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E-Book

Entscheide selbst, wie alt du bist

Was die Forschung über das Jungbleiben weiß

AutorSven Voelpel
VerlagRowohlt Verlag GmbH
Erscheinungsjahr2016
Seitenanzahl288 Seiten
ISBN9783644570313
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,99 EUR
Deutschland altert, und zwar rasant. Das verändert nicht nur Gesellschaft, Politik und Kultur, dieses Thema betrifft jeden ganz persönlich. Aber: Was ist das überhaupt - «Alter»? Und geht es zwingend mit Gebrechen und Einsamkeit einher? Sven Voelpel stellt dar, welche Kriterien für das Altsein und Sich-alt-Fühlen eine Rolle spielen, und zieht dazu zahlreiche Studien heran. Die gute Nachricht: Wir können, in weitaus größerem Maße als bisher gedacht, beeinflussen, ob wir alt sind oder nur älter werden. Sven Voelpel zeigt, wie.

Sven C. Voelpel, Jahrgang 1973, ist Professor für Betriebswirtschaft an der Jacobs University Bremen sowie Gründungspräsident der WISE Group. Zu seinen Forschungsschwerpunkten zählen demographischer Wandel, Diversity und Leadership. Als führender Altersforscher berät er Regierungen und Organisationen wie die Allianz, die Bundesagentur für Arbeit, Daimler, Deutsche Bahn, KMUs und Start-ups. Er lebt mit seiner Familie in Bremen. Seine Bestseller 'Entscheide selbst, wie alt du bist' (2016) und 'Die Jungbrunnenformel' (2020) erschienen bei Polaris.

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Ausgangslage:


Was heißt hier «Alter»?!

Bei Shakespeare war die Welt noch in Ordnung. «Sieben Akte» währt unser Leben, heißt es in seiner Komödie Wie es euch gefällt: Auf das Kind folgt der Schulbube und auf ihn «der Verliebte, der wie ein Ofen seufzt». Dieser wird abgelöst durch den schneidigen Soldaten und den Berufstätigen «mit rundem Bauche». Als sechster Lebensakt folgt dann das Alter, keine schöne Zeit mit «Brill auf der Nase» und «verschrumpften Lenden». Im siebten Akt schließlich kehren wir zum Anfang zurück und enden als kindische Greise, zahnlos, gehörlos, hilflos. Es führt kein Weg daran vorbei: «Die ganze Welt ist eine Bühne / Und alle Fraun und Männer bloße Spieler», die dem vorgezeichneten Pfad des Alterns nicht entrinnen können.[*] Doch sieht es heute wirklich immer noch genauso aus? Gerade komme ich von einem sechzigsten Geburtstag. Viele Brillenträger, zugegeben. Aber «verschrumpfte Lenden»? Einer der Gäste, die zweite Ehe gerade hinter sich, turtelte am Buffet mit Kandidatin Nummer drei, die sicher 20 Jahre jünger war als er selbst. Das Geburtstagskind trug königsblaue Seide und wäre glatt als Mittvierzigerin durchgegangen. Der Vater der Jubilarin war eigens aus Berlin eingeflogen, trotz seiner immerhin 94 Lenze. Dank kleiner technischer Hilfsmittel hört und sieht er übrigens ausgezeichnet. Würde Shakespeare in diese Welt katapultiert – er wäre ohne jeden Zweifel hoffnungslos verwirrt.

Keine Frage – die Geschichte des Alters muss neu geschrieben werden. Sicher, es gibt sie nach wie vor: die Senioren in beigem Popeline, die auf der Parkbank übereinkommen, dass früher alles besser war; die Frührentner, die mit Ende 50 in die Altersteilzeit geschickt wurden, nicht selten gegen ihren Willen; die kurzatmigen Mittsechziger mit «rundem Bauche», Dauergäste in ärztlichen Wartezimmern. Aber das Leben ist den Altersklischees, die sich hartnäckig in vielen Köpfen halten, längst davongelaufen. Die Werbeindustrie als Seismograph gesellschaftlicher Entwicklungen hat das erkannt und die «Senioren» von gestern durch «Best Ager», «Silver Surfer», «Master Consumer», «Golden Ager» oder schlicht die «Generation 50 plus» ersetzt. Die Entwicklung ist nicht von der Hand zu weisen, und so lautet die Kernthese dieses Buches: «Das» Alter als uniforme, in Zahlen messbare «dritte» Lebensphase gibt es nicht mehr, und es wird sie in Zukunft noch viel weniger geben. Erstmals in der Geschichte haben wir die Chance, maßgeblich selbst zu bestimmen, ob wir alt werden – oder nur älter. Zumindest in den Industrienationen werden die Altersgrenzen mehr und mehr durcheinandergewirbelt. Seit vielen Jahren beschäftige ich mich mit meinem Team an der Jacobs University Bremen mit dem demographischen Wandel und seinen Folgen. 2007 habe ich mit den Partnerunternehmen Daimler, Deutsche Bahn, Deutsche Bank, EnBW, Lonza, Otto und Volkswagen sowie kurz darauf folgend Mars das WDN – WISE Demografie Netzwerk[*] gegründet. Seitdem haben wir gemeinsam mit zahlreichen namhaften Unternehmen Forschungsprojekte zum Potenzial von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern unterschiedlicher Altersstufen durchgeführt. Dabei habe ich mich von vielen meiner Vorurteile über das Alter verabschiedet und sehe meinem eigenen Leben jenseits der 70, 80 – und mit etwas Glück sogar jenseits der 90 – sehr gelassen und mit Vorfreude entgegen. Doch man muss nicht unbedingt Forscher sein, um zu dieser Erkenntnis zu gelangen. Schon die regelmäßigen Meldungen rund um das Thema in der Presse genügen, um immer wieder ins Staunen zu geraten und die eigenen Erwartungen, was in welchem Alter möglich ist, gründlich zu revidieren. Hier nur eine kleine Auswahl von Beispielen: Wir leben in einer Welt, in der …

… Vierjährige als professionelle Schlagzeuger Konzerte geben (Julian Pavone, USA).

… Neunjährige für einen Oscar nominiert werden (Quvenzahné Wallis, USA).

… 17-Jährige den Friedensnobelpreis bekommen (Malala Yousafzai, Pakistan).

… 30-Jährige es zum Selfmade-Milliardär bringen (Dustin Moskovitz, USA).

… 60-Jährige noch einmal Vierlingsmutter werden (Annegret Raunigk, Deutschland).

… 70-Jährige auf dem Laufsteg brillieren oder im Digital Business als Talentscouts unterwegs sind (Model Eveline Hall und SAP-Gründer Hasso Plattner, beide Deutschland),

… 80-Jährige den Mount Everest besteigen oder die internationale Modebranche aufmischen (Yūichirō Miura, Japan, und Karl Lagerfeld, Deutschland).

… fast 90-Jährige im Bürgermeisteramt bestätigt werden (Josef Rüddel, Windhagen im Landkreis Neuwied).

… 100-Jährige Marathon laufen (Fauja Singh, Großbritannien).

Einzelfälle? Ausnahmen, die doch nur die Regel bestätigen? Jein. Sicher kann nicht jeder mit 100 noch einen Marathon laufen. Doch die erstaunlich fitten «Alten» sind überall. Jeder meiner Doktorandinnen und jedem meiner Doktoranden, und zwar ohne Ausnahme, fällt eine 90-jährige Großtante, Nachbarin oder Großmutter ein, die topfit allein lebt und sich die Zeit mit Lesezirkeln, Gartenarbeit, Spazierengehen und Kochen vertreibt. Immer mehr Mitglieder der Generation 50 plus sind um einiges aktiver und agiler als viele in der Generation ihrer Enkelkinder. Der Senior Experten Service (SES) in Bonn zählt inzwischen mehr als 10000 Mitglieder, die in über 23000 Einsätzen ihr Wissen in Entwicklungsprojekte in 161 Ländern eingebracht haben – ihr Durchschnittsalter liegt bei 67.[*] Die viel diskutierte «Flexi-Rente» stellt zumindest für einen Teil der Älteren ganz offenbar eher willkommene Chance als Bedrohung dar.

Noch mögen sie sich in der Minderheit befinden. Doch allmählich sickert die von Hirnforschern, Biologen, Medizinern, Sportwissenschaftlern beobachtete sogenannte Plastizität der menschlichen Natur ins Alltagsbewusstsein und entfaltet dort ihre ermutigende und motivierende Wirkung. Plastizität bedeutet in diesem Zusammenhang so viel wie die Anpassungsfähigkeit und die Wandelbarkeit von Körper wie Geist, und zwar je nach Beanspruchung und Training. Weder unsere Muskeln noch unsere grauen Zellen sind nämlich einfach, wie sie sind, sondern sie reagieren auf das, was wir mit ihnen anstellen. Unser Lebensstil und unsere Lebenseinstellung beeinflussen stärker als unsere Biologie, wie gesund und lebenshungrig wir sind – ob nun mit 30 oder mit 70. Das Plastizitätsversprechen lautet daher: Wir können das Alter als Phase der nachlassenden Kräfte, des Siechtums und des Rückzugs aus gesellschaftlicher Teilhabe aushebeln oder zumindest sehr weit nach hinten verschieben; vorausgesetzt, dass wir – jeder für sich – bereit sind, entsprechende Anstrengungen zu unternehmen. Einen sehr konkreten Anreiz hierfür liefert uns die stetig steigende Lebenserwartung, denn die Alterspyramide mit vielen Jungen an der Basis und wenigen Alten an der Spitze verwandelt sich allmählich in eine dicke Säule mit immer weniger Jungen und immer mehr Alten. Diese Veränderung in der Bevölkerungsstruktur lässt Unternehmen inzwischen darüber nachdenken, ob es klug ist, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter über 50, die fitter sind als ihre Väter und Mütter mit Ende 30, einfach zum alten Eisen zu sortieren. Zudem ermöglicht uns der medizinische Fortschritt ein erfülltes Leben im Alter, indem er Krankheiten im Zaum hält, die noch unseren Eltern und Großeltern das Leben vergällten oder gar verkürzten.

Wir können sehr viel dafür tun, unser Leben bis zum letzten Atemzug zu genießen. Und wir bekommen immer mehr Gelegenheit dazu: Derzeit steigt die durchschnittliche Lebenserwartung mit jedem Jahrzehnt um etwa 2,5 Jahre. Jede neue Generation lebt also im Schnitt 7,5 Jahre länger als die vorherige. Wer heute 60 ist, hat eine Chance von deutlich mehr als 10 Prozent, älter als 95 zu werden. Google, inzwischen ein Tochterunternehmen von Alphabet Inc., arbeitet mit Forschungsinstitutionen wie X (früher Google X) und Calico pressewirksam an unserer «Unsterblichkeit», zumindest aber daran, dank Gentechnik und Nanomedizin unsere Lebenserwartung weiter entscheidend zu verlängern.[*] Vielleicht wird es in nicht allzu ferner Zeit Ü-80-Partys und Lauftreffs für Methusalems geben. Doch statt uns darüber zu freuen und unsere Möglichkeiten zu nutzen, erstarren wir angesichts der sich verändernden Alterspyramide wie das sprichwörtliche Kaninchen vor der Schlange. Noch immer gilt für viele Menschen die Gleichung «Alter = Defizit». Versicherungskonzerne rechnen uns vor, dass wir für unsere Rentenbeiträge einfach zu spät sterben («länger leben, als das Geld reicht»), die Tagesschau zeigt zur Ruhestandsdebatte die immer gleichen älteren Herrschaften in Wetterjacke auf der Parkbank, die öffentliche Diskussion wird bestimmt durch Stichworte wie «Demenz» und «Pflegebedürftigkeit». Es wird also höchste Zeit, sich von dem uns geläufigen Altersbegriff der Nachkriegszeit zu verabschieden und die Jahre jenseits der 60, 70, 80 und 90 endlich als Lebensphase zu begreifen, die man nutzen und für sich gestalten...

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