Sie sind hier
E-Book

Immer noch ich

Mein Weg zurück ins Leben

AutorMonica Lierhaus
VerlagUllstein
Erscheinungsjahr2016
Seitenanzahl272 Seiten
ISBN9783843712453
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis8,99 EUR
Seit dem 9. Januar 2009 ist für Monica Lierhaus nichts mehr, wie es war. Eine Operation, die schiefgeht, eine Familie, die zum Abschiednehmen in die Klinik gerufen wird, eine Frau auf dem Höhepunkt ihrer Karriere, die ins Koma fällt. Die Prognosen sind verheerend. Wenn sie überlebt, dann wird es ein Leben im Rollstuhl sein - unselbständig und von anderen abhängig. Für Monica Lierhaus ein Alptraum. In der Reha muss sie alles neu lernen. Schlucken, essen, sich bewegen. Aber sie will mehr: die Klinik auf eigenen Beinen verlassen. Und sie schafft es. Sie kämpft - um ihre Sprache wieder zu erlangen, ihre Erinnerungen, ihren geliebten Beruf. Die Krankheit hat sie verändert, eine andere aus ihr gemacht. Der Kern ist geblieben: eine faszinierend starke Frau, die sich nie aufgegeben hat. Ein offenes, ehrliches Buch, das Einblicke gewährt in Höhen und Tiefen der vergangenen Jahre. Vor allem aber ein Buch, das Mut macht.

Monica Lierhaus, Jahrgang 1970, ist Journalistin und Sportmoderatorin beim Fernsehen. Auf SAT.1 führte sie jahrelang durch die Sendung ran, für die ARD moderierte sie u.a. die Sportschau und begleitete die Spiele der Fußball-Nationalmannschaft. Für den TV-Sender Sky führte sie während der Fußball-Weltmeisterschaft 2014 Hintergrundinterviews; dort läuft auch regelmäßig ihre Gesprächsreihe Monica Lierhaus trifft ... Monica Lierhaus lebt in Hamburg.

Kaufen Sie hier:

Horizontale Tabs

Leseprobe

1


Stunde null

Es bleibt eine gewisse Grundtraurigkeit über diese höllische Erkrankung, die nicht nur über meine Schwester hereingebrochen ist und ihr ganzes Leben verändert hat. Das Leben unserer ganzen Familie, unseres engsten Umfelds, ist aus den Fugen geraten. Die Folgen versuchen wir bis heute zu kitten.

Eva Lierhaus

Seit dem 8. Januar 2009 ist mein Leben geteilt in ein »Davor« und ein »Danach«. Auf der Trennlinie dazwischen steht »das Unglück«. Auf den ersten Blick vielleicht ein seltsamer Begriff. Aber ich sehe das, was passiert ist, tatsächlich als Unglück. Als eine Verkettung von vielen tragischen Situationen, die so nicht abzusehen war. Vielleicht kann ich mit diesem Begriff aber auch nur besser umgehen. Weil er mir etwas mehr Raum lässt. Ein Unglück passiert; es hat Folgen, mit denen man klarkommen muss. Die sich vielleicht eines Tages in den Griff bekommen lassen. Denen man sich nicht ergeben muss wie einem »Schicksal«.

Was die Zeit vor dem Unglück angeht, weiß ich noch, dass ich seit längerem unter einem seltsamen Pochen im Kopf litt. An einem Druckgefühl über dem Ohr, das nicht weggehen wollte. Vor allem nachts war es da, weshalb ich kaum noch gut schlief. Mit zwölf oder dreizehn Jahren hatte ich zum ersten Mal das Gefühl, dass irgendetwas in meinem Kopf ist, das da nicht hingehört. Meinen Eltern gegenüber habe ich das nicht groß thematisiert, auch weil ich dachte, ich würde mir das alles vielleicht nur einbilden.

Als junge Erwachsene hatte ich dann schon einmal einen Neurologen aufgesucht, weil die Kopfschmerzen nicht besser werden wollten. Die Untersuchung hatte kein Ergebnis gebracht, und da ich ansonsten keinerlei Beschwerden hatte, beruhigte mich der Arzt mit Sätzen, die ich später auch von anderen Medizinern wieder zu hören bekam: Zu viel Stress, Frau Lierhaus, kein Wunder bei dem Pensum, Sie muten sich einfach zu viel zu, Sie brauchen eine Pause. Probieren Sie es doch mit Yoga oder autogenem Training, schalten Sie einfach mal einen Gang herunter.

»Einfach mal« einen Gang runterschalten, das konnte ich nicht, das konnte ich noch nie. Entspannungsübungen und ich – das geht nicht wirklich gut zusammen. Ich bin nicht der Typ, der los- und lockerlassen kann, ich stehe eigentlich immer unter Strom. Daran hat sich bis heute nichts geändert. Früher habe ich das vor allem im Job gemerkt. Selbst in Zeiten, in denen der Terminkalender nicht voll war, konnte ich nur schlecht entspannen. Nach der WM ist vor der WM. Ich erinnere mich noch gut an eine Diskussion mit Rolf zum Thema Freizeitgestaltung. Ich war gerade von der Fußballeuropameisterschaft zurückgekommen und hatte einige Wochen frei bis zum nächsten Großereignis.

»Genial, was du in der Zeit alles machen kannst! Fahr doch weg, nimm dir eine Pause, genieß es!«

»Bist du verrückt? In acht Wochen beginnen die Olympischen Spiele in Peking! Ich muss mich schließlich noch vorbereiten.«

So war das immer. Ich hätte nicht wegfahren können, zumindest nicht entspannt. Der Druck, den ich mir selbst gemacht hätte, wäre viel zu groß gewesen. Meine Mutter Siggi hat einmal gesagt, ich sei wie eine Kerze, die an beiden Enden gleichzeitig brennt. Wahrscheinlich hatte sie recht damit, dass das auf Dauer nicht gutgehen konnte.

Was dagegen immer gutging, war das Wegdrücken. Was nicht sein darf, das nicht sein kann. Das Pochen war noch da, auch die Kopfschmerzen und die schlechten Nächte blieben. Der Stress war noch da, mein Perfektionismus, alles war wie immer. Ich funktionierte wie ein Duracell-Häschen. Wenn ich arbeitete, war sowieso alles andere vergessen. Außerdem – da war ja auch nichts. Das hatten inzwischen nicht nur verschiedene Ärzte festgestellt, ich hatte mich sogar unter die Hände einer Reiki-Meisterin begeben. Normalerweise bin ich eher kopfgesteuert, aber ich dachte, es kann nicht schaden, wenn sie meine Energiefelder auf Blockaden untersucht. Sie hat keine gefunden.

Dass mein Zustand keineswegs normal war, kam eher zufällig heraus, als ich mir die Augen lasern lassen wollte. Ich bin stark kurzsichtig – und Brillen habe ich immer gehasst. Wahrscheinlich, weil ich in der Schule deswegen immer gehänselt wurde. »Brillenschlange«, noch dazu eine mit Zahnspange. In meinem Kinderpass klebt ein fürchterliches Foto, auf dem beides zu sehen ist. Riesiges Brillengestell, verlegenes Grinsen mit Drahtverhau vor den Zähnen. Einfach nur schrecklich.

Mit den Kontaktlinsen, die ich seit Jahren trug, hatte ich zunehmend Schwierigkeiten. Meine Augen wurden schnell trocken und brannten, und wie ein Kaninchen wollte ich vor der Kamera nun nicht gerade aussehen. Ein Kollege hatte mir vorgeschwärmt, wie problemlos das Lasern bei ihm verlaufen sei und wie sensationell er seitdem ohne Hilfsmittel sehen könne. Genau das wollte ich auch.

Ich beriet mich mit einem befreundeten Arzt, der mir ebenfalls versicherte, dass Augenlasern heutzutage vergleichsweise ein Klacks sei. Der Laser würde weitgehend von einem Computer gesteuert, das Risiko für Fehler sei gering. Hinterher müsse man noch ein bisschen aufpassen, damit man sich keine Infektion einfange. Mit Salben oder Tropfen sei aber auch das leicht in den Griff zu bekommen.

Allerdings: Bevor ich mich ambulant in eine Augenklinik begab, sollte ich mir vorher noch den Kopf durchleuchten lassen. Eine reine Vorsichtsmaßnahme, um ganz auf der sicheren Seite zu stehen. Mit Hilfe einer Magnetresonanztomographie (MRT), einem speziellen bildgebenden Verfahren, würde ich nach einer halben Stunde in der Röhre sozusagen scheibchenweise Schnittbilder meines Kopfes erhalten.

Warum nicht?

Ich rechnete mit einer weiteren Bestätigung, dass da nichts sein würde. Und dass die Kopfschmerzen schlicht davon kämen, dass ich den Fuß einfach nicht vom Gas bekam.

Den Termin für das MRT hatte ich Anfang Dezember 2008. Als ich mich wieder anzog, bekam ich mit, dass etwas nicht stimmte. Durch die Glasscheibe des Kabuffs, in dem die Röntgenassistentin bis dahin alleine gesessen hatte, konnte ich sehen, dass sich inzwischen mehrere Personen über den Bildschirm beugten.

Bei der Nachbesprechung kurz darauf wurde nicht lange um den heißen Brei herumgeredet. Ich hatte eine Anomalie im Kopf, möglicherweise schon seit Kindertagen. Ein sogenanntes Angiom, eine Art Knäuel aus Gefäßen im Kleinhirn, das sich zwischen blutzuführenden Arterien und blutabführenden Venen gebildet hatte. Solche »verknoteten« Blutgefäße können an einigen Stellen stark verengt, an anderen sehr gedehnt und dadurch dünnwandig sein. Risse können zu inneren Blutungen führen.

»Frau Lierhaus, das Angiom an sich ist so weit gutartig, sollte aber in jedem Fall entfernt werden. Was Sie vorher noch abklären müssten: Bei solchen Anomalien können sich häufig Aneurysmen bilden. Das sind Aussackungen, die jederzeit platzen und zu einem ungehinderten Blutaustritt in den Gehirnraum führen können. Das muss nicht passieren, vielleicht liegt bei Ihnen diese Komplikation auch nicht vor, aber wenn so ein Aneurysma platzt … Ich würde Ihnen dringend raten, sich dahingehend noch einmal untersuchen zu lassen. Und falls der Befund positiv sein sollte, einen präventiven Eingriff vornehmen zu lassen. Damit sollten Sie nicht zu lange warten, das ist wie eine tickende Zeitbombe.«

Ich saß wie betäubt im Besprechungszimmer, die Stimme des Arztes rauschte in meinen Ohren. Also doch. Und was jetzt? Am 29. Dezember würde die Vierschanzentournee beginnen.

»Ich werde Sie zu einem Kollegen überweisen, und dann sehen wir weiter.«

Nach der nächsten Untersuchung einige Tage später hatte ich es schwarz auf weiß. Ich hatte ein Angiom und ein Aneurysma im Kopf. Die Haltung des Arztes war eindeutig: Wenn ich den Eingriff nicht machen ließ, würde ich mich einem hohen Risiko aussetzen. Platzt ein Aneurysma, endet das in gut der Hälfte der Fälle tödlich. Von den Überlebenden sind über vierzig Prozent dauerhaft durch neurologische Ausfälle oder schwere Defizite in ihrer Lebensqualität beeinträchtigt. Wie lange das in meinem Fall noch gutgehen würde, konnte mir niemand sagen. Zwei Tage, zwei Monate, zwei Jahre. Die wenigsten Menschen wissen vorher, dass sie irgendwo im Körper ein Aneurysma haben. Sie fallen einfach um, und das war’s.

Ich hatte wenigstens die Chance, rechtzeitig zu handeln. Dafür zu sorgen, dass mir das nicht passieren würde. Mich nicht operieren zu lassen wäre daher ein bisschen wie russisches Roulette gewesen. Fünfmal geht es noch gut, der sechste Schuss sitzt.

Auch das Angiom musste raus, da sich dort jederzeit neue Aneurysmen bilden konnten. Ein Angiom benötigt Sauerstoff und Blut, und weil die Adern im Kopf nicht für diesen Extratransport ausgelegt sind, geht man davon aus, dass sich deshalb diese Aussackungen bilden. Außerdem konnten Blutungen aus kleinen Rissen im Angiom das Hirn schädigen. Oder das Geschwür konnte weiterwachsen und so auf lange Sicht ebenfalls Schäden verursachen.

Ließ ich diese beiden Eingriffe machen, blieben die Risiken der Operation. Und die waren in meinem speziellen Fall nicht unerheblich. Weil Angiom und Aneurysma so dicht beieinanderlagen. Weil niemand wusste, wie porös die Gefäße waren. Weil sowieso immer etwas schiefgehen konnte.

Es war eine Entscheidung ein bisschen wie zwischen Pest und Cholera.

An das, was mir in den folgenden Tagen genau im Kopf herumgegangen ist, kann ich mich heute kaum noch erinnern. Sicher hatte ich Angst, wie jeder Mensch Angst...

Blick ins Buch

Weitere E-Books zum Thema: Gesellschaft - Männer - Frauen - Adoleszenz

Die Sehnsucht nach einer verlogenen Welt

E-Book Die Sehnsucht nach einer verlogenen Welt
Unsere Angst vor Freiheit, Markt und Eigenverantwortung - Über Gutmenschen und andere Scheinheilige Format: ePUB

Freiheit und Eigenverantwortung statt Ideologie und Bürokratie - Günter Ederer analysiert auf Basis dieser Forderung die existenziellen Probleme unserer Gesellschaft: Bevölkerungsrückgang,…

Die Sehnsucht nach einer verlogenen Welt

E-Book Die Sehnsucht nach einer verlogenen Welt
Unsere Angst vor Freiheit, Markt und Eigenverantwortung - Über Gutmenschen und andere Scheinheilige Format: ePUB

Freiheit und Eigenverantwortung statt Ideologie und Bürokratie - Günter Ederer analysiert auf Basis dieser Forderung die existenziellen Probleme unserer Gesellschaft: Bevölkerungsrückgang,…

Mitten im Leben

E-Book Mitten im Leben
Format: ePUB/PDF

Die Finanzaffäre der CDU hat nicht nur die Partei und die demokratische Kultur der Bundesrepublik in eine ihrer tiefsten Krisen gestürzt, sondern war auch der Auslöser für Wolfgang Schäubles Verzicht…

Mitten im Leben

E-Book Mitten im Leben
Format: ePUB/PDF

Die Finanzaffäre der CDU hat nicht nur die Partei und die demokratische Kultur der Bundesrepublik in eine ihrer tiefsten Krisen gestürzt, sondern war auch der Auslöser für Wolfgang Schäubles Verzicht…

Klartext.

E-Book Klartext.
Für Deutschland Format: ePUB/PDF

Streitbarer Querulant, umstrittener Politiker, Nervensäge, wandelndes Medienereignis - all das und mehr ist Jürgen Möllemann. Nach langem Schweigen redet das Enfant terrible der deutschen Politik zum…

Klartext.

E-Book Klartext.
Für Deutschland Format: ePUB/PDF

Streitbarer Querulant, umstrittener Politiker, Nervensäge, wandelndes Medienereignis - all das und mehr ist Jürgen Möllemann. Nach langem Schweigen redet das Enfant terrible der deutschen Politik zum…

Klartext.

E-Book Klartext.
Für Deutschland Format: ePUB/PDF

Streitbarer Querulant, umstrittener Politiker, Nervensäge, wandelndes Medienereignis - all das und mehr ist Jürgen Möllemann. Nach langem Schweigen redet das Enfant terrible der deutschen Politik zum…

Weitere Zeitschriften

BIELEFELD GEHT AUS

BIELEFELD GEHT AUS

Freizeit- und Gastronomieführer mit umfangreichem Serviceteil, mehr als 700 Tipps und Adressen für Tag- und Nachtschwärmer Bielefeld genießen Westfälisch und weltoffen – das zeichnet nicht ...

BMW Magazin

BMW Magazin

Unter dem Motto „DRIVEN" steht das BMW Magazin für Antrieb, Leidenschaft und Energie − und die Haltung, im Leben niemals stehen zu bleiben.Das Kundenmagazin der BMW AG inszeniert die neuesten ...

Burgen und Schlösser

Burgen und Schlösser

aktuelle Berichte zum Thema Burgen, Schlösser, Wehrbauten, Forschungsergebnisse zur Bau- und Kunstgeschichte, Denkmalpflege und Denkmalschutz Seit ihrer Gründung 1899 gibt die Deutsche ...

Card-Forum

Card-Forum

Card-Forum ist das marktführende Magazin im Themenbereich der kartengestützten Systeme für Zahlung und Identifikation, Telekommunikation und Kundenbindung sowie der damit verwandten und ...

küche + raum

küche + raum

Internationale Fachzeitschrift für Küchenforschung und Küchenplanung. Mit Fachinformationen für Küchenfachhändler, -spezialisten und -planer in Küchenstudios, Möbelfachgeschäften und den ...

Eishockey NEWS

Eishockey NEWS

Eishockey NEWS bringt alles über die DEL, die DEL2, die Oberliga sowie die Regionalligen und Informationen über die NHL. Dazu ausführliche Statistiken, Hintergrundberichte, Personalities ...

Evangelische Theologie

Evangelische Theologie

Über »Evangelische Theologie« In interdisziplinären Themenheften gibt die Evangelische Theologie entscheidende Impulse, die komplexe Einheit der Theologie wahrzunehmen. Neben den Themenheften ...