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Einwürfe

Über Fußball, die Welt und das Leben in Gesprächen mit Gunnar Meinhardt

AutorEduard Geyer, Gunnar Meinhardt
VerlagNeues Leben
Erscheinungsjahr2015
Seitenanzahl272 Seiten
ISBN9783355500234
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis14,99 EUR
Vor 25 Jahren, am 12. September 1990, fand in Belgien das letzte Länderspiel der DDR-Nationalmannschaft statt. Sie gewann mit 2 : 0, nicht zuletzt dank ihres Trainers Eduard Geyer. Für ihn ist das heute ein Anlass zurückzublicken: auf Fußball und Leistungssport, auf menschliche und gesellschaftliche Entwicklungen im Osten Deutschlands. Und 'Ede' Geyer nimmt kein Blatt vor den Mund. Im Gespräch mit dem Sportjournalisten Gunnar Meinhardt klopft er nicht nur Sprüche, sondern äußert sich nachdenklich und kritisch, auch wenn er über die eigene Karriere spricht, die ihn vom Stürmer bei Dynamo Dresden (ab 1968) bis zum Trainer von Energie Cottbus (ab 1994) führte. Eduard Geyer war stets ein Mann der klaren Worte: 'Es hat nicht viel funktioniert in der DDR, aber der Leistungssport hat funktioniert.'

Eduard 'Ede' Geyer, geboren fünf Jahre vor Gründung der DDR an einem 7. Oktober, ehemaliger Fußballspieler in der DDR-Oberliga, mehrfacher DDR-Nachwuchsnationalspieler. Als Fußballtrainer war er in der DDR-Oberliga, für die DDR-Nationalmannschaft, in der Bundesrepublik Deutschland und im Ausland tätig. Gunnar Meinhardt, geboren 1958, ist Sportjournalist und arbeitete bei der 'Jungen Welt'. Von 1991 bis 2005 war er als Sportredakteur bei dpa, ab 1999 als Korrespondent in Los Angeles. Danach war er für 'Die Welt' tätig und berichtete von neun Olympischen Spielen. Zuletzt veröffentlichte er 'Ready to Rumble. Box-Boom Deutschland. Im Gespräch mit den Stars' (2013).

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Leseprobe

1. Kapitel

Letztes Länderspiel | 22 Absagen | Drei Strophen Nationalhymne | 70 000 D-Mark Prämie | Sammer zum Glück gezwungen | Kicker auf dem Sklavenmarkt | Nationalspieler ohne Ballberührung

Herr Geyer, haben Sie jemals mit Lothar de Maizière gesprochen?

Ja, wir trafen uns zweimal beim Semper Opernball und haben uns auch sehr nett unterhalten.

Auch über den 12. September 1990?

Nein.

Als letzter Außenminister der DDR hat de Maizière an jenem Tag in Moskau mit seiner Unterschrift unter dem sogenannten »Zwei-plus-Vier-Vertrag« die DDR abgeschafft. Das auch von seinem Amtskollegen der Bundesrepublik, Hans-Dietrich Genscher, und den vier Siegermächten ratifizierte Abkommen gab Deutschland die volle Souveränität zurück und entließ das drei Wochen später vereinte Land aus der Verantwortung der Alliierten.

Und ich bestritt mit der Nationalmannschaft an diesem Tag in Brüssel gegen Belgien das letzte Länderspiel. So ist das Leben. In Moskau begann eine neue Epoche, wir verabschiedeten uns als DDR-Auswahl für immer von der Fußballbühne. Von dem, was an dem Tag in Moskau ablief, bekamen wir in Brüssel aber nichts mit.

12. September 1990, 20 Uhr, Constant Vanden Stock Stadion in Brüssel – das 293. und letzte Länderspiel einer DDR-Fußball-Nationalmannschaft wird angepfiffen, nachdem gleich alle drei Strophen der DDR-Nationalhymne gespielt worden sind. Sie sitzen als Cheftrainer auf der Bank.

Das war ein denkwürdiges Ereignis, ohne Frage. Die beste Erinnerung ist natürlich, dass wir mit unserer Rumpfmannschaft die Belgier besiegt haben. Da muss ich in erster Linie den Spielern ein Riesenkompliment machen. Dass die, die mitgereist waren, sich so eingesetzt haben. Sie haben die Botschaft verstanden, die wir aussenden wollten.

Die DDR-Nationalmannschaft vor dem Anpfiff im Brüsseler Constant Vanden Stock Stadion zu ihrem 293. und letzten Länderspiel – Kapitän Matthias Sammer, Jens Schmidt, Andreas Wagenhaus, Uwe Rösler, Heiko Peschke, Detlef Schößler, Dariusz Wosz, Heiko Bonan, Jörg Schwanke, Jörg Stübner, Heiko Scholz (v. l.). © picture alliance / dpa/dpaweb

Und zwar?

Ich war damals sehr sauer auf viele Nationalspieler, die ich nach meinem Amtsantritt zurückgeholt hatte. Berufen wurde ich dazu am 16. Juli 1989. Zum damaligen Zeitpunkt waren viele Spieler abgeschrieben, denen ich danach noch einmal eine Chance gegeben habe. Doch fast alle von denen sagten für das letzte Länderspiel ab. Ich habe wie ein Blöder rumtelefoniert, dass wir überhaupt sechzehn Spieler zusammenbekommen. Doch einer nach dem anderen gab mir einen Korb. Jeder hatte irgendwelche Ausreden oder Ausflüchte.

Sie bekamen 22 Absagen, mit teilweise dubiosen Entschuldigungen. Rainer Ernst, Henri Fuchs, Dirk Heyne und Volker Röhrich gaben Motivationsprobleme an. Uwe Machold hätte keinen Pass gehabt, Dirk Schuster, heute Trainer von Bundesliga-Aufsteiger Darmstadt 98, sah sich schon als BRD-Bürger.

Ich denke, den Spielern kann man gar nicht so viel vorwerfen, weil sie nicht diesen großen Durchblick hatten. Doch die Funktionäre der Westvereine, bei denen sie inzwischen spielten oder unterkommen wollten, verhielten sich erbärmlich. Sie sagten mir eiskalt ins Gesicht, dass sie die Spieler nicht hergeben würden. Dabei ging es darum, dass wir uns von der Bühne des Weltfußballs ordentlich verabschieden. Das habe ich den Spielern klar gesagt, die ich eingeladen habe. Viele spielten jahrelang zusammen in der Oberliga, mitunter auch jahrelang in der Nationalmannschaft, und wir wollten einfach standesgemäß auf dem Rasen Abschied nehmen und danach zusammen Bier trinken. Das schwebte mir vor, denn mir war klar, dass wir danach in alle Himmelsrichtungen auseinanderlaufen und so nie wieder zusammenspielen würden. Dass wir 2 : 0 gewannen, war natürlich eine kleine Sensation. Die Belgier waren bei der Weltmeisterschaft 1990 unglücklich im Achtelfinale gegen England nach Verlängerung und Elfmeterschießen ausgeschieden. Dass wir diese starke Truppe mit unserem Himmelfahrtskommando besiegten, gab mir Genugtuung. Einen schöneren Abschied hätte es nicht geben können.

Hatten Sie überhaupt noch Bock auf dieses Spiel? Das DDR-Fernsehen übertrug nicht mal live. Pro Tag bekamen Sie 20 D-Mark Spesengeld. Jeder Spieler kassierte für seine Nominierung 1500 D-Mark, als Siegprämie mussten Sie sich 70 000 D-Mark teilen.

Wir haben uns genauso darauf vorbereitet wie zu jedem anderen Spiel auch. Wir übten Standards, trainierten Schnellkraft, machten alles so gewissenhaft wie immer – als wäre es das wichtigste Spiel unseres Lebens. Als das Spiel losging, wollten wir natürlich nur gewinnen. Da dachte auch keiner daran, dass es das letzte Länderspiel ist. Ich wollte unbedingt siegen, und dann – ja, und dann weitersehen.

Noch einmal Siegen für die DDR oder aber für einen lukrativen Vertrag bei einem Verein im Westen?

Als Sportler willst du immer gewinnen, egal, für wen oder für was. Da tritt der politische Aspekt in den Hintergrund. Deshalb haben wir uns auch trotz widriger Umstände gezielt vorbereitet.

In der Sportschule in Kienbaum, vierzig Kilometer östlich von Berlin gelegen, trafen Sie sich mit dem Häuflein der vierzehn Aufrechten am 9. September.

Es war Sonntag.

Und es kamen Jens Schmidt, Jens Adler, Heiko Peschke, Detlef Schößler, Jörg Schwanke, Andreas Wagenhaus – Heiko Bonan, Matthias Sammer, Jörg Stübner, Stefan Böger, ­Dariusz Wosz, Uwe Rösler, Heiko Scholz und Torsten Kracht.

Wir blieben dort zwei Tage und flogen von Schönefeld aus nach Brüssel. Ich habe mir keine Gedanken gemacht, wie es danach weitergehen wird, auch weil ich in dem guten Glauben war, dass ich schon irgendwo als Trainer weiterarbeiten werde. Ich wurde mit Dynamo Dresden 1989 DDR-Meister, stand mit der Mannschaft im Halbfinale des UEFA-Cups, was bis heute der größte Vereinserfolg ist, war Nationaltrainer – für mich, war ich mir sicher, wird es immer etwas Interessantes geben.

Was sich als Trugschluss herausstellen sollte. Dazu aber später noch. Welche Bedeutung besitzt für Sie der 12. September 1990?

Erst im Nachhinein wurde mir bewusst, dass dieser Tag auch eine gewisse historische Bedeutung hatte. Im Vorfeld und an dem Tag selbst ging es nur darum, dass wir gewinnen. Andere Gedanken hatten keinen Platz in meinem Kopf. Ich weiß noch sehr genau, wie nach dem Spiel plötzlich diverse Spielerberater um uns herumturnten. Es war beschämend, wie sich einige von denen aufführten.

Konkret?

Rücksichtslos sind die an die Spieler rangegangen. Ich dachte, ich wäre auf einem Sklavenmarkt. Ich fand es erschreckend, wie da gefeilscht und gehandelt wurde. Das war für uns völlig neu. Unter den Spielerberatern oder -vertretern – wie auch immer man die nennen will – waren viele Spitzbuben, die den Spielern auch schon vor dem Spiel den Kopf verdreht hatten.

So dass Sie die Spieler mit Ihren Ansprachen gar nicht mehr erreicht haben, weil Sie entweder schon auf Berater wie Norbert Pflippen oder Wolfgang Karnath oder aber auf Trainer wie Christoph Daum, Willi Entenmann, Hannes Löhr oder Arie Haan gehört haben, die alle im Stadion waren?

Doch, doch, ich habe die schon erreicht, sonst hätten wir ja nicht so ein Spiel abgeliefert. Die Jungs, die in Brüssel gespielt haben, opferten sich wirklich auf. Jeden, der mitfuhr, setzte ich ein. Wir waren ja nur vierzehn Spieler. Sie machten sich selber ein großes Geschenk, gingen in die DDR-Fußballhistorie ein. Sie alle bewiesen Charakter im Gegensatz zu vielen anderen, die meine Botschaft nicht verstanden hatten.

Welche Spieler enttäuschten am meisten?

Alle, die eingeladen waren, aber nicht erschienen sind.

Wie Kapitän Rainer Ernst, der beim 1. FC Kaiserslautern unter Vertrag stand?

Der besonders. Unter meinem Vorgänger (Manfred Zapf, d. Autor) spielte er überhaupt keine Rolle mehr. Ich habe ihn zurückgeholt, habe ihn über die Nationalmannschaft praktisch für die Bundesliga fit gemacht. Ulf Kirsten, Andreas Thom, Thomas Doll – alle ließen sich durch fadenscheinige Begründungen entschuldigen. Alle, die die WM-Qualifikation wenige Monate zuvor versaut hatten, fehlten. Das war beschämend. Es war für die Spieler auch nicht einfach, das muss ich zugeben. Die Spieler, die schon bei Westvereinen unter Vertrag standen, wie Thom und Kirsten in Leverkusen oder Ernst in Kaiserslautern, besaßen zu dieser Zeit nicht mehr die Bindung zur Nationalmannschaft. Die lebten schon in einer anderen Welt. Deswegen kann ich ihnen auch keinen hundertprozentigen Vorwurf machen. Ihnen fehlte der Weitblick. Sie waren sehr jung und unbedarft, doch deren Funktionäre spielten eine schäbige Rolle. In Leverkusen hätte man doch zu den Spielern sagen können: »Menschenskinder, klar, zu dem letzten Spiel, fahr doch hin.« Was wäre denn da gewesen? Genauso wie in der Politik, wo die DDR einfach...

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