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Figurenkonzeption. Studien zu Mozart und Rossini

Am Beispiel 'Hochzeit des Figaro' und dem 'Barbier von Sevilla'

AutorJulian Jannsen
VerlagGRIN Verlag
Erscheinungsjahr2010
Seitenanzahl125 Seiten
ISBN9783640686131
FormatePUB/PDF
Kopierschutzkein Kopierschutz/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis31,99 EUR
Magisterarbeit aus dem Jahr 2010 im Fachbereich Musik - Sonstiges, Note: 1,0, Christian-Albrechts-Universität Kiel, Sprache: Deutsch, Abstract: Mozart und Rossini - diese Komponisten haben Opern geschaffen, die bis heute weltweit die Opernkultur prägen und scheinbar zeitlos überdauern. Beide schrieben Opern, die im Bereich der Opera buffa anzusiedeln sind; mehr noch, einer der größten Erfolge Rossinis 'Il barbiere di Siviglia' ist durch eine gemeinsame Vorlage zumindest auf literarischer Ebene tief verwoben mit Mozarts Oper 'Le nozze di Figaro'. Die Opern basieren auf der Figaro-Trilogie des französischen Dichters Pierre-Augustin Beaumarchais. Bemerkenswerterweise vertonte Rossini dreißig Jahre nach Mozarts 'Hochzeit des Figaro' mit dem 'Barbiere' gewissermaßen dessen Vorgeschichte. [...] Trotz der verwandten Vorlage sind beide Stücke selten gemeinsam thematisiert worden. [...] Somit drängt sich die Frage auf: Sind beide Opern wirklich so schwer zu vergleichen? Und wenn ja, warum? Worin liegen die gravierenden Unterschiede der beiden Werke? Gibt es Berührungspunkte? Diese Fragestellung eröffnet ein sehr weites Feld. Um es sinnvoll einzugrenzen, bietet sich der Versuch an, eine beziehungsweise die scheinbare Gemeinsamkeit beider Opern mit identischer Herangehensweise zu analysieren. Beide Opern handeln von Figaro. Er ist die Titelfigur der Werke und ein zentraler Charakter in beiden Opern. Nach welchen Prinzipien ist also der Figaro in beiden Werken im Libretto gestaltet? Welche Schwerpunkte haben beide Komponisten bei der musikalischen Ausgestaltung der Rolle gesetzt, welche kompositorischen Grundideen lagen der jeweiligen Figurenkonzeption zu Grunde? Mit dieser Untersuchung sollen beide Opern in einer ausführlichen analytischen Betrachtung gegenüber gestellt, erforscht und diskutiert werden. Die Fokussierung auf die Figurenkonzeption Figaros soll dabei als eine Art Brennglas dienen, durch das ein helleres Licht auf die Gesamtkonzeption, die Gemeinsamkeiten und Unterschiede der Werke geworfen werden soll.

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Leseprobe

2 Die literarische Vorlage - Beaumarchais' Figaro- Trilogie


 

Selbstverständlich ist im Rahmen dieser Fragestellung zu bedenken, dass die Libretti sowohl von Le nozze di Figaro wie auch des Barbiere di Siviglia an die ersten beiden Teile der Trilogie Beaumarchais' angelehnt sind. Somit könnte man potentielle Gemeinsamkeiten, aber auch Unterschiede in der Konzeption Figaros von vornherein auf den französischen Schriftsteller zurückführen. Dennoch oder gerade deswegen ist es zunächst interessant und notwendig zu untersuchen, wie in den beiden Teilstücken der Trilogie die Figur veranlagt ist, welche Wesenszüge ihr zu eigen sind, ob Figaro sich entwickelt, um die Ergebnisse anschließend in Relation zur Figurengestaltung in den jeweiligen Opern setzen zu können.

 

Der vielseitige französische Literat Pierre Augustin Caron de Beaumarchais, der zudem ursprünglich Uhrmacher, zeitweise auch Geheimagent im Dienste Ludwigs XVI. und versierter Geschäftsmann war, arbeitete ab 1772 am ersten Teil der Trilogie rund um die Figaro-Figur. Le Barbier de Seville wurde am 23. Februar 1775 in der Comedie Frangaise uraufgeführt, wurde aber aufgrund seiner Länge enttäuscht aufgenommen. Innerhalb von drei Tagen kürzte Beaumarchais die Komödie deswegen auf vier Akte und sicherte sich einen grandiosen Erfolg:

 

Die Premiere des Barbier von Sevilla war ein völliger Misserfolg. Beaumarchais hatte das kleine Stück durch aktuelle Anspielungen erweitert und auf fünf Akte ausgedehnt. So gingen Witz, Charme und Tempo verloren, das Publikum wurde ungeduldig. [...] Schon bei der zweiten Aufführung wurde ein neuer Text gespielt, im Grunde die ursprüngliche Fassung in vier Akten. Und diese Fassung wurde vom Publikum bejubelt. Eine neue Seite in der Geschichte der Weltliteratur war aufgeschlagen. Der Text erschien wenige Tage später im Druck und fand regen Absatz.[19]

 

Worum geht es also in dieser so enthusiastisch aufgenommenen Geschichte? Der Autor selbst fasste den Plot folgendermaßen zusammen:

 

Ein verliebter Alter will am anderen Morgen sein Mündel heiraten; ein junger und aufgeweckter Liebhaber kommt ihm zuvor und macht sie am gleichen Tag, vor der Nase und im Haus des Vormunds zu seiner Frau. Das ist die ganze Geschichte, aus der man nun mit gleichem Erfolg eine Tragödie oder eine Komödie, ein Rührstück oder eine Oper machen könnte.[20]

 

Man würde ein Stück im traditionellen Stil der Commedia dell'arte vermuten, die diese stereotype Figurenkonstellation des Verliebten, des findigen Dieners, der ihn unterstützt, und des Alten, den es zu überlisten gilt, immer wieder verwendet. Die Handlung ist typischerweise durch Verwicklungen und Intrigen geprägt, bis am Ende für gewöhnlich die Liebe siegt. [21] Dennoch konstatiert Marco Spada, dass diese Figuren etwas grundlegend Neues an sich haben, verändert sind:

 

In fact the characters in Le Barbier de Seville (1775) retain only the shell of their origins in the masks of the traditional burlesques, and are charged internally with new values, the products of a new age. In the first place there is Figaro, heir to the old Harlequin family who represents a new and active bourgeoisie, conscious of its rights; but there is also Don Bartolo, his antagonist, who has nothing of the foolish tutor as conventionally defined. [...] If, in the end, he succumbs to the requirements of a happy ending, it is not a victory of astuteness over stupidity, but of a new, more materialistic but less hypocritical, way of understanding how the world works, one no longer based on the pretence of class distinction.[22]

 

Figaro als Sinnbild einer neuen, selbstbestimmten Bourgeoisie? Es ist richtig, dass der Barbier seinen eigenen Nutzen aus der Geschichte zieht. Er hilft dem Grafen nicht völlig selbstverständlich, sondern fordert selbstbewusst einen Lohn für seine Dienste.[23] Dennoch handelt es sich um ein klares Diener-Herr-Verhältnis. Er ist dankbar, sich wieder in den Dienst des Grafen stellen zu dürfen und sieht sich selbst als gescheiterte Existenz.

 

Figaro. Mein guter Engel, Euer Gnaden, denn ich habe das Glück, meinen früheren Herrn wiederzutreffen. [...] von Schulden erdrückt und leicht an Geld, überzeugte ich mich, dass das nützliche Einkommen eines Barbiermessers den eitlen Ehren der Feder vorzuziehen ist, verließ Madrid [...] über mein Elend lachend und allen Leuten den Bart scherend; und jetzt sehen Sie mich endlich in Sevilla und bereit, Euer Gnaden wieder in allem zu dienen, was sie zu befehlen geruhen.[24]

 

Das soziale Gefüge zwischen ihm und dem Grafen wird im gesamten Stück nicht in Frage gestellt. Wenn in diesem Stück revolutionäre Anklänge zu finden sind, dann in der versteckten Kritik an der Maßregelung der Literatur durch Zensur in der zweiten Szene des ersten Aktes:

 

Figaro. [...] Als man dem Minister hinterbrachte, dass ich - ich darf sagen, recht hübsche Liebesgedichte verfasste, dass ich Rätsel an Zeitungen schickte, dass Schäfergedichte von meiner Hand die Runde machten, kurzum, als er erfuhr, dass ich munter gedruckt wurde, da hat er die Sache tragisch genommen und mich entlassen mit der Begründung, die Liebe zur Literatur sei mit dem Sinn für Geschäfte unvereinbar. [...] Ich war glücklich, dass er mich vergaß, denn ich finde, ein Mächtiger tut uns genügend Gutes, wenn er uns nichts Schlechtes tut.[25]

 

Die Komödie lebt in erster Linie von einfallsreichen und unterhaltsamen Wendungen; ihr einen revolutionären Charakter anzuhaften, wäre aus heutiger Sicht übertrieben. Trotzdem sah Beaumarchais sich laut eigener Aussage heftigen Attacken ausgesetzt. Diese verstärkten sich mit der Fortsetzung La folle journee ou le mariage de Figaro. Beaumarchais arbeitete von 1776 bis 1780 an dem Stück und dennoch kam es erst am 27. April 1784 zur Uraufführung, wiederum in der Comedie Frangaise. Wieso hielt man das Stück vier Jahre lang zurück?

 

Bereits im Vorwort Beaumarchais' lässt es sich erahnen. Auf die öffentliche Bitte eines Prinzen Conti um eine Fortsetzung der Figaro-Geschichte, antwortete der Dichter: „Mein Herr, [...] wenn ich diesen Charakter ein zweites Mal auf die Bühne brächte, würde ich ihn älter zeigen, und er wüsste dann ein wenig mehr. Das würde einen ganz anderen Lärm geben, und wer weiß, ob das Stück überhaupt das Tageslicht erblickte!"[26]

 

Das Stück kam, und der Lärm seitens der Zensurbehörden war ohrenbetäubend. Der Grund war, dass Beaumarchais die sozialkritische Komponente nun zu einem zentralen Merkmal des Stückes erkoren hatte.

 

Zeitlich wenige Jahre nach dem Barbier angesiedelt steht Figaro, inzwischen wieder Bediensteter am Schloss des Grafen, kurz vor der Hochzeit mit seiner geliebten Suzanne[27] , die erste Kammerdienerin der Gräfin ist. Allerdings versucht der Graf seinem Diener die Braut abspenstig zu machen, weil er meint, ein altes, bereits abgeschafftes ,Herrenrecht' wieder geltend machen zu können und damit einhergehend seine Frau zu betrügen. Dass es dieses ius primae noctis in Wirklichkeit nie gegeben hat, ist zwar inzwischen erwiesen [28] , aber es veranschaulicht hier sinnbildlich und existenziell den Machtmissbrauch des Adels. Und der letztendliche Stein des Anstoßes war, dass das eindeutige Fehlverhalten des Grafen, seine Selbstherrlichkeit, Untreue und die Ausnutzung seiner Machtposition unverhohlen thematisiert und kritisiert wurde. Beispielsweise reagiert der Gärtner Antonio auf die Androhung der Entlassung ganz gelassen mit dem Satz „Wenn Sie da [er tippt sich dabei laut Regieanweisung an den Kopf] nicht genügend haben, um einen guten Diener zu behalten, so bin ich nicht so blöd, einen so guten Herrn zu entlassen."[29] Beaumarchais beklagt auch offen die Ämterwillkür des politischen Systems:

 

Der Graf. Mit Geschick und Geist könntest du eines Tages in der Verwaltung Karriere machen. Figaro. Geist, um voranzukommen? Der gnädige Herr macht sich wohl lustig über meinen. Mittelmäßigkeit und Kriecherei, damit erreicht man alles. [...] Doch so zu tun, als wisse man nicht, was man weiß, und wisse alles, was man nicht weiß; zu verstehen, was man nicht versteht; und dass das große Geheimnis oft darin besteht zu verbergen, dass es keines gibt; sich einzuschließen, um die Federn zu spitzen, und tiefsinnig zu erscheinen, wenn man leer und hohl ist; gut oder schlecht eine Persönlichkeit spielen, überall Spione einsetzen und Verrätern Pensionen zahlen; Siegel ablösen, Briefe abfangen und versuchen, die Kümmerlichkeit der Mittel durch die Wichtigkeit der Dinge aufzuwerten: das ist die ganze Politik, oder ich lasse mich hängen![30]

 

Und schließlich ist natürlich noch der berühmte und viel zitierte Monolog Figaros in der dritten Szene des fünften Aktes zu nennen:

 

Figaro. Was haben Sie denn getan, um so viele Vorzüge zu verdienen? Sie machten sich die Mühe, auf die Welt zu kommen, weiter nichts; im übrigen sind Sie ein ganz gewöhnlicher Mensch; während ich, zum Teufel, ein Kind aus der obskuren Menge, nur um zu leben mehr Witz und Verstand aufbringen musste, als man seit hundert Jahren auf das Regieren ganz Spaniens und seiner Länder verwandt hat. [31]

 

Nicht von ungefähr wurde infolgedessen vielfach behauptet, La folle journee markiere den Beginn der französischen Revolution. Immer...

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