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E-Book

Gesundheit und Wohlbefinden im Lehrerberuf

AutorNatalie Waschke, Uta Klusmann
VerlagHogrefe Verlag GmbH & Co. KG
Erscheinungsjahr2018
Seitenanzahl134 Seiten
ISBN9783844428636
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis19,99 EUR
Nicht nur Lehrerinnen und Lehrer selbst haben ein Interesse daran, mit Gesundheit, Wohlbefinden und Arbeitszufriedenheit durch das Berufsleben zu gehen. Auch für politische Entscheidungsträger, Verbände und Schulleitungen ist das Thema von hoher Relevanz, da die Bedeutung von Lehrkräften für die Qualität von Unterricht, Schule und dem Bildungssystem immer deutlicher wird. In der Forschung wird der Lehrerberuf - die belastenden, aber auch die gesundheitsförderlichen Faktoren - verstärkt in den Fokus genommen. So sind zahlreiche empirische Befunde zur Gesundheit von Lehrerinnen und Lehrern veröffentlicht worden. Aber auch in der Praxis wird die Berufsgruppe der Lehrerinnen und Lehrer als Zielgruppe erkannt, und es werden zunehmend speziell auf den beruflichen Kontext Schule ausgerichtete Angebote entwickelt. Dieses Buch hat den Anspruch, nicht nur die neusten Erkenntnisse aus Forschung und Praxis zum Thema Gesundheit im Lehrerberuf darzustellen, sondern auch der Vielschichtigkeit des Themenfelds gerecht zu werden. Das Buch bietet an der Schnittstelle zwischen pädagogisch-psychologischer Forschung und schulpsychologischer Beratungspraxis einen umfassenden Überblick über aktuelle theoretische Ansätze und empirische Befunde sowie ganz konkrete Handlungsmöglichkeiten für die Schulpraxis, u.a. zur Reflexion der beruflichen Rolle, erhöhter Achtsamkeit und Selbstfürsorge im Schulalltag, mehr Professionalität in schwierigen Arbeitssituationen, Möglichkeiten einer ausgewogeneren Work-Life-Balance sowie Anregungen für eine gesunde Schule.

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Leseprobe

|33|3 Aktuelle Forschungsbefunde zur Gesundheit im Lehrerberuf


In den letzten Jahren haben sich viele empirische Forschungsarbeiten mit der Gesundheit von Lehrerinnen und Lehrern beschäftigt. Insbesondere die Arbeits- und Organisations-, die Klinische sowie die Pädagogische Psychologie, aber auch die Erziehungswissenschaft haben die Ursachen und Konsequenzen von beruflichem Wohlbefinden, Stress und Burnout im Lehrerberuf untersucht. Die resultierenden empirischen Ergebnisse sind nicht nur von theoretischer, sondern auch von großer praktischer Relevanz. Sie bilden wichtige Grundlagen für die Aus- und Fortbildung von Lehrkräften, Schulleiterinnen und Schulleitern sowie Schulpsychologinnen und -psychologen und können einige weit verbreitete Mythen über die Berufsgruppe der Lehrkräfte widerlegen.

Das folgende Kapitel soll eine Übersicht über aktuelle Forschungsbefunde zu vier zentralen Fragen bereitstellen:

  1. Was wissen wir über die Gesundheit der Berufsgruppe der Lehrkräfte?

  2. Welche Konsequenzen hat das Wohlbefinden für das berufliche Handeln von Lehrkräften?

  3. Welche Faktoren beeinflussen das berufliche Wohlbefinden von Lehrkräften?

  4. Welche Effekte zeigen Interventions- und Trainingsmaßnahmen zur Förderung der Gesundheit von Lehrkräften?

Die ausgewählten Fragen werden auf Basis zentraler empirischer Studien beleuchtet. Dabei kann im Rahmen dieses Kapitels kein Anspruch auf Vollständigkeit bestehen. Stattdessen werden wir theoretisch und/oder empirisch besonders interessante Studien exemplarisch hervorheben, um daran den Erkenntnisstand im Forschungsfeld zu veranschaulichen.

3.1 Gesundheitsstand der Berufsgruppe


Beinahe jede Veröffentlichung zur Gesundheit von Lehrkräften begründet ihre Relevanz mit einer vermeintlich hohen Beanspruchung der Berufsgruppe. Allerdings ist die entsprechende empirische Befundlage – nicht nur aufgrund der verschie|34|denen Konzepte von Beanspruchung (siehe Kap. 2) – weniger eindeutig und verlangt eine genaue Betrachtung. So gibt es mindestens drei zentrale Kriterien, anhand derer sich empirische Studien unterscheiden lassen. Erstens ist relevant, ob objektive Indikatoren herangezogen werden, wie z. B. Frühpensionierungs- oder Berufswechselquoten oder sogenannte „weiche“ Indikatoren wie das subjektive Stresserleben oder die Arbeitszufriedenheit. Zweitens unterscheiden sich die Studien darin, ob absolute oder vergleichende Aussagen über die Berufsgruppe der Lehrkräfte getroffen werden, wobei letzteres eine genaue Betrachtung der Zusammensetzung der Vergleichsgruppe erforderlich macht. Drittens ist es nicht unerheblich, in welchem Land die jeweilige Befragung der Lehrkräfte stattfand, da sich sowohl die Ausbildung als auch die beruflichen Bedingungen der Lehrkräfte stark zwischen Ländern unterscheiden können (Schleicher, 2016).

Sichtet man vor diesem Hintergrund die entsprechenden Arbeiten, fällt auf, dass besonders auf internationaler Ebene betont wird, dass Lehrkräfte eine Risikogruppe für Unzufriedenheit und Stress sind. In diesem Zusammenhang wird sehr häufig ein Bericht der OECD (2005) zitiert, der dokumentiert, dass ein bedeutsamer Prozentsatz von Personen den Lehrerberuf wieder verlässt, was als Hinweis auf Belastungen in der Profession gedeutet wird. Allerdings zeigt sich, dass die Anzahl der Berufsaussteigerinnen bzw. Berufsaussteiger deutlich zwischen verschiedenen Ländern variiert. Während in Ländern wie Italien, Japan und Korea im Jahr unter 3 % der Lehrkräfte den Beruf wieder verlassen, werden für Belgien, England und die USA Werte von über 6 % geschätzt. Für Deutschland liegt die Schätzung zwischen 3 % und 6 %. Dabei sind die sogenannten attrition rates nicht für alle Altersgruppen der Lehrkräfte gleich. So berichtet die OECD (2005), dass insgesamt 9 % der Lehrkräfte mit einer Berufserfahrung von einem bis drei Jahren die Profession innerhalb eines Jahres wieder verlassen. Noch aktuellere Zahlen aus den USA haben Gray und Taie (2015) vorgelegt. Auf Basis der Beginning Teacher Longitudinal Study (BTLS), einer Längsschnittstudie, die eine Kohorte von Berufsanfänger bzw. Berufsanfängerinnen an öffentlichen Schulen seit dem Schuljahr 2007/2008 begleitet, konnten sie zeigen, dass 17 % der Lehrkräfte den Beruf nach vier Jahren wieder verlassen haben. Schon Ingersoll und Smith (2003) berichteten, dass Berufswechsler bzw. Berufswechslerinnen eine hohe berufliche Unzufriedenheit insbesondere mit ihrem Gehalt (79 %), Schwierigkeiten mit den Schülerinnen und Schülern (34 %) und geringe Unterstützung seitens der Schuladministration (26 %) als Grund für einen Wechsel angeben. Auch Harris und Adams (2007) untersuchten den Zusammenhang zwischen Ausstieg aus dem Beruf und Berufserfahrung. Ebenso wie Gray und Taie (2015) fanden sie einen höheren Anteil an Berufswechseln in den ersten Jahren der Karriere. Die Autoren weisen aber auch darauf hin, dass nicht nur zu Beginn, sondern auch gegen Ende der beruflichen Karriere besonders viele Lehrkräfte den Beruf frühzeitig verlassen.

Die letzten Jahre in der beruflichen Karriere von Lehrkräften wurden in Deutschland lange mit sehr hohen Frühpensionierungsraten in Zusammenhang gebracht. |35|Diese wurden als objektiver Indikator zur Beschreibung der gesundheitlichen Situation der Lehrkräfte herangezogen. Da ein hoher Anteil der Frühpensionierungen aufgrund psychischer Erkrankungen erfolgte, wurde auf den schlechten Gesundheitszustand der Lehrkräfte in Deutschland geschlossen (Statistisches Bundesamt, 2005; Weber et al., 2004). Allerdings ist die Zahl der Frühpensionierungen seit dem Jahr 2001 stark rückläufig. Lag der Anteil der Lehrkräfte, die aufgrund krankheitsbedingter Dienstunfähigkeit aus dem Beruf ausschieden, im Jahr 2000 bei 64 %, so sind es in den Jahren 2013 und 2014 lediglich noch 13 % bzw. 11 %, was der niedrigste Stand seit Beginn der statistischen Erfassung im Jahr 1993 ist (Statistisches Bundesamt, 2015). Es zeigte sich seit Einführung von Versorgungsabschlägen bei vorzeitiger Pensionierung im Jahr 2001 eine kontinuierliche Abnahme der Dienstunfähigkeit als Grund für den Ruhestandseintritt. Was sagt diese Veränderung über den Gesundheitszustand der in ihrer Karriere weit fortgeschrittenen Lehrkräfte? Sind sie gesünder geworden – oder waren sie nie krank? Verbleiben sie aufgrund der Abschläge trotz hoher Beanspruchung im Beruf? Oder fangen Alterszeitmodelle den Wunsch nach beruflicher Entlastung auf? Diese Fragen können – auch wenn es dazu starke Meinungen gibt – nicht eindeutig beantwortet werden. Allerdings zeigen die Zahlen, dass selbst ein vermeintlich „harter“ Indikator wie die Anzahl der Dienstunfähigkeiten keine eindeutige Auskunft über den Gesundheitszustand bzw. das Beanspruchungserleben einer Berufsgruppe geben kann.

Zieht man subjektive Indikatoren des beruflichen Erlebens und Verhaltens heran, dann ist international die Studie von Johnson et al. (2005) einschlägig. Die Autoren zogen einen Vergleich mit anderen Berufsgruppen und analysierten die Daten einer britischen Stichprobe von 11.000 Berufstätigen aus 26 Berufen sowohl aus dem öffentlichen als auch aus dem privaten Sektor. Sie verglichen das subjektive Stresserleben von Lehrerinnen und Lehrern mit den entsprechenden Angaben der anderen Berufsgruppen. Auf Basis eines mehrdimensionalen Instruments zur Erfassung des subjektiven Stresserlebens zeigte sich, dass Lehrkräfte im Mittel das geringste physische und psychische Wohlbefinden sowie unterdurchschnittliche Werte in der Berufszufriedenheit berichteten. Ähnlich schlecht schnitten nur Beschäftigte im Sanitäts- und sozialen Pflegedienst ab. Somit ähneln die subjektiven Angaben der britischen Lehrpersonen den Befunden mit objektiven Indikatoren für die USA.

Zur Frage des subjektiven Wohlbefindens von Lehrkräften im Vergleich zu anderen Berufsgruppen gibt es für Deutschland aktuell besonders zwei interessante Studien. Von Lehr (2014) wurden Daten einer repräsentativen Befragung zu körperlichen und psychischen Beschwerden von 20.000 Erwerbstätigen ausgewertet, die vom Bundesinstitut für Berufsbildung und der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin durchgeführt wurde. Die Ergebnisse der Vergleiche zwischen Lehrkräften und dem Durchschnitt der Erwerbstätigen zeigten, dass Lehrkräfte stärker unter allgemeiner Müdigkeit, Nervosität und Reizbarkeit, emo|36|tionaler Erschöpfung, Schlafstörungen und Kopfschmerzen litten. Diese Symptome treten häufig auch im Rahmen einer depressiven Störung auf. Geringere Werte hatten Lehrkräfte allerdings im...

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