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E-Book

Die Lust der Welt und die Kunst der Entsagung

AutorHermann Detering
VerlagGütersloher Verlagshaus
Erscheinungsjahr2013
Seitenanzahl256 Seiten
ISBN9783641109325
FormatePUB
KopierschutzDRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis13,99 EUR
Neugierig auf alternative Lebenskonzepte
Hermann Detering führt uns kenntnisreich und unterhaltsam durch die Welt der Entsagung und des Verzichts. Sein Blick geht zurück auf die Anfänge, beleuchtet die Ursprünge allen asketischen Lebens und seine modernen Tendenzen, zeigt frühe und moderne Aussteiger, christliche Askese und macht auch vor der Last mit der Lust und der Lust an der Entsagung nicht halt.
All diejenigen, die sich noch nicht ganz im Dschungel unserer heutigen Überflussgesellschaft verloren haben, will der Autor neugierig machen auf Möglichkeiten des Verzichts. Denn wer offen bleibt für alternative Lebensentwürfe, für Selbstfindung durch Weltdistanzierung, für eine unbestimmte Sehnsucht nach etwas anderem, kann auf diesem Weg das Wertvollste überhaupt finden: seine ganz persönliche Freiheit.
  • Weniger ist mehr: eine aufschlussreiche Kulturgeschichte des Verzichts
  • Eine Galerie der Entsagungskunst mit neun Ausstellungsräumen


Hermann Detering, geb. 1953, Dr. theol., Studium der Germanistik, Altphilologie und Ev. Theologie, 1982 - 2009 Pfarrer in Berlin; verschiedene theologische Publikationen; verheiratet, vier Kinder, lebt in der Altmark.

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Leseprobe

Einleitung


»Konsum tut gut«


»›Wir haben das Glück erfunden‹ –
sagen die letzten Menschen und blinzeln.«

Friedrich Nietzsche 1

Nie ging es uns so gut wie heute. Wovon wir als Kinder träumten, scheint endlich Realität. Das Schlaraffenland, es existiert. Zwar gibt es noch keine Bäume aus brauner Schokolade und auch keine Bäche aus gelber Limonade, aber das Leben ist schön. In den Auslagen der Kaufhäuser und Einkaufspassagen, die so einladend drapiert und ausgeleuchtet sind, wird uns nicht nur angeboten, was wir uns wünschen, sondern auch, was wir uns nicht wünschen und trotzdem haben müssen. Charmant lächelnde Verkäuferinnen, die nach »Narciso Rodriguez« duften, zeigen uns ihre perlweißen Zähne und wickeln unsere Ware in buntes Seidenpapier. Man ist gut drauf. Unsere Fernsehprogramme sorgen immer für gute Unterhaltung. Alles ist leicht und locker, eben easy, und auch ein bisschen sexy. Die Werbung informiert uns stündlich über neue Produkte. Über den Tod wird nur noch selten geredet. Es gibt einen Totensonntag, aber dann beginnt eigentlich schon der Weihnachtseinkauf. Und die Schokoladenweihnachtsmänner stehen eh seit September in den Regalen. Warum lange warten? Genuss sofort ist kein Problem. Wozu haben wir Banken? Bei Überschuldung hilft uns Peter Zwegat. Weiche Drogen sind weithin akzeptiert und auch die härteren sind uns nicht ganz unbekannt. Das Schönste aber: Wir dürfen nicht nur, wir müssen konsumieren. Das ist inzwischen sogar eine Art moralischer Verpflichtung, denn: »Konsum tut gut.« 2 Wir konsumieren nicht nur für unser Wohlergehen, sondern auch für das unseres Landes, für Europa und für die ganze Welt. Wir haben begriffen: Nur Wachstum zählt. Überhaupt hat sich das Bild des Konsumenten in den letzten Jahren grundlegend gewandelt. Früher sprach man vom »Konsumidioten«. Heute wissen wir, das war ein Irrtum. Der Konsument ist in Wahrheit ein Wohltäter, ein Albert Schweitzer, eine Mutter Theresa der schönen Neuen Welt. Wie Kinder, die brav ihre Hausaufgaben machen, werden wir von unseren Politikern und Wirtschaftsleuten für stets vorhandene Konsumbereitschaft gelobt. Das lassen wir uns gern gefallen.

Wir stopfen uns voll und zappen uns durch alle Kanäle. Manche schaffen es, mehrere Programme gleichzeitig zu sehen. Wir shoppen und ficken, denn auch sexuell ist mittlerweile alles erlaubt. Pornos sind schon lange kein Problem mehr. Wem der Weg in den Sexshop an der nächsten Straßenecke zu weit ist, lädt sich was von seinem Laptop herunter. Tabus gibt’s nicht. Klar, Kinderpornografie ist nicht o.k. – solange man sich nicht erwischen lässt –, aber sonst? Wer wollte den Moralapostel spielen? Die Zeiten haben sich geändert. Wir sind nicht mehr im 19. Jahrhundert. Und weil die Liebe kein endlich limitiertes Gut ist, leben einige von uns in polyamoren Netzwerken, ganz ohne Stress, denn Eifersucht ist ein alter Hut.

Wir sind eine Informationsgesellschaft. Radio, Fernsehen und Internet halten uns jederzeit auf dem Laufenden. Wir müssen nur aufpassen, dass wir nichts verpassen. Weil wir gut informiert sind, haben wir zu jedem Thema eine Meinung. In den Internetforen können wir unter Pseudonymen wie »Silberstern« und »Wasserfloh« mit »Sartre« und »Ratte« diskutieren und herausbekommen, wer am besten informiert ist.

Was Huxley und Nietzsche kaum zu denken wagten, haben wir geschafft: »Man ist klug und weiß alles, was geschehen ist: So hat man kein Ende zu spotten. Man zankt sich noch, aber man versöhnt sich bald – sonst verdirbt es den Magen. Man hat sein Lüstchen für den Tag und sein Lüstchen für die Nacht; aber man ehrt die Gesundheit.« 3

 

Die schlimmsten Risse in der schönen Fassade unserer Wohlstands-, Informations- und Überflussgesellschaft sind freilich nicht zu übersehen. Klimaerwärmung und Atomstrom sind seit langem die Dauerbrenner in unseren Medien, mit viel Kontroversen und anschließendem Chat mit Experten. Irgendwo muss ja die Energie zur Produktion unserer Konsumartikel herkommen, die wir so dringend benötigen wie der Junkie den Stoff. Zum Glück gibt es Windräder und Fotovoltaik-Anlagen. Mit denen beruhigen wir unser Gewissen. Dass sich die Rohstoffe verknappen und wir den nachkommenden Generationen einen geplünderten Planeten hinterlassen, können sie auch nicht verhindern. Und was die Landschaft betrifft: In den Urlaub fliegen wir ohnehin nur nach Tansania oder auf die Malediven und überhaupt dorthin, wo uns keine Windräder und Atomreaktoren stören. Dass die idyllischen Plätzchen auch immer rarer werden, schert uns nicht, solange es sie zu unseren Lebzeiten noch gibt.

Unsere Gier wirft lange Schatten. Es geht schon lange nicht mehr um ein paar Pausenbrote im Papierkorb. Ein Projekt zur »Verringerung von Lebensmittelabfällen« will herausgefunden haben, dass ca. 25 % – 50 % unserer Lebensmittel im Abfall landen. 4 Nicht etwa deswegen, weil wir uns die längst überfällige Gewichtsdiät verordnet hätten, sondern weil sie nicht mehr unseren hochgeschraubten Qualitätsvorstellungen genügen. Während wir immer älter werden, legen wir besonderen Wert auf Frische.

Geiz ist geil, aber die Gier, so scheint es, ist noch viel geiler. Rating-Agenturen und Börsenspekulanten treiben Staaten und Politiker wie Hasen bei einer Hetzjagd vor sich her. Raffgier ruiniert ganze Länder. Die Verschuldung der Staatshaushalte hat schwindelerregende Höhen erreicht. Eine kinderarme Gesellschaft wälzt ihre Schuldenlast auf die Schultern der nachfolgenden Generationen. Schlimmer noch ist die gefühlte Unzufriedenheit, die doch eigentlich gar nicht sein dürfte, da wir im Prinzip jederzeit gut drauf sind. Aber das ist natürlich auch nur Schein, Strategie, um gegen Leere und Langeweile anzukämpfen, die unter der glatt polierten Oberfläche lauern. Manchmal werden sie in uns übermächtig. Dann greifen wir zum Glas, betäuben unsere Nerven mit Tabletten oder bestäuben unsere Nasenspitzen mit Koks. Nach kurzer Euphorie fühlen wir uns so ausgebrannt wie die Oberfläche des Planeten, den wir hinterlassen. Burn-out.

Zum Drogenkater gesellt sich der sexuelle Frust. Trotz der Vielzahl sexueller Reize und Möglichkeiten will sich keine Befriedigung mehr einstellen. Der ständige Partnerwechsel macht uns unsere eigene Austauschbarkeit bewusst. Weil wir überall Sexualobjekte sehen, sind wir selbst welche geworden. Das kränkt unser Selbstwertgefühl.

Die Möglichkeit, per Netz und Satellit überall dabei sein zu können, hat Folgen für unsere Privatheit. Die Ruh’ ist hin, seitdem unser Herz für die Erdbebenopfer in der Türkei, für die des Hochwassers in Pakistan, des Reaktorunfalls in Fukujima und für den ganzen Erdkreis schlagen muss; seitdem wir durch Laptop, Handy und Smartphone zu jeder Zeit und an jedem Ort für jeden erreichbar sind. Weil wir überall gleichzeitig sein wollen, sehen wir nur noch mit einem Auge hin und hören nur noch mit einem Ohr zu. Das andere Auge verfolgt den Nachrichtenticker des Online-Magazins. Das andere Ohr haben wir für unser Smartphone oder den Kopfhörer unseres MP3-Players reserviert, auf dem wir über tausend Musiktitel speichern können. Unsere Hände sind, wie die des Klavierspielers, auf Unabhängigkeit trainiert. Während die eine den »Coffee-to-go«-Becher umfasst, fliegt die andere über die Tastatur unseres Laptops oder schreibt eine SMS. Man nennt das »double tracking« oder – wo mehr als zwei Beschäftigungen gleichzeitig verrichtet werden – »multitasking«.

Je gieriger wir die Gegenwart ausschlürfen wollen, umso mehr entzieht sie sich unserem Zugriff. Es gibt kein Leben mehr aus einem Guss. Wir sind nur noch halb da. Weil wir nichts verpassen und alles auskosten wollen, zerstückeln wir uns und unsere Tage. Überfordert durch die Anzahl der Möglichkeiten zur Zerstreuung, beginnt unser Leben zu metastasieren. Wir werden krank oder fangen an, uns von unserer Langeweile paralysieren zu lassen. Unser Leben bekommt den faden Geschmack eines verzappten Fernsehabends.

Inzwischen dürfte klar geworden sein: Wer glaubt,

  • – dass der wahre Charakter einer Sache ihr Warencharakter ist,
  • – dass sich die Probleme seines Lebens mit Beauty, Wellness, Fitness oder einem Frühbucherrabatt lösen lassen,
  • – dass ein »Traumtrip« eine Sache des Geldbeutels ist,
  • – dass sich die Lebensfreude proportional zum Wirtschaftswachstum verhält,
  • – dass die von unserer Gesellschaft entwickelten Lebensformen alternativlos seien,
  • – dass sich durch den Kauf eines neuen Mac, iPhone, iPod oder die Installation des neuesten Software-Pakets irgendetwas Wesentliches in seinem Leben ändern könnte,
  • – dass Steve Jobs auf dem Wasser wandeln konnte,
  • – dass die Medien zu wenig über die Aktienkurse informieren,
  • – dass die Worte »Innovation«, »Leistungsträger«, »Lebensqualität« einen guten Klang haben,
  • – dass uns die Bilanz des Einzelhandels zum diesjährigen Weihnachtsgeschäft den Sinn des Festes erklären kann,
  • – dass Falten hässlich sind,
  • – dass Botox schön macht, wird bei der Lektüre der folgenden Seiten nicht auf seine Kosten kommen.

Zur Klarstellung sei allerdings gesagt, dass es in diesem Buch keineswegs nur um eine Kritik an der Konsumgesellschaft oder um...

Blick ins Buch

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