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Inklusion ermöglichen - Grenzen überwinden. Schulpädagogik bei Kindern mit Behinderung

AutorEva Herrmann, Kristin Kunert, Sylvia Wilbrink
VerlagScience Factory
Erscheinungsjahr2014
Seitenanzahl141 Seiten
ISBN9783656588887
FormatePUB/PDF
Kopierschutzkein Kopierschutz/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis24,99 EUR
Kindergarten und Schule gehören zu den ersten Orten, an denen Kinder mit Menschen außerhalb ihrer Familie intensiv und dauerhaft konfrontiert werden. Hier lernen sie nicht nur Buchstaben und Formeln, sondern finden auch ihre Rolle in der Gesellschaft. Doch wie sieht es mit körperlich oder geistig beeinträchtigten Schülern aus? Wollen und können wir sie in gleichem Maße zu unserer Gesellschaft zählen wie gesunde Kinder? Schüler mit Behinderung im Unterricht zu integrieren und ihnen so eine weitgehend normale gesellschaftliche Teilhabe zu ermöglichen ist das Hauptanliegen der aktuellen Inklusionsdebatte. Dieser Band beleuchtet die theoretischen Ansätze der inklusiven Pädagogik und liefert gleichzeitig einen Beitrag zur schulischen Praxis, indem er zeigt, wie man Lernprozesse inklusiv gestalten kann. Aus dem Inhalt Von der Integration zur Inklusion Die UN-Behindertenrechtskonvention und der Inklusionsgedanke Die Montessori-Pädagogik - ein Modell für die Inklusion? Inklusive Schulkultur: Lernen durch ästhetische Erfahrung

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Integration nach Feuser


Integration soll subjektorientiert sein und allen Kindern und Jugendlichen die gleichen Chancen bezüglich Erziehung, Bildung und Unterricht gewähren. Diesem Anspruch gerecht zu werden, bedarf es einerseits einem veränderten Verständnis von Kultur und sozialer Gemeinschaft und andererseits einem revidierten Menschenbild. (Feuser, G. 1987b, S. 57 / 1995, S. 133)

Das folgende Kapitel zeigt zunächst auf, was Georg Feuser allgemein unter Integration versteht. Ausführlich werden danach Merkmale und Rahmenbedingungen integrativer Pädagogik erörtert, bevor im Anschluss bedeutende Kritikpunkte an der gegenwärtigen Realisierung der Integration vorgestellt werden.

Der Begriff der Integration


Eine „Schule für alle“ (Feuser, G. 1995, S. 135) und eine damit einhergehende Vollintegration zu realisieren stellt für Feuser das oberste Ziel der gegenwärtigen und auch zukünftigen Integrationsbewegung dar. Das Fundament hierfür bildet „die untrennbare Einheit von sozialer Gemeinschaft und einer subjektorientierten Erziehung und Bildung aller ihrer Mitglieder“ (Feuser, G. 1995, S. 137). Damit wird sichergestellt, dass sich jedes Kind und jeder Jugendliche unabhängig seiner physischen und psychischen Verfassung bei Bedarf alle für ihn relevanten Kenntnisse, Fähig- und Fertigkeiten aneignen kann. (Feuser, G. 1987b, S. 54) In diesem Sinne kann daher nicht von einer Integrationspädagogik gesprochen werden, sondern von einer allgemeinen Pädagogik, deren Aufgabe es ist unter Ausschluss von Selektion jedem Schüler Erziehung, Bildung und Unterricht in der Institution Schule zu ermöglichen, um so dessen Entwicklung zu fördern. Da sich diese allgemeine integrative Pädagogik nach Maßgabe der Entwicklung des jeweiligen Schülers anpasst, bedarf sie generell keiner bestimmten Schulform oder -stufe. (Feuser, G. 1995, S. 213) Um der hier geforderten Vollintegration zu entsprechen, muss zunächst die Didaktik betrachtet werden, denn Gegenstand der Integrationspädagogik ist nicht das Kind oder der Jugendliche, sondern der Aufbau des für ihn notwendigen Erziehungs- und Bildungsprozesses. (Feuser, G. 1984, S. 29 / 1995, S. 133-135)

Eine nicht selektierende und segregierende „Allgemeine Pädagogik, in der alle Kinder und Schüler in Kooperation miteinander, auf ihrem jeweiligen Entwicklungsniveau, nach Maßgabe ihrer momentanen Wahrnehmungs-, Denk- und Handlungskompetenzen, in Orientierung auf die ‚nächste Zone ihrer Entwicklung‘, an und mit einem ‚gemeinsamen Gegenstand‘ spielen, lernen und arbeiten.“ (Feuser, G. 1995, S. 168) ist für Feuser letztlich das zentrale Anliegen der Integration. Die Umsetzung der Integration nach diesem Verständnis erfordert primär eine Veränderung des Schulprofils. Ergänzend dazu müssen auch die Lehrer ihre Einstellungen und Haltungen hinsichtlich ihrer Funktion und Bedeutung für die Entwicklung ihrer Schüler überdenken und gegebenenfalls revidieren, um auf dieser Grundlage einen Unterricht planen und durchführen zu können, in dem Integration im zuvor beschriebenen Sinne verwirklicht wird. (Feuser, G. 1987a, S. 219) Inwieweit die von Feuser dargestellte Integration realisiert werden kann, hängt also stark von der Bereitschaft der Lehrer ab, Veränderungen sowohl im Bewusstsein als auch im Handeln zu vollziehen. (Feuser, G. 1987b, S. 68)

Merkmale der Integration


Integration nach dem Verständnis von Feuser stellt die Heterogenität der Gruppe und damit die Individualität des Einzelnen in das Zentrum aller integrativer Überlegungen und Maßnahmen und verhindert infolgedessen einerseits den Ausschluss von behinderten Schülern aus Regelschulen und andererseits das heutzutage häufig praktizierte Zusammenführen von Kindern und Jugendlichen in Gruppen, die annähernd dem gleichen geistigen Niveau entsprechen. (Feuser, G. 1995, S. 171)

Die mit Integration einhergehende Kooperation aller Schüler miteinander bedarf demnach einer durch Individualisierung zu realisierenden Inneren Differenzierung. (Feuser, G. 1987b, S. 52) Diese wird erreicht, indem der für die erfolgreiche Umsetzung der Kooperation notwendige gemeinsame Unterrichtsgegenstand in all seinen Dimensionen so aufbereitet wird, dass sich jeder Schüler der Klasse entsprechend seinem gegenwärtigen Entwicklungsniveau mit diesem auseinandersetzen und bezogen auf die Gruppe als auch auf den Gegenstand kompetent handeln kann. Jedes Kind ist dadurch in der Lage sich in das gemeinsame Vorhaben einzubringen. Die sich durch die Mitarbeit eines jeden für die gesamte Klasse aufbauende soziale Gemeinschaft, bildet nun den Rahmen für die Aneignung neuer Handlungskompetenz und erweiterter Realitätskontrolle, die schließlich bedeutende Voraussetzungen für die physische und psychische Weiterentwicklung des Schülers sind. (Feuser, G. 1984, S. 22-23)

Trotz des gemeinsamen Unterrichts basierend auf einem gemeinsamen Gegenstand werden die Lernziele variabel festgelegt. So führen die Schüler weder alle die gleichen Tätigkeiten aus noch wird von ihnen das gleiche Ergebnis erwartet. (Feuser, G. 1987b, S. 52 / 1995, S. 185) Lernangebote und Lehrmethoden sollten sich grundsätzlich an den Gesetzmäßigkeiten der menschlichen Wahrnehmungsfähigkeit, Entwicklung und des Lernens orientieren, denn nur dann ermöglicht die Individualisierung eines gemeinsamen Curriculums, als Resultat der Inneren Differenzierung, jedem einzelnen Mitglied der Klasse entsprechend seinem Entwicklungsniveau zu lernen. (Feuser, G. 1987a, S. 20 / 1995, S. 170)

Die integrative Pädagogik beruht auf der Annahme, dass jedes Individuum zur Aneignung bedeutsamer gesellschaftlicher Erfahrungen spezifischer Hilfen bedarf, die folglich für die Sicherstellung bedarfsgerechten Lernens am richtigen Ort zur richtigen Zeit gewährt werden müssen.

Die dargestellten Ausführungen zeigen deutlich, dass die Institution in der gelehrt und gelernt wird nicht ein Bestimmungsfeld sondern ein Ermöglichungsfeld darstellt. (Feuser, G. 1987a, S. 20-27)

Rahmenbedingungen für die Umsetzung von Integration


Die Umsetzung der Integration in die Praxis erfordert die Berücksichtigung qualitativer und quantitativer Aspekte, wobei der Qualität im Hinblick auf eine erfolgsversprechende Realisierung integrativer Maßnahmen und Projekte in verschiedenen Institutionen Vorrang gegeben werden sollte. Standort- und Organisationsbedingungen als auch personelle und materielle Gesichtspunkte spielen in diesem Zusammenhang eine zentrale Rolle. Feuser skizziert verschiedene Prinzipien, deren Beachtung Voraussetzung sind, um Integration entsprechend seiner Vorstellung verwirklichen zu können. (Feuser, G. 1995, S. 187-190)

Wohnortnahe Integration als ein zu realisierender Anspruch an die Integrationspraxis zeichnet sich dadurch aus, dass gerade behinderte Kinder und Jugendliche in ihrem gewohnten Lebens- und Lernumfeld belassen werden, um die zuvor in der Institution geschlossenen Freundschaften auch außerschulisch aufrechterhalten und vertiefen zu können. Im Rahmen der Schule kann Erziehung und Bildung nur angestoßen werden. Bewähren kann sie sich letztlich nur im Alltag außerhalb der Institution, durch Begegnungen beim Einkauf, im Wohnbezirk und dem damit einhergehenden Aufbau von Solidargemeinschaften. (Feuser, G. 1987b, S. 58)

„Regionalisierung erfordert die Dezentralisierung aller spezifischen materiellen und personellen Hilfen für die Kinder.“ (Feuser, G. 1987b, S. 59). Therapie- und Beratungsangebote als auch personelle und materielle Ressourcen sollten nicht an einer zentralen Stelle verfügbar sein, sondern an den Lern- und Lebensorten der Kinder und Jugendlichen eingesetzt werden. Die bedarfsgerechte Bedienung der verschiedenen Integrationsstandorte setzt daher ein hohes Maß an Mobilität und Flexibilität der einzelnen sonderpädagogischen Fachkräfte und Therapeuten voraus. Anstelle Therapien isoliert von den anderen Schülern durchzuführen, sollten diese innerhalb der Klasse in das Unterrichtsgeschehen integriert werden, um bei den anderen nicht den Eindruck zu erwecken, dass das zu therapierende Kind etwas Besonderes ist. Therapie, Pädagogik und Unterricht sind somit als Einheit zu verstehen und infolgedessen auch zu praktizieren. Dieses Prinzip der integrierten Therapie hat zur Folge, dass Sonderpädagogen und Therapeuten nicht mehr an Institutionen gebunden sind, sondern jeweils dort eingesetzt werden, wo die behinderten Schüler eingegliedert sind. (Feuser, G. 1987a, S. 11 / 1995, S. 191)

Um die Erreichbarkeit aller Schüler an ihren Lebens- und Lernorten zu gewährleisten, sollten die jeweiligen sonderpädagogischen Fachkräfte und Therapeuten in einem gemeinsamen ‚Pool‘ organisiert werden. Dadurch wird der Anforderung der einzelnen Schulen und Institutionen, je nach Bedarf

Fachpersonal anfordern zu können, Rechnung getragen. (Feuser, G. 1987b, S. 59)

Eine optimale Realisierung einer Integrationspädagogik im Sinne der Schüler erfordert darüber hinaus die Kooperation aller im Team untereinander. Sei es bei der Planung und Durchführung oder der späteren Auswertung - Pädagogen, Therapeuten und sonderpädagogische Fachkräfte sollten zusammenarbeiten. In Folge der gegenseitigen Anleitung, Beobachtung und Beratung können sie sowohl die fachliche Kompetenz als auch die Handlungsmöglichkeit des anderen in die eigene integrieren und basierend auf diesem Kompetenztransfer das Lernen und die Weiterentwicklung des Schülers bestmöglich fördern. (Feuser, G. 1995, S. 191 / 1987b, S. 60) Die Einigkeit im Team über den Entwicklungsstand eines Schülers, über den gemeinsamen Gegenstand, über die Lernziele und über die anzuwendenden...

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