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Kirche in der Glaubenskrise

Eine pneumatologische Skizze zur Ekklesiologie und zugleich eine theologische Grundlegung des Kirchenrechts

AutorMichael Böhnke
VerlagVerlag Herder GmbH
Erscheinungsjahr2013
Seitenanzahl360 Seiten
ISBN9783451800368
FormatePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis19,99 EUR
Um die innere Einheit der Kirche ist es schlecht bestellt, um Wege aus der Gottes-, Glaubens- und Kirchenkrise wird gestritten. Die Sprachlosigkeit zwischen den theologischen Fächern nimmt zu. Böhnke entfaltet in Anlehnung an Paul VI. die These, dass allein die Treue Gottes zu seinem Volk die Kirche zu einen und das Kirchenrecht zu begründen vermag. Er entwickelt eine pneumatologische Ekkklesiologie und eine theologische Grundlegung des Kirchenrechts.

Michael Böhnke, geb. 1955, Dr. theol., Professor für Systematische Theologie an der Bergischen Universität Wuppertal.

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Leseprobe

Prolog


Als am 4. Februar 2011 unter dem Titel „Kirche 2011: Ein notwendiger Aufbruch“1 ein von insgesamt 311 Professorinnen und Professoren der katholischen Theologie aus dem deutschsprachigen Raum unterzeichnetes Memorandum über die Krise in der katholischen Kirche erschienen ist, hat Walter Kasper mit einer scharfen Replik reagiert.2 Im Urteil des Kardinals mangelt es dem Memorandum an theologischem Tiefgang. „Glauben denn die Unterzeichner im Ernst, dass die Kirchenfragen die existenziellen Fragen der Menschen heute sind? Oder ist es nicht eher umgekehrt, dass nämlich die Kirchenkrise eine Folge der Gotteskrise ist?“ fragt Kasper rhetorisch und unterstellt damit zugleich einen Kausalnexus. Die Gotteskrise bedingt für Kasper die Kirchenkrise. Die brennenden kirchlichen Fragen, konkret der Priestermangel, die Situation derjenigen, die geschieden sind und wieder geheiratet haben, die Rolle der Frauen, der Zölibat, die Auflösung und Zusammenlegung von Pfarrgemeinden sowie die Aufarbeitung der „schrecklichen und beschämenden Missbrauchsfälle“3 lassen sich ohne Arbeit an der Gotteskrise nach Kasper nicht lösen.

Nun ist die Gotteskrise – der Begriff stammt von Johann Baptist Metz4 – seit Jahren offenkundig und nicht von der Hand zu weisen. Mit dem neuzeitlichen ‚Ende der Metaphysik‘ ist die philosophische Gewissheit, dass ein Gott sei, verschwunden.5 „Die verlorene Nützlichkeit der Religion“6 trat in der funktionalen Perspektive der Moderne hinzu. Wissenschaftlich sei die Hypothese Gott verzichtbar, wird gesagt. Im Alltag sei er nicht vonnöten, im alltäglichen Bewusstsein abwesend. Manchmal erinnere man sich an ihn. Oft werde er nicht einmal mehr vermisst. Postmetaphysisch lasse sich nur noch sagen, was er nicht sei. Für viele existiere er nur noch als Frage. Angesichts des Leidens in der Welt, so hat Stendhal (1783–1842) in einem berühmt gewordenen Diktum formuliert, sei die einzige Entschuldigung für ihn, dass er nicht existiere.7 All das hat das Memorandum nicht thematisiert. In all dem zeigt sich, dass die Gotteskrise die Kirchenkrise bei weitem überragt. In all dem greift das Memorandum zu kurz.

In Bezug auf Kaspers These, die Gotteskrise als Ursache aller weiteren Kirchenkrisen zu verstehen, sind jedoch Zweifel anzumelden. Ist diese auch für das jahrelange Verschweigen und das Vertuschen der Missbrauchsfälle verantwortlich oder hat nicht gerade dieses Verhalten die Gotteskrise verschärft? Ist die Gotteskrise auch für den Machtmissbrauch und die Kommunikationsdefizite in der Kirche verantwortlich oder haben nicht gerade diese die Gotteskrise verschärft? Ist sie auch für das Ausbleiben von Reformen verantwortlich oder hat nicht gerade dieses die Gotteskrise verschärft? So wird man zumindest fragen müssen, wenn man nicht von vornherein alle Forderungen nach innerkirchlichen Strukturreformen als Kurieren an Symptomen abtun will. Man kann und darf nicht von der Gotteskrise reden, um Versäumnisse oder Einseitigkeiten in der Erneuerung der konkreten Gestalt der Kirche zu relativieren.

Kasper hingegen hat recht, wenn er meint, dass sich die Kirchenkrise nicht ohne die Gotteskrise bearbeiten lasse. Was er übersieht: die kirchliche Bedingtheit der Gotteskrise. Die Gotteskrise lässt sich nicht ohne die Kirchenkrise bearbeiten, auch wenn es für die Kirchenkrise durchaus gesellschaftliche Gründe gibt. So hat die Kirche nach dem Ende der Metaphysik den öffentlich bisweilen aggressiv vorgetragenen Gottesfrust vieler Zeitgenossen allein zu ertragen und die Gotteslast allein zu tragen. Sie ist der permanenten publizistischen, wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Gotteskritik ausgesetzt. Dazu muss die Kirche sich verhalten. Das darf jedoch nicht den Blick darauf verstellen, dass sich für die Gotteskrise auch innerkirchliche Gründe namhaft machen lassen.

Es mag sein, dass die Gotteskrise der Neuzeit, Moderne und Postmoderne die gegenwärtige Kirchenkrise erst ermöglicht hat. Zweifelsfrei jedoch hat die gegenwärtige Kirchenkrise die Gotteskrise verschärft. Der Missbrauchsbeauftragte der Deutschen Bischofskonferenz, der Trierer Bischof Stephan Ackermann, hat bei der Vorstellung der Auswertung der Telefon-Hotline zum Missbrauch in der Kirche festgestellt: „Täter hätten [sich; MB] gezielt die moralische Autorität des Priesteramtes zunutze gemacht, die psychische Wirkung von Riten wie Beichte oder Gebet benutzt, um Macht über Kinder zu gewinnen – bis dahin, dass Minderjährigen vorgetäuscht wurde[n], die Übergriffe seien Ausdruck ‚liebender Verbundenheit in Christus oder Auserwählung vor Gott‘“8, und Thomas Söding hat den Zusammenhang von Kirchenkrise und Gotteskrise nach dem Missbrauchsskandal auf den Begriff gebracht: „Was es aufzuarbeiten gilt, ist eine menschliche Katastrophe: missbrauchte Macht, verratenes Vertrauen, ausgenutzte Schwäche. Was es aufzuarbeiten gilt, ist aber auch eine religiöse Katastrophe. Es geht um praktische Blasphemie: Gottes Heiligkeit wird angetastet; sein Wille wird pervertiert, seine Barmherzigkeit wird in den Dreck gezogen.“9

Wie kann, so lautet die entscheidende Frage, die Kirche ‚Zeichen und Werkzeug‘ des Heils für diejenigen sein, die unter Berufung auf den Namen Gottes und der Kirche von kirchlichen Amtsträgern missbraucht und gedemütigt worden sind? Wie kann die Kirche angesichts des Missbrauchsskandals ihren Anspruch aufrecht erhalten, dass der Gott, der nichts und niemanden verloren gehen lässt, dieses Heil durch ihr Handeln und ihre Amtsträger ‚wirkt‘? Wie kann sie den Anspruch aufrecht erhalten, dass sie auch denen „das Geheimnis der Liebe Gottes zu den Menschen zugleich offenbart und verwirklicht“ (GS 45), die im Vertrauen auf diese Botschaft durch Amtsträger gedemütigt und verletzt worden sind?

Eine Ekklesiologie, die nach dem Jahr 2010, nach der Aufdeckung der Skandale verfasst wird, muss diese Fragen beantworten – und sie kann das nicht mit einem einfachen Verweis auf die Heiligkeit und Reinheit der Kirche sowie die Ex-opere-operato-Lehre des Heils tun – oder sie ist das Papier nicht wert, auf dem sie steht. Bis heute sind diese Fragen, die das ganze Ausmaß der Krise anzeigen, weil sie auf der Heilsbedeutsamkeit der Kirche insistieren, jedoch weder gestellt noch beantwortet worden. Die öffentliche Debatte begnügt sich mit Diskussionen über die moralische Integrität und Glaubwürdigkeit der Kirche und der Forderung nach einem angemessenen den Täter-Opfer Ausgleich.10 Ekklesiologisch ist das zu wenig.

Über den Missbrauch des Gottesnamens im Namen der Kirche hinaus gehören gleichwohl noch weitere innerkirchliche Gründe von Kirchenkrise und Gotteskrise auf die Agenda. Wie verhält und bestimmt sich die Kirche in einer Zeit, in der es nicht mehr selbstverständlich ist, Gott anzuerkennen und zu achten, weil der Grund des Glaubens, Gott, nicht mehr selbstverständlich und gewiss ist?11 Weiß sie sich als Suchende mit den Suchenden auf dem Weg,12 oder versteht sie sich als vor den Zeitläuften Zuflucht bietende feste Burg? Oder hat sie ihre Rolle in der modernen Welt, in der Welt etsi Deus non daretur gar noch nicht gefunden und stolpert ob ihrer Unentschlossenheit immer tiefer in die Krise?

Eine eindeutige Antwort scheint es auf diese Fragen nicht zu geben. Es gibt Indikatoren für eine innerkirchliche Suchbewegung, aber auch für eine gewisse Ratlosigkeit. Es gibt Indikatoren für einen neuen Fundamentalismus, aber auch für eine gewisse Gleichgültigkeit. Dass es für all dies gleichzeitig Indikatoren gibt, kann zudem als Indikator für eine Verschärfung der Krise angesehen werden. Bestehende innerkirchliche Konflikte lassen sich nicht verschweigen. Sie müssen freimütig und sie müssten auch ungeachtet des Missbrauchsskandals zur Sprache kommen.

Denn eines ist offensichtlich: Die Kirche ist von zahlreichen Spannungen durchzogen – Spannungen, die von innen kommen, Spannungen, unter denen sie leidet, Spannungen, an denen sie zerbrechen könnte. Wohin man auch blickt, die derzeitige Situation der Kirche wird durch Differenzen und Konflikte geprägt: zwischen Basis und Hierarchie, zwischen Konservativ und Liberal, zwischen Dialog und Gehorsam, zwischen Wahrheit und Freiheit, zwischen Praxis und Lehre, zwischen Einheit und Vielfalt, zwischen Zentralismus und Pluralität etc. All diese Spannungsfelder dürften sich gebildet haben, weil es keine unbezweifelbare und allgemein anerkannte Ordnung für den Gottesglauben mehr gibt.

Der Versuch, die bestehenden Differenzen auf einen Begriff zu bringen, ist wahrscheinlich zum Scheitern verurteilt. Dennoch scheint mir ein Konfliktfeld strukturell zu dominieren: die ungelöste Spannung zwischen Geist und Recht. Sie durchzieht die Kirche, prägt all ihre Dimensionen: innen und außen, oben und unten, sichtbar und unsichtbar. Die innere, unsichtbare und durch die Gotteskrise noch geschwächte Macht13 des Heiligen Geistes steht gegen die äußere, sichtbare und selbstbewusste Übermacht kirchlicher Strukturen und des göttlichen Rechts.

Wer nach innerkirchlichen Gründen der Glaubens- und der Kirchenkrise fragt, wird an der Spannung zwischen den ungleichen Geschwistern Geist und Recht nicht vorbei kommen. Beispiele muss man nicht lange suchen. Zwei mögen genügen. Beide sind hoch relevant.

Erstes Beispiel: Gegen den Geist eines neuen Aufbruchs, der auf die Verwirklichung des Christlichen als lebendige, aber unverfügbare Beziehung Gottes zu den Menschen in der Zeit setzt, verweisen die in Kategorien der unzerstörbaren Ordnung denkenden traditionsorientierten Christen auf das göttliche Recht: Nur was in der Vergangenheit gegolten habe, könne auch gegenwärtig...

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