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E-Book

Der Preis der Macht

Österreichische Politikerinnen blicken zurück

AutorLou Lorenz-Dittlbacher
VerlagResidenz Verlag
Erscheinungsjahr2018
Seitenanzahl276 Seiten
ISBN9783701745883
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis16,99 EUR
Wie definieren ehemalige Spitzenpolitikerinnen das österreichische Machtgefüge? Persönliche Gespräche über weibliche Karrieren in der österreichischen und europäischen Politik: Der Blick auf die Karrieren von Frauen zeigt, dass es viele sehr weit nach oben geschafft haben, aber niemals bis ganz an die Spitze. Noch nie war eine Frau Bundespräsidentin, noch nie Bundeskanzlerin, noch nicht einmal Kanzlerkandidatin. Ist das Zufall oder ist die österreichische Innenpolitik tatsächlich immer noch eine Männerdomäne? Lou Lorenz-Dittlbacher hat mit ehemaligen Politikerinnen gesprochen und lässt sie ihre Geschichten von Erfolgen und Niederlagen erzählen. Die persönliche Sicht von Präsidentschaftskandidatinnen, Ministerinnen, Landeshauptfrauen und anderen Spitzenpolitikerinnen auf Hindernisse, Erfolge, Kränkungen und den Abschied von der Macht.

Lou Lorenz-Dittlbacher, geboren 1974 in Wien, ist ORF-Moderatorin der ZiB2. Sie begann ihre journalistische Laufbahn im Printbereich, 1997 startete sie ihre Fernsehkarriere zunächst beim Privatsender Wien 1, seit 1999 arbeitet sie beim ORF. Sie war innenpolitische Redakteurin, Moderatorin zahlreicher Informationssendungen und stellvertretende Sendungsverantwortliche der ZiB24. 'Der Preis der Macht' (2018) ist ihr erstes Buch.

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Leseprobe

Brigitte Ederer


»Politik ist extrem spannend, aber auch extrem kränkend«


Selten in der österreichischen Geschichte haben SPÖ und ÖVP so viel Grund, gemeinsam zu feiern, wie am 12. Juni 1994. In der »Nacht der Blaskapellen«, wie sie der Kurier am folgenden Tag nennt, weil in der Wiener Innenstadt die Gardemusik ebenso aufmarschierte wie die Musikkapelle der Floridsdorfer Zentralwerkstätte der ÖBB. Es ist jener Tag, an dem Österreich viel deutlicher für einen EU-Beitritt gestimmt hat, als das in all den Monaten zuvor erwartet wurde. Der Tag, an dem der Ballhausplatz voller blau-gelben Fahnen ist. An dem tausende Menschen der Bundesregierung zujubeln, die sich in seltener Eintracht am Balkon des Kanzleramtes zeigt.

Und es ist der größte Tag in der politischen Karriere von Brigitte Ederer, die heute über den Tag des Referendums sagt: »Zum ersten und einzigen Mal in meinem Leben bin ich einen Meter über dem Boden gegangen.«

Brigitte Ederer ist als Tochter einer alleinerziehenden Mutter im Wiener Arbeiterbezirk Floridsdorf aufgewachsen. Als sie auf die Welt kommt, gibt es schon einen 7-jährigen Bruder, dessen Vater allerdings schon lange tot ist. Ihrem eigenen Vater ist Ederer nur durch Zufall begegnet, und nur ein einziges Mal.

»Als er gehört hat, dass meine Mutter schwanger ist, hat er sich vertschüsst. Ich kenne meinen Vater daher nicht. Ich habe ihn nur einmal gesehen: Da waren wir mit der Mutti im Prater und haben einen Mann getroffen, der mir – was ich damals sehr nett gefunden habe – fünf Schilling gegeben hat, damit ich mit dem Ringelspiel fahren kann. Als ich meine Mutter gefragt habe, wer das war, hat sie gesagt: ›Dein Vater‹. Da war ich sechs oder sieben Jahre alt. An mehr kann ich mich nicht erinnern. Ich habe ihn nur dieses einzige Mal gesehen.«

Hatten Sie nie Sehnsucht danach, Ihren Vater zu treffen?

»Als ich die Matura gemacht habe, hat er mich angerufen und gesagt, dass er mich gerne kennenlernen möchte, aber das wollte ich nicht. Meine Mutter hat damals zu mir gesagt, er habe immer für mich bezahlt, und ich solle doch hingehen. Als ich dann in seine Wohnung gekommen bin, hatte ihn aber zuvor offensichtlich der Mut verlassen. Er war weg. Nur seine damalige Frau war dort, und von ihr habe ich dann erfahren, dass eigentlich immer sie die Alimente für mich bezahlt hat. Meine Mutter wollte nie über meinen Vater sprechen, ihr ganzes Leben lang nicht. Als ich nach ihrem Tod die Wohnung ausgeräumt habe, habe ich seinen Namen auf einem Karton gefunden und eine Adresse in Oberösterreich. Zwei Jahre später sind mein Mann und ich dann dorthin gefahren. Es war ein großer Bauernhof. Ich habe mich dort nicht zu erkennen gegeben, sondern nur gesagt, dass mir meine Mutter immer von ihm erzählt hat. Ich habe dann erfahren, dass mein Vater ein eheliches und vier uneheliche Kinder gehabt hat. Ich war da noch gar nicht miteingerechnet. Von mir haben sie gar nichts gewusst.«

Hat Ihnen dieser Vater nie gefehlt?

»Ich habe einen sieben Jahre älteren Bruder, also eigentlich ist er mein Halbbruder, aber wir sind so eng aufgewachsen, dass das keine Rolle spielt. Und es gab einen Onkel, den Bruder meiner Mutter, der keine Kinder hatte. Er und seine Frau haben uns mit in den Urlaub genommen. Ich bin daher schon relativ früh für ein Kind aus Wien-Floridsdorf in Italien gewesen. Campieren in Caorle, das weiß ich noch genau. Und daher ist mir eigentlich nichts abgegangen.«

Brigitte Ederers Mutter, die selbst nur acht Jahre Volksschule absolviert hat, ist fest entschlossen, dass ihre Kinder es einmal besser haben sollen als sie.

»Und das Beste, das war für sie: Bildung.«

War Ihre Mutter so etwas wie ein Vorbild für Sie?

»Nicht bewusst. Heute würde ich sagen: Ihre Disziplin und ihre Härte zu sich selbst waren schon beispielgebend. Aber es war nie so, dass ich mir gedacht habe: Sie ist ein Vorbild.«

Welche Werte hat sie Ihnen vermittelt?

»Ich hab sie heute noch in meinem Ohr, wenn sie sagt: ›Ich brauche keine Gesetze‹ und ›so etwas tut man nicht. Ich weiß genau, was man tut und was man nicht tut.‹«

Hat sie Ihnen vermittelt, dass Sie alles schaffen können?

»Nein. Meine Mutter hat meine Karriere eigentlich bis zum Schluss nicht sehr geschätzt. Als ich schon Staatssekretärin war, hat sie zu mir gesagt: ›Du kennst doch den Vranitzky, kann dich der nicht in eine Bank bringen?‹ Für meine Mutter wäre es das Höchste gewesen, dass sie von mir zwei Enkelkinder bekommt und ich ihr am Monatsersten in der Bank die Pension auszahle.«

War sie ein politischer Mensch?

»Sie war ein sehr einfacher, ein guter Mensch, sagen wir es so. Und so hat sie sich auch ins politische System eingeordnet. Wenn wir zum Maiaufmarsch gegangen sind, hat sie zu mir gesagt: ›Die Roten sind für uns da.‹«

Das heißt, sie war Sozialdemokratin?

»Sie kommt aus einem tiefschwarzen Elternhaus, aus dem Waldviertel, wo ich auch sehr viel Zeit verbracht habe. Aber sie ist der proletarisierte Teil. Für meine Oma waren Arbeiter Menschen zweiter Klasse. Von ihren vier Kindern hat eine Tochter den Hof geerbt. Die anderen drei waren für sie eigentlich Kinder zweiter Kategorie, aber diesen Bruch hat sie nie wirklich realisiert.«

Hat Sie das politisiert?

»Politisiert wurde ich durch meinen Onkel. Er war in den damaligen Simmering-Graz-Pauker-Werken ein angelernter Arbeiter und überzeugter Sozialdemokrat. Zu ihm kam einmal im Monat, immer an einem Sonntag, der Parteikassier, der den Mitgliedsbeitrag abgeholt hat. Ich habe dann immer aufmerksam zugehört, wenn die beiden politisiert haben. Die ganze Diskussion, dass man bei den Wahlen zu den Roten hält, habe ich schon als Kleinkind mitbekommen. Mein Bruder ist dann mit 18 der SPÖ beigetreten. Und ich selbst bin auch seit meinem 18. Lebensjahr SPÖ-Mitglied.«

Sie waren bei der Sozialistischen Jugend, als Studentin beim VSStÖ. Hat es für Sie also nie eine Alternative zur SPÖ gegeben?

»Nein, weil ich die ÖVP-Dominanz im Waldviertel erlebt habe, und die war mir damals nicht sehr sympathisch.«

Nach der Matura will Brigitte Ederer studieren. Die Mutter rät ihr nicht zu, aber auch nicht ab. Nur eines ist von vornherein klar: wirklich leisten kann sich die Alleinerzieherin das Studium der Tochter nicht.

»Das verbindet mich wahrscheinlich ein Leben lang mit der Sozialdemokratie. Dass ein Studium auch für mich möglich war. Ich habe ein Stipendium bekommen und daneben immer wieder gearbeitet. Und ich habe weiterhin bei meiner Mutter gewohnt. Anders war es nicht möglich.«

Sie haben sich für das Studium der Volkswirtschaft entschieden, das damals bei Weitem nicht so viel Zulauf hatte wie heute. Schon gar nicht von Frauen. Warum Volkswirtschaft?

»Das hatte schon etwas mit meiner Politisierung zu tun. Ich wollte die Regeln des Kapitalismus studieren – in der Meinung, ihn am besten bekämpfen zu können, wenn ich diese Regeln kenne.«

Wie und wo sie den Kapitalismus bekämpfen will, weiß Ederer zu diesem Zeitpunkt noch nicht so genau. Jobangebote kommen jedenfalls zuerst aus der Wirtschaft:

»Als ich fertig war, hatte ich Angebote von drei Banken. Im Studium habe ich ja Betriebswirtschaft gelernt, und ich hatte auch ein bisschen juristisches Know-how. Das war sehr gefragt, aber ich wollte nicht in eine Bank gehen. Ich habe alles darangesetzt, dass ich in die Arbeiterkammer komme, weil ich gefunden habe, dort sind die Köpfe, die wirklich die Welt verändern können.«

Schon 1977, noch während des Studiums, beginnt Ederer in der Wirtschaftswissenschaftlichen Abteilung der Wiener Arbeiterkammer zu arbeiten. Ihr Kerngebiet: die Industriepolitik. Nebenbei schreibt sie ihre Diplomarbeit zum Thema »Steuervermeidung mit Hilfe von Schweizerischen und Liechtensteinischen Holdinggesellschaften«.

»Ich habe mich mit der Frage der Bekämpfung von multinationalen Konzernen beschäftigt. Gott sei Dank ist, als ich damals zu Siemens gegangen bin, nie ein Journalist auf die Idee gekommen, sich anzuschauen, was ich damals geschrieben habe.«

Der Inhalt dieser Diplomarbeit passt mit Ihrem Engagement bei Siemens also nicht zusammen?

»Nein, das passt nicht ganz zusammen, weil ich damals multinationale Konzerne und auch konkret Siemens ganz anders eingeschätzt habe.«

Das Interesse für Politik führt Ederer zur damaligen Staatssekretärin und späteren Frauenministerin Johanna Dohnal. Dort arbeitet sie stundenweise im Büro mit. Dohnal, die auf der Suche nach jungen Sozialdemokratinnen für die Kandidatenlisten ist, wird auf Ederer aufmerksam und bringt sie...

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