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E-Book

Die Frau mit dem roten Sackerl

AutorPeter Neumann
Verlagnovum pro Verlag
Erscheinungsjahr2016
Seitenanzahl460 Seiten
ISBN9783990484074
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis11,99 EUR
Am Tag, an dem sich die Unterzeichnung des österreichischen Staatsvertrags zum sechzigsten Mal jährt, spazieren Josef und Petra durch den Belvederepark, erinnern sich - und sie fragen sich: Was wäre in Österreich und Europa passiert, wäre es nicht zur Unterzeichnung dieses Vertrags gekommen? Genau davon handelt dieser Roman. Josef erlebt seine Jugend im sowjetisch besetzen Sektor Wiens, und die ideologisch eingefärbte Propaganda wirkt sich auch auf das ganz alltägliche Leben aus. Josef verliebt sich in die Tochter eines Sowjetoffiziers, doch auf einmal ist die Familie wie vom Erdboden verschluckt. Auch seine nächste Liebe wird durch die äußeren Umstände erschwert - um endgültig zu ihr zu gelangen, muss er einen Fluchtversuch in den Westen unternehmen, doch dieser misslingt. Als dann 1989 die Grenzen geöffnet werden, erlebt er eine unerwartete Überraschung ...

Peter Neumann wurde 1947 in Berlin geboren. Von 1954-1964 besuchte er die Mittelschule, es folgte eine Lehre als Außenhandelskaufmann von 1964-1967. Danach arbeite er als Buchhalter in einem Berliner Außenhandelsbetrieb, daneben absolvierte er bis 1971 ein Fernstudium an der Fachschule für Außenwirtschaft. Von 1971-1976 war er Amtsleiter eines kirchlichen Verwaltungsamtes der Evangelischen Kirche in Berlin. 1976 reiste er aus der DDR nach Wien aus, dort war er in diversen Steuerberatungskanzleien tätig. 2006 machte er sich als Buchhalter selbstständig und arbeitete in diesem Beruf bis zur Pensionierung. Er interessiert sich sehr für die Philatelie, schwimmt und wandert gerne, und natürlich gehören auch das Schreiben und die Literatur zu seinen Interessen. 2005 veröffentlichte er bereits den Roman 'Das verbrannte Puppenhaus'.

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Leseprobe

Kapitel 2 – Es lebe die Volksrepublik!

Einige Tage nach dem Schweigen der Waffen schenkten junge Rotarmisten auf dem Karmeliterplatz eine würzig duftende Erbsensuppe aus einer großen Gulaschkanone aus. Was sich in Windeseile im Grätzel herumgesprochen hatte, und dementsprechend lang war dann auch die Schlange. Aus allen Winkeln strömte Jung und Alt mit Kind und Kegel und allen möglichen Gefäßen bewaffnet herbei. Jeder drängte ungeduldig nach vorn, nicht, weil man es eilig hatte, sondern aus lauter Angst, nichts mehr zu ergattern. Auch Josef, Sissi, Poldi und Hilde hatten sich eingereiht.

Mitte April 1945 war ein so gutes Mittagessen eine wahre Sensation …

Die großen, schwarzhaarigen, etwas dunkelhäutigen Soldaten in leicht zerschlissenen Uniformen gaben jedem einen kräftigen Schlag. Zu Kindern und Jugendlichen waren sie besonders nett und großzügig. Sie streichelten ihnen liebevoll übers Haar, während sie lächelnd einschenkten.

Josefs erste Begegnung mit den Besatzern, die nun ganz Wien unter Kontrolle hielten.

Da in diesen allerersten Tagen nach der großen Schlacht noch kein geregeltes Versorgungssystem für die Bevölkerung existierte, wurde diese Aktion dankbar angenommen.

Für die Jugend war das alles lustig. Die Burschen und Mädchen tänzelten und sprangen um die Soldaten herum, die ihnen nach Beendigung der Ausspeisung Lieder aus ihrer Heimat vorspielten und vorsangen.

Josef wollte wissen, woher die Männer kamen. Natürlich verstand er ihre Sprache nicht, da aber einer gebrochen deutsch sprach, erfuhr er: Zwei stammten aus Kiew, einer aus Dnipropetrowsk und der Letzte aus Lwiw, dem früheren Lemberg. Zu Hause schlug er sofort im Atlas nach und stellte entsetzt fest, das sei ja ganz schön weit weg.

Aber jetzt spielte er erst einmal mit den beiden Kiewer Karten. Die bunten Tierbilder mit den fremden Buchstaben faszinierten ihn mächtig. Da er von vier Spielen drei gewann und als Präsent jedes Mal ein bunt verpacktes Bonbon kriegte, stolzierte er frohgemut heimwärts.

Die Angst der Nachbarn vor den Sowjetsoldaten verstand Josef so lange nicht, bis er eines Abends kurz vor dem Schlafengehen grausame Schreie einer Frau aus dem Haus gegenüber hörte und vorher gesehen hatte, wie sich ein Soldat ins Haus geschlichen hatte. Tags darauf wurde überall ängstlich getuschelt und gemunkelt, dass sich Derartiges auch anderenorts zugetragen hätte.

Und gegen sieben kam Sissi zitternd, völlig verheult, an beiden Armen blutend, heim. Ihre weiße Bluse war zerrissen. Sie konnte und konnte sich nicht beruhigen. Mami nahm sie in die Arme, ging langsam mit ihr in die Küche und ließ sie sich ausweinen. Als sie etwas zu sich gekommen war, wusch Mami vorsichtig das Blut ab.

Josef und Poldi erstarrten vor Angst. Was war passiert?

„Ein Russe hat …“, stammelte Sissi und heulte noch entsetzlicher als vorher.

„Hat mich ins Haus gezerrt und …“ Sie brach erneut in Tränen aus und bebte am ganzen Körper.

Josef traute sich nichts zu fragen. Schweigend stand er daneben. Er konnte sich ja denken, was geschehen war und darum kam er sich schrecklich hilflos vor. Ihm tat seine Schwester sehr leid. Gern hätte er ihr geholfen, aber wie?

Aber sein Mitleid schlug sehr bald in Wut um …

Wie konnte jemand Sissi so etwas antun? Wenn ich den erwische …!

Aber was kann ich gegen einen Sowjetsoldaten ausrichten?

Ohnmacht machte sich in ihm breit … Man war der Besatzungsmacht hilflos ausgeliefert …

Josef resümierte daraus: Die Nazis hatten recht, dass sie vor den Russen gewarnt hatten und sie als unzivilisierte Untermenschen tituliert hatten.

Er musste eben besser auf seine Schwestern, aber auch auf seine Mutter aufpassen, denn er war jetzt der „Herr im Hause“, solange der Vater in der Kriegsgefangenschaft war …

In der Nacht schreckte Sissi ein paarmal laut aus dem Schlaf auf, rannte panikartig zur Tür, kratzte sich fürchterlich am Kopf und dann am ganzen Körper, dazwischen wild gestikulierend, bis sie sich wieder ins Bett warf und fürchterlich weinte … Die Mami setzte sich zu ihr, hielt ihre Hand und beruhigte sie. Ähnlich wiederholte sich das in den Folgenächten. Sogar bis zum Herbst kam das ab und zu noch vor. Selbst später plagten Sissi immer noch gelegentlich schwere Albträume mit Weinkrämpfen.

Die drei „Frauen“ verließen das Haus nur noch, wenn’s unbedingt sein musste.

Sissi und Poldi waren nun einmal bildhübsche Mädchen, was in dieser Zeit eben leider auch problematisch sein konnte.

Erst als wieder österreichische Polizisten auf der Straße patrouillierten, normalisierte es sich langsam. Wobei Sissi anfangs auch diese Uniformen Angst einflößten, da sie ihr unbekannt waren. Erblickte sie jedoch einen Sowjetsoldaten, geriet sie total in Panik. Man musste aufpassen, dass sie nicht unbedacht auf die andere Straßenseite rannte und dabei unter ein Auto geriet …

Um Derartiges für die Zukunft zu vermeiden, hatte Josef einkaufen zu gehen. Was er auch tat, wenn auch nicht immer voller Begeisterung, was gut zu verstehen war, da das Einkaufen ein äußerst kompliziertes Unterfangen darstellte …

In den ersten Wochen gab’s doch noch keine Lebensmittelkarten. Und Geschäfte hatten kaum geöffnet, weil sie nichts zum Verkaufen hatten. Womit die Ausspeisungen der Roten Armee mehr als nur willkommen waren.

Ende April öffneten wenigstens mal die Bäckereien wieder, so auch Bäcker Berger. Pro Person wurde ein Laib Brot ausgegeben. Konsequent, ohne Widerrede. Damit jeder etwas kriegte, wie es hieß. Was, von einigen notorischen Nörglern abgesehen, auch akzeptiert wurde.

Das Mehl stammte aus der „Stalinspende“ zum 1. Mai.

Josef musste dafür allerdings drei Stunden geduldig Schlange stehen. Ab sechs Uhr früh.

Wasser musste von den öffentlichen Pumpen geholt werden und auch hier bildeten sich endlose Schlangen, da davon nicht viele in Wien zu finden waren. Es musste aber unbedingt abgekocht werden, woraus sich das nächste Problem ergab: Holz musste her, um den Herd zu heizen.

Also bewaffnete sich Josef mit einer Säge und marschierte in den Prater.

Nach langen unfreiwilligen Ferien startete am 17. September 1945 wieder die Schule. Josef konnte seine alte in der Großen Augartenstraße weiter besuchen, die unter den Straßenkämpfen lediglich an der Fassade etwas gelitten hatte, ansonsten unversehrt geblieben war.

Die Lehrerschaft hatte sich fast gänzlich erneuert. Die nunmehrigen Lehrer standen entweder der neuen SPÖ, der Sozialistischen Partei Österreichs, bestehend aus Sozialdemokraten und Revolutionären Sozialisten, der ÖVP, der Österreichischen Volkspartei, die aus den Christlichsozialen hervorgegangen war, aber der Ständestaatsideologie abgeschworen hatte, oder der KPÖ, der Kommunistischen Partei Österreichs, nahe, mussten diesen Parteien aber nicht unbedingt angehören. Von den alten Lehrern waren lediglich die Turnlehrerin, Frau Winter, und die Musiklehrerin, Frau Schmied, übrig geblieben. Frau Winter war SPÖ-Mitglied und deshalb durch die illegale Parteiarbeit mit Hilde befreundet. Aber auch Frau Schmied war Hilde gut bekannt, sie arbeitete in einer christlichen Widerstandsgruppe mit. Einige Aktivitäten führten SPÖ-, KPÖ- und christliche Gruppen gemeinsam durch, weshalb man sich kannte. Jetzt gehörte Frau Schmied der ÖVP an.

Der 2. Bezirk zählte nach der Aufteilung Wiens in Besatzungssektoren zum sowjetischen Sektor. Da verwunderte es kaum, dass Direktor Hilbert als KPÖ-Genosse bei der feierlichen Eröffnung des Schuljahres im Turnsaal kräftig ins Horn blies: „Die Rote Armee hat in Österreich die Grundvoraussetzung zu einem demokratischen Neuanfang geschaffen. Nach den bitteren Jahren des Faschismus werden wir uns ein freies Österreich aufbauen, das sich auf die guten Traditionen der Arbeiterbewegung und des fortschrittlichen Bürgertums stützt. Unser treuer Freund, der Genosse Stalin, der Schöpfer der neuen Weltordnung, wird uns in eine lichte Zukunft führen …“

Josef musste schmunzeln …

Fräulein Wegner hatte einst Dollfuß und Schuschnigg als Wegbereiter in eine lichte Zukunft gepriesen, und ein Jahr später lobte sie den Führer Adolf Hitler als den großen Lichtträger. Jetzt sollte es schon wieder einen geben, der uns zum Licht führt. So viel Licht hält doch kein Mensch aus …

Schulbücher existierten kaum, denn weder die aus dem Ständestaat noch die aus der NS-Ära waren zu gebrauchen. Lediglich ein Grammatikbuch von 1930 und ein Liederbuch von 1931 wurden ausgeteilt. Ansonsten musste fleißig mitgeschrieben werden.

Josef hätte eigentlich seine dazumal achtjährige Schulpflicht erfüllt, aber er trat trotzdem, wie fast alle seiner bisherigen Mitschüler, noch einmal in die achte Klasse ein, weil im Schuljahr 1944/45 nur äußerst wenig Schulunterricht stattgefunden hatte. Durch Fliegeralarm fielen immer wieder Schulstunden aus und es wurden Schulen zusammengelegt, weil viele von ihnen als Lazarett dienen mussten oder Opfer der alliierten Bombenangriffe geworden waren....

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