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Das Weimarer Fürstenhaus

Eine Dynastie schreibt Kulturgeschichte

AutorKlaus Günzel
VerlagPiper Verlag
Erscheinungsjahr2017
Seitenanzahl240 Seiten
ISBN9783492974462
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis10,99 EUR
Am Weimarer Hof wurde eines der glanzvollsten Kapitel der europäischen Kulturgeschichte geschrieben. Vor allem die Frauen prägten das Gesicht der Dynastie: Herzogin Anna Amalia machte aus dem unbedeutenden Kleinstaat eines der wichtigsten geistigen Zentren des 18. Jahrhunderts. Als ihr Sohn Karl August den jungen Goethe an den Weimarer Hof holt, beginnt der Aufstieg des Fürstenhauses zum strahlenden Mittelpunkt der deutschen Klassik. - Mit leichter Feder zeichnet Klaus Günzel die Geschichte der Weimarer Dynastie und beleuchtet dabei auch die menschlichen Licht- und Schattenseiten ihrer bedeutendsten Persönlichkeiten.

Klaus Günzel, geboren 1936 bei Zittau, arbeitete nach seiner Ausbildung in Leipzig von 1957 bis 1982 als Bibliothekar in Zittau und ist seitdem als freier Autor tätig, unter anderem für »Die Zeit«. Mit zahlreichen Publikationen hat er sich einen Namen als Kenner der deutschen Romantik und Kulturgeschichte der Goethezeit gemacht.

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Leseprobe

2. Kapitel


Begründerin von Weimars Ruhm – Anna Amalia


 

In Braunschweig wurden sich die Fürstlichkeiten sowie ihre Minister und Räte schnell einig, so daß zur Ausfertigung des Ehevertrages geschritten werden konnte. Was tat es, daß die beiden unmittelbar betroffenen Menschen, die Braut mit ihren sechzehn Lenzen und der Bräutigam mit seinen achtzehn Jahren, selber beinahe noch Kinder waren? Eine Fürstenhochzeit in diesem frühen Alter galt als normal und mußte rasch abgewickelt werden, bevor womöglich die geschäftigen Heiratsvermittler der alten Dynastien eine solche Kombination verwirren, hintertreiben und durch eine andere ersetzen würden. Für einen Regenten, zumal für einen so der Aufbesserung bedürftigen wie den Herzog von Weimar, hatte die Eheschließung etwa die gleiche Bedeutung, die heute einem Wirtschaftspakt zukommt.

Ob dem schmächtigen Ernst August Constantin auch die Prinzessin Anna Amalia von Braunschweig-Wolfenbüttel gefallen hat, ist nicht überliefert, es spielte ohnehin keine Rolle. Sie soll ein quicklebendiges Persönchen gewesen sein, von beweglichem, soubrettenhaftem Wesen, obwohl sie Zurücksetzungen innerhalb der Familie erdulden mußte. Sie war ein Kind des Rokoko, zierlich und feingliedrig, ohne im eigentlichen Sinne hübsch zu sein, was allein schon die kräftig ausgebildete, spitz nach vorn springende »braunschweigische Nase« verhinderte. Die großen blauen Augen waren ein Erbteil ihrer Mutter, einer Schwester Friedrichs des Großen, so daß auch Hohenzollernblut in der Welfen-Prinzessin pulsierte.

Die Hochzeitsfeierlichkeiten begannen am 16. März 1756 im Grauen Kloster, dem neuen Braunschweiger Residenzschloß, das erst vor drei Jahren erbaut worden war. Das Spektakel war arrangiert als barocke Haupt- und Staatsaktion, mit Pauken, Trompeten und einhundertfünfzig Böllerschüssen sowie einer opulenten Tafel, an der Angehörige der Braunschweiger Adelsfamilien das Brautpaar bedienten. Nach der Feier löste der Vater der Braut, Herzog Karl I., seiner Tochter die Strumpfbänder und verteilte sie an die umstehenden Komtessen, um ihnen ebenfalls eine baldige Heirat zu wünschen.

Daß am Morgen nach der Hochzeitsnacht der Legationsrat Peter von Stüven in einer langen Rede auch auf die alte Geschichte des Herkules und der lydischen Königin Omphale zu sprechen kam, hing mit dem Bedürfnis zusammen, dergleichen Begebenheiten mythologisch zu drapieren. Anna Amalia war gewiß keine Omphale und Ernst August Constantin noch viel weniger ein Herkules, trotzdem war die antiquarische Anspielung nicht ohne Pikanterie. Agiert doch in der bewußten Sage der sonst so kraftstrotzende Heroe als ein Pantoffelheld, den seine Gemahlin, die Königin von Lydien, beherrscht und zur Frauenarbeit anhält. Man wird nicht geradezu behaupten können, daß in der Ehe der Braunschweigerin mit dem Weimarer eine ähnliche Konstellation waltete, zumal dem jungen Fürsten nur ein kurzes Leben beschieden sein sollte. Aber von den beiden war Anna Amalia die viel stärkere Persönlichkeit, ungeachtet ihrer zarten Statur, und so mag die mythologische Reminiszenz doch nicht ohne tiefere Bedeutung gewesen sein.

Die Hochzeitsfeierlichkeiten dauerten vier Tage, mit Hofbällen, Opernvorstellungen, Feuerwerken und den Darbietungen eines Pantomimentheaters. Dann trat das Paar die Reise an, deren Ziel Anna Amalias neue Heimat war. Am 24. März sah die junge Herzogin vom Ettersberg aus zum ersten Male die Stadt vor sich liegen, mit deren Namen sich der ihrige dann für immer unauflöslich verband – Weimar.

Unter der Regie des erfahrenen Reichsgrafen Bünau hatte man sich einige Überraschungen ausgedacht, um die Residenz der neuen Herrin gehörig zu präsentieren. Ein Husarencorps begleitete schon seit der Landesgrenze die Reisekutsche; die Postillione, mit dem Postmeister an der Spitze, ließen sich auf ihren Hörnern vernehmen. Während die Glocken läuteten, fuhr die Karosse auf feierlichumständlichen Wegen, wie es das Zeremoniell erheischte, zum Marktplatz, wo das Landregiment ins Gewehr trat. Vor dem Schloß stieg das Herzogspaar aus dem Wagen, Anna Amalia im blauen, golddurchwirkten Kleid, umweht von einem Purpurmantel, weiß geschminkt, jedoch reichlich Rouge und das obligate Schönheitspflästerchen auf den Wangen, die gepuderte Frisur pagodenhaft aufgetürmt: eine Rokokofigurine. Von ihrer kosmetisch bewerkstelligten Blässe wird sich die tatsächlich vorhandene Bleichgesichtigkeit Ernst August Constantins, die auf eine gefährdete Gesundheit schließen ließ, beunruhigend abgehoben haben.

Es gab noch eine Militärparade, bevor die Gesellschaft, angeführt vom Grafen Bünau, durch die Säle des Schlosses zur Tafel schritt, wo die Würdenträger des Herzogtums nebst ihren Frauen versammelt waren. Es wurde gespeist und gescherzt, der Tafelmusik und untertänigst vorgetragenen Ansprachen gelauscht; ein paar Residenzler durften von der Galerie des Großen Saales sogar zusehen. Dann bestieg das neuvermählte Paar noch einmal den Wagen, um hinaus zum Lustschlößchen Belvedere zu fahren, das für die Akklimatisierung der jungen Fürstin günstiger zu sein schien als das Stadtschloß. Daß Anna Amalia die vielen strohgedeckten Häuser, die desolaten Straßen und überhaupt das ländliche Erscheinungsbild der Ackerbürgerstadt schon beim ersten Durchfahren aufgefallen sind, darf vermutet werden. Sie bewahrte darüber Stillschweigen, im Gegensatz zu einer Kammerfrau, die aus Braunschweig mitgekommen war. Hier werde wohl, seufzte diese Augenzeugin, »das Tor mit einer Rübe zugesteckt«.

Die braven Bewohner Weimars jedoch schwärmten von ihrer neuen Herzogin, und dies keineswegs nur, weil die meisten vom Hof abhängig waren, sofern sie nicht ihr karges Brot in der Landwirtschaft verdienten. Ein Abglanz der mondänen weiten Welt schien die Dame zu umgeben und die ganze Hofhaltung zu erfüllen, wie man es sich schon lange gewünscht hatte. Anna Amalia lud die Schauspielertruppe des berühmten Carl Theophil Döbbelin zu einem Gastspiel ein und gründete die Hofkapelle neu, deren Leitung sie Johann Bach, einem Verwandten des großen Johann Sebastian, anvertraute. Nur Ernst August Constantin, kränkelnd und schnell ermüdend, trat bei alledem kaum hervor. Um so ehrgeiziger versah der unternehmende Graf Bünau das Amt des leitenden Ministers, eifersüchtig darauf bedacht, daß ihm das junge Herrscherpaar bei den Geschäften nicht in die Quere kam.

Auf alle Aktivitäten fiel ein tiefer Schatten, als wenige Monate nach Anna Amalias Ankunft der Siebenjährige Krieg ausbrach, der das Herzogtum Weimar in eine besonders schwierige Lage brachte. Als nahe Verwandte und Parteigängerin Friedrichs des Großen sympathisierte die Herzogin mit dem König von Preußen. Als Reichsfürstin war sie auf den Kaiser verpflichtet, zumal Friedrich durch seinen Angriff auf Sachsen den Reichsfrieden gebrochen hatte. So wurde das Ländchen zum Tummelplatz preußischer Werber und ungarischer Reiter, die hier marodierten, als gelte es den Feind auszuräuchern. Anfang September 1757 marschierten 380 Mann Reichstruppen in Weimar ein, gefolgt von 200 Dragonern, die das Zeughaus plünderten.

Den Lärm und das Geschrei wird Anna Amalia in ihrer Wochenstube vernommen haben, als sie am 3. September ihr erstes Kind zur Welt brachte: den Erbprinzen Carl August. Mit der Geburt des Thronerben hatte die noch nicht einmal Achtzehnjährige eigentlich die wichtigste Aufgabe erfüllt, deretwegen sie nach Weimar geholt worden war. Über die Erfahrungen, die sie dabei gewann, hat sie später, auch sich selbst gegenüber, Rechenschaft abgelegt: »Im siebzehnten Jahr wurde ich zum ersten Mal Mutter. Könnte ich Ihnen beschreiben das Gefühl, welches ich bekam, als ich Mutter wurde! Es war die erste und reinste Freude, die ich in meinem Leben hatte. Mir war, als wenn ich auch von verschiedenen andern neuen Empfindungen entbunden worden. Mein Herz wurde leichter, meine Ideen wurden klarer: ich bekam mehr Zutrauen zu mir selber.«

Ideenreichtum, Phantasie und Selbstvertrauen sollte Anna Amalia bald dringend benötigen, denn am 28. Mai 1758, nur ein Dreivierteljahr nach der Geburt des Erbprinzen, starb der Herzog Ernst August Constantin, knapp einundzwanzig Jahre alt. Diese tragische Wendung trat zwar nicht ganz unerwartet ein, so daß der Herzog in einem Kodizill zum Testament seiner Frau den Rat hinterließ, sofort ihre Volljährigkeit beim Kaiser in Wien zu beantragen. Gleichwohl geriet die Herzogin durch den allzu frühen Tod ihres Gemahls in eine Situation, die kaum dramatischer sein konnte. Sie war, selber noch nicht mündig, Witwe geworden in einem Land, in dem sie bisher keine festen Wurzeln geschlagen hatte, das sie aber nun regieren sollte und wollte. Die junge Frau sah sich umstellt von Höflingen, gegenüber denen ihr ein waches Mißtrauen angebracht zu sein...

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