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E-Book

Höllenfahrten und Himmelstreppen

Der Mensch Notker Wolf

AutorHeidemarie Winter
VerlagKösel
Erscheinungsjahr2015
Seitenanzahl240 Seiten
ISBN9783641151126
FormatePUB
KopierschutzDRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis13,99 EUR
Notker Wolf handelt grundsätzlich beherzt und oft unkonventionell - doch nicht allein deshalb ist der Abtprimas der Benediktiner einer der interessantesten Geistlichen der katholischen Kirche.

Mit eingehendem Blick auf seinen Werdegang, seine Passionen und seine theologischen Positionen zeichnet die Autorin das Bild eines facettenreichen Mannes, der Kontemplation wertschätzt, Veränderung nicht scheut und vielen Gläubigen als Vorbild dient.

Heidemarie Winter-Lehming, geb. 1953, studierte Politikwissenschaften, Geschichte und Germanistik. Sie arbeitete als freie Journalistin u.a. für Christ und Welt und mehrere Kirchenzeitungen mit dem Themenschwerpunkt 'Christliche Orden'.

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Leseprobe

DER ERZABT

»Wer also den Namen ›Abt‹ annimmt, muss seinen Jüngern in zweifacher Weise als Lehrer vorstehen: Er mache alles Gute und Heilige mehr durch sein Leben als durch sein Reden sichtbar – In seinem Handeln zeige er, was er seine Jünger lehrt, dass man nicht tun darf, was mit dem Gebot Gottes unvereinbar ist –«

REGEL BENEDIKT (RB) 2, 11–14

Und:

»Der Abt muss immer bedenken, was er ist, und bedenken, wie man ihn anredet. Er wisse: Wem mehr anvertraut ist, von dem wird mehr verlangt.«

RB 2, 30

Dies gab Benedikt vor 1 500 Jahren seinen Mönchen vor. Er gebot es dem, der die Klostergemeinschaft leiten soll. Ein Abt trägt die Verantwortung für ›sein‹ Kloster, das im Benediktinerorden autark, also selbstständig ist und keinerlei Anweisungen von außen zu befolgen hat. Der Abt entscheidet innerhalb des Klosters. Ein kluger Abt wird jedoch, auch das empfiehlt ihm der hl. Benedikt, die Meinungen seiner Brüder hören.

Plötzlich ganz oben

Die Zeit hatte Notker Wolf immer, um in seine Ämter und in seine öffentliche Stellung hineinzuwachsen. Er war 23 Jahre Erzabt und nun seit fast 15 Jahren Abtprimas. Sein erstes Buch war 2006 erschienen. Allerdings – der Einstieg war jedes Mal katapultartig, zumindest der in das Amt des Erzabtes. Darauf hinarbeiten konnte er nicht.

In St. Ottilien war im Jahr 1977 Viktor Josef Dammertz seit zwei Jahren Erzabt und damit auch Präses der Kongregation der Missionsbenediktiner. In Sant’Anselmo in Rom residierte seit zehn Jahren Rembert Weakland als Abtprimas. Für den Herbst war ein turnusmäßiger Äbtekongress angesetzt ohne Wahl des Abtprimas. Personalveränderungen waren also nicht vorgesehen. Pater Notker war seit über sechs Jahren Professor für Naturphilosophie und Wissenschaftstheorie in Sant’Anselmo.

St. Ottilien hat einen neuen Erzabt. Das Gebetsbild von 1977.

Er hatte den Sommer in Rom verbracht, bis er Anfang September für seinen Erzabt sein Zimmer räumen musste, der zum Äbtekongress in der italienischen Hauptstadt bei ihm einquartiert war. Am 6. September kam Notker Wolf in St. Ottilien an, ein guter Monat ›Pause‹ lag vor ihm. Einige Tage später fuhr er mit seiner Mutter zur Verwandtschaft ins rheinland-pfälzische Neuwied. Auf dem Rückweg machten die beiden noch Station bei einem befreundeten Pfarrer bei Heilbronn. »Hast du schon gehört, sie haben Rembert Weakland zum Erzbischof gemacht?« Pater Notker fiel aus allen Wolken. Sein vermeintliches Insiderwissen hatte ihm solch eine Entwicklung nicht zugeflüstert.

Denn im September 1977 hatte der Vatikan plötzlich entschieden, dass Rembert Weakland für die Weltkirche bessere Verwendung in den Vereinigten Staaten von Amerika fände, und ernannte ihn kurzerhand zum Erzbischof von Milwaukee. Für den Ordo Sancti Benedicti (OSB), die Konföderation der Benediktiner, war das ein mittleres Erdbeben, denn keiner hatte sich im Entferntesten Gedanken gemacht, wer – irgendwann – dem gerade 50-jährigen Rembert Weakland nachfolgen könnte.

Notker Wolfs erste Gedanken galten seiner Arbeit in Sant’Anselmo. Was wird nun aus seinem Studiengang, aus seinem Professoren-Dasein? Die benediktinische Hochschule war in jener Zeit latenten Veränderungen ausgesetzt. Die Philosophische Fakultät sollte ausgedünnt werden, die Vorstellungen über Studienschwerpunkte divergierten, die Studentenzahlen gingen zurück. Im Heimatkloster am Ammersee erzählt man bis heute, dass Notker Wolf im Herbst 1977 aus Rom zurückbeordert werden sollte. »Die Zeit wäre für ihn dort eh abgelaufen und hier wäre ein Einsatz fällig gewesen –«, kolportierte ein Mitbruder.

Die Neuigkeiten aus Rom bewirkten, dass es Notker Wolf nun plötzlich sehr eilig hatte. Schnell fuhr er zurück ins Allgäu, brachte die Mutter noch in der Nacht nach Grönenbach und traf gegen halb zwei in St. Ottilien ein. Dort verkündete ihm das Schwarze Brett eine völlig neue Situation: »Senioratssitzung – Thema Abtwahl«. Die Eruptionen hatten die bayerische Zentrale der Missionsbenediktiner erreicht, ihr eigener Erzabt Viktor Dammertz war als Nachfolger auf den Stuhl des Abtprimas gewählt worden. Das war zunächst eine gute Nachricht, denn mit Abtprimas Viktor Dammertz schien die Professur von Notker Wolf gesichert. Aber in St. Ottilien musste nun ein neuer Abt gewählt werden, und da schwappten beim Frühstück am nächsten Morgen die römischen Wellen auch in das Leben von Notker Wolf. Ein Mitbruder erklärte ihm leutselig: »Woaßt scho, bist aa im G’spräch!«

Die Wahl eines neuen Erzabtes mit derart geringem zeitlichen Vorlauf, in der sich die Mönche Gedanken machen können, wer passt, wer kann es, wem traut man es zu, ist eine schwierige Situation. Sicher erleichterte das Procedere der Vorwahl die Sache etwas. Dabei musste jeder der damals über 180 Mönche die Namen seiner jeweiligen Favoriten auf einen Zettel schreiben, angeblich immer acht Namen. Danach wusste man zunächst, wer vom Konvent als fähig für diese Aufgabe angesehen wurde. Nun hatten alle Vorgeschlagenen die Möglichkeit zu sagen, ob sie sich überhaupt zur Wahl stellen.

Da mit dem Erzabt von St. Ottilien auch in Personalunion der Präses der Kongregation gewählt wurde – das änderte sich 2012 – mussten zudem alle Oberen der Kongregation dieser Vorschlagsliste zustimmen. Die eigentliche Wahl forderte dann in den ersten vier Wahlgängen jeweils eine Zweidrittelmehrheit. Hatte bis dahin keiner die nötige Stimmenzahl erreicht, genügte in einem fünften oder eventuell noch sechsten Wahlgang die absolute Mehrheit.

Die Wahl war für den 10. Oktober angesetzt, weil am 11. das Generalkapitel beginnen sollte, das Treffen aller Äbte der Missionsbenediktiner, und bis dahin brauchte man einen neuen Abtpräses. Drei Wochen war nun Zeit sowohl für Notker Wolf wie auch für die Mitbrüder, um über die bevorstehende Wahl und die diversen Kandidaten nachzudenken. Traute ihm die Gemeinschaft das Amt zu, traute es sich Notker Wolf zu?

An diese Zeitspanne zwischen dem 18. September und 9. Oktober, dem Tag der Vorwahlen, erinnern sich manche Ottilianer. Pater Martin Trieb zum Beispiel, dem auf den Klosterfluren ein sehr freundlich grüßender Pater Notker aufgefallen war. Im Nachhinein, sagt er, sieht er es als ›ein Mittel zum Zweck‹, als eine Art ›Wahlwerbung‹, die er sich auch mit dem Ehrgeiz des Pater Notker erklärt. »Er wollte es vielleicht werden. Und dann – er war halt einer der ganz wenigen, die zur Verfügung standen.« Wobei Pater Martin Ehrgeiz nicht negativ bewertet.

Unbekannt war Pater Notker in St. Ottilien sicher nicht. Dennoch – seit sechs Jahren arbeitete er in Rom als Professor und zuvor, während seines Studiums in München, war er im dortigen Kolleg St. Benedikt einquartiert gewesen. Die Ferien allerdings verbrachte Notker Wolf immer im Heimatkloster und schien dabei ausreichend Eindruck hinterlassen zu haben, um als Erzabt-Kandidat zumindest in Betracht zu kommen. Der heutige Abtprimas kann sich an eine eigene Wahlwerbung per freundlichem »Grüß Gott« nicht erinnern. Was ihm aber im Gedächtnis geblieben ist, waren die Patres, die an den Sonntagen vor der Wahl fleißig in der 11-Uhr-Messe erschienen, die man ihm aushilfsweise übertragen hatte. Da seien sie gestanden und hätten seinen Predigten gelauscht. Also war, was man bisher über ihn wusste, nicht Reputation genug, um ihn so einfach zum Erzabt zu wählen. Der Konvent machte sich die Entscheidung offensichtlich nicht einfach.

Wer auch sehr gründlich überlegte, wem sie ihre Stimme geben wollten, waren die Brüder in St. Ottilien. Sie sind, im Unterschied zu den Patres, nicht zu Priestern geweihte Mönche. Bislang war ihnen die Beteiligung an der Erzabtwahl nicht erlaubt gewesen. Zum ersten Mal sollten 1977 auch die einfachen Mönche ihren Oberen mitwählen dürfen – und sie stellten die Mehrheit im Konvent von St. Ottilien. Wo sollten sie sich Informationen holen über Notker Wolf? Die Brüder erkundigten sich einfach bei denjenigen, mit denen er die letzten sechs Jahre verbracht hatte. Die Studenten und Professoren in Sant’Anselmo sollten ihnen berichten, wie er denn so sei, der Pater Notker, und ob er sich als Erzabt eignen würde. Aus Italien kamen, je nachdem, von welcher Seite man es betrachtete, gute beziehungsweise schlechte Nachrichten. Dort wollte man ihn nämlich überhaupt nicht gern gehen lassen, weil sich der Dozent Pater Notker in Rom um seine Studenten gekümmert habe, um die Neuen, um die, die Eingewöhnungsprobleme hatten, um ihre medizinische Betreuung und um notwendige Übersetzungen von Dokumenten. Er war immer persönlich ansprechbar. Außerdem hatte er der Gregorianik und damit der Schola von Sant’Anselmo zu neuem Ansehen verholfen. Es wäre ein Verlust für die ganze Einrichtung, wenn er abgezogen würde, ließ man in St. Ottilien ausrichten.

Innerhalb dieser drei Wochen vor der Wahl zogen so alle ihre Erkundigungen und Informationen ein, offene wie versteckte. Die Wirkung war eindeutig. Die Vorwahl, quasi die Kandidatenaufstellung, brachte Notker Wolf bereits die meisten Stimmen ein.

Wahlgeheimnisse

So eine Abtwahl mit ihren Richtlinien und Abläufen, aber vor allem am Ende die Anzahl der Wahlgänge und das Stimmergebnis, ist ein angestrengt gehütetes Geheimnis. Wer von den älteren Brüdern und Patres in St. Ottilien sich daran erinnerte, wollte meist nichts dazu sagen. Andere verließ ihr Erinnerungsvermögen. Manche ließen sich höchstens zu kryptischen Bemerkungen...

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