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E-Book

Die Kunst des lässigen Anstands

27 altmodische Tugenden für heute

AutorAlexander von Schönburg
VerlagPiper Verlag
Erscheinungsjahr2018
Seitenanzahl368 Seiten
ISBN9783492992176
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis11,99 EUR
 Wir leben in einem Zeitalter der Beliebigkeit und Selbstsucht. Überall gilt »ich zuerst«, alles ist erlaubt, jeder will sich selbst optimieren, so wird übertrumpft, gedrängelt, auf Facebook gepöbelt. Doch auf diese Weise wird unser Zusammenleben höchst unangenehm, und wir steuern geradewegs in den Untergang.  Alexander von Schönburg plädiert für mehr Anstand, für Werte und Tugenden, die lange altmodisch erschienen und heute wieder aktuell sind. Dem »anything goes« der hedonistischen Gesellschaft stellt er die neue Ritterlichkeit gegenüber. Denn nobles Verhalten macht das Leben erst schön. 

Alexander von Schönburg, Jahrgang 1969, lebt ein Doppelleben: Er arbeitet als Journalist und ist gleichzeitig Chef eines einst bedeutenden Adelsgeschlechts. Er war u. a. Redakteur der FAZ und Chefredakteur von Park Avenue, seit 2009 schreibt er für BILD. Seine Bücher 'Die Kunst des stilvollen Verarmens' (2005), 'Das Lexikon der überflüssigen Dinge' (2006), 'Alles, was Sie schon immer über Könige wissen wollten, aber nie zu fragen wagten' (2008), 'Smalltalk' (2015) und 'Weltgeschichte to go' (2016) waren Bestseller. Alexander von Schönburg lebt mit seiner Familie in Berlin.

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Leseprobe

 

WORUM ES GEHT


Vor lauter Fortschrittsseligkeit haben wir den Sinn für das Märchenhafte und Geheimnisvolle verloren. Daher möchte ich dieses Buch mit einem Märchen beginnen. Alte Geschichten sind immer gut. In ihnen werden über die Generationen hinweg Wahrheiten weitergegeben, in alten Geschichten hören wir Dinge, die wir im Tiefsten unseres Herzens eigentlich schon längst wissen. Märchen bewegen sich noch dazu in der Welt des Unbewussten. Wenn wir etwas über uns und unsere Sehnsüchte herausfinden wollen, sind sie eine gute Quelle. Dieses hier stammt aus dem Schatz der Geschichten um König Arthus und geht so:

König Arthus ist mit seinen Kameraden auf der Jagd im Inglewood. Plötzlich merkt er, dass er von seinen Jagdkumpanen getrennt worden ist. Der Inglewood, muss man wissen, ist der Wald, in dem die Anderswelt zu Hause ist, der Wohnort verschiedener mystischer Wesen, von denen einem nicht alle wohlgesinnt sind. In diesem Wald trifft Arthus zu seinem Unglück auf einen Typen, der aus einem Film der Coen-Brüder stammen könnte, einen, der das Urböse repräsentiert: den Hexenmeister Sir Gromer. Arthus hat keine Chance gegen Gromer. Seltsamerweise aber – wir befinden uns in einem Märchen – gewährt Gromer seinem Opfer eine Fluchtmöglichkeit. Unter einer Bedingung: Er muss in genau einem Jahr wiederkommen und ihm die Antwort auf eine Frage geben. Kennt er die Antwort, darf er leben, kennt er sie nicht, muss er sterben. König Arthus kehrt bedrückt nach Carlisle Castle zurück, und es dauert nicht lange, bis sein engster Vertrauter, sein Neffe Sir Gawain, wissen will, was los ist. Deprimiert sein war in der Glanzzeit des Rittertums tabu, Melancholie galt als schlechtes Benehmen, das durfte sich nur erlauben, wer unglücklich verliebt war, und das dann auch nur für kurze Zeit. Arthus vertraut sich also seinem Freund an, den vor allem, wie uns alle, interessiert, welche Rätselfrage der böse Sir Gromer gestellt hat. Die Frage ist eine der Urfragen überhaupt und lautete: »Was ist der größte Wunsch einer Frau?« Damit nahm der böse Gromer eine Frage vorweg, die Sigmund Freud ganz ähnlich stellte (»Was will das Weib?«), aber das war etwa anderthalb Jahrtausende später, und Arthus hatte nur ein Jahr Zeit, die richtige Antwort herauszufinden.

Gawains Reaktion? Die einzig richtige: »Lass uns hinausziehen und die Antwort herausfinden!« Was die beiden auf ihrer Erkundungstour erleben, können wir uns ausmalen, sie gehen getrennte Wege und treffen sich, da es noch kein WhatsApp gab, immer wieder, um ihre Erfahrungen zu vergleichen. Keine der gewonnenen Antworten stellt die beiden aber zufrieden. Wie es sich für gute Märchen gehört, bekommt Arthus aber eine kleine Hilfestellung. Bei einem seiner Ausritte gerät er nämlich wieder in den Inglewood, und diesmal begegnet er einer Hexe. Lady Ragnelle. Diese Person wird in sämtlichen Versionen der Geschichte als besonders hässlich beschrieben, damit dem Zuhörer (einst wurden solche Geschichten vorgetragen) übel würde. Ekzeme im Gesicht, faule Zähne, Buckel, eitrige Füße, fettige Haare und so weiter. Die Alte will Arthus die Antwort auf die Frage verraten – aber wiederum nur unter einer Bedingung: Sie will einen der Ritter von Arthus’ Tafelrunde zum Gatten, und zwar Sir Gawain. Der ist damals ein aufstrebender Star am Hof (etwa wie Tom Cruise nach »Top Gun«) und genießt einen gewissen Ruf für »luf talkying« (Süßholzraspeln), wie es in der berühmtesten, auf Mittelenglisch gedichteten und Thomas Malory zugeschriebenen Version des Märchens heißt, er ist also ein bekannter Schwerenöter.

Als Arthus nach Carlisle zurückkommt, erzählt er Gawain natürlich nichts. Arthus wirkt zwar traumatisiert, doch er will seinem Vertrauten ums Verrecken nicht verraten, was im Wald vorgefallen ist. Man muss vielleicht darauf hinweisen, dass sowohl der Hexenmeister als auch die Hexe nicht einfach »das Böse« darstellen in diesem Drama. Figuren im Wald haben in solchen alten Geschichten eine ganz andere Funktion. Sie stehen archetypisch für das Ungezähmte im Menschen, das Wilde, das Natürliche, das absolute Gegenbild zu dem domestizierten Menschen, deren überzüchtetste Version die Menschen am Hofe darstellen. Die Menschen in der Welt des Arthus sind gespreizt, affektkontrolliert, gesittet. Im Wald ist er mit der ungezähmten Welt konfrontiert, die auch in ihm schlummert. Auch deshalb will Arthus mit Gawain nicht über das reden, was im Wald vorgefallen ist. Irgendwann tut er es dann doch, beim Wein, im Suff. Und da Versprechen, die im Suff gegeben werden, nichts gelten, eröffnet Gawain Arthus erst am nächsten Tag, dass es ihm selbstverständlich eine Ehre sein werde, sich zur Rettung seines Lebens zur Verfügung zu stellen und die unansehnliche Alte zu heiraten. »Um euer Leben zu retten, würde ich sogar den Teufel zum Altar führen.«

Gawain lässt sich das nicht ausreden, und so reitet Arthus in den Wald zurück, um dem Weibsstück die erfreuliche Nachricht zu überbringen. Die Hexe kann sich vor Freude darüber, den begehrtesten Junggesellen im Land abzubekommen, kaum einkriegen und verrät Arthus, ohne länger zu zögern, die Antwort auf die große Frage. Interessant ist hier: Sie muss nicht erst den Vollzug der Ehe abwarten, das Wort eines Ritters gilt, das weiß man auch im tiefsten Wald. Sie verrät ihm also umgehend des Rätsels Lösung: »Manche Leute sagen, wir wollen schön sein oder geliebt und geachtet werden, andere sagen, wir wollen reich sein und keine Lasten tragen, aber all das trifft nicht zu«, erklärt ihm die Frau. Aber was ist es nun, was »wemen desyren moste specialle?«, was sie wirklich wollen, wie es in der berühmtesten Fassung der Geschichte im charmanten Mittelenglisch heißt, das im 14. Jahrhundert das noch viel französischer klingende Anglonormannisch als Hof- und Literatursprache abgelöst hatte. »Was wir vor allen Dingen am meisten wünschen, ist … (hier bitte Trommelwirbel hinzudenken) … Eigenständigkeit.« Im Original ist das Wort »sovereynté«. Die Souveränität, das Recht, das Leben selbst zu bestimmen. »Nun gehe hin, Sire, denn nun ist dein Leben gerettet.«

Arthus begibt sich also auf den Weg zu Sir Gromer und kann dem Drecksack die Antwort hinschleudern. Wütend muss Sir Gromer Arthus gehen lassen, auf dem Rückweg holt der die Lady ab und bringt sie an den Hof. Dort herrscht gedämpfter Enthusiasmus, die Vorbereitungen zum Hochzeitsfest laufen schon, dank Klatschmäulern, den Vorläufern von Twitterern und Klatschportalen, sind Details der Verlobung Gawains an die Öffentlichkeit gelangt. Es wird gelästert, nicht zuletzt über das unhöfische Milieu, aus dem die Braut stammt. Als die Hochzeit dann gefeiert wird, geschieht das allerdings in aller gebotenen Festlichkeit, es wird fröhlich, das Volk darf zechen, Feuerspucker und Hofnarren treten auf, der Höhepunkt ist ein großes Hoffest. Interessanterweise schildert das berühmte Gedicht aus dem 15. Jahrhundert mit großer Detailversessenheit, wie übel sich Lady Ragnelle bei den Hochzeitsfeierlichkeiten benommen hat. Angeblich soll sie unmäßig gefressen, gepöbelt und sogar andere Hochzeitsgäste bespuckt haben. Es kann sein, dass der Autor dies aber auch nur eingeflochten hat, um – indirekt – das zum Teil raue Betragen mancher Adeliger seiner Zeit aufs Korn zu nehmen. Vielleicht sollte durch diesen Exkurs aber auch hervorgehoben werden, dass Lady Ragnelle eben nicht aus dem gesellschaftlichen Umfeld des Hofes stammt.

Irgendwann ist unweigerlich der Moment der Hochzeitsnacht gekommen. Die beiden Frischvermählten ziehen sich ins Schlafgemach zurück, das der König ihnen zur Verfügung gestellt hat. Die Diener zünden den Kamin an, tragen Wein auf, etwas Obst und schließen die Türen hinter dem Paar. »Sir Gawain, jetzt, da wir alleine sind«, sagt Lady Ragnelle, »bitte ich höflich um den Hochzeitskuss.« Wir wissen alle, was mit »Kuss« gemeint ist. Sir Gawain zögert nicht. Das Wort eines Ritters! Kaum steigt er zu ihr ins Bett und küsst sie, Sie haben es sicher schon geahnt, verwandelt sich seine abstoßende Braut in das schönste Geschöpf, das er je zu Gesicht bekommen hat. Gawain stürzt sich in ihre Arme und »gab ihr viele Küsse«, was eine wirklich elegante Umschreibung dessen ist, was damals in der Honeymoon-Suite von Carlisle Castle vonstattengegangen sein muss.

Hier kommt noch nicht der Abspann. Das ist noch nicht das Happy End. Die Geschichte hat noch einen Haken. Lady Ragnelle erzählt Gawain, dass ein Teil des Bannes immer noch auf ihr laste. Durch seine Liebe habe Gawain sie zwar befreit – nur eben leider nicht ganz. »Meine Schönheit, wie du sie jetzt siehst, ist nicht von Dauer. Du musst dich entscheiden, ob ich am Tag oder in der Nacht schön bin. Der Bann erlaubt nicht beides.« Gawain: »Dann sollst du in der Nacht für mich schön sein.« Sie: »Dann aber werden sich die Leute am Tage das Maul über mich zerreißen.« Er: »Nein! Das soll nicht sein! Dann sollst du nur am Tag schön sein!« Sie: »Aber mein Liebster, das würde mir das Herz brechen, dass in der Zeit, in der wir einander haben und allein sind, ich mich nicht in meiner wahren Erscheinung zeigen kann.«

»Ich kann und will es nicht entscheiden«, sagt schließlich Gawain, »ich muss die Entscheidung, ob du am Tag oder in der Nacht schön sein willst, in deine Hände geben. Wie du dich auch immer entscheidest, mir soll es gefallen.« – »Danke, edelster Ritter«, jubelt Lady Ragnelle, ich vereinfache hier das Mittelenglische, »gesegnet bist du, denn nun bin ich endgültig von dem Bann befreit und vollständig von dem bösen Zauber erlöst. Nun wird meine Schönheit bei Tag und bei Nacht sichtbar sein. Nur diese Antwort konnte mich ganz vom Bann...

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