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E-Book

Einspänner, Mokka und Melange

Wiener Kaffeehäuser: Eine Verführung

AutorSusanne Schaber
VerlagInsel Verlag
Erscheinungsjahr2016
Seitenanzahl192 Seiten
ISBN9783458749066
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis16,99 EUR

Die Loge am Fenster, das Marmortischchen und die Bugholzmöbel, internationale Zeitungen und dazu eine Melange und Apfelstrudel oder Eier im Glas, serviert von Obern im Smoking: Das Wiener Kaffeehaus ist mehr als nur eine Institution, es ist eine Lebenseinstellung. Der erste Kaffee am Morgen, der Schwatz mit Freunden zwischendurch, die Ruhe eines Nachmittags, an dem man ungestört über einem neuen Buch sitzt oder sich Gedanken macht über sich und die Welt: Das Kaffeehaus ist ein Ort, an dem Zeit und Raum konsumiert werden, aber nur der Kaffee auf der Rechnung steht, wie es die Kommission der UNESCO formulierte, als sie diese spezielle Art von Lokal in die Liste des immateriellen Kulturerbes aufnahm.
Susanne Schaber erkundet die traditionellen Kaffeehäuser, in denen sich einst die Literaten und Wiener Berühmtheiten tummelten, wie das Landtmann, das Hawelka oder das Jelinek, und biegt dabei auch in jene Cafés ab, die den Stil unserer Tage spiegeln: Balthasar, phil, Coffee Pirates und andere. Der schön gestaltete und reich illustrierte Band zeigt, wo das Herz von Wien wirklich schlägt.

Reich bebildert mit farbigen Fotografien. Das ideale Geschenk - nicht nur für Kaffeeliebhaber.



<br />Susanne Schaber wurde 1961 in Innsbruck geboren. Nach dem Studium der Germanistik und Anglistik arbeitete sieals Dramaturgin und Lektorin und lebt heute als Literaturkritikerin, Herausgeberin und Autorin in Wien. Veröffentlichungen u.a. für ORF, Neue Zürcher Zeitung, Frankfurter Allgemeine Zeitung, Frankfurter Rundschau. Ausstellungen in ganz Europa und zahlreiche Buchpublikationen.

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Leseprobe

WIEN LIEBT DAS KOFFEIN


Ein Kaffeehaus für alle und jeden


Hat der Mensch ein Grundrecht auf ein Kaffeehaus? Zweifellos. Sogar auf drei! Auf eines, in dem er sich blicken lassen kann, auf eines, in dem er unbemerkt bleiben kann und auf eines, in das er nie, nie seinen Fuß setzen will.

Doron Rabinovici

Es ist finster. Der November hat sich über die Dächer gelegt, Nebel kriecht durch die Straßen. Früh am Morgen hat man die Stadt für sich. Ein paar Autos und Laster auf den Straßen, ganz vereinzelt der eine oder andere Radfahrer. Sie haben freie Bahn. Die Fassaden der Häuser geben sich abweisend. In den meisten Wohnungen sind die Rollos heruntergelassen und die Vorhänge geschlossen. Nur ab und zu dringt ein Schimmer von Licht durch die Ritzen des Stoffs.

Allein am Naschmarkt gehen die Rollbalken lange vor der Dämmerung hoch. Die Fleisch- und Fischhändler beginnen kurz nach sechs Uhr, ihre Vitrinen zu bestücken. Bei den Gemüseständen werden Äpfel, Mandarinen und Kiwis zu Türmen geschichtet und mit Artischocken, Kohl und Salatköpfen in Szene gesetzt. Der Duft von frischem Brot und Gebäck zieht durch die Gänge zwischen den Läden, Granatapfelpunsch und Glühwein riechen nach Orange und Zimt. Ein Schluck Tee mit Rum unter den Glühlampen und Heizstrahlern, und die Kälte verschwindet.

Wer in die Nebenstraßen abbiegt, landet schnell wieder in der Dunkelheit. An der Ecke Gumpendorferstraße/Lehárgasse aber fällt ein breiter Lichtkegel auf den Gehsteig. Ein schneller Blick durchs Fenster: Das Sperl ist offen, ein zuverlässiger Fluchtpunkt für alle Frühaufsteher. Im Inneren des Kaffeehauses strahlen die Lüster. Tische und Stühle sind in Reih und Glied zurechtgerückt, die druckfrischen Zeitungen eingespannt. Das Papier knistert: Die Presse, der Standard, der Kurier und die anderen österreichischen Blätter, dazu The Economist, der Corriere della Sera und Le Monde.

Die große Uhr über dem Spiegel steht, die Zeiger sind eingerastet. Das Sperl fällt aus der Zeit. In den silbernen Körbchen liegen Kornweckerln und Kipferln unter den gestärkten Servietten, in der Vitrine drücken sich Apfelstrudel, Nussbeugerl und Mohntorte eng aneinander. Die Kaffeemaschine brummt, aus der Küche ist das Klappern von Tellern und Besteck zu hören. Erste Vorbereitungen für den Ansturm der Besucher, die hier zum Mittag- oder auch Abendessen einfallen. Doch bis dahin dauert es noch eine Weile. Im Augenblick sind gerade einmal zwei der Marmortische vor den rot-grau bezogenen Bänken besetzt, Stammgäste, denen die Servierdamen in ihren weißen Blusen und schwarzen Röcken voller Nachsicht begegnen. Morgens sind die Gäste schweigsam. Ein rascher Blickwechsel, ein Nicken. Wenig später steht die Melange auf dem Tisch. Dazu drei Eier im Glas und eine Semmel. Die Butter kommt in Röschen daher, die Marmelade in Glasschüsselchen. Sehr familiär, so wie es immer schon war.

In Wien sei die Stadt um die Kaffeehäuser herumgebaut, erklärt uns Bertolt Brecht, sie seien Fundgruben von Ansichten aller Art. Und mehr als das: ein Stück urbaner Alltag, den man zelebriert. Das Kaffeehaus ist eine der Lebensadern der Stadt. Die Frage »Gehen wir auf einen Kaffee?« sollte man nicht wörtlich nehmen. Bedeuten kann sie fast alles, nur der Tonfall oder das Mienenspiel lassen erahnen, was wirklich gemeint ist: das Plaudern, Diskutieren oder Streiten, das Spintisieren, Verhandeln und Netzwerken, das Tratschen, Kokettieren oder Flirten.

So manches Geschäft wird in Wien bei einer Melange am Marmortischchen abgeschlossen und nicht an den Glastischen der Büros. Politiker und Journalisten stecken die Köpfe zusammen, Schülerinnen und Schüler sitzen stundenlang bei einem Soda Zitron, wenn sie den Unterricht schwänzen. Studentinnen und Studenten brüten über ihren Skripten und dopen sich mit Kaffee. Das Klicken der Billardkugeln liegt im Raum, der kurze Wutausbruch eines Kartenspielers, das Lachen der Damenrunden bei Esterházyschnitte und Topfentorte. Männer und Frauen jeden Alters jagen ihren Bekanntschaften nach. Im Spiegel tastet man einander ab: Da treffen sich Blicke, da ist ein Lächeln der erste Schritt, sein Interesse zu bekunden. Und schon nehmen große und kleinere Dramen ihren Lauf. »Junge Mädchen kamen eines Tages zum ersten Mal ins Café und betraten es danach Abend für Abend, bis ihre Stirnen sich zu furchen begannen und ihre Finger braun wurden vom Nikotin«, spottete Hilde Spiel. »Neuvermählte Paare erschienen strahlend, um sich Monate später bereits an verschiedenen Tischen niederzulassen. […] Immerfort bewegten sich die Kellner um sie, lautlos und mit geübten Bewegungen, leerten Aschenbecher aus, brachten frisches Wasser und spielten den Hofnarren.«

Jeder Tisch eine Insel: Café Eiles

Sehen und Gesehen-Werden oder doch lieber in der Anonymität verschwinden? Das Für-sich-Bleiben inmitten des Trubels ist fast schon eine Lebenseinstellung, so Peter Altenberg, wenn er den Kaffeehausbesucher vom Typus Einzelgänger schildert. »Er war nur da, um zu atmen, zu schauen und der Mittelpunkt seiner Erregungen zu sein. Er war allein ohne Zweck, er war der Augenblick an sich.« Jede Loge, wie die Tische am Fenster heißen, ist eine Insel »am Meridian der Einsamkeit«, wie es Alfred Polgar einmal genannt hat. Es sei denn, man baut einen Steg, über den sich andere Schiffbrüchige mit an Land flüchten. »Letztlich kann jemand hinter seiner Zeitung in sich versunken dahinsterben. Man wird es nicht merken. Jeder bleibt dem anderen fremd«, so Doron Rabinovici.

Die wirklich großen Runden sind im Kaffeehaus eher selten. Man trifft sich lieber zu zweit, viert oder sechst oder zieht sich als Gesellschaft ins Extrazimmer zurück. Ganz gleich in welcher Konstellation: Die Diskretion ist eines der Geheimnisse des guten Kaffeehauses. Zum Glück auch für jene, die in Wien und über die Stadtgrenzen hinaus prominent sind. Schauspieler und Künstler, Autoren, Philosophen oder TV-Sternchen werden wahrgenommen und kurz gemustert. Dann geht's zurück zur Illustrierten oder zum Gespräch mit dem Gegenüber. Man ist hier fast inkognito anwesend – und sonnt sich in einer Form von Aufmerksamkeit, die nicht weiter stört.

Den großen Auftritt planen andere. Mit dem Öffnen der Tür hebt sich der Vorhang. Der Weg zwischen den Tischen und Stühlen, zu den Kleiderständern und Zeitungen: Das ist der Catwalk der Stadt, eine augenzwinkernde Referenz an das Theatralische, das die Donaumetropole seit Jahrhunderten kultiviert. Die Insignien der Macht aber bleiben außen vor, das Kaffeehaus ist eine Institution, die niemanden bevorzugt. »Es ist eigentlich«, so Stefan Zweig in seiner Welt von Gestern, »eine Art demokratischer, jedem für eine billige Schale Kaffee zugänglicher Klub, wo jeder Gast für diesen kleinen Obolus stundenlang sitzen, diskutieren, schreiben und Karten spielen und seine Post empfangen und vor allem eine unbegrenzte Zahl von Zeitungen konsumieren kann.«

Ein riesiger Salon, in dem man sich zwanglos zusammenfindet. Fremde und Zugezogene wundern sich mitunter: In Wien zögert man, Bekannte oder Freunde in die eigenen vier Wände zu bitten. Sich im Kaffeehaus zu verabreden, scheint unverbindlicher und einfacher. Dort pflegt man eine Form der entspannten Privatheit. »Huschhusch ins Korb!«, so Elfriede Jelinek in ihrer Hymne auf das Korb, eines ihrer langjährigen Stammcafés. Im Kaffeehaus ist man nicht zu Hause und doch nicht an der frischen Luft, wie es ein Bonmot will. Hier steigt man für eine halbe Stunde, oft auch länger, heraus aus der Hektik des Alltags, hier lehnt man sich zurück und überlässt sich seinen Gedanken, von hier aus reist man in die Welt. Die internationale Presse schärft den Blick. Das mitgebrachte Buch oder Notizheft, der Laptop oder das Tablet führen zur Arbeit zurück. Die Dichter, die ihre Manuskripte ins Kaffeehaus mitnehmen, gibt es noch, vereinzelt zumindest. Um die kulturellen Traditionen hochzuhalten, lädt man heute zu Lesungen, Chansons oder zur Kriminacht – und landet dabei regelmäßig bei der berühmten Kaffeehausliteratur und den großen Romanciers und Feuilletonisten und ihren einzigartigen Porträts der verschiedenen Wiener Cafés. »Fliegen summten, Karten klatschten, Dominosteine klapperten, Zeitungen rauschten, Schachfiguren fielen mit hartem Schlag auf Bretter, Billardkugeln rollten dumpf über gepolstertes Holz, Gläser klirrten, Löffel klangen, Schuhe schlurften, Stimmen murmelten, Wasser tropfte sentimental aus einem fernen, wie geträumten Hahn, der sich niemals schloss – und über allem sangen die Karbidlampen«, so Joseph Roth in seinem Roman Zipper und sein Vater. »Manchmal glich das Kaffeehaus einem Lager überwinternder Nomaden, manchmal einem bürgerlichen Speisezimmer, manchmal einem warmen Himmel für Erfrorene.«

Eine Beschreibung aus der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg, die bis in die Gegenwart ragt. Als das Wiener Kaffeehaus 2011 in die Liste des immateriellen Kulturerbes aufgenommen wurde, applaudierte man einer Institution, die den Stürmen der Geschichte getrotzt und Krisen überwunden hat. Es sei ein Ort, so die Begründung der Kommission, an dem Zeit und Raum konsumiert werden, aber nur der Kaffee auf der Rechnung stehe. Ein Schritt in Richtung Museum, eine Ehrung wie diese? Wird das Kaffeehaus nun endgültig zum historisch bedeutsamen Ausstellungsstück, das man zu sehr bewundert, als dass es sich mit neuem Leben füllen ließe? Nichts davon, oder zumindest: wenig. Natürlich gibt es Merkmale,...

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