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Die Marke Luther

Wie ein unbekannter Mönch eine deutsche Kleinstadt zum Zentrum der Druckindustrie und sich selbst zum berühmtesten Mann Europas machte - und die protestantische Reformation lostrat

AutorAndrew Pettegree
VerlagInsel Verlag
Erscheinungsjahr2016
Seitenanzahl407 Seiten
ISBN9783458749042
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis21,99 EUR

Als Martin Luther 1517 seine 95 Thesen an die Tür der Wittenberger Schlosskirche nagelte, war er praktisch unbekannt. Doch innerhalb weniger Jahre verbreiteten sich seine Ideen in ganz Europa und erschütterten den Kontinent in seinen Grundfesten. Luther wurde berühmt, ja berüchtigt. Wie hatte er das geschafft?

Der wichtigste Reformator der Kirchengeschichte war nicht nur ein herausragender Theologe, sondern auch ein genialer Stratege, der ganz genau wusste, dass es nicht allein Argumente sind, die im Kampf der Ideen den Ausschlag geben. Mit sicherem Gespür für das, was wir heute Imagepflege und Marketing nennen, machte er sich die neue Technik des Buchdrucks zunutze, baute Netzwerke auf und schuf gemeinsam mit Lucas Cranach für sich und seine Lehre eine eigene Markenidentität.

Andrew Pettegree zeichnet nach, wie es Luther gelang, sich in der Öffentlichkeit zu positionieren - als Kritiker der katholischen Kirche, als Vorkämpfer für Frauenrechte, als Demagoge, der auch gegen Juden wetterte. Er schildert den nachhaltigen Einfluss, den die Reformation auf das Buchgewerbe hatte, und umgekehrt. Vor allem aber erzählt er eine der wohl spannendsten Geschichten der Neuzeit: wie ein einfacher Mönch zum ersten Star des Medienzeitalters aufstieg.



<p>Andrew Pettegree ist Professor f&uuml;r Moderne Geschichte an der University of St. Andrews. Er gilt als einer der f&uuml;hrenden Experten f&uuml;r das Europa im Zeitalter der Reformation, ist Gr&uuml;ndungsdirektor des St. Andrews Reformation Studies Institute sowie gegenw&auml;rtig Vizepr&auml;sident der Royal Historical Society. Bei Yale University Press erschien 2014 <em>The Invention of News. How the World Came to Know About Itself</em>.</p>

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Leseprobe

Vorwort

Im Jahr 2017 begehen wir den fünfhundertsten Jahrestag eines bahnbrechenden Ereignisses der westlichen Zivilisation: des Beginns der protestantischen Reformation. Aus geringfügigem Anlass – einem theologischen Streit in Ostdeutschland – entwickelte sich eine stürmische Erneuerungs- und Reformbewegung, die alles infrage stellte, dem Bestehenden die Stirn bot und letztlich äußerst spaltend wirkte. Innerhalb einer Generation veränderte der Reformbegriff seine Bedeutung grundlegend. Anhänger der Bewegung, die sich mittlerweile Protestanten nannten, trennten sich von der westlichen katholischen Tradition – eine permanente Loslösung, die unversöhnlich war, wie sich herausstellen sollte. In den folgenden zwei Jahrhunderten zerfiel Europa in sich bekämpfende Kirchen, gespaltene Familien und verfeindete Staaten. Die Feindschaft zwischen Protestanten und Katholiken beherrschte die europäische Politik und entfachte Kriege, die mit mörderischem Hass geführt wurden. Die Christenheit zerfleischte sich im Kampf gegen den inneren Feind. In ganz Europa zog man die Staatsmacht heran, um Ketzer oder Verräter hinzurichten – also die Abtrünnigen von der örtlich geltenden Religion, sei sie nun protestantisch oder katholisch.

Diese erbitterte, grausame Spaltung erwies sich als dauerhaft. So demonstrierte der König von Frankreich 1685 seine Frömmigkeit, indem er seine verbliebenen protestantischen Untertanen des Landes verwies: Bis zu 900 000 Protestanten mussten ihre Heimat für immer verlassen. Drei Jahre später vertrieb England seinen König, weil er katholisch war; von da an schloss ein Gesetz alle von der Thronfolge aus, die einen Katholiken heirateten – eine Regelung, die erst 2013 aufgehoben wurde. Diese Risse und zersetzenden Konfessionsbindungen wanderten vom alten Europa auch über den Atlantik: Erst 1960 wählten die Vereinigten Staaten ihren ersten katholischen Präsidenten, und das auch nur mit der denkbar knappsten Mehrheit.

Das Ereignis, das in der Geschichtsschreibung den Beginn dieser Umwälzungen markiert, ist in diesem Kontext erstaunlich banal. Mittlerweile datieren wir die Reformation auf den 31. Oktober 1517, an dem ein kaum bekannter deutscher Professor eine akademische Disputation anstieß – ein so alltäglicher Vorgang an den Universitäten des 16. Jahrhunderts, dass niemand es damals der Mühe wert fand, festzuhalten, ob die Disputationsthesen gedruckt und am üblichen Schwarzen Brett der Universität, nämlich der örtlichen Kirchentür, angeschlagen wurden. Dieser Professor war Martin Luther, und seine 95 Thesen gegen den Ablass lösten eine unerwartet hitzige Debatte aus. Innerhalb von fünf Jahren geriet die deutsche Kirche in Aufruhr, wurde Luther als Ketzer geächtet und stieg zum berühmtesten Mann Deutschlands auf.

Wie ein akademischer Streit in Nordostdeutschland zum Keim einer großen Bewegung werden konnte, ist erklärungsbedürftig. Es liegt nicht in meiner Absicht, diese Erklärung in einer weiteren Lutherbiografie zu suchen. Luther war, wie sich zeigen wird, ein bemerkenswerter Mann voller Mut und Talent, der seinen Schicksalsmoment außerordentlich gekonnt und einfallsreich zu nutzen wusste. Sein Leben und Wirken war von seinen Lebzeiten bis heute Gegenstand unzähliger Studien und Neubewertungen, und der Jahrestag der Reformation wird Anlass zu weiteren Bestandsaufnahmen bieten. Dieses Buch verfolgt einen völlig anderen Zweck: Es befasst sich mit der Frage, wie ein theologischer Streit im gänzlich andersartigen Kommunikationsumfeld, das vor fünfhundert Jahren herrschte, zu einem großen öffentlichen Ereignis werden konnte, das Kleriker und Laien über weite Teile des europäischen Kontinents erfasste.

Nichts von alledem verlief, wie es hätte laufen sollen. Die Kirchenhierarchie war 1517 fest von ihrer Fähigkeit überzeugt, dem Wirbel um Luther ein Ende setzen zu können. Die üblichen Kanäle, ein vertraulicher Brief an einflussreiche Persönlichkeiten, untermauert von einem Gerichtsverfahren in Rom, hätten genügen müssen, einen aufrührerischen Priester zum Schweigen zu bringen. Es gab keinen Grund zu der Annahme, dass die Kritik am Ablasshandel, die damals in intellektuellen Kreisen bereits recht verbreitet war, sich zu einer öffentlichen Bedrohung auswachsen würde. Vor allem aber bestand kein Grund zu der Annahme, dass Kursachsen, ein mittelgroßes Fürstentum fernab von den großen europäischen Machtzentren, zur Brutstätte einer Bewegung von europäischer Tragweite werden könnte.

Um zu verstehen, wie es dazu kam, müssen wir eine äußerst merkwürdige Verkettung von Ereignissen und Umständen untersuchen, die es Luther ermöglichte, die breite Öffentlichkeit zu faszinieren und vor allem diesen Konflikt zu überleben. Luther hatte wie die meisten großen Persönlichkeiten der Geschichte viel Glück: Er hatte Glück, unter dem Schutz einflussreicher Förderer zu stehen, die erkannten, wie es ihren Zwecken dienen konnte, ihn zu schützen. Er hatte Glück mit seinen Freunden. Zudem wählte er den richtigen Zeitpunkt aus. Als Luther sich erstmals gegen das Ablasswesen aussprach, fing Europa gerade – wenn auch mit einer gewissen Zurückhaltung – an, sich ein neues, mächtiges Kommunikationsmittel zu eigen zu machen: die Druckerpresse. Sechzig Jahre zuvor hatte Johannes Gutenberg unter allgemeinem Beifall den Erfolg seiner Experimente verkündet, mit beweglichen Lettern zu drucken, aber die langfristigen Konsequenzen dieser technischen Entwicklung waren noch höchst ungewiss. Diejenigen, die das neue Medium begeistert aufgriffen, mussten erkennen, dass es ausgesprochen schwierig war, mit gedruckten Büchern Geld zu verdienen: Die meisten der ersten Drucker machten Verluste und viele gingen bankrott. Ernüchtert suchte die zweite Generation Zuflucht zu konservativen Geschäftsfeldern. Daher war durchaus nicht klar, wie oder warum der Buchdruck einer großen umwälzenden Bewegung dienen könnte. Tatsächlich stellten Drucker fest, dass es die zuverlässigsten Gewinne versprach, die Bedürfnisse der traditionellen Religion zu bedienen. Es bedurfte einiger Überzeugungsarbeit, sie zur Aufgabe dieses bewährten Geschäftszweigs zu bewegen.

Es stand also keineswegs fest, welche Rolle der Buchdruck in dem rumorenden Kirchenstreit in der norddeutschen Kirche spielen sollte. In Wittenberg, Luthers Wirkungsstätte in Sachsen, gab es bis 1502 gar keine Druckerpresse: Seit Gutenbergs Erfindung war ein halbes Jahrhundert der Experimente und des Wachstums auf diesem Gebiet an der Stadt völlig vorbeigegangen. Luther selbst hatte sein Erwachsenenalter und eine Stellung von bescheidener Verantwortlichkeit und Ansehen in seinem Orden erreicht, ohne auch nur ein Buch zu veröffentlichen. Doch innerhalb von fünf Jahren, nachdem er seine 95 Thesen angeschlagen hatte, war er Europas meistveröffentlichter Autor – aller Zeiten. Wie er dies erreichte, war der bemerkenswerteste unter den zahlreichen unwahrscheinlichen Aspekten der Reformation. Diese Geschichte ist das Thema des vorliegenden Buches.

Es ist eine Entwicklung, in der Luther sich nahezu über Nacht als Schriftsteller von außerordentlicher Kraft und Leichtigkeit erwies, als natürlicher Stilist in einem Genre, das solche Qualitäten bis dahin nicht sonderlich zu schätzen wusste. In diesem Prozess schuf Luther im Grunde eine neuartige Form theologischer Schriften: knapp, direkt und leicht verständlich. Entscheidend war, dass er bereits in einem frühen Stadium des Aufsehens um seine Kritik am Ablasshandel den kühnen, radikalen Entschluss fasste, sich nicht nur an das Fachpublikum ausgewiesener Theologen zu wenden, sondern die breite deutsche Öffentlichkeit in ihrer eigenen Sprache, Deutsch, anzusprechen. Diese Entscheidung, von der Gelehrtensprache Latein abzugehen, war heftig umstritten, erlaubte es jedoch, einem Laienpublikum komplexe theologische Ideen darzulegen. Zudem brachte sie seine Gegner so weit ins Hintertreffen, dass sie sich davon nie vollständig erholten. In jedem Fall weitete sie den potenziellen Markt für Luthers Bücher erheblich aus. Deutschlands Drucker reagierten mit gieriger Begeisterung.

Luthers Schriften fanden in Deutschland reißenden Absatz, bewirkten zugleich aber auch einen Wandel in der Dynamik der Buchbranche. Zur Zeit der Reformation hatte die europäische Druck- und Verlagslandschaft sich bereits relativ verfestigt und bot in ihrer Infrastruktur eigentlich keinen Platz für das kleine Wittenberg. Die wichtigsten Druckereien hatten sich alle in Europas größten Wirtschaftszentren etabliert. Wittenberg war dagegen klein und abgelegen, fernab von den großen Märkten, die notwendig waren, um eine umfangreiche Buchproduktion zu tragen. Schon sehr früh erkannte Luther, dass sich diese Situation ändern musste: Wittenberg musste eine Buchbranche entwickeln, die imstande wäre, die enorme Nachfrage nach seinen Werken zu befriedigen, und die der Schlagkraft seiner Forderung nach einer grundlegenden Reform des Christentums gerecht würde.

Zu diesem Zweck griff Luther bereits in einem sehr frühen Stadium seiner Bekanntheit unmittelbar und energisch in den Druckereibetrieb ein. Bis 1517 gab es in Wittenberg lediglich eine einzige, nicht sonderlich leistungsstarke Druckerpresse. Bei Luthers Tod reichte Wittenbergs Buchproduktion an die der bedeutendsten Städte Deutschlands heran. Im gesamten 16. Jahrhundert war Wittenberg Deutschlands größtes Buchdruckzentrum. Das war Luthers ganz persönliches Verdienst. Er war kein zerstreuter Professor, sondern ein Mann mit ausgeprägten praktischen Fähigkeiten. Er verstand und genoss die handwerklichen Schritte, aus Worten und Ideen ein gedrucktes Kunstwerk zu machen. Da Luthers Vater...

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