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Frühförderung sozial benachteiligter Kinder. Eine Herausforderung an die Lernbehindertenpädagogik?

eine Herausforderung an die Lernbehindertenpädagogik?

AutorChristina Karoly
VerlagGRIN Verlag
Erscheinungsjahr2007
Seitenanzahl81 Seiten
ISBN9783638871471
FormatPDF/ePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis27,99 EUR
Examensarbeit aus dem Jahr 2007 im Fachbereich Pädagogik - Heilpädagogik, Sonderpädagogik, Note: 2,00, Ludwig-Maximilians-Universität München, 72 Quellen im Literaturverzeichnis, Sprache: Deutsch, Abstract: Das gegenwärtige Bild der Bevölkerung in der Bundesrepublik ist unter anderem durch veränderte Sozialisationsbedingungen, den Wandel der Familienstrukturen, erhöhte soziale und ökonomische Risiken sowie den Abbau sozialstaatlicher Maßnahmen gekennzeichnet. Die Veränderung in den Familienstrukturen hat zur Folge, dass Familien heutzutage vielen Kindern nicht mehr dieselbe Konstanz wie zu früheren Zeiten bieten können. Soziale Gemeinschaften sind häufig charakterisiert durch Partnerschaftswechsel der Eltern, Patchworkfamilien, alleinerziehende Elternteile, die zudem den Lebensunterhalt verdienen müssen (Not zur Arbeit), niedriges Bildungsniveau der Eltern sowie Arbeitslosigkeit. All dies hat zu einem wachsenden Gefälle sozialer Schichten und einer Zunahme sozialer Benachteiligung mit zunehmenden Verarmungsprozessen geführt (vgl. 2. Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung 2005). Insbesondere Kinder, als schwächste Mitglieder der Gesellschaft sind hiervon betroffen, was sich insbesondere in einer Beeinträchtigung ihre Lebensbedingungen zeigt. Die gesellschaftliche Realität wird daher mit einer steigenden Anzahl von Kindern konfrontiert werden, deren Lebenslagen von sozialer Gefährdung und Benachteiligung geprägt sind. Da der Zusammenhang von sozialer Benachteiligung bei Kindern und sonderpädagogischem Förderbedarf bereits ab den siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts wiederholt nachgewiesen worden ist, muss dieser Tatsache dringend Rechnung getragen werden (vgl. Weiß 1985, S.32). Bereits 1991 begründet Klein in seinem Artikel die Einführung der Frühförderung mit folgender Aussage: 'Die Tatsache, dass behinderte Kinder häufiger aus sozial schwachen und randständigen Familien kommen als nichtbehinderte, war einer der maßgeblichen Gründe für die Einführung der Frühförderung' (Klein 1991, S. 54).

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Leseprobe

2.0 Sozioökonomisch-soziokulturelle Bedingungen und Bildungschancen


 

2.1 Zusammenhang zwischen sozioökonomisch-soziokulturellen Bedin­gungen und Bildungschancen


 

In der Bundesrepublik Deutschland besteht ein Zusammenhang zwischen dem sozioökono­misch-soziokulturellem Status und dem schulischen Lernerfolg. Die besonders durch die Bildungspolitik der 70er Jahre des letzten Jahrhunderts appellierte Forderung nach Gleich­heit der Bildungschancen, unabhängig von der sozialen Schichtzugehörigkeit, ist bis heute nicht hinreichend realisiert worden. „Trotz stetiger Erhöhung der Bildungsausgaben ist es bis heute nicht gelungen, insbesondere zugunsten von Kindern und Jugendlichen aus „nicht priviligiertem“ Elternhaus und aus „marginalisierten“ Familien die noch immer bestehende Ungleichheit der Bildungszugänge nachhaltig zu verringern oder gar zu überwinden“ (Schor 2002, S. 37). Ein Blick in die Vergangenheit lässt immerhin eine gewisse „Lockerung“ die­ses Zusammenhangs erkennen. Vor allem ist „ [...] der sozial diskriminierende Effekt der Entscheidungsalternative zwischen Haupt– und Realschulbesuch zurückgegangen. Dagegen blieben die sozialen Disparitäten des Gymnasialbesuchs weitgehend stabil“ (Pisa-Konsor­tium 2001, S. 163; Auslassung C.K.).

 

Die Kohärenz zwischen sozialer Herkunft und Bildungserfolg in Deutschland wird durch die Pisa-Studien bestätigt (vgl. Pisa-Konsortium 2001 & 2004). Pisa ist die Abkürzung für „Programm for International Student Assessment“, „ [...] ein Programm zur zyklischen Er­fassung basaler Kompetenzen der nachwachsenden Generation, das von der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) durchgeführt [...] wird“ (Pisa-Konsortium 2001, S. 15; Auslassung C.K.). Diese international durchgeführte Leis­tungsmessung erfasst die Lesekompetenz sowie die mathematische und naturwissenschaftli­che Grundbildung der 15-jährigen Schülerinnen und Schüler (vgl. a.a.O., S. 15 ff.).

 

Zur Beschreibung des sozioökonomischen Status einer Familie werden bei Pisa zwei ver­schiedene Klassifikationen angewandt. Neben dem International Socio-Economic Index (ISEI) erfolgt auch die Einteilung der Herkunft der Schüler in soziale Klassen. Da letztere soziologisch betrachtet aussagekräftiger und übersichtlicher ist, soll diese in vorliegender Arbeit als Grundlage dienen (vgl. a.a.O., S. 337 f.). Nachfolgende Abbildung vermittelt ei­nen Gesamteindruck von der Verteilung der Schüler und Schülerinnen auf die unterschiedli­chen Bildungsgänge der Sekundarstufe I unter Berücksichtigung ihrer Sozialschichtzugehö­rigkeit.

 

Diagramm 1:  15-Jährige nach Sozialschichtzugehörigkeit und Bildungsgang

 

 (a.a.O., S. 338)

 

Wie aus der Abbildung deutlich hervorgeht, ist ein Zusammenhang zwischen Schulart und Schichtzugehörigkeit festzustellen. Über 50 % der Kinder aus der oberen Dienstklasse besu­chen ein Gymnasium, während der Anteil der Kinder aus einer ungelernten bzw. angelern­ten Arbeiterfamilie in dieser Schulart auf etwa 10% sinkt. Das Gegenstück hierzu stellt der Besuch der Hauptschule dar, die von knapp 10% der oberen Dienstklasse und zirka 40% der Gruppe von Kindern der un- und angelernten Arbeiter besucht wird.

 

Um eine differenziertere Auskunft über diese Kohärenz zu erhalten, müssen die relativen Beteiligungschancen unter Berücksichtigung der verschiedenen sozialen Schichten herange­zogen werden. Folgende Tabelle gibt am Beispiel Bayern einen Überblick der Beteiligungs­chancen von Jugendlichen verschiedener Sozialschichtzugehörigkeit ein Gymnasium zu besuchen:

 

Tabelle 1:  Beteiligungschancen von Jugendlichen nach Sozialschicht

 

 

(a.a.O., S. 169)

 

„Die Koeffizienten der Tabelle sind so genannte odds ratios, die das Verhältnis der sozial­schichtabhängigen Beteiligungschancen wiedergeben“ (a.a.O., S. 167). Somit besagt ein odds ratio von 10,46 für den Gymnasiumsbesuch eines Kindes aus der oberen Dienstklasse, dass für diesen Jugendlichen die Aussicht, anstatt einer anderen Schulart ein Gymnasium zu besuchen 10,46-mal so hoch ist, wie die Chance eines Kindes mit Arbeiterfamilienherkunft (vgl. ebd.). Die relativen Beteiligungschancen weisen bundesländerspezifische Unterschiede auf. „In den neuen Ländern sind die relativen Chancen eines Gymnasialbesuchs deutlich weniger sozialschichtabhängig. Am ausgeprägtesten ist das soziale Gefälle der Bildungsbe­teiligung in den Ländern Bayern, Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein“ (a.a.O., S. 170).

 

Bei der Analyse der sozialen Disparitäten ist es jedoch sinnvoll, zwischen primären und se­kundären Ungleichheiten zu unterscheiden. Unter primären Disparitäten werden Unter­schiede in den Kompetenzen der Schülerinnen und Schüler, die erforderlich sind, um an Bildungsangeboten teilzuhaben, verstanden. Allerdings wird die Entwicklung der potentiel­len Fähigkeiten und Kompetenzen vom Elternhaus, d.h. von der sozialen Lage, beeinflusst. Sekundäre Ungleichheiten stellen soziale Disparitäten dar, die trotz gleicher Kompetenzen auftreten. Somit nimmt die soziale Herkunft Einfluss darauf, welche Schulart besucht wird (vgl. Pisa-Konsortium 2004, S. 245 f.). „Solche Unterschiede sind in Deutschland ebenfalls zu beobachten und hängen mit dem elterlichen Entscheidungsverhalten beim Schulwechsel in die Sekundarstufe I sowie dem Empfehlungsverhalten von Lehrkräften zusammen“ (ebd.).

 

Bei der Analyse der relativen Beteiligungschancen werden primäre und sekundäre Dispari­täten gemeinsam betrachtet. „Berücksichtigt man allein die sekundären Ungleichheiten –also die sozialen Disparitäten im engeren Sinn-, so verringert sich die Sozialschichtabhän­gigkeit der Bildungsbeteiligung erwartungsgemäß erheblich; ebenso schrumpfen die Län­derunterschiede“ (Pisa-Konsortium 2001, S. 170). Ausnahmen stellen die Bundesländer Bayern, Rheinland-Pfalz, Schleswig-Holstein und Niedersachsen dar (vgl. ebd.).

 

Auch die Bundesregierung betont in ihrem 2. Armuts- und Reichtumsbericht den Zusam­menhang zwischen dem sozioökonomisch-soziokulturellen Status und dem schulischen Lernerfolg. Daraus folgert sie die Notwendigkeit des schnellen Ausbaus einer geeigneten Betreuungs- und Bildungsinfrastruktur. „Da Lernfähigkeit und -bereitschaft von Kindern mit den wirtschaftlichen und sozialen Verhältnissen zusammenhängen, in denen sie auf­wachsen, sind Maßnahmen zugunsten der kindlichen Entwicklung soziale Investitionen, die den Bildungsinvestitionen im eigentlichen Sinn gleichrangig zur Seite stehen“ (2. Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung 2005, S. XXXIII). Mit ihrem Investitionspro­gramm „Zukunft Bildung und Betreuung“ unterstützt sie, bis zum Jahr 2007, unter anderem den Auf- und Ausbau von Ganztagsschulen. „Diese und weitere Maßnahmen [...] fördern vor allem die Bildung der Kinder und Jugendlichen [...] aus benachteiligten Familien [...] und erhöhen ihre zukünftigen Teilhabechancen“ (ebd.; Auslassung C.K.).

 

Ebenfalls kritisiert Vernor Muñoz, UN-Sonderberichterstatter für das Recht auf Bildung, die große Abhängigkeit des Bildungserfolgs in Deutschland von der sozialen Herkunft. Dabei bezeichnet er das bestehende dreigliedrige Schulsystem als „selektiv, diskriminierend (und) undemokratisch“ (www.spiegel.de/schulspiegel/wissen/ 0,1518,472976,00.html). In den Empfehlungen für den Besuch einer weiterführenden Schulart nach der vierten Grundschul­klasse werden, so Muñoz, die Schüler nicht angemessen beurteilt. Vor allem Kinder aus sozial benachteiligten Lebensverhältnissen seien seiner Meinung nach hierbei die Leittra­genden. Muñoz plädiert somit, unter anderem, für die Abschaffung des dreigliedrigen Schulsystems, für mehr individuelle Förderung des Einzelnen sowie für eine kostenlose vor­schulische Bildung. Auf diese Weise würden allen Kindern vergleichbarere Chancen der Bil­dungsbeteiligung ermöglicht.

 

Ebenso verdeutlichen die Ergebnisse der Studie mit dem Namen „Lernausgangslage an För­derschulen (LAUF) von Wocken (vgl. Wocken 2000, S. 492 ff.), dass Faktoren wie:

 

 Sozialstatus der Eltern (Schulabschluss, Ausbildung, Erwerbsstatus)

 

 Familienstatus (Anzahl der Eltern, Anzahl der Kinder)

 

 Kultureller Status (Bücherbesitz, wie oft wird deutsch gesprochen)

 

 Individuallage (Fernsehkonsum, persönlicher Besitz, Freizeitverhalten)

 

Einfluss auf den schulischen Lernerfolg haben und somit ein Zusammenhang zwischen Bil­dungserfolg und sozioökonomisch-soziokulturellem Status besteht (vgl. a.a.O., S. 497 ff.). Schüler und Schülerinnen, die eine Förderschule mit dem Förderschwerpunkt Lern- und Leistungsverhalten besuchen, zeigen in den eben genannten Variablen deutliche Benachtei­ligung. „Diese durchgängige soziale Differenz, die keine Ausnahme kennt, verleiht den Er­gebnissen eine Eindeutigkeit, die kaum mit beschönigenden Rationalisierungen zu relativie­ren ist (Wocken 2000, S. 499).

 

2.2 Begründung der Prävention


 

Die Kohärenz zwischen...

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