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Geschichte der Germanistik

AutorJost Hermand
VerlagRowohlt Verlag GmbH
Erscheinungsjahr2017
Seitenanzahl282 Seiten
ISBN9783688100309
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis14,99 EUR
Mit diesem Werk wird der Versuch unternommen, die Geschichte der Germanistik von ihren Anfängen bis zum Ende des 20. Jahrhunderts darzustellen. Dabei werden nicht nur deren Methoden in ihrer chronologischen Abfolge behandelt und auf ihren politischen und sozialgeschichtlichen Hintergrund hin interpretiert, sondern auch der institutsgeschichtliche Rahmen berücksichtigt. Dieses Buch versteht sich somit als ein Leitfaden der Geschichte eines Fachs, das wegen seines zeitweiligen Anspruchs, die nationale Führungswissenschaft zu sein, zu den vielgeschmähten Disziplinen innerhalb der Geisteswissenschaften gehört und doch - wegen seiner mannigfaltigen Identitätsstiftung - eine ungebrochene Anziehungskraft ausübt.

Jost Hermand, geb. 1930 in Kassel, promovierte 1955 an der Universität Marburg. Er ist emeritierter Professor für deutsche Kultur­geschichte an der Uni­versity of Wisconsin-Madison (USA) und Honorarprofessor an der HU zu Berlin. Wichtige Veröffentlichungen: «Epochen deutscher Kultur von der Gründerzeit bis zum Expressionismus», 5 Bde, 1959-75 (mit Richard Hamann); «Literaturwissenschaft und Kunstwissenschaft», 1965; «Synthetisches Interpretieren. Zur Methodik der Literaturwissenschaft», 1968; «Von Mainz nach Weimar», 1969; «Pop International», 1971; «Streitobjekt Heine», 1975; «Stile, Ismen, Etiketten. Zur Periodisierung der modernen Kunst», 1978; «Die Kultur der Weimarer Republik», 1979 (mit Frank Trommler); «Sieben Arten an Deutschland zu leiden», 1979; «Orte. Irgendwo. Formen utopischen Denkens», 1981; «Konkretes Hören. Zum Inhalt der Instrumentalmusik», 1981; «Adolph Menzel», 1986; «Die Kultur der Bundesrepublik», 2 Bde, 1986-88; «Der alte Traum vom neuen Reich. Völkische Utopien und Nationalsozialismus», 1988; «Arnold Zweig», 1990; «Grüne Utopien in Deutschland», 1991; «Mehr als ein Liberaler. Über Heinrich Heine», 1991; «Als Pimpf in Polen. Die Erweiterte Kinderlandverschickung 1940-1945», 1993.

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Leseprobe

Vorwort


Angesichts des verbreiteten Zweifels am Sinn historischer Erkenntnisweisen wirkt es geradezu vermessen, die Geschichte jenes in mannigfache Richtungen zerspaltenen Fachs beschreiben zu wollen, für das sich die Bezeichnung ‹Germanistik› eingebürgert hat. Haben nicht alle, die seit nunmehr über 20 Jahren auf Methodenpluralismus, Posthistoire und Poststrukturalismus schwören, immer wieder darauf hingewiesen, daß jede Rekonstruktion eines geschichtlichen Nacheinanders auf leicht zu entlarvende ‹Meistererzählungen› oder ‹Mythisierungen› hinauslaufe, die der Unzahl der verschiedenen und sich häufig widersprechenden Diskurse innerhalb der gesellschaftlichen Wirklichkeit notwendig Gewalt antun? Besonders im Bereich der sich avanciert dünkenden Kultur- und Geisteswissenschaften sind demzufolge – neben den bereits bestehenden, in ein entwicklungsgeschichtliches Kontinuum eingebundenen soziopolitischen, ideologiekritischen und stilanalytischen Sehweisen – in steigendem Maße anthropologische, linguistische, systemtheoretische, semiotische, psychoanalytische, geschlechtsspezifische sowie mentalitätsbezogene Diskurse poststrukturalistischer oder postmoderner Prägung getreten, nach denen es nur noch Konstanten und Differenzen, aber keine historisch bedingten Entwicklungsstränge mehr gibt. Aufgrund dieser methodologischen Verschiebungen ist auf erkenntnistheoretischer Ebene jene ‹Neue Unübersichtlichkeit› entstanden, die selbst manche ihrer Kritiker und Kritikerinnen nachdenklich gestimmt hat.

Solche Problematisierungen von vornherein abzulehnen liegt mir fern. Sie haben gegenüber vielen bisherigen Verkürzungen auf allzu lineare Interpretationsmuster politisch-ideologischer oder ästhetischformalistischer Art den Vorzug, wesentlich differenziertere Sehweisen entwickelt zu haben, um der Fülle des historisch überlieferten Materials wissenschaftlich gerecht zu werden. Dabei sollte allerdings im Hinblick auf die Anhänger und Anhängerinnen solcher Anschauungen zwischen zwei Richtungen unterschieden werden: einerseits jenen, die hieraus – aufgrund forcierter Identitätsspekulationen – vornehmlich defätistische, wenn nicht gar pessimistische Folgerungen ziehen und an der Sinngebung von Geschichte überhaupt zu zweifeln beginnen, andererseits jenen, welche sich darum bemühen, die vom Poststrukturalismus entwickelten Sehweisen in ein neues, umfassenderes Konzept von Geschichtlichkeit einzubeziehen, um so – nach der Infragestellung älterer Historizitätsvorstellungen – wieder zu kollektiv-objektivierenden Gesichtspunkten zurückzufinden.

Für eine Geschichte der Germanistik würde ein solches Bemühen bedeuten, ihren Verlauf – im Rahmen einer mehr oder minder klar erkennbaren historischen Abfolge – nicht nur nach politischen, ideengeschichtlichen und methodologischen Gesichtspunkten oder im Hinblick auf ihre Hauptrepräsentanten und die von ihnen begründeten Schulen darzustellen, sondern hierbei auch andere Perspektiven, vor allem sozialpsychologischer, mentalitätsgeschichtlicher, institutionsbedingter und funktionsbezogener Art heranzuziehen, um so der Kritik an früheren Formen einer lediglich vorgetäuschten Totalität mit dem Konzept einer tiefer begründeten Totalität entgegentreten zu können, die auf einer wesentlich weiter gefaßten Synthese beruht. Bei einem so anspruchsvollen Versuch stellt sich freilich die Frage, wie sich ein solches Bemühen – bei der Fülle der inzwischen entwickelten neuen Sehweisen und zugleich der geradezu explosionsartigen Erweiterung unserer Materialkenntnisse auf diesem Gebiet – überhaupt realisieren läßt. Ist es nicht etwas großspurig, eine solche Leistung als einzelner erbringen zu wollen, statt sich in ein wohlausgesuchtes Wissenschaftsteam einzuordnen? Entsteht nicht dadurch erneut die Gefahr einer einlinigen Durchstrukturierung der geradezu unübersehbaren Stoffmassen im Sinne bestimmter Leitideen oder Meisterdiskurse?

Gefahren dieser Art sollen keineswegs geleugnet werden. Aber was wäre die Alternative zu einem solchen Unterfangen: etwa im Rahmen eines größeren Teams, und zwar ohne bestimmte Leitideen, an ein derartiges Projekt heranzugehen? Würde nicht ein solcher Versuch, der sich keine von allen Beteiligten anerkannten Ziele setzt und im Bereich des Abstrakt-Akademischen, Wertfreien und damit Ideenlosen zu bleiben sucht, nach wenigen Anläufen vor dem chaotischen Nebeneinander der vorgegebenen Materialmengen notwendig kapitulieren müssen? Der These, daß ein einzelner eine solche Aufgabe nicht mehr bewältigen könne, ließe sich daher mit der gleichen Berechtigung die These entgegensetzen, daß auch ein größeres Team bei einer solchen Aufgabe nicht von vornherein im Vorteil wäre. Mag auch der als Universalist auftretende einzelne nicht alle Bereiche einer derartig weitgespannten Geschichte gleichermaßen detailliert erforscht haben, er hat den in ein Gemeinschaftsprojekt Eingebundenen wenigstens den Vorteil einer größeren Koordinierungsfähigkeit voraus, während die mit der Bearbeitung eines Teilgebiets Betrauten über dem Besonderen nur allzu leicht das Allgemeine aus dem Auge verlieren. Und so läuft es letztlich auf das gleiche hinaus, sich als einzelner oder als Mitglied eines Wissenschaftsteams an eine Geschichte der Germanistik heranzuwagen. Hier wie dort müssen bei einem solchen Werk alle Partikulardiskurse zwangsläufig in einen Grunddiskurs eingebettet werden, um einem solchen Unternehmen überhaupt eine innere Kohärenz zu geben.

Die Funktion dieses Großdiskurses soll im folgenden jene vielbeschworene ‹Dialektik der Moderne›, das heißt der mit dem Aufstieg des Bürgertums verbundene Prozeß der Verstädterung, Industrialisierung und Liberalisierung, übernehmen, der in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts beginnt und selbst von den Kritikern und Kritikerinnen aller auf eine bestimmte Ideologie festgelegten Meisterdiskurse als der entscheidende politische, wirtschaftliche, soziale und kulturelle Großdiskurs der letzten 250 Jahre anerkannt wird, der im positiven wie negativen Sinn die Grundlage aller anderen Diskurse bildet. Dieser Prozeß hat sich nach der Meinung vieler von Anfang an auf eine höchst widerspruchsvolle Weise abgespielt, das heißt nicht nur zu Gewinnen, sondern auch zu Verlusten geführt. Und wie zu erwarten, sind auf diese Widersprüche höchst unterschiedliche Reaktionen erfolgt. All jene Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen, die allein von der Gewinnbilanz dieser Vorgänge fasziniert waren, haben in dieser Entwicklung vornehmlich einen Prozeß der Beseitigung der erstarrten feudalistischen Ordnungen zugunsten einer begrüßenswerten Enthierarchisierung und Liberalisierung gesehen, der bis heute andauere und in seinen Modernisierungsschüben zu einer weitgehenden Verfreiheitlichung aller Menschen beigetragen habe. Eher dialektisch denkende Angehörige der gleichen Disziplinen haben jedoch an dieser Entwicklung nicht nur das Positive, sondern auch den damit verbundenen Verlust kultureller, bildungsmäßiger und gesellschaftlicher Sinnstiftungen sowie die deutliche Zunahme entfremdender, konkurrenzbetonter, zweckinstrumentaler Tendenzen herausgestellt. Schließlich sei es durch die ‹Befreiung› in die Free-Enterprise-Gesellschaft mit all ihren materialistischegoistischen Begleiterscheinungen, schrieben sie, auch zu einer hemmungslosen Bevölkerungszunahme, unablässigen Beschleunigung der wirtschaftlichen Zuwachsrate und rücksichtslosen Ausplünderung der natürlichen Grundlagen des Lebens gekommen, welche allmählich immer bedrohlichere Züge anzunehmen beginne.

Im Hinblick auf diese Widersprüche wird die ideologische Diskussion bis heute von folgenden Gegensätzen bestimmt: Auf der einen Seite stehen Lehrende dieses Fachs, die weiterhin am Prinzip der unantastbaren Freiheit des einzelnen festhalten und vor den damit verbundenen kapitalistischen sowie ökologischen Gefahren weitgehend die Augen schließen, da ihnen alle Tendenzen zu gesamtgesellschaftlicher Verantwortlichkeit und damit ins Kollektive, welche sich in den letzten hundert Jahren vor allem auf der Ebene sozialistischer und faschistischer Diskurse geäußert haben, lediglich als totalitäre Verstöße gegen das Prinzip der pluralistisch-offenen Gesellschaft erscheinen. Auf der anderen Seite stehen jene, die in der fortschreitenden Verfreiheitlichung innerhalb der marktwirtschaftlichen Systeme vor allem Tendenzen ins Egoistische, Ausbeuterische, Narzißstische wahrnehmen und energisch auf eine kollektive Gesinnungsethik dringen, um sich dem immer deutlicher werdenden Katastrophenkurs entgegenzustellen. Während sich dabei die eine Gruppe gezwungen sieht, ihre liberalen Anschauungen trotz aller konkreten Entartungen ins Privilegierte und Ausbeuterische zu verteidigen, da diese aufs engste mit ihrem persönlichen Selbstverwirklichungsdrang zusammenhängen, muß die andere Gruppe stets kollektive Konzepte jenseits des Stalinismus und Hitlerismus beschwören, um sich so von Staatsformen abzusetzen, in welchen die von ihr herbeigewünschten Tendenzen lediglich auf höchst depravierte Weise zum Durchbruch kamen.

Und so ist auch die Geschichte der Germanistik, die in den letzten 200 Jahren sowohl an den liberalen als auch den nationalen und sozialistischen Bestrebungen auf engagierte Weise teilgenommen hat, notwendig ein Feld weltanschaulicher Auseinandersetzungen, das jedem Betrachter, der politisch ernst genommen werden will, klare Stellungnahmen abverlangt. Daher soll im vorliegenden Buch stets von folgenden Fragen ausgegangen werden: in welcher Form die Germanistik in diesen Prozeß eingebunden war, was sie zu den herrschenden oder kritischen Ideologieformationen beigetragen hat, wo sie lediglich als regimeverbundenes Ausführungsorgan...

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