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Der Eulenburg-Skandal

Eine politische Kulturgeschichte des Kaiserreichs

AutorNorman Domeier
VerlagCampus Verlag
Erscheinungsjahr2010
Seitenanzahl433 Seiten
ISBN9783593410036
FormatPDF
KopierschutzWasserzeichen/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis36,99 EUR
Der Skandal um Fürst Eulenburg, den besten Freund und zeitweise wichtigsten Berater Kaiser Wilhelms II., erschütterte seit 1906 die Monarchie. Anhand zahlreicher Quellen, darunter rund 5000 Presseartikel, geht Norman Domeier dem Skandal nach und liefert eine Kulturgeschichte der Politik im Kaiserreich. Er zeigt, dass es weniger um die Homosexualität des Fürsten ging: Der Eulenburg- Skandal war vor allem die Initialzündung für eine moderne, kritische Öffentlichkeit in Deutschland. Gleichzeitig aber bot er Gelegenheit, den kommenden Weltkrieg nicht nur politisch, militärisch und ökonomisch, sondern auch moralisch zu rechtfertigen.

Norman Domeier, Dr. phil., ist wissenschaftlicher Assistent am Historischen Institut der Universität Stuttgart.

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Leseprobe
"VI. Deutschlands Außenpolitik und Militär unter dem Verdacht der Homosexualität (S. 301-302)

1. Die Eulenburg-Kamarilla als frankophile Friedenspartei und homosexuelle Internationale


Aus heutiger Sicht mag es befremdlich, beinahe grotesk wirken, Strukturen wie Außenpolitik und Militär unter einen sexuellen Verdacht zu stellen. Die Belle Époque war jedoch das Zeitalter der Prestigepolitik. Dass der Eulenburg- Skandal das Sexualmoralische als Deutungskategorie der angespannten internationalen Beziehungen aufbrachte, wie im Folgenden gezeigt wird, bildete nur die Zuspitzung in einer Kette internationaler Verwerfungen, von der Schnäbele-Affäre 1887, über die Beschlagnahme des Postdampfers »Bundesrat « im Burenkrieg 1899 bis zum Venezuela-Zwischenfall 1902, die vermeintlich lokale und rudimentäre Ereignisse zu Fragen von nationaler Ehre stilisierten. In den Blick rückt damit zugleich die immer noch unterbelichtete gesellschaftliche Dimension der internationalen Beziehungen.

Von einer Kriegspartei innerhalb der Führungsspitze von Regierung, Militär und Diplomatie des Kaiserreiches ist in der politik- und militärgeschichtlichen Literatur häufig die Rede, insbesondere bei der Suche nach den Ursprüngen des Ersten Weltkrieges. Obwohl dieser Begriff ohne ein Pendant kaum Sinn macht, wurde eine Friedenspartei bisher entweder gar nicht oder nur als Silhouette ausgemacht.2 Dabei erahnten schon die Zeitgenossen die Auseinandersetzungen zwischen diesen beiden Einflussgruppen im Arkanbereich der Reichsleitung.

»Der will den Frieden«, kritisierte der Schwarzseher 1906 den Widerstreit innerhalb der wilhelminischen Herrschaftselite, »und jener hält einen ›frischen fröhlichen Krieg‹ für eine nationale Notwendigkeit«.3 Auch in dieser Frage gelang es Maximilian Harden, den Deutungsrahmen vorzugeben, in dem sich die europäische Presse anschließend bewegte. Er erklärte die Eulenburg-Kamarilla zur wilhelminischen Friedenspartei und machte dies plausibel, indem er einen Nexus zwischen einer den nationalen Interessen Deutschlands schädlichen Friedensliebe und Homosexualität behauptete:

Die »träumen nicht von Weltenbränden, haben’s schon warm genug «, so fasste er den Zusammenhang in seiner Zukunft.4 In Politik, Diplomatie und Militär des Auslandes, wurde der Publizist dann Ende 1907 vor Gericht deutlich, denke man über die Staatsführung des Deutschen Reiches, »das sind Homosexuelle […] und deshalb brauchen wir politisch keine Furcht zu haben«. Weil die Mitglieder der Eulenburg-Kamarilla homosexuell waren, mussten sie pazifistisch sein, weil sie pazifistisch waren, mussten sie homosexuell sein, so die Konstruktion dieser Korrelation zwischen Politik und Sexualität.

Aber laut Harden gab es auch eine maskuline Gegenkraft. Mit der Eulenburg-Kamarilla im Widerstreit sah er, was viele Beobachter der Reichspolitik »die Militärpartei nennen, nämlich die Partei unzufriedener, ehrgeiziger Generale.«5 Damit lag für viele allerdings auch auf der Hand, dass die publizistische Speerspitze der Kriegspartei niemand anderes als Maximilian Harden selbst war: »Er würde diesen Vorwurf nicht erhoben haben, wenn er nicht auf der Seite derjenigen gestanden hätte, die in diesem Falle für ›Weltbrände‹ waren, sondern, wenn er auf Seiten derjenigen gewesen wäre, die auf der Seite des Weltfriedens waren«, erklärte General Moltkes Anwalt vor Gericht und unterstrich damit die globale Dimension, die dieser Grundfrage wilhelminischer Politik zugemessen wurde."
Inhaltsverzeichnis
Inhalt8
I.Der deutsche Skandal vor aller Welt12
1.Die transnationale Entgrenzung des Eulenburg-Skandals12
2.Quellen, Methoden, Historiographien18
3. Historischer Kontext und Ereignisgeschichte26
II.Der politische Skandal und die Deutungsmacht der Intellektuellen34
1.Halbe Worte und ganze Männer: Die Pressekampagne gegen die Eulenburg-Kamarilla34
2.Das moralische Überlegenheitsgefühl der wilhelminischen Deutschen44
3.Moralisierung der Politik, Polarisierung der Gesellschaft: der politische Skandal54
4.Die Zuspitzung intellektueller Deutungsmacht im Skandal: Der Intellektuelle wird Politiker67
III.Fließende Übergänge: Politik, Justiz und Presse unter Skandalbedingungen84
1.Vom duellierenden Ehrenmann zum prozessierenden Gentleman: Der 1. Moltke-Harden-Prozess und die Zivilisierung des Ehrverständnisses84
2.Cause Célèbre: Der Sensationsprozess als Forum obrigkeitskritischer Politik99
3.Die Transformation lokaler Gerichtsöffentlichkeit in transnationale Presseöffentlichkeit115
4.Vierte Gewalt wider Willen: Die zunehmende Macht der wilhelminischen Presse127
IV.Die Politisierung von Ehe, Freundschaft und Sexualität144
1.Der Zusammenprall männlicher Unlust und weiblicher Begierde: Eine wilhelminische Ehe wird politisch144
2.Von der Belle Époque ins »Eiserne Zeitalter«: Die Grenzverschiebung von Freundschaft zu Sexualität161
3.Dialektik der Aufklärung: Homophobie als Katalysator heterosexueller Liberalisierung187
V.Die politische und moralische Legitimationskrise der wilhelminischen Herrschaftselite208
1. Der Sturz der Eulenburg-Kamarilla: An den Grenzen von verantwortlicher und unverantwortlicher Politik208
2.Facetten modernen Auserwähltheitsglaubens: Die Aktualisierung des Gottesgnadentums durch Spiritismus235
3.Ästhetischer Antisemitismus: Der Eulenburg-Skandal als Kampf von Germanentum und Judentum250
4.Preußische Fürsten und bayerische Fischer: Die Vitalität des Partikularismus im späten Kaiserreich272
5.»Es gibt noch Richter – aber nicht in Berlin«: Das zweischneidige Schwert der Klassenjustiz284
VI.Deutschlands Außenpolitik und Militär unter dem Verdacht der Homosexualität304
1.Die Eulenburg-Kamarilla als frankophile Friedenspartei und homosexuelle Internationale304
2.Das Verblassen des Moltke-Mythos und die moralischen Rechtfertigungen eines kommenden Krieges330
3.Ernst sein ist alles: Zur Ambivalenz von Satire in Zeiten der Prestigepolitik und Kriegsangst348
VII.Das lange Ende des deutschen Skandals366
1.Abdankung oder Abfindung: Der Deal zwischen Publizist und Reichskanzler366
2.Zusammenfassung370
3.Ausblick376
Quellen und Literatur380
Ungedruckte Quellen380
Gedruckte Quellen384
Literatur393
Dank426
Sach- und Personenregister428

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