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Der Zweite Weltkrieg als Rundfunkkrieg

Organisation und Inhalte der Rundfunkpropaganda 1939-1945 am Beispiel Deutschlands und Großbritanniens

AutorJohannes Kaufmann
VerlagGRIN Verlag
Erscheinungsjahr2012
Seitenanzahl90 Seiten
ISBN9783656097099
FormatePUB/PDF
Kopierschutzkein Kopierschutz
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis29,99 EUR
Examensarbeit aus dem Jahr 2007 im Fachbereich Geschichte Europa - Deutschland - Nationalsozialismus, II. Weltkrieg, Note: 1,0, Technische Universität Carolo-Wilhelmina zu Braunschweig (Historisches Seminar), Sprache: Deutsch, Abstract: Live übertragene politische Reden bei Massenversammlungen, Volksempfänger und ideologische Indoktrination über den Äther direkt ins Ohr des Hörers sind die Stereotypen, die oft das Bild des nationalsozialistischen Rundfunks bestimmen; ein Bild von der Allmacht der Propaganda, der der Rezipient schutzlos ausgeliefert ist. Ist die These von der Verführung des Volkes durch die Propaganda haltbar? Handelt es sich dabei nicht vielmehr um eine Rechtfertigungsstrategie, die dem Vorwurf des Mitläufertums und der Mitschuld an den Verbrechen des NS-Regimes die Unmündigkeit und Manipulierbarkeit des Volkes entgegenstellt? Diese Fragen lenken den Blick nicht nur auf das Programm des NS-Rundfunks, seine Organisationsstruktur und seine Verwurzelung in der Bevölkerung, sondern auch auf den Umgang der Rezipienten mit dem staatlich gelenkten Medienangebot. Sie werfen wiederum neue Fragen auf: nach der Rolle der Konsumenten innerhalb des Mediengefüges; nach ihren Möglichkeiten der Einflußnahme und natürlich auch nach der Konkurrenz um die Macht der Wirklichkeitsauslegung für die deutsche Bevölkerung. Denn neben dem gleichgeschalteten deutschen Kriegsrundfunk machten viele Hörer von der nicht ungefährlichen Möglichkeit Gebrauch, alternative Informationsquellen als Gegengewicht zur NS-Propaganda zu konsultieren. Der Deutsche Dienst der BBC erhielt dabei eine herausragende Bedeutung. Die Gestapo schätzte 1941 die Zahl der Hörer des Londoner Senders auf eine Million. Drei Jahre später rechnete die BBC bereits sehr viel großzügiger mit 10 bis 15 Millionen deutschen Hörern. Zwar sind solche Schätzungen nicht sehr verläßlich, doch lassen sie den Erfolg des deutschen Programmes der BBC zumindest erahnen. Daß die NS-Führung dieses Problem ernst nahm, beweisen ihre juristischen Maßnahmen. Noch am 1. September 1939 trat die 'Verordnung über außerordentliche Rundfunkmaßnahmen' in Kraft, die langjährige Freiheitsstrafen, im schlimmsten Fall sogar die Todesstrafe für das Hören von Feindsendern androhte. Eine Analyse der Rundfunkpropaganda des 2. Weltkrieges kann folglich den wichtigsten Konkurrenten des NS-Rundfunks nicht unberücksichtigt lassen. Es gilt zu klären, mit welchen Strategien der Londoner Sender versuchte, das Informationsmonopol des deutschen Rundfunks zu brechen und die Hörer zum riskanten Abhören des 'Feindsenders' zu bewegen.

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Leseprobe

 

1. Einleitung

 

„Wollt ihr den totalen Krieg?“.[1] Spätestens seit Joseph Goebbels Millionen Fernsehzuschauern diese Worte alle zehn Minuten in Guido Knopps ca. 600 minütiger ZDF-History-Sendung „100 Jahre“ entgegenbrüllte, ist die berüchtigte Sportpalastrede vom 18. Februar 1943 zumindest in Auszügen jedem Deutschen bekannt. Live übertragene politische Reden bei Massenversammlungen, Volksempfänger und ideologische Indoktrination über den Äther direkt ins Ohr des Hörers sind die Stereotypen, die oft das Bild des nationalsozialistischen Rundfunks bestimmen; ein Bild von der Allmacht der Propaganda, der der Rezipient schutzlos ausgeliefert ist. Schon die Fassade dieses Paradebeispiels der erfolgreichen Massensuggestion beginnt unter dem prüfenden Blick zu bröckeln: Nicht nur, daß die ins ganze Reich gesendete Begeisterung des Publikums bei Goebbels‘ Rede keinesfalls spontan war – die Zuschauer waren sorgfältig ausgewählt und bezüglich der Passagen, die sie begeistern sollten, vorher instruiert worden[2] –, auch die Hörer an den Radios hegten ihre Zweifel. So machte bald nach der Rede die Frage nach dem größten deutschen Bauwerk die Runde sowie die dazu passende Antwort: ‚Der Sportpalast, denn in ihn geht angeblich das ganze deutsche Volk hinein‘.[3]

 

Ist die These von der Verführung des Volkes durch die Propaganda also haltbar?

 

Handelt es sich dabei nicht vielmehr um eine Rechtfertigungsstrategie, die dem Vorwurf des Mitläufertums und der Mitschuld an den Verbrechen des NS-Regimes die Unmündigkeit und Manipulierbarkeit des Volkes entgegenstellt?

 

Diese Fragen lenken den Blick nicht nur auf das Programm des NS-Rundfunks, seine Organisationsstruktur und seine Verwurzelung in der Bevölkerung, sondern auch auf den Umgang der Rezipienten mit dem staatlich gelenkten Medienangebot. Sie werfen wiederum neue Fragen auf: nach der Rolle der Konsumenten innerhalb des Mediengefüges; nach ihren Möglichkeiten der Einflußnahme und natürlich auch nach der Konkurrenz um die Macht der Wirklichkeitsauslegung für die deutsche Bevölkerung.

 

Denn neben dem gleichgeschalteten deutschen Kriegsrundfunk machten viele Hörer von der nicht ungefährlichen Möglichkeit Gebrauch, alternative Informationsquellen als Gegengewicht zur NS-Propaganda zu konsultieren. Der Deutsche Dienst der BBC erhielt dabei eine herausragende Bedeutung. Die Gestapo schätzte 1941 die Zahl der Hörer des Londoner Senders auf eine Million. Drei Jahre später rechnete die BBC bereits sehr viel großzügiger mit 10 bis 15 Millionen deutschen Hörern.[4] Zwar sind solche Schätzungen nicht sehr verläßlich, doch lassen sie den Erfolg des deutschen Programmes der BBC zumindest erahnen. Daß die NS-Führung dieses Problem ernst nahm, beweisen ihre juristischen Maßnahmen. Noch am 1. September 1939 trat die ‚Verordnung über außerordentliche Rundfunkmaßnahmen‘ in Kraft, die langjährige Freiheitsstrafen, im schlimmsten Fall sogar die Todesstrafe für das Hören von Feindsendern androhte.[5]

 

Eine Analyse der Rundfunkpropaganda des 2. Weltkrieges kann folglich den wichtigsten Konkurrenten des NS-Rundfunks nicht unberücksichtigt lassen. Es gilt zu klären, mit welchen Strategien der Londoner Sender versuchte, das Informationsmonopol des deutschen Rundfunks zu brechen und die Hörer zum riskanten Abhören des ‚Feindsenders‘ zu bewegen.

 

Der Begriff der Propaganda

 

Propaganda... ein unentbehrliches Fremdwort, also zu übersetzen mit ,Dingsda..., Sie verstehen schon, was ich meine!‘ Nein, wir verstehen uns ganz und gar nicht! Jeder versteht unter dem Dingsda etwas anderes.“[6]

 

Die Begriff Propaganda hat eine lange Geschichte und unterlag dabei immer wieder vielfältigen Definitionsversuchen.[7] Sein scheinbar unkontrollierbares Schillern hat sogar zu der Forderung geführt, „Propaganda als einen vorwissenschaftlichen und somit im strengen Sinne unbrauchbaren Begriff auf sich beruhen zu lassen“.[8]

 

Die Versuche, dem Begriff seine Unschärfen zu nehmen, reichen von der sehr weitgefaßten Beschreibung als „Handeln in beeinflussender Absicht“[9], die weder das Thema noch die Akteure in irgend einer Form eingrenzt, bis zu Propagandabegriffen, „die ihren Gegenstand im Sinne totalitärer Informationskontrolle definieren“[10], ihn also auf repressive Staatsformen und auf die direkte, womöglich plumpe politische Suggestion beschränken und mit der Ausübung staatlicher Gewalt verbinden.

 

Einer Analyse des NS-Rundfunks ließe sich eine derartige Propagandadefinition durchaus zugrunde legen, stimmt sie im Großen und Ganzen doch mit zeitgenössischen Propagandavorstellungen überein. Hitler betrachtete Propaganda als Mittel zum Zweck, als Instrument zur Massenbeeinflussung, das keinem moralischen Urteil unterliege und allein der Intention des Anwenders diene. Dies sei „die allererste Voraussetzung jeder propagandistischen Tätigkeit überhaupt: nämlich die grundsätzlich subjektiv einseitige Stellungnahme derselben zu jeder von ihr bearbeiteten Frage“.[11] Da für Hitler die Propaganda per se wertfrei war, waren demnach auch moralische Kategorien wie Wahrheit oder Lüge nicht darauf anwendbar. Das führte in letzter Konsequenz sogar dazu, daß er der psychologischen Kriegführung der Alliierten während des Ersten Weltkriegs aufgrund ihrer Effektivität Respekt zollte, indem er sie als „Greuelpropaganda, die in ebenso rücksichtsloser wie genialer Art die Vorbedingungen für das moralische Standhalten an der Front sicherte“[12], bezeichnete.

 

Mit einer solchen Definition ließe sich jedoch kein zufriedenstellender Vergleich mit dem Deutschlandfunk der BBC bewerkstelligen, da dieser außerhalb des Propagandabegriffs beschrieben werden müßte. Die pejorative Färbung, die diesem Ausdruck innewohnt und trotz Hitlers Umdeutungsbestrebungen sogar von ‚Propagandaminister‘ Goebbels gefürchtet worden sein muß, als er versuchte, den Begriff Propaganda aus der Bezeichnung seines neu eingerichteten Ministeriums zu streichen und durch ,Kultur‘ zu ersetzen[13], würde einer unvoreingenommenen Herangehensweise im Wege stehen.

 

Hitlers Vorstellung von Propaganda wurde geprägt durch die Erfahrungen des Ersten Weltkriegs. In der Überzeugung, daß der Krieg nicht auf dem Schlachtfeld, sondern an der Heimatfront verloren worden sei, griff er die Furcht vor der unheilvollen Macht der Propaganda auf, um in dieser einen Beweis für ihre Effektivität und damit einen Grund zur Nachahmung zu sehen oder sogar zum Versuch, diese zu übertreffen.

 

Auch in Großbritannien bestimmten die Erfahrungen und Deutungen des Ersten Weltkriegs das Bild von der Propaganda. Doch gereichte der Mythos ihrer Macht ihr hier zu keinem guten Ruf. Im Gegenteil: Die britische Bevölkerung zeigte sich schockiert vom Ausmaß der Manipulation. In der eigenen Greuelpropaganda sah man die Ursache für die Kriegswilligkeit, und die Presse beschwor das Schreckensbild einer unheilvollen Massensuggestion, die jederzeit zu einem neuen Krieg führen könnte.[14] Entsprechend war das Wort Propaganda für einen Großteil der Engländer ein ausgesprochen negativer, ja verabscheuenswürdiger Begriff. „The word ‘propaganda‘, in fact, had a distasteful sound to English ears, and was generally associated with the lies, bluster and name-calling favoured by the totalitarian powers“[15], stellte der Amerikaner Charles J. Rolo 1943 fest. Nicht nur, daß der Ausdruck an sich gemieden wurde – das zu Beginn des Kriegs neu eingerichtete Pendant zu Goebbels Ministerium bekam die wesentlich weniger belastete Bezeichnung Ministry of Information –, innerhalb der BBC wurde sogar diskutiert, ob jegliche Form der Ausweitung des Programms des Deutschen Dienstes nicht bereits Propaganda darstelle und somit grundsätzlich abzulehnen sei.[16] Ende September 1939 verzichtete die BBC auf die Ausstrahlung einer Sendereihe über die Men of the hour (Stalin, Hitler, Deladier), weil man der eigenen Objektivität mißtraute und Propaganda vermeiden wollte.[17] Und am 3. November versicherte das Home Service Board, das neu gegründete Führungsgremium der BBC, daß „propaganda, in the sense of perversion of the truth [...] not in accordance with BBC policy“[18] sein könne.

 

Auch in der britischen Presse wurde an einen Unterschied zwischen ‚Information‘ und ‚Propaganda‘ und an die Verpflichtung Großbritanniens objektiv, ja sogar wahrheitsgetreu zu informieren, geglaubt. So verkündete der New Statesman sofort nach dem deutschen Einmarsch in Polen: „It is strictly true that Britain to-day has no need of propaganda. The Ministry of Information can be a Ministry of Information and not a Ministry of Lies, Dr Goebbels has made truth Britain’s greatest asset”.[19]

 

Diese Überlegungen machen die Notwendigkeit deutlich, einen Propagandabegriff zu finden, der sich von den zeitgenössischen Vorstellungen unterscheidet und der sowohl das Programm des NS-Rundfunks als auch das der BBC umfaßt....

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