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Klinische Sozialarbeit in Zeiten des demografischen Wandels. Ist die Versorgung von Pflegebedürftigen auch in Zukunft gewährleistet?

AutorJoel Hornberger
VerlagStudylab
Erscheinungsjahr2019
Seitenanzahl96 Seiten
ISBN9783960954507
FormatPDF/ePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis34,99 EUR
Nicht nur unsere Gesellschaft wird immer älter, sondern auch die Lebenserwartung jedes Einzelnen steigt. Dazu tragen eine neue Lebensweise, geringere körperliche Belastungen und der medizinische Fortschritt bei. Doch kann unser aktuelles Gesundheitssystem die Auswirkungen des demographischen Wandels überhaupt abfangen? Denn mit der Alterung der Gesellschaft steigt auch das Risiko der Hilfe- und Pflegebedürftigkeit. Ältere Menschen leiden häufig unter mehr als nur einer Krankheit, weiß der Autor Joel Hornberger. Deshalb untersucht er in seiner Publikation, ob und inwieweit die Versorgung von Pflegebedürftigen auch in Zukunft gewährleistet ist. Hornberger setzt sich dazu mit dem demographischen Wandel und der Entwicklung von Multimorbidität in Deutschland auseinander. Er leitet daraus Konsequenzen für die Sozialarbeit ab und beschreibt ihre Position in Krankenhäusern. Hornberger erarbeitet so einen wichtigen Wegweiser für die klinische Sozialarbeit. Aus dem Inhalt: - Gesundheitswesen; - Pflegedienst; - Pflegeheim; - ambulante Nachsorge; - stationäre Nachsorge

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Leseprobe

3 Pflegebedürftigkeit in Deutschland


 

Dieses Kapitel behandelt eine zentrale Folge der demografischen Alterung in Deutschland: die Zunahme von pflegebedürftigen Personen. Innerhalb dieses Kapitels finden zu Beginn eine Auseinandersetzung mit dem Begriff der Pflegebedürftigkeit, sowie die Darstellung der Entwicklung und derzeitigen Prävalenz von Pflegebedürftigkeit in Deutschland statt. Daraufhin werden mehrere Prognosen zur zukünftigen Entwicklung der Zahl von Pflegebedürftigen in Deutschland vorgestellt. Das Kapitel wird mit der Versorgung von Pflegebedürftigen abschließen. Zunächst wird dabei die Versorgung von Pflegebedürftigen durch pflegende Angehörige betrachtet, woraufhin die Auseinandersetzung mit der professionellen Pflege im ambulanten, teilstationären und stationären Sektor folgt. In diesem Kapitel wird allein die pflegerische Versorgung thematisiert. Die ärztliche Versorgung, wie beispielsweise durch Hausärzte, ist nicht Teil des Kapitels.

 

3.1 Begriffsverständnis von Pflegebedürftigkeit


 

Vor der Einführung der PSG (Pflegestärkungsgesetze), die im weiteren Verlauf noch aufgegriffen werden, war das Verständnis von Pflegebedürftigkeit in Deutschland von einer defizitären Perspektive geprägt. Das Begriffsverständnis setzte zunächst an den Defiziten von Menschen, wie auch an deren eingeschränkter Selbstständigkeit und Alltagskompetenz und damit auch dem Verlust der Leistungsfähigkeit an (Hasseler & Görres, 2005, S. 17). Als Kurzformel konnte für den „alten“ Pflegebedürftigkeitsbegriff formuliert werden, dass dieser ein Produkt aus Defiziten und Ressourcen darstellte. Die wesentlichen Merkmale in diesem Verständnis von Pflegebedürftigkeit liegen auf den Mobilitätseinschränkungen und die damit einhergehende eingeschränkte Selbstständigkeit. (ebd.)

 

Der Begriff der Pflegebedürftigkeit ist abzugrenzen von dem Pflegebedarf, da dieser die Einschätzung über erforderliche Handlungen, Maßnahmen oder Leistungen für Pflegebedürftige meint. Damit lässt sich der Pflegebedarf auf der Interventionsebene verorten. Für die Ermittlung des Pflegebedarfs werden Umweltfaktoren, Kompetenzen, Ressourcen und die Ziele der pflegebedürftigen Person mit einbezogen. Die Kurzformel könnte an dieser Stelle folglich lauten: der Pflegebedarf stellt eine „Schnittstelle zwischen der pflegebedürftigen Person und der Umwelt“ dar. (ebd., S. 18)

 

Wie anhand des „alten“ Begriffsverständnisses deutlich wird, lag der Schwerpunkt des Verständnisses von Pflegebedürftigkeit auf den körperlichen Einschränkungen. Notwendige Betreuungsleistungen oder Formen von psychosozialer Unterstützung wurden bei der Bestimmung von Pflegebedürftigkeit nach diesem Verständnis nicht abgebildet und standen Betroffenen nicht zur Verfügung (Bundesregierung, 2016, S. 21). Da jedoch ein Anstieg von Personen mit demenziellen Erkrankungen in Deutschland zu beobachten ist, was nicht zuletzt auch mit der steigenden Lebenserwartung und dem demografischen Wandel in Verbindung steht, wurde die Forderung nach einer Änderung im Begriffsverständnis zunehmend von gesellschaftlicher Relevanz erfasst. Besagte Veränderungen sollten dabei explizit die geistigen und psychischen Ursachen von Pflegebedürftigkeit stärker berücksichtigen und abbilden können. Die Relevanz dieser Veränderung wird zudem von Prognosen, wie beispielsweise von der Deutschen Alzheimer Gesellschaft, erhöht, da diese einen weiteren Anstieg von demenziellen Erkrankungen in der deutschen Bevölkerung bis zum Jahr 2050 vermuten. (ebd., S. 20) Auch durch nachträgliche Veränderungen im Begriffsverständnis von Pflegebedürftigkeit auf gesetzlicher Ebene, wie etwa durch die Einführung der Sonderleistungen für Menschen mit „erheblich eingeschränkter Alltagskompetenz“ im Jahr 2002 und deren Ausweiten im Jahr 2008, konnten die geistig oder psychisch bedingte Pflegebedürftigkeit von Menschen nicht ausreichend abgebildet und Ungleichheiten, im Vergleich zur körperlich bedingter Pflegebedürftigkeit, beseitigt werden. (ebd., S. 21)

 

Durch den „neuen“ Pflegebedürftigkeitsbegriff, welcher durch das PSG II zur Anwendung kommt, sollen die Ansprüche von Menschen mit geistig und psychisch basierter Pflegebedürftigkeit auf Leistungen verbessert werden. Zudem sollen alle Pflegebedürftige einen gleichberechtigen Zugang zu den Leistungen erhalten, wodurch die Benachteiligung von Menschen mit kognitiven Einschränkung beseitigt wird. Um dieses Ziel zu erreichen, also die Pflegebedürftigkeit umfassender abbilden zu können, wird die Selbständigkeit in sechs pflegerelevanten Bereichen in einem neuen Begutachtungsassessment (NBA) abgebildet. (Kaub, 2016, S. 12)

 

Der Pflegebedürftigkeitsbegriff, welcher seit dem 01.01.2017 in Kraft getreten ist, meint Personen, die gesundheitlich bedingte Einschränkungen ihrer Selbstständigkeit aufweisen und aufgrund dessen auf die Hilfe von anderen Personen angewiesen sind (§14 Abs.1 SGB XI). Pflegebedürftig sind demnach alle Personen die Belastungen körperlicher, psychischer oder gesundheitlicher Art nicht selbstständig kompensieren können. Dabei muss die Pflegebedürftigkeit für voraussichtlich mindestens sechs Monate bestehen. Darüber hinaus ist mit dem neuen Pflegebedürftigkeitsbegriff die Einführung des bereits erwähnten NBA einhergegangen, um so das veränderte Verständnis von Pflegebedürftigkeit auch in der Begutachtung durch den Medizinischen Dienst der Krankenkassen (MDK) in die Praxis zu transferieren. Die Pflegebedürftigkeit eines Menschen wird durch das PSG II nicht mehr wie zuvor in Minutenwerte, als Abbild des Pflegebedarfs, ausgedrückt. Vielmehr gilt der Grad an Selbstständigkeit als neuer Maßstab von Pflegebedürftigkeit, wobei in die Erfassung der Selbstständigkeit auch jegliche Ressourcen eines Menschen mit einbezogen und differenziert von den individuellen Fähigkeiten abgebildet werden. Die eingeführte Ressourcenorientierung ermöglicht zudem die systematische Erfassung der Bedarfe an Präventions- und Rehabilitationsmaßnahmen. (Medizinischer Dienst des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen e.V., 2017, S. 4)

 

Die Pflegebedürftigkeit drückt sich seit der Anwendung des neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffes nicht mehr in drei Pflegestufen, sondern in fünf Pflegegraden, aus. Für die Ermittlung, beziehungsweise die Bestimmung über die Einordnung in einen jeweiligen Grad, werden sechs Module zur Abbildung der Selbstständigkeit eines Menschen herangezogen. Diese Module umfassen die Mobilität, die kommunikativen und kognitiven Fähigkeiten, die Verhaltensweisen, wie auch psychische Problemlagen, die Selbstständigkeit hinsichtlich der Selbstversorgung, die Bewältigung von und der Umgang mit krankheits- und therapiebedingten Anforderungen und Belastungen und zuletzt die Gestaltung des Alltags unter Einbezug der sozialen Kontakte. Die Bereiche werden nach der Erfassung unterschiedlich gewichtet und anschließend für die Zuordnung eines Pflegegrades zusammengeführt. (Schölkopf, 2016, S. 47)

 

Anders wie im alten Verständnis von Pflegebedürftigkeit wird die Mobilität eines Menschen für die Bestimmung des Pflegegrades nun nicht mehr so stark gewichtet. Das Modul der Mobilität erhält im NBA nur eine Gewichtung von 10%. Das Modul der kognitiven und kommunikativen Fähigkeiten ergibt zusammen mit dem Modul der Verhaltensweisen und psychischen Problemlagen einen Anteil von 15% am Gesamtwert. Dieselbe Gewichtung erfährt das Modul über die Gestaltung des Alltagslebens und sozialer Kontakte. Ein wenig stärker wird mit 20% das Modul der Bewältigung von und selbstständiger Umgang mit krankheits- und therapiebedingten Anforderungen und Belastungen bewertet. Das sechste Modul, die Selbstversorgung, wird mit 40% am stärksten gewichtet. (Medizinischer Dienst des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen e.V., 2017, S. 5)

 

Zusammenfassend kann an dieser Stelle gesagt werden, dass das Verständnis von Pflegebedürftigkeit sich weg von einer Defizitorientierung mit Konzentration auf die körperlich bedingte Pflegebedürftigkeit, hin zu einer Ressourcenorientierung mit ganzheitlicher Perspektive auf Menschen unter Einbezug von geistigen und psychischen Belastungen und Einschränkungen, verändert hat. Darüber hinaus ist die Orientierung an der Selbstständigkeit eines Menschen, als neuer Maßstab für die Pflegebedürftigkeit, eine gravierende Veränderung und stellt das Kernelement des PSG II dar. Ergänzend kann an dieser Stelle noch erwähnt werden, dass die beiden anderen Teile des PSG (I & III) weniger das Begriffsverständnis von Pflegebedürftigkeit ansprechen, sondern strukturelle Aspekte, wie etwa das angebotene Leistungsspektrum für Pflegebedürftige und die Vergütung dieser Leistungen.

 

3.2 Entwicklung und Prävalenz von Pflegebedürftigkeit


 

Die Prävalenz von Pflegebedürftigkeit hat in Deutschland in den letzten Jahren stark zugenommen. Eine treibende Kraft für diese Entwicklung ist, wie im vorherigen Kapitel dargestellt wurde, der demografische Wandel und die damit einhergehende Veränderung der Altersstruktur in Deutschland. Die Pflegebedürftigkeit tritt vorrangig im höheren Alter besonders ab einem Alter von 75 Jahren ein, was in der folgenden Darstellung von statistischen Daten deutlich wird.

 

Die Daten aus dem Jahr 1999 zeigen auf, dass es in diesem Jahr in Deutschland nur knapp über zwei Millionen Pflegebedürftige (2,016 Millionen) gab. Im Lauf der weiteren Jahre ist die Zahl der...

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