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E-Book

Auf dünnem Eis

Die Psychologie des Bösen

AutorLydia Benecke
VerlagVerlagsgruppe Lübbe GmbH & Co. KG
Erscheinungsjahr2013
Seitenanzahl347 Seiten
ISBN9783838745008
Altersgruppe16 – 
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,99 EUR

Lydia Benecke, Co-Autorin des Long- und Bestsellers AUS DER DUNKELKAMMER DES BÖSEN geht dem Ursprung des Bösen nach. Die Gefängnispsychologin, Fachfrau für besondere Vorlieben (Paraphilien) und erfahrene Ansprechpartnerin für Kriminalermittler nimmt uns mit auf einen Streifzug der Delikte, die uns alle in unserer Gegenwart so beschäftigen: U-Bahn-Schläger, rohe Gewalt, Amokläufer, Tierquälerei, Sadismus, Kannibalismus, Kindesmissbrauch und brutale Misshandlung. Was geht in so einem Täter nur vor? Und wie nah dran sind diese schrecklichen Taten an den ganz normalen Fantasien, die jeder von uns schon einmal hatte?



<p><strong>Lydia Benecke</strong><span style="font-family: 'Times New Roman'; font-size: 16px; background-color: #ffffff;">arbeitet als selbstständige Psychologin und als Therapeutin, unter anderem in einer Sozialtherapeutischen Einrichtung des Strafvollzugs mit schweren Straftätern. Sie hält regelmäßig Fortbildungen und Vorträge für ein breites Publikum. Mit</span><strong>AUF DÜNNEM EIS</strong><span style="font-family: 'Times New Roman'; font-size: 16px; background-color: #ffffff;">,</span><strong>SADISTEN</strong><span style="font-family: 'Times New Roman'; font-size: 16px; background-color: #ffffff;">und</span><strong>PSYCHOPATHINNEN</strong><span style="font-family: 'Times New Roman'; font-size: 16px; background-color: #ffffff;">sowie als Co-Autorin von</span><strong>AUS DER DUNKELKAMMER DES BÖSEN</strong><span style="font-family: 'Times New Roman'; font-size: 16px; background-color: #ffffff;"> hat sie bereits mehrere Bestseller geschrieben. Mehr über sie unter www.lydiabenecke.de</span></p>

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Leseprobe

KAPITEL 1


EIN TÖDLICHER TRAUMPRINZ


Süße Träume sind daraus gemacht.

Wer bin ich, dem zu widersprechen?

Bereise die Welt und die sieben Meere.

Jeder ist auf der Suche nach etwas.

  

(Sweet Dreams, Eurythmics)

Cheryl Bradshaw ist eine junge, gutaussehende Schauspiellehrerin auf der Suche nach der großen Liebe. Sie weiß sich darzustellen, ist selbstbewusst, humorvoll und redegewandt. 1978 bewirbt sie sich als Kandidatin für eine Fernsehsendung. Vielleicht kann sie dort den Mann ihrer Träume treffen. Dies hofft sie zumindest, als sie gutgelaunt, mit einem strahlenden Lächeln, die Showbühne betritt. Die Sendung, für die sie sich beworben hat, ist zu dieser Zeit eine der bekanntesten in den USA (eine deutsche Version wird später unter dem Titel »Herzblatt« populär). Der Titel »The Dating Game« verrät auf den ersten Blick, worum es geht: Die Sendung ist ein Spiel mit Gefühlen, in dem Selbstdarstellung und Schlagfertigkeit alles entscheiden. Drei Männer werben um Cheryls Gunst. Cheryl kennt keinen von ihnen, weiß nicht, wie sie aussehen, wie alt sie sind, was sie beruflich machen oder wie sie heißen. Die Männer sitzen hinter einem Sichtschutz, unsichtbar für Cheryl. Allein mit Worten versucht jeder von ihnen, die junge Frau für sich zu gewinnen.

Kandidat Nummer eins ist der 35-jährige Rodney Alcala. Der Moderator stellt ihn den Zuschauern vor, ohne dass Cheryl es hören kann: »Er ist ein erfolgreicher Fotograf, der mit dreizehn seine Fotoleidenschaft entdeckte, als sein Vater ihn in der Dunkelkammer antraf – voll entwickelt.« Diesem doppeldeutigen Wortwitz fügt der Moderator hinzu: »In seiner Freizeit ist er Fallschirmspringer und fährt gerne Motorrad.« Schon diese Beschreibung lässt viele Frauenherzen im Publikum höherschlagen. Hinzu kommt sein sympathisches Äußeres, das Cheryl vorerst noch verborgen bleibt: Rodney ist ein attraktiver Latino-Typ. Sein Lächeln ist mindestens ebenso strahlend und freundlich wie das von Cheryl. Und er lächelt viel, wobei seine Augen fröhlich, geradezu kindlich unschuldig strahlen. Gekleidet ist er in einen modischen, dunkelbraunen Anzug. Das weiße Hemd darunter hat er betont weit aufgeknöpft. Sein langes, dichtes, leicht gelocktes Haar ist fast schwarz. Es fällt offen hinter die Schultern. Seine beiden Mitbewerber, in hellen Anzügen mit kurz geschnittenen Haaren, wirken blass und dröge neben dem lebhaften Rodney, der die gesamte Show über alle Aufmerksamkeit auf sich zieht.

Schon der erste Satz, mit dem er sich Cheryl vorstellt, wirkt siegessicher: »Wir werden eine großartige Zeit zusammen haben, Cheryl.« Derart von sich selbst überzeugt beantwortet er auch alle Fragen. »Was ist deine liebste Tageszeit?«, fragt Cheryl verschmitzt lächelnd. Ohne zu zögern, erwidert Rodney: »Die beste Zeit ist bei Nacht, die Nachtzeit.« »Warum findest du das?«, hakt Cheryl nach. »Weil es die einzige Zeit überhaupt ist«, antwortet Rodney geheimnisvoll. »Was hast du gegen den Morgen oder den Nachmittag?«, will Cheryl genauer wissen. »Diese Zeiten sind in Ordnung, aber die Nacht ist die Zeit, wo es wirklich gut wird«, erwidert Rodney.

Cheryls nächste Frage fordert das schauspielerische Talent ihrer Bewerber heraus. »Ich bin Schauspiellehrerin und möchte jedem von euch eine private Unterrichtsstunde geben«, beginnt sie. An Rodney gewandt spricht sie weiter: »Du spielst einen geilen, alten Bock. Leg los!« Mit lüsternem Gesichtsausdruck und rauchiger Stimme presst Rodney hervor: »Komm hier herüber«, was er mit einem animalischen Stöhnen abrundet. Einen Augenblick später lächelt er wieder über das ganze Gesicht, wie ein Schüler, der seine Lehrerin mit einem besonders lustigen Witz unterhalten hat. Cheryl ist hingerissen von Rodneys schauspielerischem Naturtalent, dem er ohne auch nur einen Hauch von Nervosität freien Lauf lässt.

Mit ihrer letzten Frage bietet Cheryl Rodney eine weitere Steilvorlage, um sich besonders selbstsicher darzustellen: »Ich serviere dich als Speise zum Essen. Welches Nahrungsmittel bist du und wie siehst du aus?« Mit selbstsicherem Gesichtsausdruck erwidert Rodney sofort: »Ich werde die Banane genannt, und ich sehe wirklich gut aus.« »Kannst du das etwas anschaulicher beschreiben?«, fragt Cheryl. »Schäl mich«, kontert Rodney herausfordernd, womit er sowohl Cheryl als auch das Publikum zum Lachen bringt.

Als sich Cheryl am Ende der Show für einen Kandidaten entscheiden muss, fällt ihr dies sichtlich leicht. Übers ganze Gesicht strahlend sagt sie: »Ich mag Bananen, deshalb wähle ich Kandidat Nummer eins.« Rodney lacht offensichtlich hocherfreut über seinen Sieg. Er kommt hinter der Wand hervor, strahlt Cheryl an, die sichtlich begeistert von seinem Anblick ist. Dann umarmt er sie zur Begrüßung und gibt ihr einen Kuss auf die Wange. Als sei sie bereits seine feste Freundin, legt Rodney den Arm um ihre Hüfte und bleibt so eng neben ihr stehen, während der Moderator verkündet, was die beiden gewonnen haben: gemeinsamen Tennisunterricht und einen Ausflug in einen großen Freizeitpark. Cheryl empfindet Rodneys stürmische Annäherung offenbar keineswegs als unangenehm. Die beiden lachen sich glücklich an und sehen aus wie ein frisch verliebtes Traumpaar.

Was Cheryl nicht weiß: Rodney hat zu diesem Zeitpunkt bereits mindestens fünf Frauen vergewaltigt und brutal ermordet. Ein achtjähriges Mädchen, das er zehn Jahre zuvor vergewaltigte und zu töten versucht hatte, überlebte nur mit sehr viel Glück schwer verletzt. All dies ahnt niemand, der den gutaussehenden, wortgewandten, charmanten Rodney als Sieger der Show zu sehen bekommt. Doch hinter den Kulissen erhaschen Cheryl und die beiden Mitbewerber einen kleinen Einblick in sein wirkliches Wesen.

Rodney Alcala 1978 in der Show »The Dating Game«.

Sobald er außer Sichtweite der Kameras ist, benimmt Rodney sich wie ein anderer Mensch. Wie ein Schauspieler, der auf der Bühne eine Rolle sehr überzeugend spielte, mit der er in seinem wahren Leben nicht viel gemeinsam hat. Rodney ist hinter den Kulissen einerseits eher still, andererseits fällt er anderen plötzlich ins Wort und versucht sie aufdringlich zu beeindrucken. Jed Mills, während der Show der Mitbewerber direkt neben ihm, erinnert sich später, dass Rodney auf ihn hinter den Kulissen unausstehlich und unheimlich wirkte. Er verhielt sich, als wolle er den anderen absichtlich einen Einblick in sein wahres Wesen geben. Mills beschreibt später: »Letztlich habe ich den Kerl nicht nur unsympathisch gefunden, ich wollte gar nicht in seiner Nähe sein. Er wurde immer unangenehmer und seltsamer. Das war der gruseligste Kerl, den ich in meinem Leben getroffen habe.« Diese Wirkung hat Rodney auch auf Cheryl. Sie lehnt es danach ab, ihn wieder zu treffen – was ihr wahrscheinlich das Leben rettet.

Der »wahre« Rodney


Rodney ist sich absolut bewusst, wie sehr er auch Cheryl direkt nach der Show abschreckt. Er setzt sein Verhalten gezielt ein, um die Menschen in seiner Umgebung zu beeinflussen. Auf den ersten Blick wirkt, was er tut, widersprüchlich: Zuerst macht er bei einer Spielshow mit und legt sich charmant ins Zeug, damit eine fremde Frau ihn als Verabredung auswählt. Doch hinter den Kulissen verwandelt er sich ins genaue Gegenteil. Plötzlich verhält er sich bewusst unangenehm und verschreckt die anderen, auch seine Eroberung. Wenn man genauer hinschaut, macht sein Verhalten aber sehr viel Sinn.

In beiden Situationen erreicht er genau das, was er gerade will. An der Fernsehshow nimmt Rodney nicht teil, weil er eine Frau kennenlernen möchte. Frauen kennenzulernen ist eine seiner leichtesten Übungen. Er weiß, dass Frauen ihn attraktiv finden, er weiß genau, was sie hören wollen. Als Berufsfotograf kann er jede Frau, die ihm gefällt, einfach ansprechen und ihr damit schmeicheln, dass er sie als Modell will. Es ist nicht das mögliche Date, das Rodney in die Sendung lockt, es ist die Sendung selbst.

»The Dating Game« ist zu dieser Zeit überaus beliebt. Rodney möchte im Fernsehen von einem Millionenpublikum gesehen werden und dabei sein eigenes, kleines Theaterstück vorführen. Er spielt die Rolle »Rodney – unwiderstehlicher Draufgänger mit dem sympathischen Lächeln«. In seinem persönlichen Drehbuch hat er die gesamte Handlung schon entworfen: »Rodney, der Unwiderstehliche« wird in der Show nicht nur umwerfend auf die Zuschauer wirken, er wird seine Mitspieler in den Schatten stellen und das Herz der Dame im Sturm erobern.

Die Show wird zu Rodneys persönlicher Bühne, auf der sein Stück genau so aufgeführt wird, wie er es will. Da ist er sich sicher, denn er weiß, was er kann. Er versteht die »Spielregeln«, nach denen sich normale Menschen verhalten, und benutzt sie, um andere zu beeinflussen. Ihm ist klar, wie er sich verhalten muss, um in einem anderen Menschen ein bestimmtes Gefühl zu erzeugen. Dieses Gefühl bestimmt mit darüber, wie sich dieser Mensch verhalten wird. So bringt Rodney Menschen oft dazu, das zu tun, was er will.

Ein weiterer großer Vorteil dabei ist, dass die meisten normalen Menschen noch nie darüber nachgedacht haben, dass es diese Spielregeln überhaupt gibt. Deshalb können sie gar nicht bemerken, wie gezielt er mit ihnen spielt. Weil sie normal sind, kommen sie gar nicht auf den Gedanken, dass eine kleine Anzahl von Menschen nach völlig anderen Spielregeln funktioniert. Rodney ist einer dieser »anderen« Menschen – er ist Psychopath.

Seine Welt ist völlig anders als die normaler Menschen. Er fühlt, denkt und handelt nicht wie sie. Wie alle Psychopathen hat er schon als Kind gemerkt, dass irgendetwas mit...

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