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E-Book

Die Verlegerin

Wie die Chefin der «Washington Post» Amerika veränderte

AutorKatharine Graham
VerlagRowohlt Verlag GmbH
Erscheinungsjahr2018
Seitenanzahl704 Seiten
ISBN9783644405431
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis14,99 EUR
Jetzt im Kino in der Verfilmung von Steven Spielberg mit Meryl Streep und Tom Hanks 'Die Verlegerin' ist Katharine Grahams bewegende Autobiographie und gleichzeitig ein Spiegel der amerikanischen Gesellschaft des 20. Jahrhunderts. Mit 46 Jahren wurde Graham unvermutet Verlegerin der Washington Post, nachdem sich ihr Mann - der frühere 'Post'-Verleger - das Leben genommen hatte. Sie fühlte sich zunächst unwohl in der Männerwelt des Journalismus und lehnte dennoch alle Verkaufsofferten ab. Ihre mutigen Entscheidungen prägen die Zeitung bis heute. 1971 lässt sie die streng geheimen 'Pentagon-Papiere' über den Vietnam-Krieg veröffentlichen, trotz drohender Strafe wegen Landesverrats. Ein Jahr später gibt sie ihren Redakteuren Rückendeckung bei der Enthüllung der Watergate-Affäre, die den US-Präsidenten das Amt kostete. Graham wurde als mächtigste Frau Amerikas gefeiert. 'Sie stürzte Richard Nixon', titelte 'Die Zeit' später. Ausgezeichnet mit dem Pulitzer-Preis

Katharine Graham wurde 1917 in Mount Kisco, New York, geboren. 1933 kaufte Grahams Vater, der Finanziers Eugene Meyer, die damals fast bankrotte 'Washington Post', die ihr Ehemann Phil von 1946 bis zu seinem Freitod 1963 leitete. Mit 46 Jahren stürzte sich Katharine Graham ins Zeitungsgeschäft - und schaffte es. Aus der 'Washington Post' machte sie eine der angesehensten Zeitungen der USA, aus dem anfangs unbedeutenden Nachrichtenmagazin 'Newsweek' den liberalen Konkurrenten von der 'Time'. Heute gehören zur 'Washington Post Company' auch Fernseh- und Radiosender. 2001 verstarb Katharine Graham an den Folgen eines Sturzes.

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Leseprobe

Erstes Kapitel


Die Wege meiner Eltern kreuzten sich erstmals in einem Museum an der 23. Straße in New York. Es war am 12. Februar, Lincolns Geburtstag, und man schrieb das Jahr 1908. Eugene Meyer, zweiunddreißig Jahre alt, war damals erst seit wenigen Jahren als selbständiger Geschäftsmann tätig, aber bereits mehrfacher Millionär. Agnes Ernst, gerade einundzwanzig und frisch vom Barnard College ins Leben entlassen, war auffallend schön. Ihren Lebensunterhalt bestritt sie als freie Mitarbeiterin einer Zeitung, der alten New York Sun, und vom verdienten Geld konnte sie sogar ihre Familie ein wenig unterstützen. Sie besuchte in diesem Museum eine Ausstellung japanischer Drucke. Ihr Interesse für Kunst und ihre Berufstätigkeit waren damals für eine Frau durchaus ungewöhnlich.

Als mein Vater in seinem Stanley Steamer, einem der ersten Automobile, zur Wall Street fuhr, hatte er einen Bekannten entdeckt, den er eigentlich nicht besonders schätzte. Aber Edgar Kohler sah krank und niedergeschlagen aus und tat meinem Vater leid; also bot er ihm an, ihn mitzunehmen, und erwähnte nebenbei, daß er unterwegs kurz in die japanische Kunstausstellung gehen wolle. Kohler entschied sich, ihn dorthin zu begleiten.

Als sie die Galerie betraten, begegneten sie zwei Freunden, die im Hinausgehen bemerkten: »Da läuft ein Mädchen herum, das besser aussieht als alles an den Wänden.« Sofort entdeckten Kohler und mein Vater besagte junge Dame – groß, mit blondem Haar und blauen Augen, eindeutig eine starke und selbstsichere Persönlichkeit. Meine Mutter konnte sich ihr Leben lang daran erinnern, was sie an jenem Tag getragen hatte, denn sie hatte das Gefühl, ihr »Kostüm« (wie sie es nannte) habe für ihr weiteres Schicksal eine wichtige Rolle gespielt. In der Tat muß sie auffällig gekleidet gewesen sein mit ihrem grauen Tweedkostüm samt Hütchen aus Eichhörnchenfell, das mit einer Adlerfeder geschmückt war. Als mein Vater sie erblickte, sagte er zu Kohler: »Das ist das Mädchen, das ich heiraten werde.«

»Ist das Ihr Ernst?« fragte dieser, worauf mein Vater erwiderte: »In meinem ganzen Leben war es mir noch nie so ernst.« Kohler wandte ein, die Chancen einer erneuten Begegnung seien sicher gering und mein Vater solle das Mädchen deshalb ansprechen. »Nein, das wäre eine Beleidigung für sie und würde alles kaputtmachen.« Statt dessen vereinbarten beide Männer, wer ihr zuerst wieder begegne, der solle sie auch mit dem anderen bekannt machen.

Ungefähr eine Woche später rief Kohler meinen Vater an: »Raten Sie mal, was passiert ist.« – »Sie haben das Mädchen wieder getroffen«, kam die Antwort wie aus der Pistole geschossen. »Genau!« Kohler war auf einer Party im Hause einer Barnard-Kommilitonin von Agnes gewesen und hatte dort eine Amateuraufführung der Operette Die lustige Witwe gesehen. Darin spielte meine Mutter den Grafen Danilo. Als sie nach der Aufführung ohne Kostüm in die Runde trat, erkannte Kohler in ihr sofort das Mädchen aus der Kunstausstellung wieder. Er stellte sich vor, erzählte ihr vom Pakt mit meinem Vater und arrangierte einen Lunch zu dritt.

So hatte Kohler sein Versprechen also gehalten und Eugene und Agnes miteinander bekannt gemacht. An Lincolns Geburtstag im Jahre 1910, auf den Tag genau zwei Jahre, nachdem Eugene Agnes im Museum erstmals gesehen hatte, wurde Hochzeit gefeiert. Wenn ich heute auf mein langes Leben zurückblicke, so sticht mir vor allem eines ins Auge: die Rolle von Glück und Zufall im menschlichen Dasein. Jedenfalls folgte aus dieser besonderen Serie von Zufällen alles Weitere, von dem ich zu berichten habe.

 

Mein Vater kam aus einer angesehenen jüdischen Familie, deren Wurzeln in Elsaß-Lothringen viele Generationen zurückreichten. Aus ihr waren zahlreiche Rabbiner und führende Bürger hervorgegangen. Jacob Meyer, mein Ururgroßvater, war Mitglied der französischen Ehrenlegion und des Sanhedrins gewesen, eines Kollegiums jüdischer Notabeln, das von Napoleon I. in Verbindung mit der Anerkennung der Bürgerrechte für Juden zusammengerufen worden war.

Mein Großvater väterlicherseits, der eigentlich Marc Eugene Meyer hieß, doch immer nur Eugene genannt wurde, kam 1842 in Straßburg als jüngstes von vier Kindern der zweiten Frau seines Vaters zur Welt. Beim Tod des Vaters blieb die Mutter mittellos zurück, so daß Eugene die Schule nur bis zum vierzehnten Lebensjahr besuchen konnte. Dann mußte er, wie zuvor schon seine Geschwister, arbeiten, um zum Lebensunterhalt der Familie beizutragen. Zuerst war er für die Gebrüder Blum tätig, die einen Laden im Elsaß besaßen und einen weiteren – kaum zu glauben – inDonaldsonville, Mississippi. Als einer der Chefs dem jungen Eugene verkündete, er werde nach Amerika gehen, entschied sich mein Großvater, ihn zu begleiten. Unterwegs, in Paris, stellte Blum ihn Alexandre Lazard von der Firma Lazard Frères vor, und dieser gab ihm ein Empfehlungsschreiben für seinen Partner in San Francisco mit. Die Passage nach New York auf dem schnellsten Schiff der damaligen Zeit, einem Raddampfer, kostete in der dritten Klasse 110 Dollar. Auf diesem Schiff verließ Eugene Meyer im September 1859 Europa. Von New York aus nahm er einen Dampfer nach Panama, überquerte die Landenge mit der Eisenbahn und fuhr dann mit einem weiteren Dampfschiff nach San Francisco, einer Stadt, die damals ungefähr fünfzigtausend Einwohner hatte. Dort blieb er zwei Jahre, lernte Englisch und legte vom Lohn, den er für seine Arbeit in einem Auktionshaus bekam, kleinere Ersparnisse an, ehe er 1861 nach Los Angeles weiterzog, wo ein Cousin der Lazards einen tüchtigen Verkäufer für seinen Laden suchte. Laut Eugenes Beschreibungen hatte Los Angeles damals nur etwa drei- bis viertausend Einwohner, die meisten davon Ausländer. Es gab nur vier Ziegelsteinhäuser, ansonsten Lehmgebäude mit Dächern, in denen Risse klafften. Gepflasterte Straßen waren ebenso unbekannt wie eine Kanalisation. Doch mein Großvater verbrachte die folgenden zweiundzwanzig Jahre in Los Angeles.

Er begann als Verkäufer und Buchhalter und wohnte im Hinterzimmer des Ladens. Manchmal schlief er sogar mit seiner Waffe auf dem Tresen, um die Waren zu schützen. Als sich sein Ruf, ein verläßlicher und nüchterner Geschäftsmann zu sein, im Ort verbreitete, begannen einige seiner neuen Freunde, ihr Geld bei ihm zu hinterlegen, denn damals gab es dort noch keine Banken. Innerhalb von drei Jahren war Eugene zum Teilhaber des Ladens aufgestiegen, der unter dem Namen »The City of Paris« bekannt wurde. Und innerhalb von zehn Jahren hatten er und sein Bruder Constant den Laden ganz übernommen. Eugene begann ferner damit, Geld zu verleihen, wurde Bankdirektor, organisierte zugleich den Los Angeles Social Club und half als Mitglied des Vigilance Committee (Bürgerwehr), Gesetz und Ordnung aufrechtzuerhalten. Er gehörte zu den Mitbegründern der städtischen Wasserversorgungsgesellschaft, investierte in Immobilien und Bergwerke und diente außerdem noch als französischer Konsularagent. 1867 heiratete er die sechzehnjährige Harriet Newmark, deren Vater, ein Rabbiner, die Hochzeitszeremonie selbst durchführte. Im Anschluß gab es in der neuen Wohnung des Paares ein aufwendiges Hochzeitsessen – mit Eis als Nachtisch, was damals in Los Angeles noch etwas ganz Neues war.

Mein Vater Eugene Isaac Meyer kam 1875 zur Welt. Nach drei älteren Schwestern, Rosalie, Elise und Florence, war er der erste Junge in der Familie; es folgten noch vier weitere Kinder: zwei Töchter, Ruth und Aline, und zwei Söhne, Walter und – als Jüngster – Edgar.

Harriet, deren Konstitution nicht so stark war wie die ihres Mannes, wurde zur mehr oder weniger ständig kränkelnden Invalidin. Ob das nun damit zusammenhing, daß sie bis zum Alter von zweiunddreißig Jahren unter den medizinischen Bedingungen der Pionierzeit acht Kinder zur Welt gebracht hatte, ob sie Depressionen hatte oder ob beide Ursachen eine Rolle spielten, weiß man nicht. Jedenfalls war die Mutterfigur in der Jugend meines Vaters seine Schwester Rosalie, die nur sechs Jahre älter war als er selbst und die Schule verlassen mußte, um bei der Aufzucht ihrer Geschwister zu helfen.

Diese Lebensumstände der Kindheit meines Vaters lassen mich seine Persönlichkeit besser verstehen. Sein eigener Vater war sehr streng und nicht besonders liebevoll, soweit ich das beurteilen kann, und seine einzige wirkliche Mutterfigur war fast gleichaltrig. Rosalie war zwar lieb und sensibel, aber durch die ihr zugefallene Rolle als Respektsperson vollkommen überfordert. Sie war einfach noch nicht soweit, daß sie dieser Verantwortung hätte gerecht werden können. So verspürten wohl alle Geschwister nicht viel Elternliebe, denn der Vater war ehrgeizig und aufstiegsversessen, die Mutter nicht präsent. Mein Vater tat sich in eher intimen persönlichen Dingen immer schwer; seine zweifellos vorhandenen Gefühle konnte er nicht zum Ausdruck bringen.

Anfang 1884 zog mein Vater mit seinen Eltern und Geschwistern zurück nach San Francisco. Inzwischen hatte die Stadt bereits 225000 Einwohner und konnte der Familie Meyer weit bessere Ausbildungschancen und medizinische Behandlungsmöglichkeiten bieten als Los Angeles. Auch um die Sicherheit war es dort besser bestellt. Ich erinnere mich noch an einen Ausspruch meines Vaters, der sagte, in seinen ersten Lebensjahren sei in Los Angeles jeder mit einer Derringer-Pistole herumgelaufen und fast jede Nacht sei jemand erschossen worden. Meinem Großvater mag dieser Wechsel nach San Francisco gefallen haben, doch mein Vater wurde mit seinen acht Jahren sofort zur Zielscheibe von Aggressionen. Er war Einzelgänger und eine...

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