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Kleine Kinder richtig verstehen

Woran Sie erkennen, ob sich Ihr Kind normal entwickelt, Für einen entspannten Start in den ersten vier Lebensjahren

AutorDunja Voos
VerlagHumboldt
Erscheinungsjahr2010
Reihehumboldt - Eltern & Kind 
Seitenanzahl192 Seiten
ISBN9783869109268
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis8,49 EUR
Astrid Kaiser ist Professorin für Erziehungswissenschaften an der Universität Oldenburg und widmet große Teile ihrer Forschungsarbeit der vorschulischen Bildung und Entwicklung. Sie ist Mutter von zwei Kindern und Großmutter.

Die Autorin Dr. med. Dunja Voos ist freie Medizinjournalistin mit Schwerpunkt Psychosomatik, Tiefenpsychologie und Psychoanalyse. Die Fachärztin für Arbeitsmedizin ist Mutter einer kleinen Tochter.

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Leseprobe

Was ist psychische Gesundheit?

Gestörtes Kind, gestörte Eltern?

Aufgeregt kommt die Erzieherin auf die Mutter einer Zweijährigen zu: „Ihr Kind kann sich seit Tagen kaum konzentrieren.“ Die umstehenden Mütter erstarren und bekommen große Ohren. Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung (ADHS) im Anmarsch? „Wir müssen das beobachten“, sagt die Erzieherin mit ernstem Gesicht. Unruhe macht sich breit. Als könnte ADHS angeflogen kommen wie ein Erkältungsvirus. Doch wie sehr „müssen“ sich Zweijährige eigentlich konzentrieren können? Was können wir von so kleinen Kindern erwarten?

Dass Kinder immer früher in den Kindergarten kommen, heißt nicht, dass von den jüngeren Kindern dasselbe erwartet werden kann wie von den älteren. Wer sich einmal für ein paar Minuten in einen Kindergartenraum mit lärmenden Kindern gesetzt hat, der weiß, wie unruhig das selbst den ausgeglichensten Erwachsenen machen kann. Doch der Erwachsene kann wenigstens denken: „Ich gehe gleich in mein Büro und trinke erst mal einen Kaffee“, während die Kleinen besonders bei Regenwetter in so mancher Einrichtung nur begrenzte Möglichkeiten haben, sich mit ihrem Fläschchen zurückzuziehen.

In Babygruppen wird selten über Fragen der psychischen Gesundheit des Kindes geredet.

Kaum eine Frage macht Müttern ein schlechteres Gewissen als die nach der psychischen Gesundheit ihres Kindes. So viele Mütter haben Angst davor, etwas falsch zu machen – und niemand ist in Sicht, der ihnen diese Angst nehmen könnte. In den anfänglichen Krabbelgruppen wird die Frage nach den seelischen Belangen gerne umgangen, indem sich die Mütter besonders stark um Körperliches sorgen. In Babygruppen gibt es dann heiße Diskussionen darüber, welche Zuckerart die beste sei, aus welcher biologischen Möhre der erste Brei bestehen soll oder ob Kinderschuhe unter 60 Euro überhaupt etwas taugen. Viele Mütter fühlen sich dabei irgendwie einsam. Selten geht es in den Babygruppen um Fragen der psychischen Gesundheit. Sie treten am Rande auf, etwa wenn ein Kind nachts nicht schlafen will oder „zu lange“ gestillt wird. Dabei würden sich viele Mütter sehr gerne mit der Psychologie des Kindes beschäftigen – und auch mit ihrer eigenen. Doch gibt es da noch recht wenige Angebote. Zumindest bis zum Kindergarten- und Schulalter manövrieren sich viele Mütter alleine durch ihre Fragen und Ängste.

Zurück zur anfänglichen Kindergartenszene. Die Aufregung hat sich bald etwas gelegt: Das „unkonzentrierte Mädchen“ hatte vor einigen Tagen noch einen schweren Infekt mit hohem Fieber. Es ist noch nicht wieder ganz im Tritt. Wie das kleine Kind sich verhält, ist also völlig normal. Doch den Müttern hallt die Bemerkung der Erzieherin noch tagelang nach. Wird mein Kind das nächste sein, um das ich mir Sorgen machen muss? Und woran merke ich, wenn etwas wirklich nicht stimmt?

Es ist nicht immer leicht, festzustellen, ob eine Entwicklung „normal“ verläuft oder nicht. Sicher, da gibt es die offensichtlichen Bilder, die wir alle aus Zeitung und Fernsehen kennen: Bilder von gewalttätigen, alkohol- oder drogenabhängigen Jugendlichen. Das kann man sich wenigstens noch erklären: Wenn Kinder aus „Alkoholikerfamilien“ oder aus den sogenannten „bildungsfernen Schichten“ stammen, haben sie guten Grund, psychisch auffällig zu werden. Das ist für viele noch einleuchtend. Doch scheinbar immer häufiger leiden solche Kinder an psychischen Störungen, die aus vordergründig ganz intakten, normalen Familien kommen. Es sind Kinder aus gut situierten Familien mit hohem Bildungsgrad, Lehrerkinder, Ärztekinder und Kinder von Eltern, deren Partnerschaften liebevoll sind und gut funktionieren. Die Kinder werden „plötzlich“ verhaltensauffällig und sind nicht mehr zugänglich für Eltern und Erzieher. Die Eltern sehen sich auf einmal mit Aggressionen, Essstörungen, Angststörungen und vielem mehr konfrontiert.

Fehlt eine offensichtliche Erklärung für die Ursache dieser Störungen, dann wird oft den Genen oder einer Stoffwechselstörung im Gehirn die Schuld gegeben. Das wird auch in den Medien immer wieder so dargestellt – egal, ob es sich um Zwangsstörungen, Aufmerksamkeitsdefizite oder Depressionen handelt. Doch so einfach ist das nicht. Zwar spielen Gene eine Rolle, aber oft wird ihnen ein zu großer Anteil am Geschehen zugeschrieben. Auch ist es nachvollziehbar, dass offensichtliche, schwere seelische Verletzungen bei einem Kind zu psychischen Störungen führen. Doch es sind oft die kleinen Verletzungen, unter denen ein Kind leidet – immer wiederkehrende Spannungen, „Familiengeheimnisse“ oder chronische Missverständnisse, die bei dem Kind später zu Verhaltensauffälligkeiten oder emotionalen Störungen führen. Da tauchen wir dann plötzlich in ein ganz sensibles Thema ein. Denn wenn es nicht „die Gene“ oder „der Stoffwechsel“ allein sind, dann wird doch angenommen, die Eltern seien „schuld“ – oder?

Etiketten wie „schuldig” und „richtig oder falsch” haben bei der kindlichen Entwicklung nichts zu suchen.

Nein, sie sind nicht „schuld“. Sobald die Frage gestellt wird, welche Rolle die Eltern bei der Entwicklung ihrer Kinder spielen, sollten solche Wertungen generell abgelegt werden. Wir wären in einer Sackgasse, es ginge nicht weiter und wertvolle Chancen, um belasteten Kindern und Eltern wirklich zu helfen, würden ungenutzt bleiben. Wie müssen sich beispielsweise Eltern fühlen, die mit ihrem Baby eine Ambulanz für Schreibabys aufsuchen? Wenn Therapeuten solche Eltern beobachten, stellen sie immer wieder fest: Diese Eltern geben alles. Es sind liebevolle, warmherzige und wohlwollende Eltern, die alles Erdenkliche für ihr Kind tun. Und doch kommen sie in die Ambulanz, weil sie spüren, dass sie „irgendwie“ einen Einfluss auf das Schreien oder Nicht-Gedeihen ihres Babys haben. Sie sind verzweifelt. Sie tun alles und haben doch nur das Gefühl, zu versagen. Doch sie machen nichts „falsch“. Sie sind einfach nur Menschen. Diese Eltern haben ihre eigene Geschichte. Sie haben starke Seiten und schwache Seiten. Sie verfügen über bewusste Gedanken, aber auch über unbewusste Fantasien. Diese unbewussten Fantasien sind es oft, die das Spiel verderben. Und weil so vieles unbewusst ist, kann man manchen Zusammenhängen auch nur schwer von selbst auf die Spur kommen. Wir können immer nur aus unserem Haus herausschauen. Von außen angucken können uns nur die anderen.

Und so stellen manche Eltern erleichtert fest, dass sie zwar schon „irgendwie“ daran beteiligt sind, dass ihr Kind sich nicht wohlfühlt, dass sie daran aber keine Schuld haben. Wenn in einer Behandlung dann ihre eigenen Sorgen Platz bekommen, dann merken sie, wie es dem Kind besser geht. Denn dem Kind geht es oft nur deshalb schlecht, weil es den Eltern nicht gut genug geht. Das kann bewusstes oder unbewusstes Unwohlsein sein. Wenn eine Alleinerziehende abends ihr Baby schreien lässt, weil sie keine Kraft mehr und keine Unterstützung hat, wer will ihr da die Schuld geben? Wenn eine Managerin unter so starken Selbstzweifeln leidet, dass sie nur durch harte Arbeit mit diesen Zweifeln fertig wird, wer will ihr dann die Schuld geben, wenn ihr Sohn in der Schule hibbelig und unaufmerksam wird? Der Sohn leidet wortwörtlich unter einem „Aufmerksamkeitsdefizit“, weil die Mutter ihm nicht genug ungeteilte Aufmerksamkeit schenken kann. Doch die Mutter verzweifelt an ihrem Dilemma. Wenn sie ihre Selbstzweifel angeht und dann selbst vielleicht in einer Therapie von ihrem ungeheuren Druck entlastet wird, dann geht es beiden besser: Mutter und Kind.

Die „Störung” eines Kindes kann auch eine Chance für die Eltern sein, sich zu hinterfragen.

Darum ist die „Störung“ eines Kindes auch immer eine Chance für alle. Sie mag ein unangenehmer Fingerzeig auf die Eltern sein. Doch die Eltern sollten dann nicht zu hart mit sich ins Gericht gehen. Wenn sie sich überwinden können, von ihrem möglichen Perfektionismus abzurücken und wenn sie den Mut haben, sich selbst und ihre traurigen Erlebnisse anzuschauen, dann führt das zur Lösung vieler Probleme.

Auch wenn dieser Weg schwierig ist – letzten Endes geht es den Eltern damit auf Dauer besser, als wenn man sie mit der Erklärung abspeist, die Gene seien schuld. Solch eine Erklärung erleichtert die Eltern nur im ersten Moment. Doch diese Erleichterung reicht nicht weit. Innere Unruhe und Zweifel bleiben bestehen. Manchmal zeigt sich das dadurch, dass die verzweifelten Eltern jeden abweisen, der vorsichtig versucht zu erklären, dass es sich bei der Störung des Kindes möglicherweise nicht nur um genetische Vererbung handelt. Das macht deutlich, dass die Eltern eigentlich nur auf der Suche nach grundlegender Entlastung sind – für sich selbst und ihr Kind.

Wie eng das Zusammenspiel von Eltern und Kindern sein kann und wie schwierig es manchmal ist, die wahren Ursachen der Probleme zu finden, soll ein Beispiel zeigen:

Ein Elternpaar spielt seinem Kind eine heile „Ehe-Welt“ vor. Sowohl Vater als auch Mutter stammen aus Familien, in denen die Eltern sehr viel stritten. Die Eltern des Vaters ließen sich scheiden, als er selbst gerade neun Jahre alt war. Er hatte sehr darunter gelitten. Die Eltern sind durch das gemeinsame Schicksal verbunden. Sie fanden es furchtbar, zu Hause nur laute, endlose Diskussionen mit anhören zu müssen. Das wollen sie ihrem eigenen Kind auf jeden Fall ersparen. Doch die Eltern sind in Wirklichkeit in ihrer Ehe schon lange selbst...

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