3. Coaching durch Vorgesetzte
Der Vorgesetzte als persönlicher Coach - diese gleichzeitigen und eventuell sogar widersprüchlichen Rollen schaffen Diskussionsbedarf. Es entstehen zu Beginn bereits vorurteilbehaftete Fragen wie z.B.: „Kann der Vorgesetzte das Problem überhaupt neutral bearbeiten?“ Zudem stellen sich Mitarbeiter häufig die Frage, ob sie Schwächen vor ihrem Vorgesetzten eingestehen dürfen. Der Fokus dieser Arbeit ist auf genau solche Fragen gerichtet. Um die älteste Coaching-Form auf ihre Tauglichkeit zu untersuchen, bedarf es im Folgenden zunächst eines Überblicks über die Fachliteratur.
3.1. Aufgabenfeld Vorgesetzten-Coaching
Die Variante Coaching durch den Vorgesetzten verweist auf den Ursprung von Coaching. Die amerikanische Entwicklung zeigt „[...] einen personen- und entwicklungsorientierten Führungsstil, mit dem Mitarbeiter zu einer persönlichen Weiterentwicklung und zur Verbesserung ihrer Leistungsfähigkeit angeregt werden sollen“.[59] Da Mitarbeiterförderung und -entwicklung wichtige Bestandteile der Führungsaufgabe sind, ist der Gedanke, die Mitarbeiter selbst zu coachen als eine sinnvolle Einstellung zur Aufgabe als Führungskraft zu bewerten, so Fischer-Epe und Hellmich.[60] Einerseits wird Vorgesetzten-Coaching als eine etablierte Idee des entwicklungsorientierten Führens beschrieben. Andererseits gibt es Theoretiker, wie bspw. Schreyögg, die unter dieser Variante lediglich einen anderen Ausdruck eines besonderen Führungsstils sehen und dies nicht explizit als Coaching bezeichnen.[61]
Als Ziel von Coaching fixiert man die optimale Unterstützung eines Individuums zur Selbstorganisation seiner Stärken und Potenziale sowie die Erreichung der persönlichen Selbstverwirklichung zugleich. Wenn der Vorgesetzte als Coach fungiert, entscheidet er sich für einen hohen Stellenwert der Mitarbeiterförderung innerhalb seiner Abteilung und sieht Coaching als Bereicherung seines Führungsstils.[62] Das Coachen von Mitarbeitern ist häufig noch ein Privileg von höheren Managementebenen, da eine Förderung dieser Zielgruppe für das Unternehmen als wirtschaftlicher gilt. Manager liefern die Ideen und somit den Gewinn. Aber es sind nicht nur die Topmanager allein, die für gewisse Unternehmenserfolge verantwortlich sind. Einen bedeutenden Beitrag zu Unternehmensgewinnen leisten Mitarbeiter des mittleren und unteren Managements, so die Zeit nach Wirtschaftspsychologe Oswald Neuberger.[63] Die Vorteile von Coaching werden bei Etablierung auch auf den unteren Hierarchieebenen deutlich. Hellmich betont dazu den Zweck, wenn die Führungskraft ihre eigenen Mitarbeiter coacht. Höhere Leistungsbereitschaft, Qualitätssicherung auf allen Ebenen und Förderung der Mitarbeiter spiegeln den Nutzen von Vorgesetzten-Coaching wider (vgl. Abbildung 5). Da sich die Führungskraft in einem Coaching gezielt auf den Mitarbeiter und seine Situation einstellt, ermöglicht sie eine bestmögliche Weiterentwicklung seines Mitarbeiters. Die Stärken des Mitarbeiters werden gefördert und tragen zu mehr Leistungsbereitschaft und Zufriedenheit bei. Durch die verbesserte emotionale Haltung des Mitarbeiters wird die Kommunikation und damit die Qualität innerhalb eines Bereichs gesichert.
Abbildung 5: Die Bedeutung und Vorteile von Vorgesetzten-Coaching
Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Hellmich, R. (2006), S.15ff.
3.2. Chancen und Grenzen des Vorgesetzten-Coachings
„Alles Reden ist sinnlos, wenn das Vertrauen fehlt.“
Franz Kafka[64]
Ist die Führungskraft in einer coachenden Position, hat dies für alle Beteiligten eine wesentliche Bedeutung. Es verändert die Verhaltens- und Beziehungsebene zwischen Vorgesetztem und Mitarbeiter, auch das Rollen- und Selbstverständnis der Führungskraft selbst durchläuft einen Veränderungsprozess mit Vor- und Nachteilen. Vorgesetzte lernen mit zunehmender Erfahrung im Bereich des Coachings Fragetechniken und bilden sich auf diese Weise zum guten Sparringspartner aus.[65] Ein Coaching geht vom Coachee aus, d.h. ein Mitarbeiter kommt auf seinen Vorgesetzten zu, um z.B. Probleme anzusprechen. Wenn dieser erste Schritt getan ist, zeigt das ein ganz neues Verhältnis zwischen den beiden Organisationsmitgliedern auf. Mitarbeiter und Führungskraft befinden sich in einer tieferen Ebene des Vertrauens, welche den Mittelpunkt in dieser Beziehung bildet.[66] Der Vorgesetzte befindet sich in der Regel in unmittelbarer Nähe und ist mit den Unternehmensumständen vertraut. Einerseits ist dies ein Vorteil, wenn es um eine schnelle Bearbeitung eines Problems geht. Andererseits bringt ein Mitglied aus der eigenen Organisation ein Risiko mit sich, da diesbezügliche Informationen an andere Kollegen herangetragen werden könnten oder sie diese unvermeidlich mitbekommen. Der größte Vorteil kann somit zum Nachteil werden, welcher letztlich auch zum Scheitern eines Coachings führen kann. Wenn keine Vertrauensbasis existiert, kann kein Coaching stattfinden. Der Mitarbeiter muss sich öffnen können und Einblicke in seine Persönlichkeit gewähren, damit der Coach erfolgreich arbeiten kann.[67] Ohne Vertrauen kann sich der Mitarbeiter weder frei entwickeln noch über sich hinauswachsen.[68] Erst wenn der Vorgesetzte einen Überblick über die Anliegen des Mitarbeiters hat, können Lösungen gemeinsam erarbeitet werden. Um eine gute Vertrauensbasis sicherzustellen, müssen gewisse Voraussetzungen geschaffen werden (siehe Abbildung 6):
Zurückhaltung
aktives Zuhören
die Stärken des Mitarbeiters würdigen
Feedback geben können
Einfühlungsvermögen
Diskretion
Abbildung 6: Voraussetzungen für eine gute Vertrauensbasis
Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Dehner, U. (2009), S.19
Ein großes Problem und vor allem eine Grenze dieser Coaching-Variante ist die Zurückhaltung des Vorgesetzten. Als Führungskraft fokussiert man die Verfolgung von Zielvereinbarungen und stellt diese an erste Stelle. Im Coaching sind jedoch nur und ganz allein der Coachee und seine Belange von Bedeutung, ohne jeglichen Einfluss der Bedürfnisse des Coaches. Begibt man sich in die Ursprungsfelder des Coachings, auf sportliches Terrain, kann man deutlich die Grenzen eines Coaches aufzeigen. Der Coach einer Fußballmannschaft muss seine Arbeit im Vorfeld eines Spiels machen. Im Spiel selbst ist er nur Zuschauer. Als guter Coach muss er die Spieler je nach ihren Stärken auf dem Platz positionieren, d.h. mit ihnen und ihrem Potenzial einen Weg aufbereiten, um das Spiel zu gewinnen. Dieses Bild kann man auch auf das berufliche Umfeld übertragen. Richtet sich der Coach ganz und gar nach den Stärken und Bedürfnissen des Mitarbeiters, kann er ihnen die Möglichkeiten aufzeigen, selbst den Weg zum Ziel zu gehen. Als Vorgesetzter muss man nicht nur oft als Vorbild vorausgehen, sondern vielmehr Aufgaben selbst in die Hand nehmen. Daher fällt es Führungskräften schwer, ihren Mitarbeitern freie Hand zu lassen.[69] Sobald sich eine Führungskraft das Ziel setzt, ihre Mitarbeiter zur Selbständigkeit und zu einem eigenverantwortlichen Handeln auszubilden, bedeutet dies zu Beginn einen enormen Zeitaufwand. Zeitmanagement als bekannte Anforderung an die Führungskraft spielt dabei eine wichtige Rolle. Zu beachten ist, dass man anfangs viel Zeit investieren muss, um eine Standortanalyse des Mitarbeiters zu erstellen, die Probleme und Ziele zu definieren und gemeinsam Lösungen zu erarbeiten. Am Ende kann sich der Mitarbeiter selbst helfen und löst die zukünftigen
Probleme selbständig, d.h. der Vorgesetzte kann sich auf andere Aufgaben konzentrieren und muss nicht mehr ständig eingreifen. Auch hier zählt insbesondere das Vertrauen, denn ohne Vertrauen in den Mitarbeiter und Interesse an seiner Weiterentwicklung wird ein solcher Verlauf kaum stattfinden können. Die schwerste Hürde des Vorgesetzten besteht darin, sich als Coach zu beweisen und die nötige Akzeptanz zu erlangen. In vielen Fällen sehen Mitarbeiter in der Person nur den Vorgesetzten und befürchten Sanktionen, sobald sie nicht richtig funktionieren und ihre Aufgaben nicht nach Wunsch der Unternehmensleitung erfüllen können.[70]
Gründe einer Führungskraft, sich gegen ein Coaching auszusprechen, sind etwa die Behandlung von privaten Problemen oder Krankheiten des Mitarbeiters. Falls der Coachee ein Problem mit dem Vorgesetzten selbst hat, ist ebenfalls eine Grenze von Coaching erreicht, denn in solchen Fällen ist es dem Vorgesetzten kaum oder gar nicht möglich, das Problem mittels Coaching zu lösen. In diesem Fall ist offene Kritik im 360° Feedback[71] ein möglicher Lösungsweg. Coaching kann dennoch eine Einsicht bei der Führungskraft selbst hervorrufen und somit einen Lernprozess beim Vorgesetzten initiieren. Somit kann Coaching durch den Vorgesetzten selbst in schweren Situationen eine wertschöpfende Tätigkeit darstellen.[72] Der Mehrwert zeichnet sich hier im Lernprozess des Vorgesetzten und des Mitarbeiters aus, welcher...