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Lasst uns länger arbeiten!

Arbeitswelt umgestalten, Rente retten - im Alter aktiv und zufrieden sein

AutorAlexander Hagelüken
VerlagVerlagsgruppe Droemer Knaur
Erscheinungsjahr2019
Seitenanzahl224 Seiten
ISBN9783426454275
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis7,99 EUR
Wie sicher ist die Rente? Lauert am Ende des Arbeitslebens die Altersarmut? Alexander Hagelüken, Leitender Wirtschaftsredakteur der 'Süddeutschen Zeitung', warnt in diesem aufrüttelndem Debattenbuch für dem, was uns droht: sinkendes Rentenniveau, höhere Beiträge, steigende Gesundheitskosten, mangelnde Vorsorge. Für alle unter 50 sieht es düster aus - es sei denn, das Rentensystem wird grundlegend umgestaltet. Acht von zehn Deutschen fürchten, dass ihre Rente nicht reichen wird. Und das mit gutem Grund, denn weil wir glücklicherweise immer länger leben, wackelt das ganze System der Alterssicherung. Alexander Hagelüken meldet sich mit einem provokativen Debattenbeitrag zu Wort: Wir sterben später. Wir sind länger gesund. Wir arbeiten immer weniger körperlich. Berufliche Tätigkeit hält uns geistig fit. Und - wir dürfen den Wohlstand des Landes nicht zugunsten der Alten umverteilen. Denn die wenigen Jungen können die Last nicht allein tragen. Daher fordert er: 'Lasst uns länger arbeiten!' Dann reicht es für alle.

Alexander Hagelüken, geboren 1968, ist als Leitender Redakteur der Süddeutschen Zeitung für Wirtschaftspolitik zuständig. Zuvor war er Leiter des Geldteils der SZ, Europakorrespondent in Brüssel, Parlamentskorrespondent in Bonn und Berlin. Für seine journalistische Arbeit wurde er vielfach mit Preisen ausgezeichnet. Das gespaltene Land, 2017 bei Knaur erschienen, ist Hagelükens erste selbständige Buchpublikation, zu der er sich aus Sorge um das Deutschland seiner vier Kinder entschlossen hat. 2019 folgt bei Droemer Lasst uns länger arbeiten!, ein provokatives Debattenbuch zur gesellschaftlich brisanten Frage nach der Rente.

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Leseprobe

Teil I


Warum länger arbeiten?


Als ich vor ein paar Jahren den langjährigen Heizungsverkäufer Bodo Schneider sprach, war er voll aktiv. Obwohl er ja eigentlich ganz früh in den Ruhestand wollte. Mit 59 hatte Schneider die Anteile an seinem Großhandel für Farben verkauft, weil er sich mit seinem Kompagnon nicht mehr verstand. »Nach einer Weile merkte ich schon, der Garten reicht nicht. Ich bin dann auf eine Messe, weil ich mit meinem Kamin unzufrieden war. Da hat mir einer einen Einsatz empfohlen, und der bot mir auch gleich einen Job an, in seinem Laden. Ich steck mein ganzes Blut ins Verkaufen, entweder man macht das gerne, oder man lässt es. Mir macht das mit den Menschen Spaß«, sagte Bodo Schneider, 73.[8]

Der passionierte Verkäufer aus Celle macht sich zunutze, dass er wie viele noch fit ist. In Deutschland hat eine Revolution stattgefunden, die den Deutschen gar nicht bewusst zu sein scheint. Sie halten es für selbstverständlich, lange zu leben. Dabei ist es historisch einzigartig.

Als sich die Einzelstaaten 1871 zum Deutschen Reich vereinigten, wurden die Bewohner im Schnitt Mitte 30. Schon seit Jahrtausenden starben die Menschen selbstverständlich früh. Nun liegt das Deutsche Reich der 35-jährigen Greise nicht einmal eineinhalb Jahrhunderte zurück. Doch die Lebenserwartung hat sich in dieser geschichtlich lächerlichen Spanne vervielfacht. »Wir werden immer älter«, sagt der heute in Nürnberg praktizierende Arzt Bernd Kleine-Gunk. »Ein ganz besonderes Privileg wird nur selten gewürdigt, obwohl es unser Leben geändert hat wie nichts anderes.«

Früher war alles schlechter. Heute ist das Essen besser, Luft und Wasser sauberer und die Medizin Meilen weiter. Wer heute auf die Welt kommt, wird im Schnitt 80. Erreicht er die 65, weil ihn nicht vorzeitig ein Unfall oder Krebs ereilt, wird er sogar Mitte 80. So ein Leben schien noch den längsten Teil des 20. Jahrhunderts unvorstellbar.

Arbeitsmarkt und Rentensystem reagieren auf diese epochalen Umwälzungen nicht. Deutsche bekommen schon seit dem Ersten Weltkrieg die volle Rente, sobald sie 65 werden. Und heute, 100 Jahre später? Gehen sie im Schnitt mit 64 in den Ruhestand. Dabei hat sich die Lebenserwartung seit dem Ersten Weltkrieg fast verdoppelt.[9] Die einzig wirkliche Reaktion auf das verdoppelte Leben war, das Ruhestandsalter in den Nullerjahren ein bisschen zu erhöhen, auf 67. Weil viele diesen moderaten Schritt für Ausbeutung halten, wird darüber bis heute gestritten. Prompt ruderte die Bundesregierung zurück und schuf eine neue, teure Frührente.[10]

Dabei sind die Deutschen heute ganz andere Deutsche als – nein, nicht nur zur Zeit des Ersten Weltkriegs. Sondern auch als vor wenigen Jahrzehnten. Bernd Kleine-Gunk wird dieses Jahr 60. »Mit 60«, sagt er, »waren Sie vor 30 Jahren einer, der nicht mehr viel vom Leben erwartete. Und von dem auch nicht mehr viel erwartet wurde. Das hat sich völlig verändert.« Heute machen Menschen in diesem Alter völlig neue Dinge, gehen in neue Berufe. Viele seiner Bekannten wollen länger tätig bleiben. Natürlich trifft das nicht auf alle Bürger zu. Doch feststeht: Die Vorstellung vom gebrechlichen Alten, der dem Tod entgegendämmert, passt auf keinen Fall mehr. Eine Flut von Studien, der Öffentlichkeit kaum bekannt, zeichnet ein ganz anderes Bild.

Der Deutsche Alterssurvey, eine repräsentative Befragung von Personen in der zweiten Lebenshälfte, untersucht seit Langem, wie fit sich die Menschen fühlen. Gemessen wird, wie eingeschränkt jemand im Alltag ist. Bei anstrengenden Dingen (schnell laufen, schwer heben) genau wie bei weniger anstrengenden (Einkaufstüten tragen, staubsaugen, Treppen steigen, sich bücken oder baden). Zwei Drittel der Älteren melden eine gute Gesundheit. Selbst im höheren Alter ist es immer noch die Hälfte. Und eine Erkrankung bedeutet nicht automatisch, dass jemand Abstriche machen muss. »Viele Menschen mit einer oder mehreren Erkrankungen«, notieren die Forscher, »meistern ihren Alltag ohne jegliche Einschränkungen.« Eine andere Massenstudie unter 100000 Europäern klingt noch positiver. An der Schwelle für die politisch umstrittene Rente mit 70 bezeichnen drei Viertel ihre Gesundheit als gut bis ausgezeichnet.[11]

Sieche Senioren? Die Älteren sehen klar, wie viel besser es ihnen geht als früheren Generationen. Sie fühlen sich sieben bis zehn Jahre jünger, als ihr Personalausweis festhält. Fast die Hälfte engagiert sich ehrenamtlich, mehr als die Hälfte fährt Auto, zwei Drittel surfen im Netz. Das Alter kommt später. Irgendwann.[12]

Wo die Altersfähigkeiten Quantensprünge machen, wird es höchste Zeit, sie gegen die Altersprobleme des Rentensystems einzusetzen. Wer heute geboren wird, lebt zwei Jahrzehnte länger als der Jahrgang 1950. Wie schön! Und wie anspruchsvoll für ein Rentensystem, das auf einer simplen Umlage basiert: Wer arbeitet, zahlt für die Ruheständler, um später selbst Altersbezüge zu erhalten. Diese simple Umlage steht vor dem Kollaps, wenn die Gesellschaft so rasch altert.

Schon heute beziehen Senioren doppelt so lange Rente wie früher. Schon heute hat kein europäisches Land einen so hohen Anteil von Senioren wie die Bundesrepublik. In einer Generation wird die Lebenserwartung auf 87 steigen, womöglich auf 89. Deutschlands Bevölkerungsbaum verändert sich stark. Er wird oben, wo die Älteren sitzen, noch dicker. Unten schwächelt er.[13]

Nie wieder bekamen Eltern so viele Kinder wie 1964. Waren es damals und davor zwei bis zweieinhalb, sind es seither nur eineinhalb. Und genau diese geburtenstarken Jahrgänge der Fünfziger- und Sechzigerjahre gehen nun in den Ruhestand. Deutschland altert mit ihnen. Es fehlen sehr viele junge Menschen, um die Rente zu finanzieren. Das Alterssystem erlebt ein Erdbeben. Der Bevölkerungsbaum droht im Sturm der Zeit umzufallen.[14]

Vor mehr als 30 Jahren gab der damalige Sozialminister Norbert Blüm (CDU) ein großes Versprechen: »Die Rente ist sicher!« Damals lag das Rentenniveau[15] bei 56 Prozent des Durchschnittslohns. Seither schrumpfte es auf 48 Prozent. Das heißt, der Lebensstandard der Senioren sank im Vergleich zu den Arbeitnehmern. Nach verschiedenen Prognosen fällt das Rentenniveau in den kommenden Dekaden unter 40 Prozent. Der Lebensstandard reduziert sich also im Vergleich weiter. Gleichzeitig steigen die Beiträge, die Arbeitnehmer in die Alterskasse einzahlen müssen. Der Sozialbeirat der Bundesregierung mahnt: »Der Gesetzgeber sollte kritisch prüfen, ob damit noch ein ausreichendes Rentenniveau und ein akzeptabler Beitragssatz gewährleistet sind.«[16]

Im Sommer 2018 gab die SPD erstmals ein großes neues Versprechen. Die kleinere Regierungspartei will das aktuelle Rentenniveau einfach bis 2040 garantieren. Das klingt verführerisch. Stabile Renten, wer will das nicht. Doch wer soll das bezahlen? Wenn das komplett die Arbeitnehmer finanzieren müssen, wird es für sie enorm teuer. Für Durchschnittsverdiener würden im Jahr kaum vorstellbare Zusatzbeiträge fällig: zusätzlich zwei Drittel eines Monatslohns. Im Kapitel Umsteuern, das diese Kosten genauer behandelt, schlage ich deshalb eine faire Reform vor: Sie nimmt Geschenke für Beamte und gut versorgte Rentner zurück und verteilt die Lasten zwischen Alt und Jung gerecht.[17]

Auch viele Ökonomen sprechen sich dafür aus, nicht einfach die Arbeitnehmer abzukassieren. Sondern Maßnahmen zu kombinieren, darunter ein späteres Ruhestandsalter ab 2030, wenn das Ausscheiden der geburtenstarken Jahrgänge richtig spürbar wird. »Man kann das Ruhestandsalter belassen, dann müssten Beiträge oder Steuermittel stark steigen. Am günstigsten ist es, auf eine steigende Lebenserwartung mit längerer Arbeitszeit zu reagieren«, sagt Johannes Geyer vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW). »Man sollte das schon heute diskutieren, weil es für die Planungen der Menschen wichtig ist.«

Für ein späteres Ruhestandsalter spricht, dass der demografische Wandel nicht nur die Altersbezüge verteuert – sondern auch die Kosten für Gesundheit und Pflege (siehe das Kapitel Sechs Schritte an den Abgrund des Rentensystems). »Wenn wir immer länger leben, aber das gewohnte Rentenalter beibehalten, stimmen die Proportionen nicht mehr. An einer Erhöhung des Rentenalters geht also kein vernünftiger Weg vorbei«, argumentiert Axel Börsch-Supan, Direktor des Münchner Zentrums für die Ökonomie des Alterns.[18]

Dabei braucht es Lösungen für jene, die nicht so lange in ihrem Beruf arbeiten können. Die Politiker quer durch alle Parteien, die gegen ein höheres Ruhestandsalter wettern, argumentieren mit ihnen. Aber gleichzeitig taten sie die längste Zeit kaum etwas für sie. Jeder Zweite, der wegen Erwerbsminderung aus dem Beruf ausscheidet, ist von Armut gefährdet. Wird ihnen geholfen, ist das zentrale Argument dagegen hinfällig, dass die Mehrheit der Deutschen künftig länger arbeitet (Vorschläge mache ich im Kapitel Angebote an Belastete).[19]

»Die meisten Arbeitnehmer wären rein gesundheitlich fit genug, bis 69 zu arbeiten«, konstatiert Gert Wagner, Vorsitzender des Sozialbeirats der Bundesregierung. »Das deutlich Unfitte beginnt heute erst ab Mitte 70.« Doch viele Unternehmen und der Staat machen bei einer normierten Altersgrenze von 65 Schluss. Da muss aufhören, selbst wer weitermachen will.

Dabei wäre es doch mal ein Anfang, das Potenzial der Willigen zu nutzen. Als Einstieg, dass nach...

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