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Die Rückkehr des Dionysos

Chthonisches, Postmodernismus, Stille

AutorEugenijus Alisanka
VerlagATHENA Verlag
Erscheinungsjahr2014
Seitenanzahl151 Seiten
ISBN9783898967556
FormatePUB/PDF
KopierschutzWasserzeichen/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis12,99 EUR
"Dionysos ist Energie, dazu auch Wahnsinn, Ekstase, Destruktion, er steht für das Prinzip der Metamorphose und des Wandels, er ist 'jenseits von Gut und Böse', das ist eine chthonische Kraft, die in jedem von uns pulsiert. Ihre Aktivierung wird zu einem Signum zeitgenössischer Kultur." Eugenijus Alisanka bemüht sich in seiner kulturologischen Studie auch gar nicht um eine genaue Definition von Phänomenen, die sich per se jeder Definition entziehen. Deutlich aber ist das Anliegen, einem Signum zeitgenössischer Kultur nachzuspüren. Die Studie ist in Entsprechung zu den drei Schlüsselbegriffen in drei Kapitel gegliedert: Im ersten Kapitel wird chthonische (erdverbundene) Imagination, das Eindringen des dionysischen Logos in die existenzielle Erfahrung des modernen Menschen thematisiert. Sie bedeutet zugleich eine Revolte gegen den Logozentrismus in der europäischen Kultur, wird als postmoderne Figuration gedeutet. Im zweiten Kapitel werden einige Tendenzen der Postmoderne in der litauischen Kultur aufgezeigt und diskutiert. Das dritte Kapitel behandelt das Phänomen der Stille in der zeitgenössischen Kultur. Die dionysische Ekstase hat paradoxerweise ihre Kulmination in der Stille, die chthonische Imagination findet ihre Grenze und zugleich Erfüllung im Tempel der Leere, dort, wo einst die Götter wohnten.

Eugenijus Alisanka (geb. 1960) ist Lyriker, Essayist und Übersetzer. Abgeschlossenes Studium der Mathematik an der Universität Vilnius; wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Kultur und Kunst; 1994-2002 Direktor für internationale Programme beim litauischen Schriftstellerverband; Organisator des internationalen Poesie-Festivals "Frühling der Poesie". 1992 wurde Alisanka mit dem Z. Ge.le.-Preis für den Lyrikband Äquinoktium ausgezeichnet. Es folgte der Literaturpreis des Kulturministeriums der Republik Litauen für Die Rückkehr des Dionysos, der Preis des Festivals "Frühling der Poesie" für die Übersetzungen von Ales Debeljak und Zbigniew Herbert. Derzeit lebt und arbeitet er in Vilnius.

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Leseprobe

Trends der Postmodernisierung litauischer Kultur


Ein neues Vokabular, Prämissen des Postmodernismus


Die Dynamik zeitgenössischer Kultur ist schwer zu beschreiben, vor allem deshalb, weil uns die nötige Distanz fehlt. Das Objekt, das beschrieben werden soll, ist ohne klare Konturen, hat sich noch nicht entfernt, ist noch nicht »toter« Gegenstand. So werden Kulturtheoretiker meist zu Kulturhistorikern, sie nehmen sich »abgelebte« Epochen vor, untersuchen sie mit der einen oder anderen Methode, indem sie Rückbindungen zur Gegenwart suchen. Andererseits erhellt die moderne Reflexion einen wichtigen Sachverhalt: dass nämlich die Erfahrung des Untersuchenden, bestimmt durch das eigene Zeitalter, das zu untersuchende Objekt deformiert. So kann man eben nicht objektiv über das Mittelalter sprechen, der Forscher analysiert und synthetisiert das ihm vorliegende Material und betrachtet es aus der Perspektive unserer heutigen Sprache und Bildwelt. Muss doch das Resultat seiner Untersuchungen dem Menschen unserer Tage bedeutsam und auch verständlich sein. Alle kulturellen Forschungen sind »Vergegenwärtigungen«, das wird auch durch die Sprache des Anwenders bestimmt, durch seine Ideologie und andere zeitgegebene und zeitgebundene weltanschauliche Gegebenheiten.

Ein solches sich Einbringen des Subjekts in das jeweilige Objekt, dessen Teilnahme an den zu beschreibenden Prozessen entspricht ganz und gar der dionysischen Logik, die das Profil postmoderner Kultur formiert. Gerade das postmoderne Bewusstsein, indem es das Prinzip der Teilnahme anerkennt, formiert einen neuen Typ der Reflexion, der das Objektivitätskriterium in den Wissenschaften anfechtet. Äußerlich zeigt sich das in der Spannung zwischen den sich für akademisch haltenden Disziplinen und den neuen Diskursen. Letztere konstatieren, direkt oder indirekt, die auf dem logozentrischen monodisziplinären Prinzip beruhenden Denkstile als kraft- und hilflos, verwerfen deren »ultimatives Vokabular« (Richard Rorty); sie selbst erscheinen als synthetisch, interdisziplinär und direkt marginal. Beispiel eines neuen Diskurses par excellence ist der Essay, so kann auch ein akademisch erscheinender Text genannt werden (Michel Foucault) oder ein unversehens sich in Literatur verwandelnder Text (Hercus Kun?ius, Regimantas Tamošaitis). Der Erschaffer neuer Texte, das ist Rortys Ironiker, der ein neues Vokabular sucht, doch »indem er beschreibt, was er tut, wenn er dieses endgültige Vokabular sucht, ein besseres als das zur Zeit vorhandene, akzentuiert er metaphorisch die Aktion (hervorgehoben zitiert), nicht das Finden, Vielfalt und Neuheit, nicht die Annäherung an ein Gegebenes. Als endgültiges Vokabular sieht er poetische Errungenschaften an, und nicht Ergebnisse emsiger Forschung, gestützt auf im Voraus formulierte Kriterien«.[1]

Eine solche Einstellung macht es möglich, diese Art Studien an der langen Leine zu halten, den Autoren ist erlaubt, sich »zu irren«, ihr eigenes »ultimatives Vokabular« zu finden und zu erproben, ohne gleich ein Bild des Ganzen liefern zu müssen, eine »poetische Variante«, wenn man so will. Die neuen Diskurse erzeugen vor allem jene Bereiche intellektueller Tätigkeit, die man der Kulturologie oder den cultural studies zuordnen kann. Letztere speisen sich aus den verschiedensten Disziplinen: Soziologie, Anthropologie, Semiotik, Linguistik, den Literaturwissenschaften u. a. »Häufig geradezu als Anti-Disziplin umrissen, leben die cultural studies zumindest von ihrem Unglauben an sich als akademische Disziplin, ein durchaus produktiver Zustand«.[2] Gerade hier entsteht ein neues Vokabular, da, »wo die Abwesenheit jeder Methode von selbst wieder zur Methode wird«.[3] Unter diesem Aspekt muss man auch das Provisorische des in dieser Abhandlung verwendeten begrifflichen Instrumentariums sehen: also die Kategorien Postmodernismus, Chthonisches, dionysische Logik etc.

Das bedeutet jedoch nicht, dass das Umreißen des Inhalts dieser Kategorien beliebig wäre. Meistens haben wir gewisse »annähernde« Begriffe, die der eine oder andere Autor schon in dem einen oder anderen Kontext verwendete. Deren Unschärfe wird zum Vorzug und zugleich zu einem Mangel. Es ergibt sich die Möglichkeit, einen gemeinsamen Nenner zu finden, der sich hinter den heterogensten Erscheinungen verbirgt, zugleich ängstigt er nicht mit unbegründeten Verallgemeinerungen. Diese Schwierigkeiten sind unvermeidlich auch bei der Erörterung postmodernistischer Erscheinungen oder Trends der Postmodernisierung in Litauen, ruft doch der Begriff Postmodernismus selbst, weit verbreitet in der zeitgenössischen Kulturtheorie, den meisten Streit hervor. In modernen Texten werden wir mit einer solchen Vielfalt von Umschreibungen konfrontiert, dass der Begriff nicht selten Allergie erzeugt, selbst bewusste Anstrengungen, ihn zu verwerfen oder wenigstens zu vermeiden.

Die Kategorie des Postmodernismus kam auf bei der Erörterung bestimmter Elemente der westlichen Kultur, der Kultur ökonomisch entwickelter Gesellschaften im Allgemeinen, er wird in Zusammenhang gebracht mit der Dynamik der technologischen Revolution. Litauen ist vorerst noch das Land der gebrauchten Computer und Secondhand-Läden, zumindest in den nächsten Jahren droht hier noch nicht die Gefahr der Übersättigung. Ein solches Verständnis postmoderner Kultur, sozusagen als Überbau der Überflussgesellschaft, weist gewisse Verbindungen zur marxistischen Gesellschaftstheorie auf. Ungeachtet ihrer nicht geringen Popularität in der zeitgenössischen Theorie des Westens liefert sie dennoch nur ein einseitiges Bild. Aus der Sicht dieser Theorie könnte der Postmodernismus in Litauen als importiert erklärt werden, als Folge eines Einflusses von außen oder schlicht als Simulation. Ein nur fragmentarisches Bild liefert auch ein metahistorisches oder achronisches Verständnis dieses Phänomens. Ein solches schlug Umberto Eco vor, indem er den Postmodernismus nicht für eine historisch-chronologisch zu fassende Richtung hält, sondern eher für eine geistige Kategorie. Jede Epoche, so behauptet Eco, habe ihren Postmodernismus, so wie jede Epoche ihren Manierismus gehabt habe.[4] Immerhin, ein solcher Blickwinkel bietet einen breiteren Kontext, auch den Postmodernismus Ende des 20. Jahrhunderts zu begreifen, die Möglichkeit, gewisse Wiederholungen zu erkennen, Typologien auszumachen und für die Erforschung gegenwärtiger Kultur zu nutzen.

Den vorherrschenden Trend machen die Umschreibungen aus, genauer: Beschreibungen, welche über die kulturellen Manifestationen des 20. Jahrhunderts sprechen. Eine Vielzahl von Theoretikern begreift den Postmodernismus dieses Jahrhunderts als Negation der Moderne und zugleich als deren historische und logische Fortsetzung, obwohl nicht immer das Geburtsdatum angezeigt wird. Die litauische Kultur, die nach europäischen Werten lebt und sich mit den großen westlichen Kulturen zu synchronisieren sucht, verspätet sich ständig um einige Dekaden. Erst in den letzten Jahrzehnten hat sie ihre modernistische Position gestärkt, ein halbes Jahrhundert nach Thomas Mann, James Joyce, Marcel Proust. So ist es nicht verwunderlich, dass der Postmodernismus hierzulande nicht gerade erwartet wurde, man sein Erscheinen als ein »aus der Reihe tanzen« wertete, oder, mit modernistischem Vokabular, als »geistlos«, »amoralisch«, »zynisch«, »barbarisch« usw. abqualifizierte. Andererseits bedeutet besonders in der Sphäre der Bildenden Kunst das Etikett »postmodern« ein eigentümliches Qualitätszeichen, ein Codewort aus dem ultimativen Vokabular der neuen künstlerischen Elite, die neue Erscheinungen der Kunst kodifiziert, die sich ändernden Modi der Visualisierung. So gesehen erfüllt er dieselbe Funktion wie die Begriffe »Modernismus« oder »Avantgardismus« zu Beginn des 20. Jahrhunderts.

Wie immer man die Symptome des Postmodernismus diagnostizieren mag, er wird von Befürwortern wie Gegnern meist als Krise des kulturellen Potentials gedeutet, vor allem des Potentials, das in der Kultur Westeuropas (und Amerikas) samt ihren Institutionen angelegt ist. Das Versanden von Tradition zwingt, sich den Randbezirken der Kultur zuzuwenden, Lösungen zu finden in ihren Marginalien. Es dominiert ein Anti-Elitarismus, Ironie verdichtet sich, geboren aus dem Schwinden von Bedeutungen. Erotismus gedeiht, mit allen perversen Randerscheinungen. Beatniks und Hippies propagierten primitive Lebensformen, diverse Richtungen einer Gegenkultur formierten sich. Man wandte sich dem Osten zu, neigte zu orientalischer Mystik und Okkultismus. Die Kunst zweifelte nicht nur an ihrer Funktion, sondern auch an ihren Grenzen, an ihrer Legitimation. All diese Merkmale einer Krise der modernen Kultur produzieren zugleich auch die Lösungen, die in einem vielfarbigen und vieldeutigen zeitgenössischen Kultur-Mosaik ihren Ausdruck finden. Diese Art von Pluralismus ist zuallererst eine Reaktion auf das totalitäre, logozentrische Paradigma. Die Adepten der Postmoderne setzen sich zur Wehr gegen die verordnete Ganzheit, gegen die Diktatur des Alleinen und besonders gegen solche Formen von Totalität wie Utopie und Eschatologie.

Diese Rückwirkung der Postmoderne erreichte auch die litauische Kultur, die einen Bruch und Umbruch erfuhr. Vorerst ist eher eine ziemlich zerklüftete Ruinenlandschaft zu besichtigen. Durchaus gesunde Gebäude sind stehengeblieben, von anderen blieben nur die Fassaden, es gibt Keller, die vor allem Unheil schützen sollen, hier und da wächst auch eine neue Architektur. Es sind das Resultate eines sich über Jahrzehnte hinziehenden Kampfes gegen den politischen Totalitarismus, den eisernen Vorhang, eines Kampfes um Freiheit. Das Streben nach staatlicher Unabhängigkeit, versteht sich, kannte keine Prämissen...

Blick ins Buch
Inhaltsverzeichnis
Vorwort8
Grundlegungen chthonischer Imagination10
11
22
28
– Postmodernismus und Sacrum36
44
50
57
Trends der Postmodernisierung litauischer Kultur72
72
78
86
90
94
99
Das Problem der Stille in der zeitgenössischen Kultur118
119
124
128
136
140

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