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E-Book

Feuer im Kopf

Meine Zeit des Wahnsinns

AutorSusannah Cahalan
Verlagmvg Verlag
Erscheinungsjahr2013
Seitenanzahl288 Seiten
ISBN9783864155024
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis13,99 EUR
Susannah Cahalan ist jung, attraktiv, frisch verliebt, eine aufstrebende Journalistin - und gerät über Nacht in den schlimmsten Albtraum ihres Lebens. Innerhalb kürzester Zeit erkrankt sie schwer, leidet an Wahnvorstellungen und wird binnen weniger Wochen zum Schwerstpflegefall in der Psychiatrie. Vollgepumpt mit Medikamenten wird sie ans Bett gefesselt und vegetiert vor sich hin - dem Tod näher als dem Leben. Doch ihre Familie gibt nicht auf bis endlich der renommierte Neurologe Souhel Najjar hinzugezogen wird. Er findet heraus, dass Susannah an einer erst vor kurzem entdeckten Autoimmunerkrankung leidet, in deren Verlauf der Körper das eigene Gehirn angreift und Symptome wie Schizophrenie, Autismus und Wahnvorstellungen erzeugt. Einmal richtig diagnostiziert, sorgen die geeigneten Medikamente rasch und dauerhaft für Genesung und Susannah gewinnt ihr Leben zurück. Ihre Schilderung des Leidensweges ist eine bewegende und aufregende Geschichte über Familie, Liebe, Hoffnung und darüber, wie sich ein perfektes Leben innerhalb kürzester Zeit in eine Katastrophe verwandeln kann. Ein fesselndes Buch, das man nicht aus der Hand legen kann, bis die letzte Seite verschlungen ist.

Susannah Cahalan begann ihre Laufbahn als Reporterin bei der New York Post während eines Volontariats in ihrem letzten Jahr an der Highschool. Inzwischen arbeitet sie dort seit zehn Jahren. Artikel von ihr erschienen auch in der New York Times und in Czech Business Weekly, für die sie während ihres Auslandssemesters gearbeitet hat. Sie wurde für den Artikel »Meine rätselhaften verlorenen Monate des Wahnsinns«, auf dem dieses Buch basiert, mit dem Silurian Award of Excellence in Journalism for Feature Writing ausgezeichnet. Sie lebt in Jersey City, New Jersey.

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Leseprobe

Kapitel 1


Der Wanzen-Blues


Vielleicht fing alles mit einem Wanzenbiss an, dem Biss einer Bettwanze, die es gar nicht gab.

Eines Morgens erwachte ich und sah zwei rote Punkte auf der rotblau durchschimmernden Hauptvene, die durch meinen linken Arm verläuft. Es war Anfang 2009 und New York City wurde überwältigt von einer Wanzenhysterie: Sie infizierten Büros, Bekleidungsgeschäfte, Kinos und Parkbänke. Ich bin von Natur aus eher unbesorgt, dennoch wurden meine Träume zwei Nächte lang von fingergroßen Bettwanzen heimgesucht. Die Sorge war völlig berechtigt, nachdem ich jedoch meine Wohnung sorgfältig abgesucht hatte, hatte ich nicht eine einzige Wanze oder irgendeinen Hinweis auf ihr Vorhandensein finden können. Nur diese beiden Bisse. Ich bestellte sogar einen Kammerjäger, um meine Wohnung kontrollieren zu lassen, einen überarbeiteten Hispanoamerikaner, der die ganze Wohnung auf den Kopf stellte, meine Schlafcouch anhob und mit der Taschenlampe an Stellen leuchtete, die zu putzen mir noch nie eingefallen war. Er erklärte meine Wohnung für wanzenfrei. Das erschien mir unwahrscheinlich, daher bat ich ihn, wiederzukommen und die Wohnung zu desinfizieren. Es spricht für ihn, dass er mich drängte abzuwarten, bevor ich eine astronomische Summe dafür ausgeben würde, etwas zu bekämpfen, was er für eine Einbildung hielt. Aber ich drängte ihn dazu, überzeugt davon, dass meine Wohnung, mein Bett, mein Körper von Wanzen überrannt wurden. Er willigte ein, wiederzukommen und sie zu vernichten.

Besorgt, wie ich war, versuchte ich, mein zunehmendes Unwohlsein vor meinen Kollegen zu verbergen. Verständlicherweise wollte niemand etwas mit einer Person zu tun haben, die ein Wanzenproblem hatte. So ging ich am nächsten Tag so lässig wie möglich durch die Redaktionsräume der New York Post in meine Arbeitsnische. Sorgfältig versteckte ich meine Bisse und versuchte, locker und normal zu wirken. Nicht ganz »normal« zu sein, bedeutet bei der Post viel.

Auch wenn die Post bekanntlich von allen Neuigkeiten wie besessen ist, ist sie beinahe so alt wie die Nation selbst. 1801 von Alexander Hamilton gegründet, ist sie die Zeitung des Landes, die am längsten ohne Unterbrechungen erschienen ist. Im ersten Jahrhundert ihres Bestehens kämpfte sie für die Abschaffung der Sklaverei und unterstützte die Anlage des Central Parks. Heute sind die Redaktionsräume riesig und stickig, mit vielen Reihen offener Boxen und einer Überfülle von Ablageschränken, vollgestopft mit den ungenutzten, vergessenen Dokumenten vieler Jahrzehnte. Die Wände sind übersät mit Uhren, die nicht funktionieren, mit Blumen, die zum Trocknen mit den Köpfen nach unten aufgehängt sind, dem Bild von einem Affen, der auf einem Border Collie reitet, und einer großen Schaumstoffhand – einem sogenannten Foam Finger – der Six-Flags-Freizeitparks, alles Erinnerungsstücke an frühere Aufträge. Die PCs sind veraltet, die Kopierer haben noch die Größe kleiner Ponys. In einer kleinen Abstellkammer, die früher als Raucherzimmer diente, werden inzwischen die Vorräte an Arbeitsmaterialien aufbewahrt, dort hängt ein verwittertes Schild mit dem Hinweis, dass es das Raucherzimmer nicht mehr gibt, als würde tatsächlich versehentlich jemand zwischen diese Bildschirme und Teile der Videoausrüstung marschieren, um eine Zigarette zu rauchen. So sah in den letzten sieben Jahren meine exzentrische kleine Welt aus, seit ich dort als 17-jährige Volontärin angefangen hatte.

Besonders gegen Redaktionsschluss brummt der Raum vor Aktivität – klappernde Tastaturen, herumbrüllende Redakteure, schnatternde Reporter – das perfekte Klischee der Redaktionsräume eines Boulevardblatts.

»Wo ist das verdammte Bild zu dieser Bildunterschrift?«

»Wie kann es sein, dass er nicht wusste, dass sie eine Prostituierte war?«

»Welche Farbe hatten die Socken von dem Burschen, der von der Brücke gesprungen ist?«

Es ist wie in einer Bar ohne Alkohol, angefüllt mit Nachrichtenjunkies, die mit Adrenalin vollgepumpt sind. Die Rollenbesetzung der Post ist einmalig: Hier gibt es die aufgewecktesten Schlagzeilenschreiber in der Branche, die abgehärtetsten Jäger nach Exklusivberichten und Typ-A-Work­aholics mit der chamäleonartigen Fähigkeit, praktisch mit jedem entweder gut zu stehen oder spinnefeind zu sein. An den meisten Tagen herrscht in der Redaktion gedämpfte Stimmung, wenn jeder schweigend kurze Dokumente oder Interviewquellen durcharbeitet oder Zeitungen liest. Häufig, so wie heute, ist es in der Redaktion so still wie in einer Leichenhalle.

Auf dem morgendlichen Weg zu meinem Schreibtisch schlängelte ich mich durch die Boxenreihen, die mit grünen Straßenschildern aus Manhattan gekennzeichnet sind: Liberty Street, Nassau Street, Pine Street und William Street, Reminiszenzen an eine Zeit, als die Post an ihrem vorherigen Standort in der Innenstadt, am South Street Seaport, tatsächlich von diesen Straßen flankiert wurde. Mein Schreibtisch steht in der Pine Street. In der allgemeinen Stille ließ ich mich auf meinem Stuhl neben Angela nieder, meiner engsten Freundin bei der Zeitung, und lächelte ihr angespannt zu. Ich versuchte, meine Frage nicht zu laut durch den geräuschlosen Raum schallen zu lassen: »Weißt du irgendetwas über Wanzenbisse?«

Schon oft hatte ich scherzhaft gesagt, wenn ich je eine Tochter haben sollte, würde ich sie mir so wünschen wie Angela. Sie ist in vielerlei Hinsicht meine Heldin in der Redaktion. Als ich sie drei Jahre zuvor das erste Mal sah, war sie, milde gesagt, eine schüchterne junge Frau aus Queens, nur wenige Jahre älter als ich. Sie hatte von einer kleinen Wochenzeitung zur Post gewechselt und war seither unter dem Druck eines Großstadt-Boulevardblattes zu einer der begabtesten Reporterinnen der Post herangereift, die stapelweise unsere besten Storys ablieferte. An den meisten Freitagen sah man Angela spätabends, wie sie vier Storys gleichzeitig auf ihrem geteilten Bildschirm schrieb. Ich konnte nicht anders, als zu ihr aufzublicken. Jetzt brauchte ich wirklich ihren Rat.

Als Angela das gefürchtete Wort »Wanzen« hörte, rollte sie mit ihrem Stuhl etwas weiter von mir weg. »Erzähle mir bloß nicht, dass du welche hast«, sagte sie mit einem schelmischen Lächeln. Ich wollte ihr gerade meinen Arm zeigen, aber bevor ich meine Leidensgeschichte loswerden konnte, läutete mein Telefon.

»Bist du bereit?« Es war Steve, der neue Redakteur der Sonntagsausgabe. Obwohl er gerade einmal Mitte 30 war, hatte man ihn bereits zum Chefredakteur der Sonntagsausgabe ernannt, für die ich arbeitete, und trotz seiner Freundlichkeit schüchterte er mich ein. Jeden Dienstag hatte jeder Reporter ein Präsentationsmeeting, in dem er seine Ideen für die nächste Sonntagsausgabe vorstellen musste. Als ich seine Stimme hörte, realisierte ich voller Panik, dass ich für dieses Wochenmeeting völlig unvorbereitet war. In der Regel konnte ich zumindest drei schlüssige Ideen vorstellen; nicht immer großartig, aber zumindest hatte ich immer etwas. Jetzt hatte ich gar nichts, nicht einmal genug, um mich mit einem Bluff über die nächsten fünf Minuten zu retten. Wie war das passiert? Es war unmöglich, dieses Meeting zu vergessen, ein wöchentliches Ritual, für das wir uns alle sorgfältig vorbereiteten, sogar an unseren freien Tagen.

Vergessen waren die Wanzen, mit weit aufgerissenen Augen schaute ich Angela an, als ich mit der gewagten Hoffnung aufstand, mir würde schon irgendetwas einfallen, wenn ich erst einmal in Steves Büro stünde.

Nervös ging ich die »Pine Street« zurück und in Steves Büro. Ich setzte mich neben Paul, Nachrichtenredakteur der Sonntagsausgabe und ein enger Freund von mir, der zugleich mein Mentor war, und das seit meines zweiten Studienjahrs. Ich nickte ihm zu, mied jedoch direkten Augenkontakt. Ich rückte meine zerkratzte große Annie-Hall-Brille zurecht, die ein publizistisch tätiger Freund einmal als meine persönliche Form der Empfängnisverhütung bezeichnet hatte, denn »niemand wird mit dir schlafen, wenn du diese Brille trägst«.

Einen Moment saßen wir alle schweigend da und ich versuchte, mich von Pauls vertrauter, überlebensgroßer Präsenz trösten zu lassen. Mit seinem vorzeitig weiß gewordenen Haarschopf und seiner Neigung, mit dem Wort »fuck« um sich zu werfen wie mit einer Präposition, ist er der Inbegriff des Urjournalisten und ein glänzender Redakteur.

Er hatte mir im Sommer meines zweiten Studienjahrs eine Chance als Reporterin gegeben, nachdem ein Freund der Familie uns miteinander bekannt gemacht hatte. Nach ein paar Jahren, in denen ich als Botin gearbeitet und Eilmeldungen und Informationen gesammelt hatte, mit denen ein anderer Reporter gefüttert wurde, der dann den Artikel schrieb, bot Paul mir meinen ersten großen Auftrag an: einen Artikel über Ausschweifungen in einem Burschenschaftshaus einer New Yorker Universität. Als ich mit einer Story und Fotos zurückkam, die mich beim Beer Pong2 zeigten, war er von meiner Chuzpe beeindruckt; obgleich der Artikel nie gedruckt wurde, beauftragte er mich mit weiteren Storys, und so ging es weiter, bis ich 2008 in Vollzeit angestellt wurde. Als ich nun völlig unvorbereitet in Steves Büro saß, konnte ich nicht anders, als mich wie eine blutige Anfängerin zu fühlen, des Vertrauens und Respekts von Paul nicht...

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