Frau Altenschul, die Opfer des Holocaust geworden ist, empfängt in ihrer Villa in der Voßstraße in Berlin Max Liebermann und weitere Personen, die sich in Gesellschaft bei Champagner angeregt unterhalten möchten. Der begabte Pianist Rudolf Lewanski, der mit 28 Jahren von Nationalsozialisten in Litzmannstadt erschossen worden ist, besucht ebenfalls die Gesellschaft in der Villa Altenschul.
Frau Altenschul versucht Lewanski dazu zu überreden in Berlin zu bleiben und ein Klavierkonzert zu geben. Einige Zeit später findet ein Konzert im Westflügel des Charlottenburger Schlosses statt, welches erfolgreich ist.
Ein von Schulze-Bethmann angekündigter Besucher möchte Lewanski zu seinem Erfolg gratulieren. Als Lewanski die SS-Uniform des Mannes erblickt, bewirft Lewanski ihn und versucht ihn zu vertreiben; der Mann in Uniform taucht allerdings immer wieder plötzlich auf und der Pianist merkt die Narbe an seinem Hals, die auf seine Hinrichtung deutet. Auf die Bitte von Frau Altenschul willigt Lewanski schließlich ein, ein großes Konzert vor großem Publikum in der Alten Philharmonie zu geben.
Auf dem Weg zur Philharmonie verirrt sich Lewanski und steht plötzlich vor einem Erdhügel in der Wilhelmstraße. Von dem Uniformierten wird er durch die neue Reichskanzlei geführt. Dort sind tausende Menschen versammelt und eine Frau begrüßt ihn und heißt ihn willkommen. Lewanski spielt die E-Dur-Sonate Opus 109 von Ludwig van Beethoven, bricht diese dann plötzlich ab, steht auf und sagt:
„Litzmannstadt, Litzmannstadt. Ich bitte um Entschuldigung, Sie hören es selbst. Um diese spielen zu können, sollte ich erwachsen sein. Man hat mich zu früh aus dem Leben gerissen.“[41]
Seit diesem Zeitpunkt ist Lewanski plötzlich verschwunden und bleibt unauffindbar.
Frau Altenschul kann nicht begreifen, warum Lewanski lieber vor den Mördern als vor seinen Leidensgenossen spielt und daraufhin entgegnet ihr Schulze-Bethmann:
„Sehen Sie, es hat doch keinen Zweck, jene Unterscheidung, die wir im Leben treffen, nämlich die zwischen Gut und Böse, im Tode beizubehalten […]“.[42]
Die Handlung der Novelle spielt sich nur unter Toten ab, in einer Art Parallelwelt. Trotz der Tatsache, dass die Protagonisten nicht mehr am Leben sind, bewegen sie sich im Nachkriegsberlin und zugleich in jenem Berlin, wie es vor der Zerstörung zur Zeit des zweiten Weltkriegs war. Deutlich wird das an folgendem Zitat:
„Für ihn war die Gegend, die man Unter den Linden nannte, noch in dem Zustand, den er vor Augen gehabt hatte, bevor er gestorben war. Aber er hatte auch, und ist das Geheimnis der Toten, den Blick für das Gegenwärtige, und so sah er gleichzeitig, daß es diese Schloß nicht mehr gab und dass man eben an jenem Platz, auf den er sich zu bewegte, eine Monstrosität aus Glas und Beton errichtet hatte.“[43]
Immer wieder gerät der Leser in Zweifel, was nun an der Beschreibung real ist und was nicht – schließlich wird erst nach einiger Zeit deutlich, dass die Toten zwar die Lebenden wahrnehmen, die Lebenden jedoch nicht die Toten. Die Verwirrung entsteht vor allem durch die nüchterne Beschreibung Langes, wo Tote Zigaretten rauchen, übermüdet sind, im Tiergarten spazieren gehen, ihre Garderobe wechseln und in Villen wohnen, die es nicht mehr gibt.[44]
Schon bei dem ersten Satz der Novelle ist erkennbar, dass die Parallelwelt ganz ähnlich der der Lebenden gestaltet wird. Die Toten treffen sich in einer alten Villa bei Frau Altenschul, um in feiner Gesellschaft zu verweilen und die Erlebnisse ihrer schrecklichen Todesumstände zu vergessen.
„Wer unter den Toten Berlins Rang und Namen hatte, wer es überdrüssig war, sich unter die Lebenden zu mischen, wer die Erinnerungen an jene Jahre, in denen er sich in der Zeit befand, besonders hochhielt, der bemühte sich früher oder später darum, in den Salon der Frau Altenschul geladen zu werden, und da man wusste, wie sehr die elegante, zierliche, den Dingen des schönen Scheins zugetane Jüdin dem berühmten Max Liebermann verbunden war, schrieb man an die Adresse jene Villa am Wannsee, in der man die Anwesenheit des Malers vermutete.“[45]
Die Toten machen also genau das, was die Lebenden auch machen. Nur eins, und das fällt auf, machen sie nicht – sie werden nicht älter und verharren in ihrer Situation – so auch der Protagonist Lewanski, der mit 28 Jahren aus dem Leben gerissen wurde.[46]
Wie selbstverständlich erscheint es dem Leser, dass der Protagonist Lewanski als Grenzgänger zwischen Diesseits und Jenseits, zwischen dem Nachkriegsberlin und dem Berlin der NS-Zeit wahrgenommen wird. Die Feststellung, dass Lange „in vielen seiner Novellen solche Situationen des Grenzüberschreitung thematisiert und die faktische Realitätserfahrung seiner Protagonisten so zum Imaginären hin öffnet, dass die Wirklichkeitsrequisiten jede Zuverlässigkeit verlieren und sich schemenhaft auflösen“[47], trifft auf Das Konzert unbestritten zu.
Zugleich scheint es fast so, „als bestünde die Möglichkeit, das jetzt zu Ende zu führen, das ihnen die faktische Realität vorgehalten hat“[48].
Hartmut Lange schafft es wie kaum ein anderer die Thematik des Holocaust und insbesondere die Beziehung zwischen Opfern und Tätern auf ganz besondere Art und Weise darzustellen. Die Massenvernichtung der Juden, die damit einhergehende Brutalität und vor allem die Grausamkeit werden in Das Konzert durch die Protagonistin benannt und dargestellt. Die Opfer und die Täter begegnen sich in der Parallelwelt und sind, aller Gegensätzlichkeiten zum Trotz, durch den Tod miteinander verbunden.
Die Konfrontation der Opfer mit den Tätern fällt in der Novelle Langes unterschiedlich aus. Während der Novellist Schulze-Bethmann sich mit seinem Mörder konfrontiert, wird bei der Schilderung des Spaziergangs von Frau Altenschul und Lewanski deutlich, dass Lewanski seinen Mörder verachtet:
„[…] Lewanski erkannte in der Dunkelheit eine Gestalt, die eine Schirmmütze in den Händen hielt und die, den Kopf erhoben, den Oberkörper leicht nach vorn gebeugt, zu ihnen herüber sah, so, als wollte sie mit einem Anflug von Unterwürdigkeit grüßen, „jener dort“, sagte Frau Altenschul, „bemüht sich seit Jahren darum, mir seine Visitenkarte zu überreichen. Aber glauben Sie mir, er wird meinen Salon nicht betreten.“[49]
Bei der Betrachtung der Auseinandersetzung der Opfer und Täter wird besonders deutlich, dass die Begleichung der Schuld nicht im Tod nachgeholt werden kann.[50]
Dies gilt jedoch in der Novelle selbst nicht für den Novellist Schulze-Bethmann. Der Zirkel von Hass und Gewalt findet für ihn im Tod sein Ende.
„Denn eines müsse der Mörder, spätestens nachdem er den Zustand seines Opfers erreicht hätte, erfahren: Daß seine Tat sinnlos gewesen sei und dass er sie ebenso gut hätte unterlassen können. Und daß dies, fügte er hinzu und war ganz ernst und darum bemüht, seine Augen, die allen Glanz verloren hatten, nur noch auf die Spitzen seiner Schuhe zu richten, daß dies, wiederholte er, solange wir bei Atem sind, nie geschieht, daß wir einander bei guter Gesundheit und in bester Absicht immer nur hassen, demütigen, quälen, töten können, daß es uns nie gelingt, unserem Dasein wenigstens, indem wir einander freundlich begegnen, einen Schein von Berechtigung zu geben… „Dies“, sagte Schulze-Bethmann , „nenne ich den Wahnsinn des Lebens, und Sie werden einsehen, daß ich keine allzu große Lust habe, einen derartigen Zustand, nachdem man mich frühzeitig darum gebracht hat, im Tode nachzuholen.“[51]
Der Protagonist Lewanski, der von einem Schatten verfolgt wird und daraufhin einen Wutanfall bekommt, steht symbolisch für die Annahmen, dass die Schuld der Täter des Nationalsozialismus nicht vergeben werden, auch nicht im Tod. Damit vergeben werden kann, bedarf es einer Instanz. Lewanski jedenfalls kann es nicht.
Die Verfolgung des Schattens, sein plötzliches Auftauchen und der plötzliche Wechsel der beschriebenen Szenerien lösen Verwirrung aus. Diesen Verwirrtheitszustand beim Leser hervorzurufen, gehört definitiv zur besonderen Fähigkeit des Autors. Plötzliches Verschwinden, vom eigentlichen Weg abzukommen und an andere Stelle anzukommen verstärkt den Eindruck der Verwirrung. So ergeht es Lewanski, der sich auf dem Weg zu seinem eigentlichen Konzert verläuft und sich im Bunker der ehemaligen Reichskanzlei zwischen vielen Menschen wiederfindet.
Aust trifft es auf den Punkt, wenn er beschreibt, dass nie deutlich wird, warum und wann ein geschildertes Ereignis stattfindet. Der Leser findet sich bei der...