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E-Book

Geld frisst Kunst - Kunst frisst Geld

Ein Pamphlet

AutorGeorg Seeßlen, Markus Metz
VerlagSuhrkamp
Erscheinungsjahr2014
Seitenanzahl200 Seiten
ISBN9783518733523
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis19,99 EUR


<p>Markus Metz, geboren 1958 in Oberstdorf, Studium der Publizistik, Politik und Theaterwissenschaft an der FU Berlin, freier Journalist und Autor, lebt in München.</p>

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Leseprobe

II. Ökonomie, Politik & Kunst


 

Wie sich eine Kultur für
Neoliberalismus und Postdemokratie organisiert.
Eine Agenda


 

 

 

 

A) Der Preis des Kunstwerks ist ein Maßstab für soziale Ungerechtigkeit


Die Stadt von morgen kennt
Hundedreck nur als Kunst.

Artikel-Überschrift im Zürcher Tagesanzeiger,
11. September 2013

 

Der Kunstmarkt, auf dem immer mal wieder ein paar Rothkos, Richters und Picassos für »Wahnsinnspreise« verschoben werden, ist eine »Verrücktheit der Reichen« und als solche, sagt der vernünftige Bürger, nicht weiter der Rede wert. Doch die Beziehungen zwischen Kunstmarkt und ökonomisch-sozialer Realität der Mehrheit sind ein wenig komplizierter. Der Wirtschaftstheoretiker Benjamin Mandel erklärt, dass die Investition in »hochwertige Kunst« gerade dann wirtschaftliche Rationalität verrät, wenn man davon ausgehen kann, dass die Schere zwischen Arm und Reich weiter aufgeht. Im Umkehrschluss darf darauf hingewiesen werden, dass auch der Kunstmarkt das Auseinandergehen dieser Schere beschleunigt. »Der Boom auf dem Kunstmarkt entspricht also dem anhaltenden Einkommensboom unter den Bestverdienern, den oberen 0,1 Prozent der Gesellschaft. Auch historisch gesehen hat sich der Kunstmarkt immer parallel zum Einkommen dieser Superreichen entwickelt. Der Kunstmarkt funktioniert also etwas abgetrennt von den wirtschaftlichen Problemen der Gesamtgesellschaft«.[1]

Abgetrennt bedeutet nicht »unabhängig«, so wie anti-zyklisch nicht unzyklisch bedeutet: Der boomende Kunstmarkt ist ein Echo, das jenes Kapital auf die Finanzkrise erzeugt, das ihr perfekt zu entgehen, ja von ihr zu profitieren wusste. Und nach der Krise, deren Folgen »von allen« getragen werden müssen (von den unteren allerdings mehr als von den mittleren, und von den oberen so gut wie gar nicht), geht die vielberühmte Schere zwischen Arm und Reich nur noch schneller und weiter auf. Daraus entsteht eine fatale Verkettung: Länder, in denen die Schere besonders schnell auseinandergeht, wie etwa China, werden zur Lokomotive dieser Entwicklung und ziehen andere nach sich. Kunst-Regionen werden gleichsam jenseits der »Autoren« zu heißen Tipps auf dem Kunst-Anlegermarkt: Chinesische Künstler wie Zhang Daqian oder Qi Baishi, die im allgemeinen Kunstdiskurs kaum eine Rolle spielten, wurden im ersten Jahrzehnt dieses Jahrhunderts höher gehandelt als Picasso und Warhol. (Mit fast sechs Millionen Dollar für ein Bild von Yue Minjun erreichte der Auktionshype für chinesische Gegenwartskunst einen ersten Rekord. Der Künstler selbst hatte es übrigens für 5000 Dollar verkauft.) Das zeigt nicht nur, wie sehr sich Markt und Diskurs schon voneinander getrennt haben, sondern deutet auch auf die außenpolitisch-weltökonomische Seite der Angelegenheit hin: Um zu verhindern, dass die westlichen Kunsthändler den großen Profit mit der chinesischen Kunst machten, errichtete die Regierung der Volksrepublik Zollschranken, setzte auf eigene Auktionshäuser und schuf einen Binnenmarkt als Basis eines antizyklischen Parallelkapitalismus. Spätestens seit 2009 gilt dort: weg vom internationalen Angebot und hin zur chinesischen Kunst und dort auch wiederum zur Tradition. Das chinesische Auktionshaus Poly International, das drittgrößte nach Sotheby's und Christie's, gehört der Volksbefreiungsarmee, die auch im Immobiliengeschäft führend ist. »Kunstfonds sind – anders als im Ausland – bei reichen Chinesen sehr beliebt. Eine Kapitalanlagezeitschrift aus Shanghai hat 2011 Zahlen herausgegeben, wonach es in China an die 30 Beratungsunternehmen für Kunstfonds gibt, die wiederum über 70 verschiedene Kunstfondsgruppen gegründet haben. Das Gesamtkapital dieser Fonds wurde 2011 auf umgerechnet etwa 7,4 Milliarden Euro veranschlagt«.[2] Während das Geld die Kunst frisst und die Kunst das Geld, frisst die Politik die Ökonomie und die Ökonomie die Politik. So führt der Weg vom Steuern hinterziehenden Großkünstler über die Manipulationen auf dem Markt bis zu einem Kunstmarkt, dessen Fäden die Armee in den Händen hält.

Wachstum! Wachstum! Nicht die Kunst macht das wirkliche Spektakel, das Spektakel ist die Inbesitznahme der Kunst durch die neuen Eliten und ihr nutznießendes Gefolge. So deutlich der Unterschied zwischen den Profiteuren und den Ausgebeuteten dabei auch sein mag, das Volumen dieser inneren Landnahme ist groß genug, um das Gefühl zu erzeugen, von dem wir im Augenblick offensichtlich am meisten fasziniert sind: die Gier. Der Umsatz mit Kunst betrug im Jahr 2011 46,1 Milliarden Euro weltweit. Nach dem jährlichen Kunstmarktbericht von Artprice[3] verzeichnete allein Chinas Kunstmarkt auf dem Auktionssektor ein Umsatzwachstum von 49%, in Indonesien waren es immerhin 39%. Noch dramatischer erscheint die Situation, wenn man von den Werken über einem bestimmten Marktwert ausgeht. Der Anteil der Angebote zwischen 100??000 Dollar und einer Million liegt auf dem asiatischen Kunstmarkt bei 12,1%, im Rest der Welt bei 2,2%. 52% dieser Umsätze werden mit zeitgenössischer Kunst erzielt, und diese Tendenz scheint sich weiter zu festigen: Immer weniger geht es um »alten Kulturbesitz«, immer mehr um Spekulationsobjekte, die vor den Augen ihres Marktes entstehen.

 

 

Nicht nur »frisst« der absurde Reichtum der oberen 0,1% die Kunst auf, die keine Chance mehr hat, sich in die Gesellschaft hinein zu entwickeln, sondern umgekehrt »frisst« die Kunst auch diesen absurden Reichtum, der im Kern nicht wirklich weiß wohin mit sich. So neutralisieren zwei volkswirtschaftlich »unproduktive« Größen sich nicht nur kulturell, sondern auch wirtschaftlich.

 

 

In der Alternativökonomie der Superreichen musste eine Superreichen-Ware geschaffen werden, die mit den üblichen »Luxusgütern« kaum noch etwas zu tun hat. Würde man ihnen die Kunst nehmen, müssten sich die Superreichen womöglich der Absurdität ihres Geldes bewusst werden. Man kann mit den Milliarden nichts mehr kaufen, außer noch mehr Geld, politische Macht oder eben: Kunst.

Der Kunstmarkt ist zentraler Teil einer »Alternativwirtschaft« unter den Reichen (der im Übrigen nicht funktionieren könnte, wenn es nicht auch eine Alternativwirtschaft der Armen gäbe, in den Zwangsernährungs- und Zwangsbekleidungs-Industrien der Discounter etwa, oder in den erwähnten Zwangsästhetisierungsmaschinen der 1-Euro-Läden). Man tauscht untereinander Dinge, die die Mehrzahl der Menschen nie besitzen können, und drückt in ihrem Besitz nicht nur den Wettbewerb untereinander, sondern auch die Besitzlosigkeit der anderen aus. Wenn also der auf dem Kunstmarkt erzielte Preis, wie Mandel es sieht, direkter Ausdruck des Missverhältnisses zwischen den Einkommens- und Vermögensverhältnissen sowohl innerhalb einer Gesellschaft als auch im globalen Maßstab ist, kann man nicht umhin zu sagen:

 

 

Der Preis der Kunst ist ein Maßstab für soziale Ungerechtigkeit.

 

 

Natürlich funktioniert die Kontamination der Kunst auch knapp unterhalb der 0,1%. Was nicht Besitz werden kann, soll Event werden. »Events sind spezifisch gestaltete Ereignisse mit dem Ziel, genau definierte Kundengruppen emotional an ein Produkt oder eine Firma zu binden, indem sie es mit einer spezifischen Ästhetik und einem spezifischen (Lebens-)Stil aufladen«.[4] Die Ausstellung, die Ereignis sein will, nutzt Elemente der medialen Aufmerksamkeitsstrategien; man macht sich allerdings auch nicht viel daraus, gelegentlich die Techniken schierer Werbung zu verwenden, was bereits mit der Wahl der Titel beginnt, »die sich mit programmatischer Schärfe, ironischer Brechung und aktuellem Bezug überbieten und doch alle aus dem Katalog einer trendigen, aber mittelmäßigen Agentur zu entstammen scheinen«[5]. Ein halbes Jahrhundert, nachdem die Kunst sich mit Pop zu beschäftigen begann, droht der Kunstbetrieb sich in weiten Teilen in eine Popmaschine zu verwandeln.

Wenn sich die Kunstmessen zu Party-Veranstaltungen von geschlossenen Kreisen mit schickem Publikum als Statisterie entwickeln, muss das Event auch in die Gesellschaft hineinwirken und über die Schlagzeilen auf den »Kunstmarkt«-Seiten hinausgehen. Der englische Kunsthändler Will Ramsay errichtete 1999 die erste »Affordable Art Fair« in London, die es mittlerweile auch in New York, Mexico City, Singapur, Mailand, Hongkong und Hamburg gibt. Komplett mit Kinderprogramm richtet sich diese Einrichtung wohl an die besserverdienenden Mittelständler und lässt den guten Zweck alle Mittel heiligen, wenn es um die Präsentation der Sponsoren geht. Die Affordable Art Fair soll junge Leute zu Einsteigern in den Kunstmarkt machen und bietet daher Kurse und Ratgeber zuhauf. Das Kunstwerk wird hier weniger als Spekulationsobjekt denn als ein Mittel zur Unterstreichung der eigenen Persönlichkeit, des Selbstausweises und als Luxus-Dekoration dargeboten. Da wird dann zum Beispiel allen Ernstes empfohlen, von zu Hause die entsprechenden Muster mitzubringen, um zu prüfen, ob ein Kunstwerk auch zur Wandfarbe und zu den Möbeln passt. Und dann lernt der Kunstsammler und Selbstdekorateur sehr schnell die eigenen Ansprüche zu formulieren: »Sollte das Bild Ihrer Wahl Ihr Budget sprengen, fragen Sie, ob es in einer anderen Größe vorhanden sei.«

Nein, wir sind da wohl noch nicht auf dem Weg zu einer Aldi- und kik-Kunst. Immerhin konnte man auf der...

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