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E-Book

Eberhard Weber Résumé

Eine deutsche Jazz-Geschichte

AutorEberhard Weber
Verlagsagas Edition
Erscheinungsjahr2015
Seitenanzahl252 Seiten
ISBN9783944660103
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis11,99 EUR
Er hat das Bassspiel revolutioniert. Sein Instrument hat er vom Bühnenrand ins Scheinwerferlicht gerückt, das Begleit- in ein Soloinstrument verwandelt. Seit einem Schlaganfall, der ihn im April 2007 beim Soundcheck zu einem Konzert mit der Jan Garbarek Group in der Berliner Philharmonie ereilte, kann Eberhard Weber nicht mehr Bass spielen. Doch er hinterlässt ein OEuvre, das seinesgleichen sucht. Der charismatische Schwabe hat Jazz-Geschichte geschrieben, mit Weggefährten wie Wolfgang Dauner, Gary Burton, Pat Metheny und Jan Garbarek. Nun zieht er ein bemerkenswertes »Résumé«. Mit seiner Autobiografie gibt Eberhard Weber einen sehr persönlichen Einblick in sein Leben - und in 50 Jahre deutsche Jazz-Geschichte. Biografische Anmerkung Über den Autor: Eberhard Weber begann in den sechziger Jahren seine Karriere als Jazz-Bassist und wurde zu einem der international bedeutendsten deutschen Jazz-Musikers, der bereits in den fru¨hen 1970er Jahren Wegbereiter war für jede weitere Jazz-Entwicklung in Deutschland. Mit »Colours of Chloë« spielte er für ECM ein Kultalbum ein und seine Band »Colours« mit Charlie Mariano am Saxofon galt als eine der erfolgreichsten Jazzformationen Europas. Er war der erste deutsche Jazzer, der mit Größen wie Pat Metheny, Gary Burton und anderen jahrelang durch die USA getourt ist und hat dem europäischen Jazz zu seiner Eigenständigkeit verholfen, ihn von der Dominanz der Amerikaner emanzipiert, indem er einen eigenen Sound geschaffen hat, der den Jazz mit der europäischen, klassischen Musik verband.

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Leseprobe

1. Mich trifft der Schlag

Am Dienstag, den 23. April 2007, gegen 19 : 30 Uhr, fuhr ich im Taxi in Richtung der festlich beleuchteten Berliner Philharmonie. Der Fahrer hielt nicht am Künstlereingang, um mich dort abzuliefern, was an diesem Abend normal gewesen wäre – ich sollte nämlich in wenigen Minuten dort auf der Bühne stehen. Er folgte stattdessen meiner Bitte, mich zur Notaufnahme der Berliner Charité zu bringen. Die wartenden Konzertbesucher, an denen wir vorbeifuhren, hatten noch keine Ahnung, dass ich heute nicht würde spielen können, und sie ahnten auch nicht, dass in diesem Augenblick backstage darüber diskutiert wurde, ob das Konzert überhaupt stattfinden konnte, ob meine Kollegen der »Jan Garbarek Group« ohne mich spielen würden. Und mir selbst war noch nicht klar, dass in diesem Moment meine rund 25-jährige Mitgliedschaft in der Band zu Ende ging. Und damit meine Karriere als Jazzbassist.

Am Nachmittag, während eines für mich unerfreulichen Soundchecks, hatte ich festgestellt, dass die Feinmotorik meiner linken Hand abhanden gekommen war und damit meine Intonationssicherheit. Der Grund, weshalb ich bei der Charité vorstellig wurde, war die naive Frage: »Was ist da los?«

Das Jahr 2007 war von langer Hand von Bremme & Hohensee, unserem Management, als großes Tourneejahr für die »Jan Garbarek Group« vorbereitet worden. Um die 100 Konzerte in ganz Europa waren gebucht. Am 22. April spielten wir im hohen Norden Deutschlands, in Gronau. Wir beschlossen, gleich nach dem Konzert an unseren nächsten Auftrittsort, nach Berlin, weiterzufahren, damit wir wieder mal zwei Nächte im selben Hotel verbringen konnten – manches Mal gut, um nicht jeden Tag Koffer packen zu müssen, mal wieder Wäsche waschen lassen zu können. Ein Tag nicht auf Flughäfen oder auf der Autobahn. Als absolut pünktliche Band konnte man die Uhr nach uns stellen. Also waren wir Schlag 22 : 10 Uhr fertig. Ein Set, wie immer ohne Pause, zwei Zugaben inbegriffen. Unsere drei Techniker haben zügig abgebaut, nachts fuhren wir über die Autobahn nach Berlin. Gegen zwei, drei Uhr fielen wir ins Bett.

Am nächsten Morgen, an jenem Dienstag, dem 23. April, wollte ich zwei lang gehegten kulinarischen Gelüsten nachgeben: wieder mal eine Berliner Bratwurst verspeisen. Gleichzeitig hatte ich Lust, ein Chinarestaurant aufzusuchen. Ich befürchte, das klingt widersprüchlich und merkwürdig. Ich wollte einfach mal wieder eine Abwechslung zu den täglichen Hotel-Frühstücksbüfetts, die sich überall gleichen.

Wir waren im nagelneuen Swissôtel in der Augsburger Straße abgestiegen. In der Nähe gab es einen »Chinesen« und in dessen Umgebung jede Menge Bratwurstbuden. Mein Plan stand fest: zuerst die Bratwurst und danach der »Chinese«.

Zuerst aber bat mich ein Fotograf für ein Fotoshooting auf die Terrasse unseres Hotels. Die Aufnahmen sollten einen Bericht im Magazin Jazzthetik illustrieren, denn in diesen Tagen war gerade meine damals letzte CD bei ECM veröffentlicht worden, eine Live-Aufnahme mit dem Radio-Sinfonieorchester Stuttgart, Gary Burton, Jan Garbarek, Rainer Brüninghaus, Wolfgang Dauner, Marilyn Mazur, Reto Weber und Nino G.: Stages Of A Long Journey.

Nach dem Shooting machte ich mich auf, um meine »kulinarische Idee« wahr zu machen. Als ich den Aufzug des Hotels verließ, hatte ich das Gefühl, als würde ein Kaugummi unter meinem linken Schuh kleben.

»Ein brandneues, nobles Fünf-Sterne-Hotel, und schon liegen Kaugummis herum?«

Ich schaute auf meine Schuhsohle, aber da war nichts! Seltsam.

»Sei’s drum.«

Vor dem Hotel die nächste Irritation: Als ich das Trottoir auf der gegenüberliegenden Straßenseite betreten wollte, stolperte ich. Dennoch: weiter Richtung Bratwurstbude, wo ich mit großer Freude die Wurst verspeiste. Nach diesem »Gruß aus der Küche« schlenderte ich zum »Chinesen«, im ersten Stock nahm ich Platz, blätterte in der Karte und bestellte. Etwas Undefinierbares ging in mir vor. Ich bin unfähig zu beschreiben, was ich gefühlt habe, auch heute noch. Es waren keine Schmerzen, ich hatte keine Lähmung, keine Kopfschmerzen, im Grunde keinerlei Einschränkungen. Ich kann es nur so beschreiben, wie es jedermann kennt, zum Beispiel mit dem Gefühl:

»Ich glaube, ich bekomme eine Erkältung.«

Trotzdem stimmte etwas nicht. Ich habe mein Essen durchaus genossen, sofern es erlaubt ist, einen deutschen »Chinesen« genießbar zu finden. Nach Begleichung der Rechnung ging ich – diesmal ohne die geringste Störung – zurück zum Hotel. Es war mittlerweile gegen halb drei Uhr nachmittags. Ich fuhr nach oben in mein Zimmer und legte mich wie üblich aufs, nicht ins, Bett, um zu vermeiden, zu tief einzuschlafen.

Alles schien völlig normal, nur dieses seltsame Gefühl kam immer wieder. Ich habe kurz überlegt, meine Frau anzurufen. Vielleicht wäre es nicht schlecht gewesen, weil sie möglicherweise gleich Verdacht geschöpft hätte: Ich hatte schon einmal eine Störung, ein halbes Jahr vorher zu Hause in Südfrankreich, wo wir seit 13 Jahren in einem kleinen Dorf in der Nähe der wunderschönen Kleinstadt Uzès lebten. Damals verbrachte ich zur Sicherheit eine Nacht im Krankenhaus von Nîmes. Aber das hatte ich verdrängt, weil es mir nicht wichtig erschien, nichts gefunden wurde und ich nach Hause gehen durfte.

Ich rief unseren mitreisenden Manager Peter Hohensee in seinem Zimmer an und bat ihn, zu mir zu kommen. Seine Mutter hatte vor Kurzem einen leichten Schlaganfall erlitten. Als er bei mir im Zimmer stand, glaubte er, bei mir ähnliche Symptome zu entdecken und begann, mir Fragen und Aufgaben zu stellen.

»Wo sind wir, wie viel Uhr ist es, was machen wir hier?«

Hielt er mich für bescheuert? Dann forderte er mich auf, einer Linie auf dem Teppichboden zu folgen. War korrekt möglich. Auch einen Schnürsenkel auf- und wieder zuzubinden – hat geklappt. Und dennoch schlug er vor:

»Wir sollten lieber den Notarzt rufen.«

Es kamen zwei Sanitäter, rot gekleidet, von der Feuerwehr. Die beiden machten die gleichen Tests, prüften außerdem den Blutdruck und nahmen ein bisschen Blut ab, um zu kontrollieren, ob die Blutzuckerwerte in Ordnung waren. Summa summarum: Sie konnten nichts feststellen und fügten hinzu:

»Wir sind keine Mediziner, können Sie aber in eine Klinik fahren.« Mittlerweile war es schon 16 : 30 Uhr.

Ich entschied mich mangels deutlicher negativer Erkenntnisse, lieber in die Philharmonie zum Soundcheck zu fahren, um zu prüfen, wie es sich mit der Spielerei verhielte. Ich zog meinen schwarzen Bühnenanzug an, damit ich nach der Probe nicht wieder zurück ins Hotel musste. Gegen 17 Uhr betrat ich die Bühne. Die Kollegen hatten schon gehört, dass ich irgendwelche Probleme hatte, und waren erleichtert, als sie mich sahen.

Soundchecks hatten bei uns zwei wichtige Aufgaben: einmal die Balance der Instrumente für den Saal abzustimmen. Und zum anderen, uns auf den voraussichtlichen Klang auf der Bühne vorzubereiten. Hierfür hatten wir zwei Nummern, die im laufenden Programm nicht unbedingt enthalten waren. Sie eigneten sich aber hervorragend für diesen Zweck: ein kräftigeres und ein zarteres Stück.

Unser Programm war relativ neu. Wir hatten es erst wenige Male aufgeführt. Gleich zu Anfang musste ich eine sehr heikle Melodie spielen. Mit höchster Konzentration ist das machbar. Jetzt bat ich meine Kollegen, dieses Stück anzuspielen, obwohl es normalerweise nicht für den Soundcheck vorgesehen war.

Sofort bemerkte ich unübliche Intonationsprobleme. Dabei konnte ich weiterhin meine für die Tonbildung wichtige linke Hand völlig normal bewegen. Nur: die Feinmotorik war weg, die filigranen Details bekam ich nicht mehr in den Griff. Ich habe es wieder und wieder versucht, ohne Erfolg. Jan meinte beruhigend:

»Lass die Melodie heute weg. Dann spiele ich sie und du morgen wieder.«

Intuition oder Einsicht? Auf jeden Fall bat ich Peter Hohensee, mich »schnell mal« rüber zur Charité, dem berühmten Berliner Krankenhaus, zu fahren. Gleich um die Ecke. Sicher ist sicher. Nach Verlassen der Bühne, auf dem Gang zu unserem Auto, gab es plötzlich wieder Irritationen: deutliche Gehprobleme.

Dann aber der Vorführeffekt: In der Notaufnahme der Charité angekommen, war ich wieder ohne die geringsten Beschwerden. Nach der üblichen Wartezeit kam ein jüngerer Arzt, dem ich meinen Zustand schilderte. Während der Untersuchungen gab es plötzlich Stromausfall. Allgemeine Aufregung, das sollte nicht passieren – bestimmt nicht in einem solchen Krankenhaus! Der Strom kam zwar schnell wieder. Kurz danach aber wieder Dunkelheit, diesmal länger. Größere Irritation.

Die Untersuchungen ergaben offensichtlich keinen unmittelbaren Verdacht. Trotzdem sagte der Arzt:

»Es ist wohl besser, Sie bleiben hier – zur Beobachtung.«

»Ich habe aber heute Abend ein Konzert. Ich muss spielen!«, protestierte ich.

Mein Widerstand aber war schnell gebrochen. Es war schon seltsam: Ich war tatsächlich bereit, zu bleiben und das Konzert sausen zu lassen. Offenbar gab es einen inneren Hinweis, dass es doch nicht schlecht wäre, dem Rat des Arztes zu folgen.

Peter Hohensee war mittlerweile zum Soundcheck zurückgefahren. Ich musste ihm also per Handy berichten:

»Ich wurde gebeten, zur Sicherheit im Krankenhaus zu...

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