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Größer als der Schmerz

Wie die dramatische Lebensgeschichte einer Mutter den Amoklauf an einer Schule verhinderte.

AutorAlex Tresniowski, Antoinette Tuff
VerlagGerth Medien
Erscheinungsjahr2018
Seitenanzahl256 Seiten
ISBN9783961223299
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis12,99 EUR
Antoinette Tuff arbeitet an einer Schule. Eines Morgens sieht sie sich dort dem Lauf eines Sturmgewehrs gegenüber. Vor ihr ein ganz in Schwarz gekleideter Angreifer. Hinter ihr 800 Grundschüler und deren Lehrer. Mutig und im festen Vertrauen auf Gottes Beistand stellt sie sich dem Mann entgegen und geht voller Mitgefühl auf ihn ein. Tatsächlich gelingt es ihr, ihn von seinem Vorhaben abzubringen. Dieses Buch ist vor allem aber auch der persönliche Bericht einer Frau, die auf ihrem Lebensweg viele Schwierigkeiten und Herausforderungen meistern musste. Und die dadurch gereift und gewachsen ist, um schließlich in kritischen Lebenssituationen das Richtige zu tun. Denn für Antoinette Tuff ist klar: Gott hat sie von langer Hand auf diesen Tag vorbereitet.

Antoinette Tuff arbeitete als Angestellte im Schuldienst einer Grundschule in Atlanta, ehe der Tag kam, an dem sie einen Amoklauf an ebendieser Schule verhinderte. Seitdem ist sie als Rednerin unterwegs, um mit ihrer Geschichte andere Menschen zu inspirieren.

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Leseprobe

Einleitung

Dienstag, 20. August 2013, Decatur, Georgia. An diesem ganz gewöhnlichen Morgen ist es noch dunkel, als ich aufstehe. Es ist fünf Uhr, und ich trete leise auf, um meinen Sohn nicht zu wecken. Ich schalte das Licht in der Küche an, setze mich an den Tisch und schlage meine Bibel auf, so wie jeden Morgen. Bevor ich irgendetwas anderes tue, spreche ich mit Gott. Ich tue das, damit ich weiß, was ich mit meinem Tag anstellen soll, wie ich reagieren, was ich sagen und wem ich helfen soll. Jeden Tag begebe ich mich ganz bewusst mit meinem Gott auf eine neue Reise, ich „verankere“ mich in ihm. Ich tue das alles an jenem 20. August 2013, ohne zu wissen, dass nur ein paar Stunden später ein Mann vor mir auftauchen und mir eine Kalaschnikow an den Kopf halten und mir mit einer Stimme, in der Schmerz und Wut mitschwingen, sagen wird: „Wir werden heute alle sterben.“

Ich lese wie an jedem Morgen Psalm 23. Den Psalm, den fast jeder kennt und der mit den Worten beginnt: „Der Herr ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln“ (LU). Und in dem es weiter heißt: „Und ob ich schon wanderte im finstern Tal, fürchte ich kein Unglück; denn du bist bei mir (LU)! Ich bewahre diese Worte den Tag über in meinem Herzen – wiederum ohne zu wissen, dass wenig später ein Mann die Schule, an der ich arbeite, betreten wird, der genug Munition in seinem Gewehr und in seinem Rucksack hat, um in dem Gebäude mehr als die Hälfte der insgesamt achthundertachtzig Kinder, die zwischen vier und zwölf Jahren alt sind, zu töten.

Ich bereite das Frühstück für meinen eigenen Sohn Derrick zu, Eier, Schinken und Toast, während ich auf ihn warte und er die Treppe heruntergleitet, Arme und Gesicht zuerst, und die Füße nachschleift, weil er nicht gehen kann. Und während er sein Frühstück isst, bereite ich für ihn Brathähnchen mit Gemüse zum Mittag und Schweinekotelett mit Kartoffeln zum Abendessen vor. Ich lege beide Gerichte in gesonderte Schüsseln, damit er sie einfach aus dem Kühlschrank nehmen und erwärmen kann, wenn ich noch bei meinem Drittjob arbeite und er hungrig ist.

Ich eile nach oben, dusche und ziehe mich an. Anschließend setze ich mich noch für einen Moment zu meinem Sohn und lasse ihn wissen, wie sehr ich ihn liebe. Ich steige in meinen roten GMC Envoy, Baujahr 2003, der schon 320 000 Kilometer auf dem Buckel hat, und fahre auf der Interstate 20 Richtung Atlanta Stadtmitte. Ich nehme die Abfahrt Flat Shoals, und es dauert weitere drei Minuten, bis ich am Parkplatz der Ronald E. McNair Discovery Learning Academy an der Second Avenue angelangt bin. Ich sitze an diesem heißen, aber schönen Sommertag um Punkt 7 Uhr an meinem Schreibtisch und die Kinder fangen gerade an hereinzukommen.

Am Vormittag kommt der Rektor zu mir und bittet mich, um 12:30 Uhr an der Rezeption für die Empfangsdame einzuspringen, wenn sie Mittagspause macht. Zehn Minuten vorher mache ich mich bereit, sie abzulösen, da klingelt mein Telefon.

Der Anruf stellt sich als einer der verheerendsten Anrufe in meinem ganzen Leben heraus.

Ich bin tief entsetzt über die Nachricht. Ich sitze an meinem Tisch und fange an, wie ein Kind zu weinen, während ich gleichzeitig darüber nachdenke, wie ich in den letzten paar Monaten fast alles verlor, was mir in dieser Welt etwas bedeutete. Herr, was willst du mir noch zumuten? Du sagtest, du würdest mir nicht mehr aufladen, als ich bewältigen könne, aber jetzt ist das Maß voll. Da ist kein Platz mehr, nicht ein bisschen. Also, Herr, was soll ich denn jetzt machen?

Aber ich habe keine Zeit, weiter darüber nachzudenken. Es ist schon 12:40 Uhr und ich bin spät dran, also reiße ich mich zusammen und wische meine Tränen weg. Ich bitte Gott, mir Kraft ins Herz zu geben, und ich spüre, wie er mir sagt, dass ich meine Last ablegen und tun soll, was er sagt. Also lege ich die Gedanken an meine Probleme beiseite, setze mich an die Rezeption und mache mich an die Arbeit.

Fünf Minuten später geschieht das Undenkbare.

Und genau in diesem Moment kommt mir ein Vers aus der Bibel in den Sinn, und zwar Johannes 10,10:

„Der Dieb kommt, um zu stehlen, zu schlachten und zu vernichten.“

***

An diesem Morgen des 20. August 2013 steht auch ein kleiner, stämmiger Zwanzigjähriger auf und kleidet sich ganz in Schwarz. Er lebt in einem Bungalow an einer Allee in Decatur, einem Vorort von Atlanta. Seine Nachbarn kennen ihn als ruhigen, aber höflichen, sogar freundlichen und ziemlich durchschnittlichen Typ. Manchmal passt er tagsüber auf ein paar Kinder aus der Nachbarschaft auf.

Der Mann öffnet den Reißverschluss seines schwarzen Rucksacks und füllt ihn mit mehreren Schachteln Munition, bis nichts mehr hineinpasst. Er lädt neben dem normalen Magazin noch ein weiteres Magazin seines AK-47 Sturmgewehrs (Kalaschnikow), eine in Russland hergestellte automatische Waffe, die nach dem Zweiten Weltkrieg entwickelt wurde und mehr als fünfhundert Schuss in weniger als einer Minute abfeuern kann. Sie ist eine der tödlichsten Waffen der Welt. Anschließend verlässt der Mann sein Haus an der East Lilac Lane, steigt in sein Auto und fährt den Camellia Drive hinunter zur Second Avenue, bis er an der Ronald E. McNair Discovery Learning Academy ankommt. Die Schule befindet sich weniger als einen Kilometer von seinem Haus entfernt. Er biegt auf den Parkplatz ein und findet eine Parklücke nahe am Vordereingang, so nahe an der Schule wie nur möglich.

Er steigt aus und geht zu den Eingangstüren. Seinen schweren Rucksack hat er über die Schulter geworfen und sein Gewehr trägt er versteckt und nach unten gerichtet an seiner Seite. Der Mann wartet, bis jemand eingelassen wird oder herauskommt, dann schleicht er durch die offene Tür ins Gebäude. Er geht drei, vier Schritte vorwärts und dreht sich dann nach rechts, in den ersten Raum, den er sieht – die Rezeption. Jetzt steht er in einem kleinen, schlicht gehaltenen Raum, vielleicht drei mal dreieinhalb Meter groß, mit Fenstern zur Straßenseite hin, geschlossenen Jalousien und mit einer Tür zu einem Gang, der zu den Klassenzimmern der Schule führt, wo Hunderte von Kindern an ihren Tischen sitzen, an Tafeln schreiben oder Bilderbücher ausmalen. Sie sind unschuldig, ahnungslos und in größter Gefahr … weil dieser Mann jetzt mitten in ihrer Schule ist. Er steht vor der Rezeption. Seine Waffe hält er in beiden Händen und richtet sie auf die Frau hinter dem Tresen – auf mich.

„Das ist hier kein Scherz!“, schreit der Mann. „Das ist echt!“

Und weiter:

„Wir werden heute alle sterben!“

In dem Moment denke ich an die Worte aus Johannes 10,10, und ich werde zugleich von einem Schrecken gepackt, der größer ist als alles, was ich je erlebt habe. Er fühlt sich eiskalt an, geht bis in die Knochen und scheint endlos, verzehrend. Ganz plötzlich wird mir klar, dass ich mit einem Dämon in einem Raum bin, und dieser Dämon ist gekommen, um zu stehlen, zu schlachten und zu vernichten.

Der schwarz gekleidete Mann muss mich nur erschießen und durch die Seitentür gehen, und schon steht er vor dem ersten Klassenzimmer voller Kinder. All das wird nicht mehr als drei oder vier Sekunden dauern, es braucht nur seinen leichten Fingerdruck am Abzug und gerade mal zwanzig Schritte, ehe der Albtraum wahr wird und die Hölle und das Grauen sich wiederholen: Columbine, Virginia Tech, Sandy Hook – und McNair wird zu der „McNair“ werden. Ich bin so sehr verängstigt, dass ich nicht mal imstande bin, ein Gebet zu sprechen. Doch ich fange an, still, in meinem Innern, mit meinem himmlischen Vater zu reden – so wie ich es jeden Tag mache. Und während ich dasitze, mit zitternden Händen, einem rasenden Puls, dem Gewehrlauf vor Augen, stelle ich ihm eine einfache Frage:

„Gott, was machen wir jetzt?“

***

Mein Name ist Antoinette Marie Tuff. Vor den Ereignissen des 20. Augusts 2013 war mein Leben nicht außergewöhnlich, außer vielleicht mein Glaube an Gott. Dreiunddreißig Jahre lang war ich mit dem einzigen Mann verheiratet, den ich je so sehr kennengelernt und geliebt habe, und wir haben zwei bemerkenswerte Kinder, LaVita und Derrick. Ich habe in meinem Leben schon so manche seelische, geistliche und finanzielle Schwierigkeit durchgestanden, und es gab Krisen, in denen ich eine solche Not und Verzweiflung empfand, dass ich glaubte, sie nicht länger ertragen zu können. Vor nicht allzu langer Zeit habe ich sogar versucht, mich umzubringen. Ich hätte es fast geschafft.

Ich bin im baptistischen Glauben groß geworden und fand, während ich heranwuchs, meinen eigenen Weg zu Gott. Seit ich erwachsen bin, ist Gott mein ständiger Begleiter. Er war immer bei mir, bei jedem Schritt. Auch wenn ich ihn manchmal nicht spüren konnte, war er selbst dann immer ganz besonders nah.

Er war da für mich, als mein Sohn mit einer ernsten neurologischen Erkrankung geboren wurde und als ihm eine andere Krankheit die Fähigkeiten raubte, zu sehen, zu hören und zu gehen. Gott war auch da, als mein Sohn im Sommer 2013 in einem Krankenhaus in Atlanta um sein Leben kämpfte, das nur noch an einem seidenen Faden hing. Er war auch da, als ich am 20. August diesen verheerenden Telefonanruf entgegennahm. Und Gott war bei mir, als der Bewaffnete hereinkam. Denn als der Dämon vom Tod sprach, sprach Gott vom Leben.

Über all das, was an...

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