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E-Book

Israel kontrovers

Eine theologisch-politische Standortbestimmung

AutorPeter Bingel, Winfried Belz
VerlagRotpunktverlag
Erscheinungsjahr2014
Seitenanzahl176 Seiten
ISBN9783858696014
FormatePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,99 EUR
Rettender Hafen und Heimat, religiöse Größe, Traum- und Sehnsuchtsland, Besatzungsmacht, Apartheidstaat: Kaum ein Begriff bietet derart großen Interpretations­spielraum wie Israel. Das führt zu zahllosen Missverständnissen, die auch machtpolitisch ausgenutzt werden. Eine theologisch-politische Streitschrift gegen Mystifizierungen und für einen verantwortungs-bewussten Umgang mit dem Begriff Israel.

Peter Bingel, geboren 1934 in Wiesbaden, studierte evangelische Theologie und Pädagogik, er war Grundschullehrer und Schulleiter. Er ist vielfältig engagiert in Bereichen, wo Menschen ihrer existenziellen Grundrechte beraubt werden. Winfried Belz, geboren 1943 in Landau, Pfalz, ist katholischer Diplomtheologe und Klinikseelsorger i. R. Seit 1995 befasst er sich intensiv mit dem Nahostkonflikt. Er engagiert sich bei Pax Christi und in der Palästina/Nahost-Initiative Heidelberg.

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Leseprobe

Kapitel 1


Das Volk Israel in säkular-historischer Sicht


Die Entstehung des aus verschiedenen semitischen Stämmen zusammengewachsenen kleinen Volkes Israel ist ein spätes Ereignis in der Geschichte des Alten Orients. Dank literarischer und archäologischer Funde unter anderem in Ägypten sind wir darüber verhältnismäßig gut unterrichtet.1 Deshalb muss die Geschichtswissenschaft in vielfacher Hinsicht ein anderes Bild von der frühen Geschichte des Volkes Israel zeichnen, als es die Darstellungen in den Texten des Alten Testaments, auch Hebräische Bibel genannt, vermitteln.2 Beim Theologen Georg Fohrer, der sich intensiv mit dem Alten Testament beschäftigte, liest sich das zum Beispiel so: »Der unbefangene Leser der erzählenden Bücher des Alten Testaments muss den Eindruck gewinnen, dass die Israeliten bis zu ihrer Wanderung nach Ägypten eine Familie bildeten, sich aber dort so stark vermehrten, dass sie bei ihrem späteren Auszug ein großes Volk waren, das sich in zwölf Stämme gliederte. Sie hätten in Palästina gemeinsam die Kanaanäer angegriffen, ihres Eigentums beraubt und [sie] teilweise ausgerottet, um dann ein gemeinsames Leben unter nationalen ›Richtern‹ bis zur Einführung des Königtums zu leben. – Eingehende Untersuchungen haben nahezu jeden einzelnen Zug dieses Eindrucks geändert.«3

Im Rahmen verschiedener semitischer Wanderungsbewegungen im Vorderen Orient des zweiten Jahrtausends vor der Zeitwende wanderten Nomadenstämme aus Mesopotamien und aus der westarabischen Steppe in das palästinensische Siedlungsgebiet der Kanaanäer ein. Archäologen haben in Urkunden aus Vorderasien Wortstämme gefunden, die auf die Wörter »Hebräer« und »Israel« hinweisen.4 Eine Reihe historisch zuverlässiger Erinnerungen ist zwar auch in den alttestamentlichen Erzählwerken erhalten; die Zusammenstellung einzelner Elemente zu einem Gesamtzusammenhang, zur ethnisch-religiösen Frühgeschichte des israelitischen Volkes, stammt aber etwa aus dem 6. Jahrhundert v. u. Z.5

Laut Altem Testament schlossen sich bei oder eher nach der Einwanderung im zweiten Jahrtausend zwölf Stämme zusammen. Was diese verband, war offensichtlich die Verehrung des Gottes Jahwe, der teils auch »El« genannt wurde, was damals allgemein die vorderorientalische Bezeichnung für »Gott« war. Frühe Schriftquellen des Alten Testaments unterscheiden sich beispielsweise dadurch, dass die einen den Gott Israels »Jahwe« nennen, die anderen von »El« oder »Elohim« sprechen.

Vor Ende des zweiten Jahrtausends entstand der Zusammenhalt dieser vor allem ins palästinensische Bergland eingewanderten hebräischen Stämme im Wesentlichen dadurch, dass bei Angriffen einfallender Feinde sogenannte Richter als Führer die gemeinsame militärische Verteidigung organisierten. Sie hatten auf dem Hintergrund des gemeinsamen Jahwe-Glaubens zugleich eine religiöse Funktion. Grundsätzlich gab es im gesamten Alten Orient die untrennbare Einheit von ethnischer Gemeinschaft und Religionsgemeinschaft. So war es auch bei allen Nachbarvölkern, zum Beispiel bei den Ammonitern, Moabitern, Edomitern, Philistern oder Phöniziern. Und es galt auch für die Großmächte, denen das Volk Israel immer wieder unterworfen war, wie etwa die Assyrer und die Babylonier. Nicht bloß Völker führten nach damaligem Bewusstsein Krieg gegeneinander, sondern zugleich – um nicht zu sagen: vor allem – ihre Götter. Hier lag auch eine wichtige Funktion des israelitischen Gottes Jahwe. Säkulare und religiöse Geschichte sind im Alten Orient also nicht strikt voneinander zu trennen.

Der Übergang zu einem den Nachbarstaaten vergleichbaren Königtum, also zu kontinuierlicher Organisation von Herrschaft, ist mit dem Namen Saul verbunden, bei dem die Funktion des »Richters« in die eines Königs überführt wurde. Seine Herrschaft währte nur kurze Zeit, von 1012 bis 1004 v. u. Z. Im Kampf mit den vordringenden Philistern, die zwischen dem südlichen palästinensischen Gebirge und dem Mittelmeer wohnten – etwa im Gebiet des heutigen Gazastreifens –, agierte er mit wenig Glück. Ganz anders war das bei seinem Nachfolger David. Er drängte sie zurück und festigte seine Herrschaft um die Stadt Hebron. Dann aber, nach dem Sieg über die dort wohnenden Jebusiter, machte er die geografisch hervorragend gelegene Stadt Jerusalem zu seiner Hauptstadt. Er holte, politisch naheliegend, auch das Heiligtum der Israeliten, das »Offenbarungszelt« mit der heiligen Bundeslade, in seine neue Hauptstadt. David führte alle israelitischen Stämme unter seiner Herrschaft zusammen. Er gilt somit als der Schöpfer eines politisch machtvollen Königreichs Israel. Nach dem Handlungsmuster anderer orientalischer Könige unterwarf er viele Nachbarstämme, jedoch nicht die im Westen wohnenden Philister.

Während der langen Regierungszeit Davids (1004–965 v. u. Z.) erreichte dieses Israel nach Aussagen der Bibel die größte Ausdehnung seiner gesamten Geschichte. Allerdings hat man dafür trotz intensiver Suche noch keine archäologischen Beweise gefunden. Davids Land- und Machtzuwachs konnte sein Sohn Salomo (965–926 v. u. Z.) auf nur wenig verkleinertem Gebiet halten. Auf Salomo, dem Reichtum und Weisheit zugeschrieben werden, geht der Bau des ersten jüdischen Tempels in Jerusalem zurück. Mit seinem Tod im Jahr 926 ging die Zeit eines einheitlichen Großisrael auch schon wieder zu Ende; einzige Ausnahme blieb später die von Gewalt und Mord erfüllte Makkabäerzeit im zweiten und ersten Jahrhundert vor der Zeitwende.

In den Thronwirren nach Salomos Tod zerfiel dieses Israel in zwei Königreiche: in das größere Nordreich mit zehn Stämmen und das kleinere Südreich mit den beiden Stämmen Juda und Benjamin. Im südlichen, geradezu winzigen Königreich stand der Jerusalemer Tempel, der Mittelpunkt der Jahwe-Verehrung. Dieses Südreich hieß als Ganzes Juda. Das größere Nordreich schuf sich auf dem Berg Garizim seinen eigenen Tempel. Es erhielt als politische Bezeichnung den Namen Israel, den es bis zu seinem Untergang im Jahr 722 v. u. Z. trug. Über zweihundert Jahre lang war »Israel« also nur die Bezeichnung des Nordreichs mit dem Mittelpunkt Samaria, dem heutigen Nablus. Ohne Kenntnis dieser spezifischen Namensgebung sind weite Partien des Alten Testaments nicht sachgemäß zu verstehen. Die Teilung führte zu vielen Konflikten zwischen den beiden Königreichen. Einige Ereignisse dieser Zeit und die Königsreihen der beiden Reiche sind mit historischer Zuverlässigkeit außerbiblisch belegt. Sie finden sich in den Geschichtsbüchern der Hebräischen Bibel, dem Religions- und Nationalbuch des Judentums.

Im 8. Jahrhundert v. u. Z. stieß das assyrische Großreich mehrmals in das syrisch-palästinensische Gebiet vor und machte sich dabei das jüdische Nordreich namens Israel tributpflichtig. König Hoschea hatte sich zusammen mit Nachbarkönigen gegen die assyrische Herrschaft aufgelehnt, was im Jahr 722 nach dreijähriger Belagerung der Hauptstadt Samaria zur völligen Zerstörung des Nordreichs und zur Deportation größerer Bevölkerungsteile nach Mesopotamien führte und in der Folge zu einer assyrischen Neubesiedlung. Damit gab es, abgesehen von der genannten Makkabäerzeit, für die gesamte Antike kein selbständiges politisches Gebilde mit Namen Israel mehr.

Die Könige des Südreichs Juda konnten noch 135 Jahre lang weiterregieren, sie standen allerdings ab 687 v. u. Z. ebenfalls unter assyrischer Hoheit. Im Jahr 586 wurde aber auch dieses Reich verwüstet und die Hauptstadt Jerusalem mitsamt dem Tempel zerstört – ebenfalls weil es sich gegen eine aus Mesopotamien stammende Großmacht auflehnte: die Neubabylonier. Große Teile der Bevölkerung, vor allem die Oberschicht, wurden deportiert, diesmal nach Babylonien, in das Land an Euphrat und Tigris. In diesem sogenannten babylonischen Exil, das bis 538 v. u. Z. dauerte, konnten die Deportierten ein eigenes ethnisch-kulturelles und religiöses Leben führen und weiterentwickeln. Das war die erste große jüdische Diasporagemeinde, die auch später noch eine wichtige Rolle in der Geschichte des Judentums spielte.

Im Jahr 538 v. u. Z. wurde die babylonische Herrschaft von der persischen unter König Kyros abgelöst. Sie war weniger mit Zerstörung und Vertreibung verbunden und ermöglichte den Bevölkerungen in den einzelnen Reichsprovinzen eine für die damalige Zeit ungewöhnliche religiöse Selbständigkeit. Mit Erlaubnis des Perserkönigs konnte ein Teil der nach Babylonien Deportierten nach Palästina zurückkehren. Sie bauten dort mit den im Jahr 586 in Armut und Elend Zurückgebliebenen langsam und unter großen Schwierigkeiten wieder eine Gemeinschaft auf, die von der Geschichtswissenschaft nun meist »jüdisch« genannt wird. Der neue Tempel, der sogenannte Zweite Tempel, konnte bereits im Jahr 515...

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