norden Deutschlands einnistete und wie aus seinen weltlichen Madrigalen geistliche Gesänge wurden. Ambrosius Profe etwa, Schullehrer und Organist in Breslau, veröffentlichte in den 1640er Jahren mehrere Sammlungen mit Titeln wie Erster Theil Geistlicher Concerten, in denen er zahlreiche Madrigale Monteverdis mit religiösen Texten in lateinischer und deutscher Sprache unterlegte. Und der Hamburger Kirchenmusiker Matthias Weckmann fertigte sich 1647 gar eigene Abschriften aus Monteverdis Selva morale e spirituale (1641) an, wohl um sie im Gottesdienst aufzuführen. Mit den Psalmtexten gab es dabei keine Probleme; das marianische »Salve Regina« aber konnte in der lutherischen Kirche nicht gesungen werden. Also änderte Weckmann den Text zu »Salve mi Jesu« und passte ihn auch im weiteren Verlauf an die Gegebenheiten an; so konnte der konfessionelle Graben mit Musik überwunden werden.

Claudio Monteverdi, Porträt von Bernardo Strozzi, um 1630

 

Von keinem Komponisten seiner Zeit sind so viele persönliche Dokumente erhalten wie von Monteverdi, rund 130 Briefe und etwa ebenso viele Dokumente über ihn. Reicht das, um ihm als Person nahezukommen? Um seine Musik besser zu verstehen? Die meisten erhaltenen Briefe stammen aus Zeiten, aus denen wir wenig Musik kennen, und sie handeln in der Mehrzahl von Kompositionen, die sich nicht erhalten haben oder vielleicht niemals niedergeschrieben wurden. Die überwältigende Zahl der Briefe ist an Empfänger des Mantuaner Hofs gerichtet, nicht etwa, weil Monteverdi am häufigsten nach Mantua schrieb, sondern weil die Briefe dort am sorgfältigsten aufbewahrt wurden. Monteverdis briefliches Nachdenken über die musikalische Ausgestaltung von Theaterstücken aller Art erlaubt es uns, ihm beim Komponieren ein wenig über die Schulter zu schauen. Wirklich erklären lässt sich seine Musik dadurch nicht. Wir kennen nicht einen Brief Monteverdis an seinen Bruder Giulio Cesare, seit sich die Wege der beiden 1612 getrennt hatten, nicht einen an seinen Vater, der erst starb, als Monteverdi 50 Jahre alt war, nicht einen an seine beiden Söhne, um die er sich doch so hingebungsvoll kümmerte. Und doch erlauben Monteverdis Briefe einen...

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