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E-Book

Gebrauchsanweisung für das Internet

AutorDirk von Gehlen
VerlagPiper Verlag
Erscheinungsjahr2018
Seitenanzahl224 Seiten
ISBN9783492991834
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis12,99 EUR
Wir besuchen es täglich, und doch wissen die meisten erstaunlich wenig über diesen Ort, den die Kanzlerin das »Neuland« nannte. Man spricht dort einen eigenen Dialekt, der sich in Abkürzungen, Emojis und Slang ausdrückt; es gibt Ureinwohner und Neuankömmlinge. Welche Kniffe und Verhaltensformen sollte man kennen? Welche Bräuche, Gepflogenheiten, potenziellen Fettnäpfchen auf dem Schirm haben und welche Randbezirke (Darknet!) meiden? Und wie entdeckt man verborgene Schönheiten? Dirk von Gehlen nähert sich dem Internet als einem Land. Fundiert und unterhaltsam beleuchtet er dessen kurze Geschichte, stellt eine Typologie der Bewohner vor, auf die man im Netz garantiert trifft. Gibt Tipps für Einsteiger, alte Hasen und Verfechter des Analogen. 

Dirk von Gehlen ist Autor und Journalist. Bei der Süddeutschen Zeitung leitet er die Abteilung Social Media/Innovation und begleitet den Medienwandel seit Jahren auf seinem Blog »Digitale-Notizen« und unter @dvg auf Twitter. Er zählt zu den Crowdfunding-Pionieren in Deutschland (»Eine neue Version ist verfügbar«) und schreibt für die Süddeutsche Zeitung über Internet-Meme. 2011 veröffentlichte er bei Suhrkamp das Buch »Mashup - Lob der Kopie«. 2017 erschien sein Buch 'Meta - Das Ende des Durchschnitts'. Zuletzt veröffentlichte er im Piper Verlag »Das Pragmatismus-Prinzip«.

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Leseprobe

Internet-Premiere24: Zwei Dutzend »Erste Male« im Internet

tl;dr:

Das Internet hat nicht einen Geburtstag. Es ist eher eine Folge von sehr unterschiedlichen Geburtstagen. Manche dieser Jubiläen sind von eher geringer Bedeutung, aber auch sie verweisen auf etwas, was später einmal wichtig werden sollte. Wenn man sich aber wirklich für einen zentralen Moment interessiert, sollte man sich an einen Oktobertag im Jahr 1969 erinnern, als über das sogenannte Arpanet erstmals eine Verbindung hergestellt wurde.

Wir waren müde. Daran erinnere ich mich noch sehr genau. Wir waren müde, und draußen war es früh dunkel geworden. Es dämmerte, als der Archivar die kleine Gruppe Journalistenschüler in Empfang nahm. Er führte uns in sein Reich, das aus langen Gängen voller Regale bestand. Eine Leuchtstoffröhre flackerte und erhellte die Kammer am Ende des Ganges, in der er uns an einen Computer führte. Meine Journalistenschulklasse war zu Besuch in einem Verlagsarchiv in München. Es war ein Winternachmittag Mitte der 1990er-Jahre – und mein erster Kontakt mit dem Internet. Ob es tatsächlich der erste war, kann ich wie viele Menschen meiner Generation nicht mit Gewissheit sagen; ich weiß aber, dass ich historisch erst sehr spät den Zauber der weltweiten Vernetzung begriff. Dass ich so lang brauchte, hat womöglich auch mit jenem Archivar zu tun, der uns sehr eloquent und freundlich in die Grundideen des Archivwesens eingeführt hatte und uns einschärfte, stets großen Wert auf Quellen zu legen und deshalb unbedingt ein Handarchiv zu führen, also Zeitungsausschnitte und Dokumente immer gut aufzubewahren. Anschließend schaltete er den Computer ein und bereitete uns im Schein der Leuchtstoffröhre auf das vor, was uns erwartete: Das hier, erklärte er, während er auf ein mir damals unbekanntes Programmbild klickte, sei das Internet. Das Internet sei maximal eine lustige Spielerei, sagte er voller Überzeugung, aber für unsere Arbeit vermutlich kaum von Bedeutung. Für Werbung sehe er dort vielleicht eine Zukunft, aber wir müssten uns davon nicht verrückt machen lassen. Dann surfte er zum Beweis die Website einer Brauerei an, die dort für ihre Produkte warb. Wir waren, wie gesagt, schon müde und verabschiedeten uns recht bald – aus einem aus heutiger Perspektive erstaunlichen Termin. Er illustriert sehr anschaulich, dass man mit Prognosen sehr leicht sehr bedeutsam falschliegen kann. Das ging nicht nur dem Archivar von damals so, auch dem Microsoft-Gründer Bill Gates, der heute eben wegen der digitalen Revolution zu den reichsten Menschen der Welt zählt, wird die Vorhersage zugeschrieben, er glaube nicht an den Erfolg des Internets.

Die wohl berühmteste Fehleinschätzung in Bezug auf die Bedeutung digitaler Technologien stammt von einem, der sich damit eigentlich gut auskennt: Der Autor und frühe Nutzer des Webs, Clifford Stoll, schrieb 1995, er sehe absolut keine Zukunft für das Internet. Es sei vielmehr ein Hype, der sich schon bald erledigt haben werde3. Fünfzehn Jahre später bat ein Web-Magazin ihn um einen Artikel zum Thema. Stoll nahm seine falsche Prognose darin sportlich und schloss den Text mit der Einschätzung: »Heute habe ich mir angewöhnt, immer wenn ich denke, ich wüsste, wie eine Sache läuft, mich zu zügeln und mir selbst zu sagen: ›Könnte auch falsch sein, Cliff …‹«4

Umgekehrt gibt es aber auch sehr frühe und sehr exakte Prognosen. Das berühmteste Beispiel lieferte in einem TV-Interview aus dem Jahr 1999 der Musiker David Bowie, der prognostizierte, das Internet werde unvorstellbare Veränderungen für das Verhältnis von Produzenten und Konsumenten haben – auch und vor allem in der Welt von Kunst und Kultur.

Können Sie sich noch an Ihren ersten Kontakt mit dem Internet erinnern? Oder wissen Sie auch nicht mehr so genau, wann Sie zum ersten Mal online gingen oder an wen Sie Ihre erste E-Mail schrieben? Da geht es Ihnen kaum anders als dem Internet selbst. Es gibt keinen Feiertag, an dem man der Geburt des Internets gedenkt. Das Internet ist eine Folge von zahlreichen Geburten. Offensichtlich wurde dies, als im Jahr 2016 bei zahlreichen Nutzern im Facebook-Feed der sogenannte Internaut-Day als Geburtsstunde des Web angezeigt wurde. Facebook datierte den 23. August 1991 zum Startdatum des World Wide Web und zeigte dies seinen Nutzern auf deren Startseite an – was definitiv so nicht stimmt. Denn die Entstehung des Web erstreckt sich über mehrere Daten: Am 12. März 1989 stellte Tim Berners-Lee erstmals seine Idee zu einem Internetdienst namens World Wide Web vor, die erste Website ging am 20. Dezember 1990 online, und am 6. August 1991 wurde das Web der breiteren Öffentlichkeit zugänglich gemacht.

Doch alle diese Daten beziehen sich nicht auf das Internet, sondern auf das Web. Also auf einen Internetdienst, der auf der Infrastruktur des Internets aufsetzt. Die Geschichte des Internets ist noch weniger auf eine Geburtsstunde zu datieren, in der eine Tür geöffnet oder ein Absperrband feierlich durchschnitten wurde.

Hinzu kommt, dass vielen Menschen der Unterschied zwischen Web und Internet gar nicht bewusst ist und sie deshalb von Facebook im August 2016 leicht in die Irre zu leiten waren. Aber selbst die Betreiber der Website howoldisthe inter.net setzen beide Begriffe gleich. Sie zeigen zwar als Antwort auf ihre Titelfrage: »Wie alt ist das Internet?« die Anzahl an Tagen an (der Wert liegt derzeit bei über 10.000 Tagen), beziehen diese aber auf den März 1989 – also auf die Vorstellung der Idee des World Wide Web – und nicht auf das Internet als zugrunde liegende Infrastruktur.

Eben weil es so viele aufeinander aufbauende Geburtsstunden gibt, die allesamt das Internet und all seine Dienste in der heutigen Form erst möglich gemacht haben, habe ich zwei Dutzend »Erste Male« herausgesucht. In Anspielung auf die im Netz gern genutzten Namen mit einer 24 im Titel habe ich diese Liste als »Internet-Premiere24« überschrieben. Diese Zahl beschreibt die durch das Netz ermöglichte Verfügbarkeit rund um die Uhr. Anders als lokale Geschäfte sind die Angebote im Internet rund um die Uhr zugänglich. Dem tragen einige Anbieter durch das Hinzufügen einer 24 im Namen Rechnung – so zum Beispiel bei der Scout-Gruppe, zu der u. a. das Wohnungsportal Immoscout24 und das Freundschaftsangebot Friendscout24 zählen.

Alle 24 Premieren vermischen bedeutsame historische Daten mit kleinen Anekdoten, die eher der Kategorie »Unnützes Wissen« entstammen. Sie haben aber allesamt einen gewissen Weitererzählwert – und geben einen ersten Einblick in die Geschichte des Internets. Auch dass sie hier stichpunktartig als Liste erscheinen, soll auf einen zentralen Aspekt des Webs hinweisen: Seine inhaltliche Struktur basiert auf der Sammlung einzelner Aspekte, die nicht in einer linearen Folge aufeinander aufgebaut, sondern netzartig miteinander verbunden sind. Johann Wolfgang von Goethe ist weit vor der Erfindung des Internets zu der Einschätzung gelangt: »Das Wichtigste sind die Bezüge. Sie sind alles.«5 Durch das Web hat diese Beobachtung enorm an Bedeutung gewonnen; Bezüge heißen hier Links.

  1. 1.Das erste Wort, das übers Internet übertragen wurde, war gar kein Wort. Als der Student Charley Kline an der University of California in Los Angeles das Wort »Login« über den Internetvorläufer Arpanet nach Stanford übertragen wollte, brach die Verbindung nach dem »O« ab. Das war im Oktober 1969. Das erste Wort, das übertragen wurde, lautete also »Lo«. Nicht zu verwechseln mit der Abkürzung LOL, die im digitalen Dialekt lautes Auflachen ausdrückt. Die Pioniere des Netzes wählten eine andere semantische Einordnung – und zwar die englische Formulierung aus dem 18. Jahrhundert: Lo wie in »lo and behold«, was man als »Sehe und staune!« übersetzen kann. Der Filmemacher Werner Herzog hat seinen Film Wovon träumt das Internet? deshalb im englischen Original auch Lo and Behold genannt.
  2. 2.Zwei Jahre nach dem Login-Versuch von Los Angeles wurde in Cambridge die erste E-Mail verschickt – von Raymond Tomlinson, den alle nur Ray nannten. Das war im Jahr 1971, und Tomlinson arbeitete für die Firma »Bolt Beranek and Newman« in der Nähe von Boston. Was in der Mail stand, daran konnte sich der 2016 verstorbene Informatiker nicht erinnern. Sicher ist jedoch, dass er damals erstmals das @-Zeichen einsetzte.
  3. 3.Die erste Mail, die in Deutschland verschickt wurde, kam dreizehn Jahre später in Karlsruhe an. Empfänger waren im August 1984 die Karlsruher Informatiker Michael Rotert und Werner Zorn. Der Inhalt lautete: »This is your official welcome to CSNET«, stammte von einer Kollegin und begrüßte Deutschland im Computer Science Network, in dem die wissenschaftlichen Ursprünge des Internets organisiert waren.
  4. 4.Das erste Glasfaserkabel, das Europa und Nordamerika miteinander verband, ging im Jahr 1988 in Betrieb. Es handelte sich um das sogenannte TAT-8, das auf dem Meeresboden durch den Nordatlantik führte. Diese Route wird seit Mitte des 19. Jahrhunderts für Kommunikationsverbindungen genutzt. Das TAT-8 war bis 2002 auf dieser Strecke im Einsatz. Die Abkürzung steht für Transatlantisches Tiefseekabel. Seit 2001 ist das TAT-14 in Betrieb, das in Nordamerika startet und in der...
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