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Der Sinn und Wert des Lebens

Vollständige Ausgabe

AutorRudolf Eucken
VerlagJazzybee Verlag
Erscheinungsjahr2012
Seitenanzahl199 Seiten
ISBN9783849612146
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis0,99 EUR
In seinen Büchern 'Der Sinn und Wert des Lebens' und 'Geistige Strömungen der Gegenwart' setzte Eucken sich kritisch mit dem Monismus seines Jenaer Kollegen Ernst Haeckel auseinander, mit dem er persönlich aber befreundet war. Inhalt: Vorworte Einleitung Die älteren Lebensordnungen Die neueren Lebensordnungen Die Wendung des Menschen zu sich selbst Versuch eines Aufbaus Geistesleben und menschliches Dasein Rückblick und Zusammenfassung Konsequenzen für das Leben des Individuums Die Verschiedenheit der individuellen Geschicke

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Leseprobe

Die Sozial- und die Individualkultur

 

Wenn das Dasein Gottes dem Menschen unsicher wird und die Weltvernunft ihm verblaßt, wenn zugleich die Natur bei aller äußeren Annäherung ihm innerlich fremd bleibt und sein Leben in innerer Leere beläßt, so scheint, um unserem Dasein einen Sinn und Wert zu wahren, nur ein einziger Weg noch übrig: die Wendung des Menschen zu sich selbst, die Durchbildung seines eigenen Kreises zur Betätigung aller Kraft und zu möglichst großem Glück. Auch das eröffnet eine neue Art von Leben und Sein. Denn bisher hatte der Mensch auch den eigenen Kreis im Licht einer unsichtbaren Welt, sei es des Gottesreiches, sei es einer Weltvernunft, gesehen und gestaltet; jetzt erst wird er ganz und gar in das sichtbare Dasein gestellt, jetzt kann er unbeschränkt die hier vorhandenen Kräfte entfalten und ungehemmt alle Wege gehen; jetzt verbindet und verflicht ihn mit seinesgleichen nicht erst die Vermittlung einer unsichtbaren Welt, sondern zur vollen Genüge die Welt der Erfahrung selbst. In Wahrheit sind hier Beziehungen in unermeßlicher Fülle entstanden, haben die Kräfte sich zu fruchtbarster Arbeit zusammengefunden, sind auch die Individuen zu voller Entfaltung ihres Vermögens gelangt; was unser Dasein an Not und Leid enthält, das ist erfolgreich angegriffen und weit zurückgedrängt, das ganze Leben hat an Beweglichkeit und Fülle gewonnen, alles zusammen bildet einen gewaltigen Strom von Tatsächlichkeit, der uns mit tausendfacher Wirkung umflutet; so läßt die Bedeutung dieser Wendung des Menschen zu sich selbst sich in keiner Weise bestreiten.

 

Aber mit allem dem ist noch nicht die Frage entschieden, die uns hier beschäftigt, die Frage, ob das Verhältnis von Mensch zu Mensch den beherrschenden Mittelpunkt des ganzen Lebens bilden und diesem einen genügenden Gehalt geben kann. Wir werden finden, daß die Sache keineswegs einfach liegt, daß das Streben sich nicht nur bei sich selbst entzweit, sondern daß auch das Ganze seines Unternehmens auf unüberwindliche Schranken stößt, daß der Mensch sich selbst viel zu klein wird, wenn er sich ganz auf sich selbst beschränkt.

 

Wir suchen den Menschen, den Menschen ohne alle Verwicklung der Weltprobleme, wo aber ist er zu finden? Finden wir ihn im Zusammensein der Gesellschaft, in der Verbindung der Kräfte zu gemeinsamem Leben, oder bei den Individuen in ihrem Fürsichsein und ihrer unbegrenzten Mannigfaltigkeit? Ist es die gegenseitige Anziehung oder die Abstoßung der Individuen, ist es die Summierung oder die Differenzierung der Kräfte, welche den Charakter unseres Lebens zu bestimmen hat? Das sind nicht bloß verschiedene Ausgangspunkte, die demselben Ziele dienen, sondern die Ziele selbst sind hier und dort verschieden, so verschieden, daß das eine fordern, das andere schädigen heißt, daß ihr Nebeneinander das menschliche Leben in völlig widerstreitende Richtungen treibt. Steht nämlich die Gemeinschaft voran und hängt aller Erfolg an ihrem Gedeihen, so muß vor allem das Ganze sicher bei sich selbst befestigt und aller Willkür der Individuen entzogen werden, so hat der Einzelne sich ganz und gar unterzuordnen und einzufügen, so wird, was ihn unterscheidet, den gemeinsamen Zügen nachstehen müssen, die das Zusammensein entwickelt und auch gegenüber den Schwankungen der Zeiten festhält. Eine solche Lebensgestaltung wird ihr Hauptziel darin finden, die äußeren Verhältnisse, die Bedingungen des Lebens, die Ordnung des Zusammenseins und Zusammenwirkens so zu gestalten, daß der Stand des Ganzen möglichst gehoben wird; von da aus scheint auch dem Einzelnen Glück und Behagen ohne weiteres zuzufließen. Denn er hängt hier, so scheint es, auch in seinem Innern, er hängt bis in seine Wünsche und Träume hinein am Stande des Ganzen, er ist ein Erzeugnis des "Milieu". Auf der anderen Seite dagegen wird zur vernehmlichsten Sorge, das Individuum in seinem Fürsichsein zu stärken, es von aller Bindung zu befreien und zu voller Entfaltung seiner Eigentümlichkeit zu führen; dieser Zug wird auf möglichste Beweglichkeit und Flüssigkeit des Lebens dringen, alles Festwerden als ein Erstarren, alles Gleichmachen als eine unerträgliche Schablonisierung verwerfen. Wo liegt nun der Kern des menschlichen Daseins, hier oder dort, in der Gemeinschaft oder in den Individuen?

 

Daß hier ein schroffer und bedeutender Gegensatz vorliegt, das bestätigt die Erfahrung der Weltgeschichte. Denn sie zeigt, daß in den Jahrhunderten große Wogen einander folgten und oft einander durchkreuzten, und daß ihr Auf- und Absteigen mehr als irgend etwas anderes den Charakter der Hauptepochen bestimmte. Nachdem der Verlauf des Altertums mehr und mehr die überkommenen Ordnungen zersetzt und den Schwerpunkt des Lebens in die Individuen verlegt hatte, erfolgt gegen sein Ende ein immer stärkerer Rückschlag zugunsten einer festeren Verbindung, philosophische Schulen wie religiöse Kulte schließen die Individuen enger zusammen und lassen sie sich gegenseitig stützen und fördern; das Christentum nimmt die Bewegung auf und führt sie bei wachsendem Verlangen nach einem sicheren Halt und nach Befreiung von eigener Verantwortlichkeit schließlich dahin, daß die religiöse Gemeinschaft, die Kirche, zur alleinigen Trägerin göttlicher Wahrheit und göttlichen Lebens wird, der Einzelne einen Anteil daran nur durch ihre Vermittlung erlangt. So gab die Kirche der Menschheit ihre Gedankenwelt und ihr Gewissen. Auch das politische und soziale Ordnungssystem des Mittelalters gewährt dem Einzelnen nur innerhalb des Ganzen einen Wert.

 

Wie im Gegensatz zu solcher Stimmung und Schätzung das Individuum wieder mehr Mut und Kraft bei sich selbst gewann, wie es bei Wachstum dessen die alte Ordnung zerbrach, die Selbständigkeit des Einzelnen zur Hauptsache machte, und wie die Ausbreitung dieses Strebens über alle einzelnen Lebensgebiete eine neue Epoche aufsteigen ließ, deren höchstes Ideal die Freiheit war, das wissen wir heute alle. Aber wir wissen auch, daß dies Ideal die Gegenwart nicht mehr ausschließlich einnimmt, daß vielmehr ein merkwürdiges Anschwellen des Lebens ins Große und Riesenhafte, eine wachsende Häufung elementarer Kräfte und Massen, vornehmlich aber ein Entstehen schroffer, das menschliche Dasein zerreißender Gegensätze, ein starkes Verlangen nach einem engeren Zusammenschluß der Einzelnen und nach einer Leitung des Lebens durch eine überlegene Macht entzündet haben. Das zeigen besonders klar die sozialen Bewegungen, aber es reicht jener Zug weit über sie hinaus, durchgängig erscheint ein Streben der Individuen sich enger zu verbinden und dadurch zu stützen wie zu stärken, eine Neigung, die Aufgaben gemeinsam anzugreifen und den Kampf gegen die Widerstände gemeinsam aufzunehmen. Wie viel Bewegung zur Assoziation, zur Bildung von Bünden auch geistiger Art, zu Sekten und so weiter, zeigt unsere eigene Zeit, in weitem Abstand von der Zeit unserer Klassiker, die alles Gelingen auf die Kraft selbständiger Individuen stellte! So wird der Mensch der Gegenwart nach entgegengesetzter Richtung gezogen und unter widerstreitende Schätzungen gestellt. Emanzipation von allem, was den Menschen bindet und einengt, das ist noch immer für viele das Losungswort, und diese Emanzipation dringt in mancher Richtung immer noch vor; Verbindung zum Ganzen, Organisation der in ihrer Zerstörung machtlosen Kräfte, das ist das Losungswort der anderen Seite, und wir kennen die Kraft, mit der auch dieses den modernen Menschen packt. Emanzipation und Organisation aber erzeugen grundverschiedene Bilder des Lebens; wie könnten wir bei solcher Entzweiung über seinen Sinn je einig werden, wie sollte nicht vielmehr die Unsicherheit, die jener Konflikt erzeugt, allen solchen Sinn zerstören?

 

Indes jede einzelne Richtung hat die Hoffnung, aus eigenem Vermögen das Leben ganz zu erfüllen und vollauf zu befriedigen, wenn sie nur zu reinem Siege, zu unbegrenzter Herrschaft gelange; diese Hoffnung flößt den Bewegungen Kraft und Leidenschaft ein und gewinnt ihnen zahlreiche Freunde. Aber eine genauere Prüfung zeigt alsbald, daß jeder einzelne dieser Typen, ausschließlich durchgesetzt, das Leben unerträglich verengt und alles Sinnes beraubt.

 

Die Sozialkultur darf sich auf einen allgemeineren Gedanken berufen, den niemand anfechten kann: auf den engen Zusammenhang des Einzelnen mit der Menschheit und die Bindung seines Wirkens und Denkens an sie. Eigenes Miterleben des Gesamtgeschickes der Menschheit und hilfreiches Wirken für den Nächsten, das haben von jeher die Religionen zum Prüfstein echter Gesinnung gemacht, und wenn zu schöpferischer Arbeit der Mensch der Einsamkeit bedarf, so bleibt auch dieser Einsamkeit die Menschheit innerlich gegenwärtig und übt eine richtende Kraft; arm und kläglich die Seele, welche auch diese innere Bindung abwirft oder nur meint, sie abwerfen zu können. Aber eine solche Beziehung zur Menschheit fordert einen inneren Zusammenhang des Ganzen, sie setzt voraus, daß eine neue und höhere Welt, ein Reich Gottes oder eine geistige Ordnung, in der Menschheit erscheint und den Menschen über die Vereinzelung und über die Zwecke des natürlichen Daseins hinaushebt; dies aber ist nicht die Meinung der Sozialkultur, sie löst alle Zusammenhänge mit unsichtbaren Größen und Mächten, sie kennt kein jenem Dasein überlegenes Ziel, sie sieht in der Menschheit nur ein Zusammentreffen der Individuen in der nächsten, der sichtbaren Welt. Das aber kann sie nicht ohne die Ziele des Strebens eng zu begrenzen, sowie den Begriff der Menschheit herabzudrücken. Bei jener Preisgebung aller inneren Zusammenhänge bleibt als leitendes Ziel nur das Befinden der Individuen, ein Stand der Gesellschaft, der...

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