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Inselluft mit Honigduft

Mein Leben auf Sylt im Wechsel der Gezeiten

AutorKerin Schmidt
VerlagEden Books - ein Verlag der Edel Verlagsgruppe
Erscheinungsjahr2019
ReiheSehnsuchtsorte 7
Seitenanzahl240 Seiten
ISBN9783959102193
FormatePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis11,99 EUR
Dünen, Strand und Meer - Sehnsuchtsort Sylt im Wandel der Zeiten Als Bauerntochter einer altfriesischen Familie wächst Kerin Schmidt behütet unter reetgedeckten Träumen in Morsum auf. In ihrem ersten Buch erzählt sie uns von ihrer Kindheit zwischen blumigem Heidekraut, in dem die Bienen im Spätsommer fleißig Honig sammeln, und weichem Sandstrand, der zwischen den Zehen zergeht. Großgeworden mit Oma und Opa unter einem Dach, das Kliff als Spielplatz vor der Tür, sucht sie als Erwachsene in Hamburg ihr Glück und findet ihre große Liebe. Mit Mann kehrt sie zurück nach Sylt, wagt einen Neuanfang im alten Zuhause, samt Familie in der Nachbarschaft, dem Aufbau einer kleinen Imkerei und Tomaten vor der Haustür. Kerin Schmidt schreibt über dieses Leben hinter den Dünen, über nordisch herbe Begrüßungen, Dorftratsch, fahrradfahrende Touristen und die Schönheit Sylts im Wandel der Jahrzehnte. »Sylt bleibt immer die Insel, die sie im Herzen ist. Das Meer bleibt das Meer, die Heide bleibt die Heide und der Sand bleibt der Sand.« Kerin Schmidt

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Leseprobe

Trecker ahoi


»Ich möchte aber Leberwursteis!«

Ich stampfte so doll auf, dass meine blonden Zöpfe mir um den Kopf wirbelten. Mit fest zusammengezogenen Augenbrauen stand ich im Tante-Emma-Laden neben der Kasse. Mitten in Morsum, umgeben von Morsumern.

»Es gibt aber kein Leberwursteis, Kerin! Das habe ich dir schon zigmal gesagt!«

»Doch, das gibt es Mama, wirklich!« Meine Stimme brach, und Tränen kullerten mir übers Gesicht.

Die Kassiererin – Tante Hella – und Bekannte aus der Nachbarschaft schauten mich mitleidig an. Meine Mama nahm mich in den Arm, um mich zu trösten. Ihr blondes, dauergewelltes Haar legte sich um mein Gesicht.

»Dann erzähl mir doch noch einmal, wie es aussieht, vielleicht finden wir es!«

Von da an durchstöberten wir die Einkaufsläden der Insel, und meine Mutter suchte mit mir nach dem Leberwursteis, das mich nicht mehr losließ. Ob in Morsum, in Tinnum oder in Westerland, keine Eistheke war vor uns sicher, bis wir es fanden. Letztlich stellte sich heraus, dass die Farbe der Schlüssel zu meinem Geschmack war. Walnusseis: leicht grau-bräunlich, cremig-zart – wie Leberwurst eben.

Zufrieden, mit einem von Walnusseis gefüllten vier Jahre jungen Magen, nahm ich auf der Rückbank Platz, und meine Mutter schnallte mich an. Angeschubst vom erfrischenden Küstenwind, stotterte unsere orangefarbene Ente Richtung Sylter Osten. Der Einkauf rutschte in den Kurven durch den Wagen, während Westerland hinter uns verschwand. Trockene Felder säumten den Straßenrand. Wir holperten durch den Keitumer Ortskern, am Grünhof und seinem Gestüt vorbei. Damals existierte keine Umgehungsstraße, das kleine Dorf und sein Asphalt mussten einiges ertragen. Auf dem Weg hob meine Mutter eifrig den Zeigefinger zur Begrüßung. »Dai«, sagte sie mit einem Grinsen. Kurz, knapp, Sölring. »Guten Tag.« Die Straßen flimmerten unter den Sonnenstrahlen. Frische Heuballen standen auf den Feldern und warteten darauf, auf Anhänger gestapelt und abtransportiert zu werden.

Ich streckte die Nase durch den Spalt des Fensters. Der Staub der Erntezeit kitzelte meine Haut. Im Ortskern Morsums angelangt, drosselte meine Mutter das Tempo. Wir tuckerten an den Einfamilienhäusern mit ihren rosa und weißen Heckenrosen vorbei. Hortensien schimmerten in allen Farben. Mama streckte ihren Hals, sie liebte Blumen.

Die Reifen vertieften die bereits bestehenden Furchen in unserem Rasen, als meine Mutter das kleine Gefährt vor unserem Hof parkte. Das alte Gemäuer stand trotz der wütenden Stürme fest auf dem Grundstück. Ein Hut aus Reet schützte die Familie vor Regen und bot Insekten Unterschlupf. Mein Vater hatte das Haus frisch decken lassen, doch der charakteristische Graustich schlich sich zügig ein.

Opa Gogge stand mit dampfender Pfeife im Mundwinkel am Straßenrand und schnackte mit Onkel Jeppe. Jeppe war einer von drei Brüdern meines Vaters und lebte in unmittelbarer Nachbarschaft. Papas Geschwister waren mit Ausnahme einer seiner Schwestern Morsum treu geblieben, was mir als Einzelkind zugutekam. Stets war Leben auf und um unseren Hof, und jeder behielt mich fürsorglich im Blick.

Meine Mutter schnallte mich ab, und ich sprang mit einem Satz aus der Ente. Jule bellte auf und rannte uns schwanzwedelnd entgegen. Ihr struppiges Haar stand wie bei einem Streuner zu Berge. Welche Rassen sie in sich trug, war ihr Geheimnis, aber ein Schnauzer war definitiv erkennbar. Ihre kühle Nase schnupperte nach den Eisresten, die an meinem Kinn hingen. Ich kicherte und schubste sie weg.

»Hallo, Opa, wo ist Papa?«

Opa Gogge richtete seine karierte Schirmmütze, hielt die Pfeife fest zwischen den Zähnen und ließ die Hände in den Hosentaschen ruhen.

»Moin, Kerin, der ist bestimmt hinten. Ich habe ihn vorhin noch im Kuhstall gesehen!«

Wenn mein Großvater neben Onkel Jeppe stand, wurde noch deutlicher, wie alt er bereits war. Seine drahtige Gestalt hielt sich auf recht dürren Beinen, was ihn aber nie davon abhielt, mich in der Schubkarre durch meine kleine Welt zu schieben, am liebsten mit frisch gemähtem Gras unter meinem Hintern.

Onkel Jeppe war kräftig und leicht bauchig veranlagt, sein Bart war lang und der Blick fest. Für einen Friesen war er groß, und sein Kopf thronte wie der eines Königs mit gemächlicher Miene auf seinen Schultern. Er musterte stets jeden Stein, bevor er den nächsten Schritt tat. Fast immer an seiner Seite Tante Hulda, die bekannt dafür war, sich nur von ihrem Mann die Haare schneiden zu lassen, obwohl ihre Tochter den Beruf der Friseurin ausübte. Mit spitzem Näschen und zierlichem Körper erheiterte sie mit ihrem trockenen Sprachwitz ihre Umgebung.

Ein kurzer Blickwechsel mit Mama genügte, und ich stürmte los. Mit Jule im Schlepptau rannte ich durch den großen Garten, winkend am Küchenfenster meiner Oma vorbei, bis hin zum Kuhstall. Doch mein Vater war nirgends zu sehen. Jule sprang vergnügt an mir hoch und bellte. Ich streichelte ihr kurzes Fell und folgte ihren vier Pfoten bis zum prall gefüllten Misthaufen, in dem sie sich ab und an suhlte. Auf der anderen Seite, bei den Pferden, entdeckte ich meinen Vater zwischen Werkzeugkasten und Treckerreifen.

»Hallo, Papa, was machst du da?«

Mein Vater drehte sich zu mir, lächelte und sank in seiner schmutzigen Arbeitshose auf die Knie. Er breitete die Arme wie zwei Segel aus und wickelte mich darin ein. Meine Wange schmiegte sich an sein Gesicht.

»Manno, Papa, dein Bart kratzt!«

Seine blauen Augen leuchteten.

»Soll ich mich wieder rasieren, mein Küke?«

Ich schüttelte den Kopf – sein Bart stand ihm – und vergrub mein Gesicht in seinem Hals.

»Ich habe gerade am Trecker gearbeitet und fahre bei den Schafen vorbei, möchtest du mit?«

Der Geruch von wohlig warmen Tieren, Kuhstall und Milch kroch in meine Nase. Papas Haut duftete nach Geborgenheit und Liebe.

Mein Vater löste seinen Griff, hinter uns rief jemand.

Tjarve, der aschblonde Nachbarsjunge mit den eisblauen Augen, stolperte schwer bepackt mit zwei weißen Milchkannen auf den Hof und lachte über Jule, die einen Pferdeapfel kaute.

Ich zog eine Schnute.

»Ihhh, Jule frisst wieder Pferdekacke, Papa!«

Er setzte mich ab.

»Das macht nichts, Kerin. Das ist gesund!«

Ich schüttelte mich und riss Tjarve eine Milchkanne aus den Händen. Sein Mund zeigte einen Halbmond, der die Spitzen hängen ließ, als Jule weitermüffelte.

Wir folgten meinem Vater in die Milchkammer und schöpften etwas des frischen, reichhaltigen weißen Glücks in die Kannen.

Tjarve war, wie fünf weitere Kinder, fester Bestandteil der Nachbarschaft und kannte jede Ecke unseres Hofes auswendig. Akribisch hatte er mit seinen »Schmutzschuhen« – Turnschuhe, die jede Pfütze und Matschkuhle mitnahmen – alles erkundet, um es im Kopf abzuspeichern. Erstaunlich, was ein vierjähriger Junge sich merken konnte, ständig überraschte er uns mit seinen Erinnerungen.

Wir alberten neben meinem Vater her und neckten uns mit Strohhalmen, die wir uns gegenseitig in den Bauch piksten. Sand, der an unserer Kleidung klebe, rieselte auf die Fliesen.

»Papa, darf ich wieder das Sieb saubermachen?«, fragte ich, bevor er den Behälter schloss.

»Später, Kerin, wir wollen doch jetzt los!«, sagte er und schickte uns nach draußen. Ich kniff meine Lippen zusammen. Auf dem Sieb im Milchbottich lag eine weiße Schicht auf dem Fließ, das zum Säubern diente.

»Tüs, bis bald!«, rief ich Tjarve nach, der stöhnend die vollen Milchkannen davonschleppte, und hüpfte zu unserem grünen Trecker. Mein Vater half mir den Tritt hoch, bis ich auf meinem Lieblingsplatz saß. Brav umklammerte ich die Griffe. Der Motor röhrte wie ein Hirsch zur Brunftzeit und brachte uns in Bewegung. Wir tuckerten über die Brücke, unter der die Züge entlangfuhren, Richtung Morsumer Wäldchen. Dort sammelte ich jedes Jahr zu Ostern Moos, um für den Hasen viele kleine Nester zu bauen, in der Hoffnung, Tausende bunte Eier und Schokomarienkäfer abzustauben. Am schmalen Weg hinter dem Waldstück gab es das saftigste und frischeste Gut für meine Osternester.

Der Trecker schüttelte mich durch, und ich stieß wackeliges Gelächter aus. Er war unfassbar laut, meißelte aber ein breites Grinsen in mein Gesicht. Mit gestrecktem Hals saß ich auf meinem Platz und winkte mich durch den Ort. Die Felder waren trotz der Hitze an vereinzelten Stellen in leuchtendes Grün gefärbt, und die Kühe mähten das Gras mit ihren Mäulern raspelkurz, wie auch auf der Wiese bei uns zu Hause. Dort kauten die Kühe von früh bis spät, und zwischendurch wurden sie zum Melken in den Stall geführt.

Ein weiterer Landwirt kreuzte unseren Weg – der beste Freund meines Vaters. Gemeinsam halfen sie einander, die Heuernte zu bewältigen, Silo zu fahren und Rinder zu treiben. Sie unterstützten sich und schimpften gemeinsam das eine oder andere Mal über die Tiere, das ewige Melken und die Wetterlage.

Mein Vater stieg in die Bremsen und hielt einen Plausch mit seinem Freund, während ich von einer Pobacke auf die andere rutschte und mit dem Knauf des Lenkrads spielte.

Ich sah zu den Häusern hinüber, wo Bekannte gerade den Gartenzaun strichen und Unkraut jäteten. Alle Haushalte waren von Einwohnern und Urlaubern, die überall ihre Plätze fanden, bewohnt, und das war gut so. Zu Zeiten, in denen viele die Pfennige für neue Latschen sammelten, schöpften die Einwohner aus der Quelle der Vermietung an Feriengäste. Meine Mutter musste zu Kindheitstagen mit ihren vier Geschwistern in die Garage umziehen, damit über die Sommermonate...

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