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Die Rolle der Untertageverlagerung in der deutschen Rüstungsproduktion 1943-1945

AutorFrederic Gümmer
VerlagGRIN Verlag
Erscheinungsjahr2008
Seitenanzahl115 Seiten
ISBN9783638023399
FormatPDF/ePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis34,99 EUR
Magisterarbeit aus dem Jahr 2007 im Fachbereich Geschichte Europa - Deutschland - Nationalsozialismus, II. Weltkrieg, Note: 1,3, Helmut-Schmidt-Universität - Universität der Bundeswehr Hamburg, 85 Quellen im Literaturverzeichnis, Sprache: Deutsch, Abstract: Es ist kaum auszudenken, dass vor mehr als 60 Jahren Höhlen, Bergwerke und Straßentunnel eine große Hoffnung der deutschen Rüstungswirtschaft symbolisierten: Bombensichere Produktion. Bereits 1936 wurden im Rahmen der deutschen Kriegsvorbereitungen Überlegungen zum baulichen Luftschutz der Bevölkerung und Industrie angestellt. Bis zu diesem Zeitpunkt hatten derartige Überlegungen nur in militärischen Kreisen Berücksichtigung gefunden, etwa beim Bau der Maginot-Linie. Man erkannte jedoch, dass die Beschränkung auf Verbunkerung der Frontlinien im nächsten zwischenstaatlichen Konflikt nicht ausreichen würde. Die Luftfahrzeugtechnik hatte sich seit 1919 erheblich weiterentwickelt und insbesondere die Vergrößerung der Einsatzreichweite ermöglichte es nun, Industriegebiete und Städte des Gegners mit schnellen und intensiven Luftangriffen erheblich zu schädigen. Die Gesamtmenge der Bombenlast, die zwischen 1941 und 1945 durch britische und amerikanische Flugzeuge auf das vom Deutschen Reich besetzte Europa abgeworfen wurde, betrug mehr als 2,6 Millionen Tonnen. Beachtung verdient die Tatsache, dass sich die Produktion vieler deutscher Rüstungszweige trotz der umfangreichen alliierten Luftoffensiven bis zum September 1944 immer wieder erholen und sogar steigern konnte. Zahlreiche Faktoren bewirkten diese Entwicklung, aber mitunter waren dafür auch Industrieverlagerungen verantwortlich. Fraglich bleibt die Rolle der unterirdischen Verlagerung... Eine Aufstellung verschiedener deutscher Ämter vom November 1944 sah eine Gesamtfläche von mehr als 7,8 Millionen Quadratmetern unterirdischen Raumes für die Rüstungswirtschaft vor. Die Flugzeugindustrie hatte mit ca. drei Millionen geplanten Quadratmetern den größten Anteil an dieser Fläche, nutzte Untertageverlagerungen also in besonders hohem Maße. Wie erfolgreich die Vorhaben in diesem Rüstungssektor verliefen, an welche Bedingungen ihr Erfolg oder Misserfolg geknüpft war und welche Bedeutung sie letztendlich für die Flugzeugproduktion hatten, ist bisher nicht näher untersucht worden. Die Klärung dieses Sachverhalts ist der erste Teil der Fragestellung. Außerdem werden die Ergebnisse der Analyse zu denen zweier anderer Rüstungszweige, der Kugellager- und Mineralölindustrie, in Bezug gesetzt, um auch eine branchenübergreifende Aussage dazu treffen zu können, inwieweit unterirdische Rüstungsproduktion bedeutsam war.

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Leseprobe

1. Einleitung


 

1.1 Untertageverlagerung – Eine geeignete Luftschutzmaßnahme?


 

Das Passieren eines Straßentunnels geschieht bei den Geschwindigkeiten heutiger Kraftfahrzeuge schnell und ruft keine besonderen Hintergrundgedanken hervor. Vielleicht werden einige kurzzeitig von einem beklommenen Gefühl ergriffen, weil ihnen die Enge und Dunkelheit unbehaglich ist. Es ist kaum auszudenken, dass vor mehr als 60 Jahren Tunnel wie dieser eine große Hoffnung der deutschen Rüstungswirtschaft symbolisierten: Bombensichere Produktion. Bereits 1936 wurden im Rahmen der deutschen Kriegsvorbereitungen Überlegungen zum baulichen Luftschutz der Bevölkerung und Industrie angestellt. Bis zu diesem Zeitpunkt hatten deratige Überlegungen nur in militärischen Kreisen Berücksichtigung gefunden, etwa beim Bau der Maginot-Linie. Man erkannte jedoch, dass die Beschränkung auf Verbunkerung der Frontlinien im nächsten zwischenstaatlichen Konflikt nicht ausreichen würde. Die Luftfahrzeugtechnik hatte sich seit 1919 erheblich weiterentwickelt und insbesondere die Vergrößerung der Einsatzreichweite ermöglichte es nun, Industriegebiete und Städte des Gegners mit schnellen und intensiven Luftangriffen erheblich zu schädigen. Die Bedrohung war deutlich größer als bei den Zeppelinangriffen des Ersten Weltkriegs.[1] Aus diesem Grund musste dem zivilen Luftschutz vor dem nächsten Konflikt  große Beachtung geschenkt werden. Gleichsam war es wichtig, die Wirtschaft und insbesondere die Rüstungsindustrie vor Bombardements zu schützen. Jedoch existierten im Deutschen Reich bis zum Beginn des Zweiten Weltkriegs nur wenige Ausnahmen, die dies berücksichtigten. Zum Beispiel gab es ein unterirdisches Kraftwerk bei Mannheim, denn Teile der Anlage befanden sich 25 m unter dem eigenen Kohlevorrat. Andere Berichte sprechen von einem Unterwasserkraftwerk im Staukörper einer Talsperre.[2] Neben dem Deutschen Reich entwickelten auch die USA, Frankreich, Großbritannien, Schweden und Japan unterirdische Fabriken.[3] So wurde bei der Eroberung von Paris im Jahre 1940 eine Rüstungsanlage dieser Art[4] von der Wehrmacht entdeckt und in den USA existierten bereits vor Beginn des Zweiten Weltkriegs unterirdische Flugzeugwerke.[5] Die meisten deutschen Rüstungsunternehmen hingegen zeigten aufgrund des hohen Aufwands und in Erwartung eines kurzen Krieges eher geringes Interesse an derartigen Anlagen.[6] Die strategischen Bombardements der alliierten Luftstreitkräfte sollten diese Haltung jedoch ändern.

 

Die Gesamtmenge der Bombenlast, die zwischen 1941 und 1945 durch britische und amerikanische Flugzeuge auf das vom Deutschen Reich besetzte Europa abgeworfen wurde, betrug mehr als 2,6 Millionen Tonnen. Über 50% davon fielen auf das ursprüngliche Reichsgebiet. 28% der gesamten Bombenlast, und damit die größte Menge, wurde über Städten abgeworfen. Mit 23% war das Verkehrsnetz am zweit schwersten betroffen und die chemische Industrie stand mit 13% an dritter Stelle der Luftkriegseinwirkungen.[7] Beachtung verdient die Tatsache, dass sich die Produktion vieler deutscher Rüstungszweige trotz der umfangreichen alliierten Luftoffensiven bis zum September 1944 immer wieder erholen und sogar steigern konnte.[8] Zahlreiche Faktoren bewirkten diese Entwicklung, aber mitunter waren dafür auch Industrieverlagerungen verantwortlich. So wurden zwischen November 1943 und November 1944 über 4.100 Betriebsumsetzungen aller Art durchgeführt. Die Rüstungsendfertigung war daran mit über 62% beteiligt und der Anteil der Zulieferindustrie lag bei etwa 28%. Es steht daher außer Zweifel, dass diese Industrieverlagerungen in einem gewissen Maße zur Verlängerung des Krieges beigetragen haben. [9]

 

Gewiss ist ebenfalls, dass der Gesamtaufwand für unterirdische Fabriken enorm war. Das verfügbare Bauvolumen der Rüstungsindustrie wurde Ende 1944 folgendermaßen verwandt: knapp 70% des Zements, 75% des Baustahls und 60% der Arbeitskräfte wurden dem Bau von Untertageverlagerungen zugeteilt.[10] Die Gesamtzahl und      der Gesamtumfang der Untertageverlagerungen sind jedoch nicht genau bekannt. Im Frühjahr 1944 waren mindestens 670 unterirdische Anlagen für die gesamte Rüstungsindustrie vorgesehen[11] und eine Aufstellung verschiedener Ämter[12] vom November 1944 sah eine Gesamtfläche von mehr als 7,8 Millionen Quadratmetern unterirdischen Raumes für die Rüstungswirtschaft vor, wovon bis dahin etwa 1,5 Millionen Quadratmeter fertig gestellt worden waren.[13] Der reine Umfang sagt jedoch nichts darüber aus, inwieweit unterirdische und bombensichere Fertigungsstätten zum Erfolg der industriellen Dezentralisierungsmaßnahmen beigetragen haben.

 

1.2 Forschungsstand


 

Es existiert bisher weder ein Überblickswerk über alle Untertageverlagerungen der deutschen Rüstungsindustrie im Zweiten Weltkrieg, noch eine Teildarstellung derartiger Projekte im Bezug auf eine einzelne Branche. Hingegen gibt es einige Untersuchungen über einzelne Untertageverlagerungen, einige wenige regionale Überblickswerke und einen ‚Decknamenatlas‘[14].Das Thema wird in etwa 100 englisch- und deutschsprachigen wissenschaftlichen Arbeiten erwähnt. Das geschieht jedoch in unterschiedlichem Umfang und die Untertageverlagerung ist dabei nie Kern einer eigentlichen Untersuchung. Maximal werden den Anlagen kurze Kapitel gewidmet, wenn die Beantwortung der Leitfragen „unter Betrachtung“ oder „Berücksichtigung“ der unterirdischen Rüstungsproduktion erfolgt. Ein Großteil dieser Untersuchungen behandelt den Zwangsarbeitereinsatz bei Rüstungsunternehmen und die Geschichte von Konzentrationslagern, während sich nur wenige Arbeiten mit den politischen und organisatorischen Gegebenheiten der Untertageverlagerung befassen. Die Betrachtung dieser Vorhaben unter gesamtwirtschaftlichen oder kriegsgeschichtlichen Gesichtspunkten findet, wenn überhaupt, dann nur im Rahmen von Überblickswerken zur deutschen Rüstungswirtschaft im Krieg sowie in Darstellungen zur Luftkriegsgeschichte statt. Der nutzbare Umfang beschränkt sich dort meist auf wenige Seiten, auf denen unterirdische Produktionsstätten im Rahmen der allgemeinen Dezentralisierung der Rüstungsindustrie kurz erwähnt werden. Die dort getroffenen Aussagen sind oft sehr verallgemeinernd und basieren vorwiegend nur auf einzelnen Quellen und nicht auf Studien. Ergiebiger sind hingegen Unternehmensgeschichten, die die Zeit des Zweiten Weltkriegs behandeln. Hier finden sich mitunter detaillierte Informationen zu den wesentlichen Verlagerungen der jeweils betrachteten Firma. Die Analyse der Ergebnisse erfolgt aber meist ohne Einordnung in die Gesamtlage des betreffenden Industriezweigs. Außerdem ist hier erhöhte Aufmerksamkeit geboten, wenn die Geschichte des Betriebs im Auftrag desselben erstellt wurde. Dann besteht die Gefahr, dass Tatsachen verfälscht werden, um die Verknüpfung des Unternehmens mit dem Zwangsarbeitereinsatz möglichst unbedeutend darzustellen. Ähnliche Gefahren birgt eine andere Literaturkategorie: Autobiographien führender Persönlichkeiten der Rüstungswirtschaft wie Rüstungsminister Albert Speer[15] oder Generalluftzeugmeister Erhard Milch[16]. Diese enthalten meist nur wenig brauchbare Details zur Untertageverlagerung und der bereits erwähnte Zweck des ‚Reinwaschens‘ der persönlichen Verantwortung ist an manchen Stellen deutlich erkennbar. Eine besonders zu erwähnende Kategorie im Zusammenhang mit Untertageverlagerungen sind Darstellungen zu einzelnen unterirdische Rüstungsanlagen oder sogenannten ‚Geheimprojekten‘, welche sich für eine wissenschaftliche Darstellung kaum eignen. Die Schaffung einer geheimnisvollen Atmosphäre ist das Ziel dieser Werke, die mit den Abbildungen verlassener Industrieanlagen und technischen Details reich bestückt sind.

 

Die vorgenommene Beurteilung der Forschungslage gilt für Untertageverlagerungen der gesamten Rüstungsindustrie. Bei Beschränkung auf einzelne Branchen reduziert sich die vorhandene Literatur noch einmal erheblich. Die meisten Informationen sind über die Untertageverlagerung der V2-Produktion, der Kugellagerfertigung, der Mineralölindustrie und der Flugzeugindustrie zu finden. Die V2 ist weitgehend erforscht[17] und im Bereich der Mineralölerzeugung und Kugellagerindustrie sind nur wenige Monographien erschienen, die aber das Wesentliche abdecken. Im Bereich des Flugzeugbaus ist die Literaturbasis breit, aber es handelt sich dabei vorwiegend um Einzeldarstellungen, die zur Schaffung einer Gesamtaussage noch der vergleichenden Analyse bedürfen.

 

1.3 Fragestellung


 

Die Flugzeugindustrie hatte gemäß der in Kapitel 1.1. erwähnten Aufstellung mit ca. drei Millionen geplanten Quadratmetern den größten Anteil an der unterirdischen Fläche, nutzte Untertageverlagerungen also in besonders hohem Maße. Wie erfolgreich die Vorhaben in diesem Rüstungssektor verliefen, an welche Bedingungen ihr...

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