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Die Zerstörung

Warum wir für den gesellschaftlichen Zusammenhalt streiten müssen

AutorCarsten Brosda
VerlagHoffmann und Campe Verlag
Erscheinungsjahr2019
Seitenanzahl176 Seiten
ISBN9783455008807
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis15,99 EUR
Klar wie kaum jemand zuvor analysiert Carsten Brosda die Ursachen für das aktuelle Abrutschen der großen Volksparteien in der Wählergunst. Er skizziert die neue, oft kompromisslose politische Landschaft zwischen rechter Fremdenfeindlichkeit und grünem Kampf gegen den Klimawandel, und den wachsenden Einfluss der sozialen Medien, in denen zur Zerstörung der Volksparteien aufgerufen wird. Tatsächlich ist in den vergangenen Jahren einiges kaputt gegangen: Zerstörung bedeutet aber auch, dass der Blick frei wird auf die Fundamente unserer Demokratie. Kann demokratische Politik ohne Kompromisse und Ausgleich auf Dauer überhaupt erfolgreich sein? Wie können wir der Komplexität der Aufgaben, die vor uns liegen, gerecht werden? Gibt es doch noch einen Platz für die 'Volksparteien' in Deutschland? Und wie kann die Zukunft der SPD erfolgreich gestaltet werden? 'Wenn das 19. Jahrhundert im Zeichen des Kampfes um die Freiheit stand und das 20. Jahrhundert von Konflikten um die gerechte Verteilung von Teilhabe und Ressourcen geprägt war, wird das 21. Jahrhundert zunehmend von der Frage nach dem gesellschaftlichen Zusammenhalt bestimmt werden.'

Dr. Carsten Brosda, Jahrgang 1974, ist Senator für Kultur und Medien in Hamburg sowie Vorsitzender des Kulturforums der Sozialdemokratie und Co-Vorsitzender der Medien- und Netzpolitischen Kommission des SPD-Parteivorstandes. Nach einem Studium der Journalistik und Politikwissenschaft wurde er mit einer Arbeit über 'Diskursiven Journalismus' promoviert. Er war u. a. Leiter der Abteilung Kommunikation des SPD-Parteivorstandes und arbeitet seit 2011 in Hamburg, zunächst als Leiter des Amtes Medien, ab 2016 als Staatsrat für Kultur, Medien und Digitalisierung und seit Februar 2017 als Senator.

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Leseprobe

Die Zerstörung des öffentlichen Gesprächs


Es hat sich etwas verändert in der Art und Weise, wie wir miteinander öffentlich – und damit politisch – sprechen. Dieser Befund ist keineswegs neu. Seit mindestens zwei Jahrzehnten stellen immer neue digitale Informations-, Kommunikations- und Vernetzungsangebote unsere hergebrachten Vorstellungen öffentlicher Kommunikation radikal auf den Kopf. Das offene Internet bietet eine Vielzahl an Möglichkeiten der direkten Information auch unter Umgehung klassischer journalistischer Vermittler. Suchmaschinen strukturieren das Wissen der Welt und machen es in einer Art und Weise zugänglich, von der seit der Aufklärung allenfalls geträumt werden konnte. Und soziale Netzwerke bieten die Möglichkeit des direkten Austauschs und der politischen Mobilisierung aus eigener Kraft.

Vordergründig bedeuten diese technologischen Innovationen zunächst eine Demokratisierung des Wissens und die Erfüllung des alten Brecht’schen Traums, von den Distributions- zu den Kommunikationsapparaten zu gelangen. Aber damit verbunden ist auch der Abschied von jenen Vorstellungen von Massenmedien, die nicht nur viele – und abstrakt alle! – erreichen können, sondern die damit auch einer Gemeinschaft dazu verhelfen, im Gespräch über die anliegenden Themen zur Gesellschaft zu werden.

Da etliche das Ende dieser massenmedialen Formierung gesellschaftlicher Kommunikation aktuell als Risiko für unsere Demokratie beklagen, lohnt es, sich noch einmal die jahrzehntelange Kritik an der massenmedial geprägten Demokratie ins Gedächtnis zu rufen. In Strukturwandel der Öffentlichkeit, seiner scharfen Abrechnung mit der Medienöffentlichkeit moderner Demokratien, hat Jürgen Habermas vor mehr als einem halben Jahrhundert eindringlich beschrieben, welche Kollateralschäden die für eine Demokratie notwendige Institutionalisierung öffentlicher Information und Kommunikation mit sich bringen kann.[5] Es entstehen neue Machtstrukturen, die eng verbunden sind mit der Möglichkeit der Medien, den Zugang zum gesellschaftlichen Gespräch zu regulieren und zu kontrollieren. Einzelne Bürgerinnen und Bürger kamen nur zufällig oder als Beiwerk erlittener Katastrophen in den Genuss öffentlicher Wahrnehmung. Das Prinzip der Repräsentanz war die Grundlage der Teilhabe und letztlich der parlamentarischen Staatsform als Ganzes. Wenige herausgehobene Protagonisten sprachen als korporatistisch legitimierte Vertreter großer Interessengruppen. Das Staatsvolk trat meist nur als Masse in Erscheinung, deren Willen sich in aggregierter Form bei Wahlen äußerte.

In einer solcherart vorstrukturierten Öffentlichkeit drohten wenige Überraschungen. Im Normalfall informierten die politischen Spitzenakteure über ihre politischen Vorhaben und diskutierten dann mit Vertretern der zivilgesellschaftlichen Organisationen das Für und Wider einzelner Aspekte, um letztlich zu einer parlamentarischen Entscheidung zu gelangen. Diese war Ausdruck der Kompromisse, die erforderlich waren, um eine Mehrheit der Bevölkerung bzw. der Abgeordneten hinter einem Vorschlag zu vereinen. Die Massenmedien berichteten über die Auseinandersetzungen im politischen Raum anhand starker, wahrnehmbarer Akteure, die bestimmte politische Positionen verkörperten. Auf diese Weise entstand eine erzählbare Akteurskonstellation.

Natürlich gab es auch in diesen massenmedial geprägten Zeiten regelmäßig Störungen, auch Zerstörungen des Routinemodus – und zwar immer dann, wenn zivilgesellschaftliche Akteure das Gefühl hatten, dass sich Regierung, Parlament oder Parteien, mithin das politische Zentrum, nicht ausreichend um eine Angelegenheit von Bedeutung kümmerten, und deshalb in die Top-down-Vermittlung eingriffen.[6] Aber diese Störungen bezogen sich auf die klassischen Institutionen der Öffentlichkeit. Um ein neues Thema zu setzen oder mit mehr Dringlichkeit zu versehen, musste es über die massenmediale Wahrnehmungsschwelle gehoben werden – durch weithin sichtbar mobilisierenden Protest wie die Demonstrationen gegen atomare Aufrüstung oder durch gezielt auf mediale Wahrnehmung hin inszenierte Protestaktionen wie die spektakulären David-gegen-Goliath-Kämpfe von Greenpeace oder den kalkulierten zivilen Ungehorsam im Kampf gegen geplante Atommüllendlager oder Wiederaufbereitungsanlagen. Adressat dieser Aktionen war natürlich die allgemeine Öffentlichkeit – allerdings nur mittelbar, während sich die unmittelbare Aktion an journalistische Medien, ihre Auswahlmechanismen und Bildlogiken richtete.

Politisches Routinehandeln und zivilgesellschaftlicher Protest begegneten sich so letzten Endes stets in der gleichen Arena massenmedial vermittelter Öffentlichkeit. Schon damals sah die Politik dabei oft nicht gut aus, wenn sie von einem Thema oder dem Furor der Kritik überrascht wurde. Und dennoch hatte sie Zeit, Gelegenheit und ein Forum, darauf wahrnehmbar zu reagieren. Das wird in den aktuell fragmentierten Öffentlichkeiten zunehmend schwieriger und trägt zu der seltsam wortreichen Sprachlosigkeit bei, die wir in vielen Debatten erleben. Ein wesentlicher Grund liegt in einer fundamental veränderten Vermittlungslogik des Öffentlichen, die verstehen muss, wer sich künftig wirksam am gesellschaftlichen Gespräch beteiligen will.

In der klassischen massenmedialen Öffentlichkeit gab es einen ökonomisch wie publizistisch rationalen Mechanismus der Auswahl und Aufbereitung von Themen, der sicherstellen sollte, dass eine möglichst große Reichweite erzielt werden konnte. Da die Zielgruppenansprache technisch kaum zu differenzieren war und eine Zeitung oder Zeitschrift ebenso wie eine Fernsehsendung immer auf eine möglichst große Verbreitung hin konzipiert wurde, orientierten sich auch Themenauswahl und Darstellung in der Regel auf den größten gemeinsamen Nenner und damit auf eine gesellschaftlich wirksame Vorstellung öffentlicher und allgemeiner Relevanz. Diese konfigurierte zugleich den Vorrat an Themen und Meinungen, der politisch und gesellschaftlich mit demokratischen Mitteln zu strukturieren und zu bearbeiten war.

Digitale Öffentlichkeit funktioniert verglichen mit dieser »One-to-Many«-Logik vollständig anders. Dies hat vor allem etwas zu tun mit dem Hinzutreten neuer digitaler Mittler, die zwischen den klassischen Medienanbietern und den Bürgerinnen und Bürgern mediale Angebote entbündeln, mit weiteren Informationen vermengen, neu zusammensetzen und erfahrbar machen. Dies geschieht nicht mehr regelhaft in einem redaktionellen Gesamtangebot, das diskursiv verhandelt und gemeinsam erarbeitet wird, sondern ist algorithmisch gesteuert. Auf den digitalen Plattformen existiert deshalb auch keine fakultative Themenauswahl mehr. Das präsentierte Informationsbukett ist stattdessen in der Regel personalisiert und orientiert sich jeweils individuell auf der Grundlage des bisherigen Surf- und Suchverhaltens am unterstellten singulären Interesse des jeweiligen Nutzers. Ausschlaggebend ist also heute weniger eine Idee öffentlicher Relevanz als vielmehr eine ausrechenbare individuelle Relevanz, die auf die Bedürfnisse des jeweils Einzelnen gerichtet ist.

Auch auf der Kommunikatorseite differenzieren sich die Zugänge erheblich aus: Während der Weg in die allgemeine öffentliche Verbreitung früher durch redaktionelle Medien gesteuert wurde und durch die hohen institutionellen Kosten für die Verbreitung von Inhalten – sei es gedruckt oder gesendet – beschränkt war, steht es heute jedem Besitzer eines Smartphones frei, sich beinahe ohne jegliche zusätzliche Kosten an eine weltweit unbegrenzte Öffentlichkeit zu richten. Die massenmedial vermittelte Öffentlichkeit wird inzwischen ergänzt durch zahlreiche Plattformen und Foren, in denen eine neue digitale Direktheit die Kommunikation prägt und in denen sich beinahe jeder zu beinahe jedem Thema äußern kann. Oder wie der Songwriter Danny Dziuk in seinem Lied »Ja, man darf (Demokratie)« singt: »Man darf in diesem Land beinah alles sagen/nur muss man dann auch das Echo vertragen.« Damit zielt er auf die rechtspopulistische Formel »Das wird man doch noch sagen dürfen« und weist trocken darauf hin, dass die Gegenrede ebenfalls möglich bleiben muss. »So geht halt Demokratie. Punkt.«

In diesen Veränderungen sowohl auf der Empfänger- als auch auf der Senderseite liegt zunächst einmal eine unglaubliche Chance auf einen demokratischen Freiheitsgewinn. Wenn beinahe jede Information uneingeschränkt verfügbar ist und beinahe jede Meinung uneingeschränkt wahrnehmbar geäußert werden kann, dann bedeutet das eine Aufweichung genau jener vermachteten Strukturen der Massenkommunikation, die über Jahrzehnte hinweg an den klassischen Medien kritisiert worden sind. Zugleich aber stellt sich immer brennender die Frage, wie es gelingen kann, in der drohenden Kakophonie einzelner Aussagen und in der unübersichtlich differenzierten technischen Aufbereitung von Information noch einen gemeinsamen Kristallisationspunkt öffentlicher Meinung zu gewährleisten.

In dem Buch Wie Demokratien sterben beschreiben die Harvard-Politologen Steven Levitsky und David Ziblatt, dass die Fähigkeit, den jeweils anderen in seiner Position anzuerkennen, eine der »Leitplanken der Demokratie« sei.[7] Wenn sie verloren ginge, dann sei auch die Demokratie in Gefahr. In der aktuellen Netzkommunikation scheint genau das regelmäßig zu passieren. Das zeigte sich zum Beispiel Anfang des Jahres 2019, als in Deutschland erbittert über eine europäische Urheberrechtsreform gestritten wurde. Die überaus hitzig geführte öffentliche Debatte war geprägt von Diskreditierungen,...

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