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E-Book

Ich umarme den Tod mit meinem Leben

AutorMarianne Sägebrecht
VerlagGütersloher Verlagshaus
Erscheinungsjahr2019
Seitenanzahl192 Seiten
ISBN9783641244224
FormatePUB
KopierschutzDRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis19,99 EUR
Die Schauspielerin Marianne Sägebrecht liebt das Leben in all seinen Facetten, begeistert sich leidenschaftlich für andere Menschen, für Geschichten und die großen und kleinen Fragen des Lebens. Eigenwillig, unbestechlich und bodenständig schildert sie in ihrem neuen Buch ihre eigene Sicht auf die Dinge. Mit ihren feinsinnigen Beschreibungen kommt sie den Leserinnen und Lesern ganz nah und verzaubert sie durch ihre besondere Wahrnehmung in einer eigenen Sprache voller poetischer Farben.
Es ist ihr persönlichstes und wichtigstes Buch, erwachsen aus den Erfahrungen in der Sterbebegleitung als junges Mädchen und ihrem langjährigen Engagement in der Hospizbewegung. Unerschütterlich vertritt sie ihren Glauben an Gott, an die Unsterblichkeit der Seelen, an das Gute im Menschen und an die Kraft der Liebe. Und ermutigt, das Sterben wieder ins Leben zu holen.
  • Das persönlichste Buch der Erfolgsautorin
  • Erwachsen aus ihrem langjährigen Engagement in der Hospizbewegung
  • Bodenständig, unbestechlich, eigenwillig


Marianne Sägebrecht, geboren 1945, ist eine erfolgreiche Autorin und Schauspielerin. Nach einer Ausbildung zur Medizinisch-technischen Assistentin führte sie zwei Künstlerkneipen in Starnberg und München. Sie schaffte als eine der wenigen deutschen Charakterdarstellerinnen den Sprung nach Hollywood und wurde u.a. mit dem Schwabinger Kunstpreis, dem Ernst-Lubitsch-Preis, dem Bundesfilmpreis, dem Bambi und dem Bayerischen Verdienstorden ausgezeichnet. Seit vielen Jahren engagiert sie sich in der Hospizbewegung und begeistert ihr Publikum mit einfühlsamen Lesungen u.a. mit dem Programm 'Lieder und Gedichte vom Sterben fürs Leben'. Marianne Sägebrecht hat eine Tochter und lebt in einem Dorf am Starnberger See.

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Leseprobe

KAPITEL 1

Kind der Stunde Null

(Abb.: © Yolande Paulette Beck)

Alle Wege

führen zu dir

Yolande Paulette Beck

Einem befreienden Schrei, der sich zu einer besorgten Zimmerdecke empor rankt, folgen gurrende Schmerzensschreie einer neuerkorenen Mutter, die urplötzlich vom ersten Schrei einer gelandeten Weltenbürgerin übertönt werden.

Die Hebamme Annegreth notiert sich gerade ins Stundenbuch den 27. August 1945, Zeit der Ankunft: 3:10 Uhr, Ort des Geschehens: Domizil der Hebamme, Possenhofenerstraße, Starnberg, Geschlecht: weiblich. Das war in dieser Woche nach zwei Knaben schon das dritte Wesen, ein wohlgeformtes weibliches Geschöpf, das sich nach den unsäglichen Verlusten von Menschenkindern im blutigen, bombenverhagelten Dunstkreis des in seinen Ausmaßen unvorstellbaren Zweiten Weltenkrieges auf den Weg in die irdische Arena des Weltenrunds aufgemacht hatte. Ja, die biologische Mama war, als es nach nicht enden wollenden fünf Jahren im November 1944 langsam dem Kriegsende zuging, mehr als fleißig im Einsatz, denn all diese Neugeborenen wurden ja in diesem tristen November-Monat von den vielen heimkehrenden Soldaten gezeugt. Das sind die im Sommer geborenen sonnengeküssten, hochenergetischen Wesen, die für eine Wiedererstehung einer in sich zusammengebrochenen Gesellschaft von großen Nöten sind, sinniert die altgediente Hebamme mit einem verschmitzten Lächeln in sich hinein.

Und wenn sie sich nun schön langsam auch mal wieder um mich und meine erschöpfte Mutter Agnes kümmern würde, auf deren großem Bauch ich immer noch blutverschmiert mit meinem Bäuchlein nach unten liege, wäre uns sehr geholfen. Mit »Wir warten jetzt noch auf die Nachgeburt, Agnes, das kann aber noch ein paar Stunden dauern« hat sich Annegreth, deren schöner Name schon während der schweren Presswehen, eingepfercht im Geburtskanal, in meine kleinen Wuzzi-Ohren drang, mir vorgestellt. »Annegreth, mein Popo ist am Erfrieren«, mosere ich jetzt, so kräftig ich nur kann. So habe ich mir diesen sprachlosen Zustand gleich nach der Geburt nicht vorgestellt! Darüber wurden wir in unserem Seelendelta-Tal nicht in Kenntnis gesetzt. Der wohlbekannte Herzschlag meiner Mutter schickt mir warme Gefühle und tröstende Gedanken. Mein Köpflein liegt seitlich, so kann ich das ersehnte Antlitz meiner Mutter noch nicht dingfest machen. »Hilfe, hilfe, ich friere«, rufe ich in die neue weite irdische Welt hinaus, um dann plötzlich von einem tröstlichen Schläflein übermannt zu werden.

Von zwei kräftigen Händen, die wohl wissen, was sie tun, finde ich mich immer noch nackt, wie Gott mich schuf, und immer noch schlotternd mit einer verlorengegangenen Nabelschnur – »Aua, da tat was weh an meinem jungen Bäuchelein« – in Richtung der schummrigen Deckenleuchte emporgehoben. Die Geburtenstation hatte unsere gewiefte Hebamme übrigens mit Genehmigung der Übergangsregierung der Stadt Starnberg in ihrer 4-Zimmer-Wohnung etablieren dürfen.

»Hui«, mittlerweile hatte ich auch schon den Namen meiner Mutter verinnerlicht, »lass mich sie doch endlich ins Auge fassen«, moserte ich wieder, nun Auge an Auge mit Annegreth. Ein liebevoller Blick aus ihren gütigen blaugrauen Augen umflort meine zierlichen Rundungen, die ich schon leicht fühlen kann. Die Ankunft von Mutters Placenta, meiner Ex-Luxusküche, so die Worte der Hebamme, habe ich wohl verschlafen.

»Aua, mein Nabelstummel brennt ja lichterloh, und ich bin jetzt hungrig nach der langen Reise. Bitte Mama, nimm mich doch an deine Brust«, mosere ich und verziehe mein Näschen, als plötzlich, während meiner Talfahrt auf dem Handteller in Richtung Mutterbrust, ein lebendiger Schwamm aus Annegreths Hand in meinem Gesicht herumspringt, sich blutverschmiert aus dem Staube macht und mir damit urplötzlich den Schleier vom wunderschönen, aber vor Schweiß triefenden Gesicht meiner auserwählten Mutter zieht. Die Brustzitze wird jetzt zum Üben von der Hebamme in mein hungriges Mäulchen gesteckt. An dieser Bar ist allerdings heute nur kalte Luft zu ergattern. Also weitersaugen, während der runzelige Finger von Annegreth zu Saugübungen mit ins Spiel kommt. »Igittebah, das schmeckt ja noch placentarisch! Finger, Finger, nimm du gleich mal deinen Hut«, versuche ich den Eindringling humorvoll von mir zu weisen. Nach meinem Würgelaut zieht sich dieser runzelige Zeigefinger tatsächlich zurück. Ob sie mich wohl verstehen konnte? Aber das war wohl eher ein Zufall.

Wie gut, dass uns der Schöpfer die Hebamme Annegreth mit ihrer großen Fürsorge und einem Herzen aus Gold zur Seite gestellt hat. So kuschel ich mich halt hungrig, aber glücklich und zufrieden an meine Agnes. »Da hat man uns jetzt aber ein aufgewecktes Kerlchen geschickt. Fehlt nur noch, dass dieser Säugling gleich anfängt, aus der Bibel zu zitieren«, entfleucht es einem schmunzelnden, kräftigen Mund, der sich aus den Augenwinkeln der frisch gekürten Mutter Agnes zu dem lachenden Augenpaar der Hebamme gesellt. Mein linkes Händchen greift sich flugs eine von Annegreths silbernen Haarsträhnen, die ich zur Strafe für die verweigerte erste Mahlzeit erst mal nicht mehr loszulassen gedenke.

»Aber ich habe mir doch zusammen mit dem Vater Georg so sehr ein Mädchen gewünscht! Marianne sollte sie heißen, das hat er mir schon Ende April im Traum übermittelt. Ist denn wenigstens alles dran an dem Kerlchen?«, ertönt zaghaft die Stimme von Agnes. »Ich bin’s doch, eure Marianne, keine Sorge«, versuche ich mich wieder bemerkbar zu machen, beschließe aber, doch lieber erst meine überlebenswichtigen Saugübungen zu absolvieren. Und da, ein Wunder – die Pforte meiner Milchstraße wird urplötzlich eröffnet, aber das werde ich jetzt erst mal sehr weise für mich behalten. Halleluja. »Das Fläschchen mit dem Kamillentee bekommt unser Wuzzi morgen früh, eventuell ist ja bis dahin schon die Milch eingeschossen, wir brauchen jetzt alle drei unseren verdienten Schlaf, und morgen macht er endlich seinen Antrittsbesuch«, murmelt Annegreth, nebst einem lauthalsen Gähnen in den kleinen Altfrauenbart ihrer klimakterischen Oberlippe. Wie tröstlich, dass Mutter Agnes schon eingeschlafen ist und nichts von den Prophezeiungen der Hebamme mitbekommen hat. »Oh, du Schreck der ersten Nacht auf meinem gerade ins Visier genommenen Erdenrund, ich hab alles vernommen. Kommen denn morgen früh die Milchmänner auf ihren Panzern und schießen zu uns herein? Der Krieg ist doch, Gott sei es vergeben, seit dem 8. Mai vorbei, Annegreth«, murmel ich brubbelnd vor mich hin und schmiege mich sattgetrunken an meine Nahrungsquelle, während mein linkes Händchen die andere Brust umfasst. »Ja, du schöne neue Welt, ich bin als Linkshänderin angetreten, ein Problem, Frau Geburtshelferin?«, argumentiere ich frech in mich hinein. Madame hört mich ja nicht, und so ziehe ich mir jetzt noch zum Nachtisch den mir so wohlbekannten, beruhigenden Geruch meiner Mama in die Nase, als Agnes plötzlich mit unkontrolliertem Schreien »Keine Panzer, keine Soldaten, bitte!« aus ihrer für mich bis dahin kuscheligen Liegeposition schreckensbleich hochschreckt. Für mich ist nun die erste Körperrolle meines jungen Lebens angesagt, die ich durch Hochstemmen über die Kniehügel bis hinunter zu den Zehen meiner Mutter tapfer absolviere. Meine bis dahin an Mutters Bauch angestemmten Beinchen beginnen plötzlich Schmerzsignale zu senden. Annegreth, schon in ein grobleinernes Nachthemd gewandet, hat ihren aufgelösten Haardutt kokett auf ihre kräftig geformten Schultern verteilt.

Die angstvollen Schreie von Agnes lassen sie wieder sorgenvoll im weißlackierten, abgeblätterten Türrahmen erscheinen, der über die Jahre sicherlich schon einiges zu erzählen hätte. Aus meinem Traumland im Regenwald, mit einem Flussbett voll Milch und Honig, werde ich durch die Schreie meiner Mutter zurückgeordert und von meinem Schutzengel Annegreth gerade noch vor einem neuerlichen Absturz aufgefangen und in mein Korbwägelchen neben Mutters Bett gelegt, was ich mit bitterlichem Weinen quittiere. Meine Füßlein tun so weh. Eine kleine Wärmflasche samt selbstgenähter Kuscheldecke aus Kaninchenfell wird von Annegreth beauftragt, stoische Ersatzmutterpflichten zu übernehmen. Agnes, immer noch am ganzen Körper zitternd, bekommt drei Suppenlöffel voll Baldrianelixier, ein selbstgebrautes Hausrezept, mit ordentlichem Alkoholanteil angesetzt – versteht sich in Zeiten wie diesen. Bei einer kräftigenden Wurzelsuppe, die Annegreth noch für Agnes in Hitzewallung versetzt hat, streicht sie zart über den verschwitzten Haaransatz ihrer Anbefohlenen. »Es ist ein Madl, Agnes. Euer Mariandl, ein ganz besonders G’wachs. Du, die kummt von weit her, vielleicht sogar von der Venus, du, des gibt’s. Die wird dir, deinem Georg, wenn er jetzt bald aus’m Krieg heimkommt, und den Menschen noch viel Freud’ machen, da hob i ein G’spür dafür«, höre ich Annegreths brüchige Stimme sagen.

»Ein Mädchen haben wir bekommen, Georg, ein Mädchen, wie du es dir so sehr gewünscht hast«, rieselt es über die blassen Lippen von Agnes, während sie mit einem befreiten Lächeln ihr Schlafdefizit wieder aufzufüllen scheint. Das alles kann ich von Annegreths Schoß aus erspähen, sie hat mich aus meinem Korbwägelchen genommen und in eine Decke eingehüllt, wo ich bis zu meinem Einschlafen verbleiben darf. »Ach, mein Kleines, fast hätt ich’s vor lauter Aufregung verschwitzt, meiner Agnes die frohe Botschaft mitzuteilen, dass sie heute einem so sehnsüchtig erwarteten Mädchen das Leben geschenkt hat. So wie es sich abzeichnet, werde ich dich und Agnes noch mindestens vier Wochen hier bei mir behalten müssen. Die Bäuerin hat gestern für Agnes einen Brief abgegeben, wo sie ihr kündigt, während sie mit dir in den Wehen lag, mein...

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